Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Selbstfindung
im Spiegelkabinett
Zum Ende der diesjährigen Spielzeit hat der scheidende
Opernintendant Johannes Weigand ein Werk auf den Spielplan gestellt, das zum
einen lange Zeit gar nicht auf den Opernbühnen zu erleben war und sich erst seit
einigen Jahren mit Aufführungen in Paris, Bonn und bei den Bregenzer
Festspielen den Weg ins Repertoire erkämpft, zum anderen in einem deutlichen
Kontrast zum Programm des künftigen Opernintendanten und Generalmusikdirektors
Toshiyuki Kamioka steht, der mit Stagione-Betrieb auf gängige Opernklassiker à
la Strauss, Wagner, Mozart und Puccini setzt und zumindest in seiner ersten
Spielzeit mit einem massentauglichen Programm keine Risiken eingehen will. Die
Rede ist von Karol Szymanowskis einziger Oper Król Roger, die mit
orientalischen und antiken Anklängen in der Musik den Aufeinanderprall
gegensätzlicher Kulturen zeigt, der Szymanowskis Kompositionen geprägt hat, und
eher den Charakter eines szenischen Oratoriums aufweist. Inspiriert wurde
Szymanowski zu diesem Werk durch die antike Tragödie Die Bakchen des
Euripides. Darin rächt sich der Gott Dionysos an Pentheus, dem König von Theben,
der ihm die kultische Verehrung verweigert, indem er Pentheus' Mutter Agaue im
ekstatischen Rausch mit den anderen thebanischen Frauen den König zerreißen
lässt. König Roger (Kay Stiefermann,
oben Mitte) auf dem Höhepunkt seiner Macht (vorne von links: die Diakonissin
(Joslyn Rechter), Roxane (Banu Böke) und der Erzbischof (Martin Js. Ohu) mit dem
Opernchor, Extrachor und der Wuppertaler Kurrende) Szymanowski, der gemeinsam mit seinem Vetter Jaroslaw
Iwaszkiewicz das Libretto zur Oper verfasst hat, siedelt die Handlung im 12.
Jahrhundert in Sizilien an. Hier herrscht der Normannenkönig Roger II., der
Großvater des Staufer-Kaisers Friedrich II., in einem friedlichen Nebeneinander
der Kulturen. Doch die Ruhe wird gestört von einem selbsternannten Propheten,
der "der Hirte" genannt wird und die Lehren eines neuen Gottes verbreitet. Die
Menge fordert, angestachelt vom Erzbischof und der Äbtissin, vom König eine
Bestrafung des Gotteslästerers, doch verfällt, je länger der Hirte spricht,
immer mehr seinem Bann. Auch die Königin Roxane fühlt sich zu dem Hirten
hingezogen, so dass Roger ihn auffordert, am Abend in seinen Palast zu kommen,
um dort über ihn zu richten. Im Palast präsentiert der Hirte seine Macht, indem
er eine große Menge in einen orgiastischen Tanz verfallen lässt. Roger spürt,
dass er seine Macht an den Hirten verliert, und muss tatenlos mit ansehen, wie
der Hirte das Volk und die Königin Roxane nach draußen führt. Roger folgt ihnen
und sucht in der Einsamkeit Roxane. Diese erscheint gemeinsam mit dem Hirten,
der sich nun als Gott Dionysos zu erkennen gibt. Roger entzieht sich mit Hilfe
seines Beraters Edrisi endgültig dem Bann des Hirten und weiht sein Herz der
Sonne. Damit hat er sich von allem Spuk befreit und sich erneut gefunden. Erstes Treffen zwischen König
Roger (Kay Stiefermann, links) und dem Hirten (Rafał Bartmiński, Mitte) (hinten
rechts: Roxane (Banu Böke), der Erzbischof (Martin Js. Ohu) und der Opernchor) Jakob Peters-Messer fokussiert seine Inszenierung auf den
Selbstfindungsprozess des Königs und siedelt die Geschichte im Reich der
Psychoanalyse an. Vor dem Vorhang befindet sich eine Liege mit einem kleinen
Hocker und einer Lampe, die das Behandlungszimmer eines Psychiaters andeuten.
Aus dem Berater Edrisi wird ein Psychoanalytiker, der seinen Patienten, den
König, bei seiner Selbstfindung unterstützt. So sieht man Edrisi ständig mit
einem Block Notizen machen und die Geschehnisse analysieren. Die einzelnen Akte
werden dabei mehr oder weniger als Innenschau in das Seelenleben des Königs
inszeniert. Markus Meyer hat dazu ein Spiegelkabinett entworfen, das in Form
eines achteckigen Prismas Videoprojektionen reflektiert. Im ersten Akt zeigen
sie das Gesicht von König Roger, das mit einer schwarzen Maske bedeckt ist, in
deren Mitte ein gekreuzigter Jesus hängt. Unter dem Schutz des christlichen
Gottes will Roger an dieser Stelle noch keinen Einblick in seine Gedanken geben.
