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Zurück zu den Anfängen
Von Stefan Schmöe
Sie war gerade einmal zwei Jahre im Amt als Chefin des Wuppertaler Tanztheaters, da legte Pina Bausch zu Strawinskys Sacre du Printemps eine Choreographie hin, die fortan zu den maßgeblichen der Tanzszene zählen sollten. Ob das Publikum im Wuppertaler Opernhaus am 3. Dezember 1975 das künstlerische Erdbeben als solches wahrgenommen hat? Der Sacre jedenfalls gehört seitdem zu den meistgespielten Werken Pina Bauschs, reiste mehrfach um die Welt, sein den 80ern meist im Doppel gespielt mit dem 1978 entstandenen Café Müller. Vergessen wurden dagegen die beiden anderen Choreographien, die an diesem Abend dem Meisterwerk voraus gingen, beide mit Musik ebenfalls von Strawinsky: Wind von West auf die merkwürdige, neobarock eingefärbte Cantata von 1951-52 und Der zweite Frühling auf eine Reihe von kammermusikalischen Miniaturen. Der 40. Geburtstag des Tanztheaters Pina Bausch war der Anlass, die beiden Choreographien zu rekonstruieren und den Abend so aufzuführen, wie er ursprünglich geplant war. So sah Wind von West 1975 aus - fotografiert von Ausstatter Rolf Borzig (Foto © Rolf Borzik)An Stelle des ohnehin schwer beschäftigten Ensembles tanzen Studierende der beiden Hochschulen, mit denen Pina Bausch eng verbunden war: Die Essener Folkwang Schule, an der sie ausgebildet wurde und wohin sie ihr Lehrer Kurt Jooss später als Dozentin berief, und die New Yorker Julliard School, wo die Choreographin tanzte, als der Ruf aus Essen sie erreichte. Rekonstruktion und Einstudierung lag in den Händen ehemaliger Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie: Josephine Anne Endicott, John Giffin, Mari DiLena, Vivienne Newport und (als Gesamtverantwortlicher) Dominique Mercy. Die originalen Kostüme von Rolf Borzik waren sogar noch erhalten, wenn auch altersbedingt nicht mehr nutzbar; schwieriger muss die Rekonstruktion des Tanzes an sich im Widerstreit von persönlichen Erinnerungen und technisch miserablen und unvollständigen Videomitschnitten gewesen sein. Wie genau man sich den Originalen angenähert hat, sei dahin gestellt; das Ergebnis ist jedenfalls faszinierend. Wind von West in der rekonstruierten Fassung 2013 (Foto © Ulli Weiss)
Natürlich haftet dem Projekt etwas Museales an, und das liegt auch an der unterschiedlichen (und unterschiedlich radikalen) Ästhetik der Stücke. Während der Sacre ungebrochen vital als zeitloser Singulär im Schaffen Pina Bauschs fortlebt, sind die beiden anderen Teile doch eher aus ihrer Entstehungszeit heraus interessant. Wind von Westy ist ein ritualisiert anmutendes Spiel, für das Ausstatter Rolf Borzik einen dunklen, sich nach hinten verengenden Raum mit vielen seitlichen Türen gebaut hat, der durch mehrere Schleiervorhänge gestaffelt ist. Ein denkbar schlichtes Bettgestell ist das einzige konkrete Requisit, um das die Tänzer zu Beginn herumstehen und auf dem am Ende eine Tänzerin (Daphne Fernberger) liegen wird Assoziationen wie Tod und Geburt stellen sich da ein. Die verschiedenen Bereiche der Bühne scheinen eine Art Erinnerungsräume zu sein. Auf der Vorderbühne deutet sich eine Dreieckskonstellation zwischen einer Frau und zwei Männern der eine im pyjamaartigen Schlabberanzug, der andere bis auf den hautfarbenen Slip unbekleidet an. Die luftig-leichten, farblich in sehr dezentem blassgrünbraun gehaltenen Kleider der Frauen wehen bei den schnellen Bewegungen ein Bildmotiv, dass Pina Bausch 34 Jahre später im (ein paar Tage zuvor erneut gezeigten) Bamboo Blues wieder aufgenommen hat. Das alles ist sehr edel und ziemlich rätselhaft. Getanzt wurde und wird bei Pina Bausch natürlich barfuß, und vieles von der den Oberkörper betonenden Bewegungssprache vor allem der späten, wieder stärker tänzerisch geprägten Stücke scheint hier vorgezeichnet. Es ist insofern bezeichnend, dass gerade die konventionell anmutenden Sprünge, die es vereinzelt noch gibt, blass bleiben. Künstlerisch führte Wind von West bei aller Qualität erst einmal in die Sackgasse, trotz des Erfolgs des