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Himmel und Erde
Von Stefan Schmöe
Es ist schon ein eigenartig faszinierendes Doppel, das Bamboo Blues und Sweet Mambo bilden. Das erste der beiden Stücke entstand 2007 nach einer Reise des Wuppertaler Tanztheaters nach Indien Aufenthalte in fremden Ländern bildeten als Inspirationsquelle des Wuppertaler Tanztheaters seit den 80er-Jahren einen festen Bestandteil des künstlerischen Prozesses. Sweet Mambo, ein Jahr später uraufgeführt, ist aus der Arbeit an Bamboo Blues heraus entstanden und knüpft nicht nur im gleichen Bühnenbild daran an, ist aber mit denjenigen Tänzerinnen und Tänzern entwickelt, die nicht nach Indien reisten: Eine Art Spiegelbild oder ergänzendes Gegenstück. Man kann beide Choreographien daher durchaus als zwei Teile eines Werkes ansehen. Im Rahmen der Feiern zu PINA40, dem 40. Geburtstag des Ensembles, gastiert das Tanztheater Wuppertal zweimal mit beiden Stücken an einem Tag im benachbarten Düsseldorf. Bamboo Blues (Foto © Jong-Duk Woo)Ein großer, weißer Vorhang an der Hinterbühne, der sich aus etlichen einzelnen luftig-leichten Tuchbahnen zusammensetzt, bildet den Hauptbestandsteil des Bühnenbilds. Das mag nicht die spektakulärste Bildidee von Peter Pabst sein, aber es ist von bestechender Schönheit. Durch einen Luftzug in dauernder Bewegung gehalten, verleiht das dem Raum etwas schwerelos Schwebendes, nicht Greifbares, scheint gleichzeitig zu verbergen, was sich dahinter befinden könnte. In Bamboo Blues greifen die langen, dadurch ebenfalls wehenden und sehr schönen Kleider der Tänzerinnen - und auch deren durchweg lange Haare - das auf. Und selbst die Tänzer scheinen die erdenschwere zu verlieren zu können, wenigstens Ruth Amarante, die im schnellen Lauf über einen Stuhl einem Tänzer geradezu fliegend in die Arme fällt. Dabei wird in diesem Stück sehr viel (und sehr eindrucksvoll) getanzt, Sprechszenen (wie sie die frühen Stücke Pina Bauschs beherrschen) gibt dagegen vergleichsweise wenig, und wenn, dann meist sehr knapp gehalten. Selbst pantomimische Momente bleiben Randerscheinungen. So gibt es eine kurze Sequenz, in der die Tänzerinnen sich auf der Vorderbühne zum Gruppenbild arrangieren, mit groben Gesten Kaugummi kauend aber das ist mehr ein Kontrast zur sehr feinen, eleganten Ästhetik der Tanzsoli, die oft etwas Träumerisches, Introvertiertes haben. Die erste Hälfte von Bamboo Blues ist sehr poetisch gehalten und verzichtet auf Kontraste. Die Individualität der Tänzerinnen und Tänzer tritt hinter dem Kollektiv zurück, oft sind die Personen Teil weniger Akteure als mehr Teil des Gesamtbildes - und das ist fundamental anders als in den frühen Stücken Pina Bauschs. Schräge Charaktere wie einst Jo Ann Endicott, Jan Minarek, Mechthild Großmann gibt es nicht (allein Christina Morganti sticht optisch ein wenig hervor). Über weite Strecken schwelgt die Choreographie in Schönheit (auch in der Schönheit der Tänzerinnen) nicht nur deshalb geraten die Herren (in weißem Hemd und schwarzer Hose, mitunter auch mit freiem Oberkörper und nur einem Tuch bekleidet) in den Hintergrund. Die Eindrücke des Aufenthalts in Indien werden sehr konkret visualisiert. Vor allem die zweite Hälfte nach der Pause ist über weite Strecken ein doppelbödiges Spiel mit Bildern, auch mit Klischees. Der Vorhang (und auch der jetzt nicht mehr schwarze, sondern weiße Boden) wird phasenweise zur Projektionsfläche, etwa für Bilder von Bollywood-Größen. Sehr schön ist eine Szene, in der auf diesen Vorhang rituelle indische Tänze in Maske und üppigen Kostümen projiziert werden, während dahinter halb durchscheinend das Ensemble im Sitztanz eine der für Pina Bausch typischen Linien (wenn auch nicht über die Bühnendiagonale, sondern parallel zum Vorhang) durchwandert da durchdringen sich die sehr farbigen Eindrücke und die eigene Ästhetik des