Auch der in schwarze Gewänder gekleidete Chor führt das Kreuz, das in Weiß auf
den schwarzen Händen prangt, gewissermaßen als Bollwerk gegen die neuen Lehren
des Hirten an. Doch das unschuldige Weiß des Hirten zwingt die Gegner in die
Knie. Auch Roger lässt sich durch einen Kuss von dem Hirten verführen und die
Maske verschwindet. Orgiastischer Rausch im
Palast: der Hirte (Rafał Bartmiński, Mitte oben), Roxane (rechts) und der Chor Im zweiten Akt erscheint Roxane in der Videoprojektion. Der
König befürchtet, dass er seine Frau an den Hirten verliert, und sieht sie
deshalb überdimensional groß auf den Spiegelflächen. Auch optisch hat sich
Roxane verändert. Während sie im ersten Akt mit blonder Perücke im mondänen
schwarzen Pelzmantel aufgetreten ist, erscheint sie nun in einem glitzernden
orientalischen Gewand. Ein Bild von ineinander gewundenen Schlangen im
Hintergrund spiegelt anschließend den orgiastischen Rausch wider, in den der
Hirte den Palast versetzt. Zwar trägt er immer noch unschuldiges Weiß, doch sein
Kostüm ist militanter geworden. Sein weißer Anzug wirkt nun wie eine weiße
Uniform. Auch der Chor hat jetzt die weiße Farbe des Hirten übernommen und
beschmiert sich im Rausch genauso wie Roxane mit roter Farbe als Zeichen der
Lust. Großartig gelingt auch das Schattenspiel, in dem der Hirte überdimensional
groß vor seinem Auftritt im Palast auf die Rückwand geworfen wird. Erst wenn
sich Roger im letzten Akt befreit, übernimmt er die weiße Kleidung des Hirten,
während dieser nun in Schwarz auftritt und am Kopf und den Armen Teile des
Spiegels trägt. Roger tötet den Hirten, zerstört damit das Spiegelkabinett und
huldigt der Sonne, da er sich nun endlich selbst gefunden hat. Der Vorhang fällt
hinter ihm und lässt alles verschwinden. König Roger (Kay Stiefermann)
befreit sich (im Hintergrund: Roxane (Banu Böke) mit dem Chor). Musikalisch präsentieren sich die über lange Jahre
geschätzten Ensemble-Mitglieder der Wuppertaler Bühnen noch einmal von ihrer
besten Seite. Kay Stiefermann begeistert in der Titelpartie mit kräftigem
Bariton und charismatischem Spiel und fügt seinem Repertoire nach dem Holländer
in Wuppertal eine weitere Paraderolle hinzu. Banu Böke glänzt als Königin Roxane
mit leuchtendem Sopran und faszinierendem Spiel, das die Abhängigkeit der
Königin vom Hirten mehr als deutlich macht. Christian Sturm stattet den Edrisi
mit schlank geführtem Tenor aus und nimmt darstellerisch als Psychoanalytiker
die Rolle des distanzierten Beobachters ein. Auch Martin Js. Ohu und Joslyn
Rechter gefallen in den kleineren Partien als Erzbischof und Diakonissin. Der
Opern- und Extrachor unter der Leitung von Jens Bingert unterstützt durch die
Wuppertaler Kurrende unter der Leitung von Dietrich Modersohn unterstreichen mit
prächtigem Klang den Oratoriencharakter des Werkes. Auch das Sinfonieorchester
Wuppertal arbeitet unter der Leitung von Florian Frannek die zahlreichen
Farbschattierungen der Partitur sauber heraus. Für die Partie des Hirten ist
Rafał
Bartmiński verpflichtet worden, der der Partie mit
seinem strahlenden und flexiblen Tenor nicht nur stimmlichen Glanz verleiht,
sondern auch optisch der Partie als Verführer mehr als gerecht wird. So wird
nachvollziehbar, wie dieser Hirte die Menschen, Männer und Frauen, in seinen
Bann zu ziehen vermag. Während er als strahlende Erscheinung in den ersten
beiden Akten dominiert, versteht Bartmiński es
sehr gut, sich im dritten Akt zurückzunehmen, und damit die Selbstfindung des
Königs glaubhaft zu machen. Von daher macht es dramaturgisch durchaus Sinn, den
Hirten am Ende sterben zu lassen. Das Publikum feiert sie Sänger, Musiker und
das Regie-Team mit frenetischem Applaus.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Licht Choreinstudierung Dramaturgie
Opernchor und Extrachor der Statisterie der Wuppertaler Kurrende Sinfonieorchester Wuppertal SolistenRoger II., König von Sizilien Roxane, seine Frau
Der Hirte
Edrisi, ein arabischer Gelehrter
Der Erzbischof
Die Diakonissin
Chorsoli
|
- Fine -