Sacre, mit dem das Werk natürlich direkt kommuniziert: Die beiden ernsten, gewichtigen Außenpfeiler eines streng dreiteilig konzipierten Abends, der noch erkennbar den Zuschnitt einer wohl typischen abonnementstauglichen Ballettproduktion zeigt. Der zweite Frühling (Foto © Ulli Weiss)Wegweisender erscheint der scherzohafte Zweite Frühling zwischen diesen beiden Brocken, beinahe ein (sehr witziges) kleines Handlungsballett. In einem durch etliche Perserteppiche, Tisch und Anrichte angedeuteten großbürgerlichen Salon sitzt ein altes Ehepaar beim Essen. Im Hintergrund räkeln sich in einer Sofa-Gruppe drei junge Frauen und ein Mann, die im Besetzungszettel als Die Erinnerungen bezeichnet werden. Als Musik werden kurze Sätze aus Kammermusikwerken Strawinskys verwendet. Sehr pointiert und mit liebevoller Ironie zeichnet Pina Bausch das ritualisierte Verhalten des Paares während des Diners an. Diese kleinen Rituale des Alltags werden, gelöst aus jedem Handlungskontext und vielmehr als Archetypen unseres immer gesellschaftlich bedingten Daseins, die großen Stücke der 80er-Jahre bestimmen und das Bild von Pinas Bauschs Tanztheater insgesamt prägen. Hier federt die konventionelle Rahmenhandlung noch manches ab, was später unter sehr viel schärferem Blick dargestellt sein wird, wobei in den Erinnerungsszenen (die sich immer mehr mit dem realen Geschehen verweben und das alte Paar immer stärker in die Verhaltensmuster der jung Verliebten verfallen, also einen zweiten Frühling erlebt) die Lust an skurrilen Momenten zu spüren ist am deutlichsten in einem absurd-grotesken Tango (zum Tango für Orchester), wunderbar getanzt von Julian Stierle und vor allem von Luiza Braz Batista, die das Zeug zu einer echten Pina-Bausch-Type zu haben scheint: Eine großartige Mischung zwischen tänzerischer Ausdrucksfähigkeit und schräger Komik. Das Frühlingsopfer (Le Sacre du Printemps 2013 (Foto © Ursula Kaufmann)
Über Le Sacre du Printemps muss man nicht mehr viel sagen; die Choreographie wurde zuletzt 2011 in Wuppertal gezeigt (unsere Rezension) und besticht im Gegeneinander der Geschlechter nach wie vor durch ihre Unbedingtheit, mit der die Tänzerinnen und Tänzer im Torfboden an ihre Grenzen gehen. Verblüffend ist, wie gut diese Produktion mit den sehr jungen, noch nicht oder gerade erst fertig ausgebildeten Tänzerinnen und Tänzern der Julliard School und der Folkwang Universität gelingt. Sicher gibt es kurze Momente, in denen die unvergleichliche Mischung aus höchster Intensität und lässiger Eleganz, die Pina Bauschs Ensemble besitzt, noch nicht erreicht wird, aber in der Summe gelingt dieser jungen Gruppe eine fabelhafte Umsetzung der Choreographie, an der Spitze Tsai-Wei Tien, die mit am Ende zerrissenem Kleid das Opfer tanzt. Als Pina Bausch vor 40 Jahren die Leitung der Tanzsparte an den Wuppertaler Bühnen übernahm, baute sie sich eine Compagnie aus sehr jungen Tänzerinnen und Tänzern auf. Lutz Förster, lange Zeit einer der Stars des Ensembles und heute künstlerischer Leiter des Wuppertaler Tanztheaters, erinnert im Programmheft daran, wie er als Student im zweiten Jahr von Pina Bausch entdeckt wurde. Auch im Dezember 1975 wird es mit sehr jungen Tänzerinnen und Tänzern nicht so sehr anders ausgesehen haben auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses wie in diesem November 2013.
Ein sehr spannender und aufschlussreicher Abend zeigt, dass Pina Bausch keineswegs handstreichartig das seinerzeitige Abonnementspublikum verschreckte. Ob Wind von West und Der zweite Frühling allein repertoiretauglich sind, müsste man an anderen Theatern in anderen Konstellationen ausprobieren. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Choreographie
Assistent
Bühne und Kostüme
Künstlerische Leitung der Rekonstruktion
Rekonstruktion der Bühnenbilder
Rekonstruktion der Kostüme
Probenleitung der Rekonstruktion
Tänzerinnen und Tänzer
Probenleitung der Rekonstruktion
Das alte Ehepaar
Die Erinnerungen
Probenleitung der Rekonstruktion
Tänzerinnen und Tänzer
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