Wuppertaler Tanztheaters ganz direkt. Nicht nur hier bleibt der Eindruck, dass die Choreographin und ihr Ensemble der Flut der Impressionen mit kindlichem Staunen begegnet, sehr offen und neugierig, ohne Scheu vor vermeintlichem Kitsch, dafür mit feinem Humor. Die übergangslose und nicht von Pausen unterbrochene Musikcollage ist ein wenig zu sehr weichgespült, und die großen Konflikte werden in Bamboo Blues nicht verhandelt. Fast scheint es, als verneige sich das Wuppertaler Tanztheater demütig vor der Vielfalt der Eindrücke, nehme sich selbst ganz zurück. Es ist ein leichtes, schönes, verspieltes Stück aus einer Welt, in der man mit dem Tanzen gar nicht mehr aufhören möchte. Ich heiße Regina Advento! Sweet Mambo beginnt mit einer klaren Ansage, mit der die Richtung vorgegeben wird. Anders als in Sweet Mabo sind die Tänzer hier nicht namenlos, ganz im Gegenteil. Regina Advento legt hohen Wert auf die korrekte (nämlich französische) Aussprache ihres Vornamens, Nazareth Panadero ist das dagegen egal, wenn man nur den richtigen Namen im Sinn hat, und Julie Anne Stanzak insistiert geradezu flehentlich: Don't forget: Julie Anne Stanzak. Es hat wohl System, dass Pina Bausch hier die unverwechselbaren Charaktere versammelt hat: Eben Nazareth Panadero, wie so oft die Ulknudel vom Dienst, die in lustvoll gebrochenem Deutsch mit dem Publikum plaudert, immer wieder in absurd blonder Perücke und backfischhafter Brille. Eben Julie Anne Stanzak, auch so ein Urgestein des Pina-Bausch-Theaters, die erzählt, welcher Körperteil wohl genetisch welchem Eltern- oder Großelternteil zu verdanken ist und die damit das tut, was in Bamboo Blues ganz fehlt: Die Preisgabe des Persönlichen um den Preis der Verletzlichkeit. Eben die selbstbewusst kokette Regina Advento, die aus einem Gang über die Bühne ein Ereignis machen kann. Da ist Julie Shanahan, die rätselhafte blonde Diva, der die großen verzweifelten Momente zukommen. Und bei den Herren die auch in diesem Stück den Damen den Vortritt lassen darf zumindest Daphnis Kokkinos seinen Namen nennen. Julie Shanahan in 'Sweet Mambo' (Foto © Oliver Look) Es gibt viele Szenen, in denen das Publikum direkt angesprochen wird. Es gibt die für Pina Bausch typischen Momente ritualisierter, geradezu erzwungener Zärtlichkeit, vorsichtiger angedeutet als in früheren Jahren (vieles lässt sich ohnehin längst als Selbstzitat deuten und bedarf nicht mehr der Ausführlichkeit wie in den Jahren des Beginns). Es gibt auch die Momente der Selbstverletzung, etwa wenn Julie Shanahan sich mehrfach im Sturz mit Wasser übergießt. Das Tänzerische ist reduziert, dadurch auch pointierter und weniger dekorativ. Direkte Assoziationen an die Indien-Reise sind nicht erkennbar. Ist Bamboo Blues das Indien-Stück, so ist 'Sweet Mambo' ein Wuppertal-Stück als erdender Gegenpol. Wenn zusätzliche Tuchbahnen vom Bühnenhimmel heruntergefahren werden, hat das, auch wenn das auf die verführerischen Leichtigkeit von Bamboo Blues anspielt, plötzlich etwas geheimnisvoll Bedrohliches, wie überhaupt Ängste und Gefährdung eine sehr viel stärkere Rolle spielen (was sich auch in der eher ernsten, melancholischen Musikauswahl widerspiegelt). Zwischen dem im Luftzug wehenden Stoffen tanzen die Tänzerinnen und Tänzer nicht einer unfasslichen Schönheit wegen, sondern weil es um sie selbst geht. 'Sweet Mambo' ist ein Stück aus einer Welt, in der man ohne Tanz verloren wäre.
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ProduktionsteamBamboo Blues
Inszenierung und Choreographie
Bühne
Kostüme
Probenleitung und Mitarbeit
Probenleitung Wiederaufnahme
Musikalische Mitarbeit Solisten
Tänzerinnen und Tänzer
Inszenierung und Choreographie
Bühne
Kostüme
Probenleitung und Mitarbeit
Probenleitung Wiederaufnahme
Musikalische Mitarbeit Solisten
Tänzerinnen und Tänzer
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