Zwei
Welten treffen aufeinander
Von Bernd
Stopka / Fotos von Björn Hickmann
Als letzte Neuproduktion seiner
saarländischen Amtszeit hat der scheidende
Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka Die
Frau ohne Schatten von Richard Strauss und
Hugo von Hofmannsthal auf den Spielplan des
Staatstheaters gesetzt und sich damit nicht nur
einen persönlichen Wunsch erfüllt, sondern mit
dessen Verwirklichung allen Beteiligten und
Erlebenden ein ganz besonderes Geschenk zu seinem
Abschied aus Saarbrücken gemacht.
Barak
(Olafur Sigurdarson), der Einarmige (Hiroshi
Matsui), der Einäugige (Markus Jaursch), der Bucklige
(János Ocsovai), Kaiserin (Marion Amman), Amme (Dalia
Schaechter), Färberin (Sabine Hogrefe)
Dominik Neuner zeichnet bei
dieser Produktion für Inszenierung und Bühnenbild
gleichermaßen verantwortlich. Zwei Gedanken
verfolgt er bei der szenischen Gestaltung
nachhaltig: Zum Ersten das Hereinbrechen der
Geisterwelt Keikobads in die Welt der Menschen als
Element der Handlung und zum Zweiten den
geschichtlichen Hintergrund der Entstehung dieses
außergewöhnlichen Kunstmärchens und dessen
Vollendung in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Das
Einheitsbühnenbild mit symbolträchtig eingesetzten
verschiedenen Spielebenen und verschiebbaren
Elementen zeigt ein teils unfertig wirkendes, teils
zerstörtes, kirchenähnliches Gebäude, auf das ein
riesiger Mond gestürzt ist (unwillkürlich assoziiert
man die im Libretto immer wieder erwähnten
„Mondberge“, die die beiden Welten trennen). Hinter
den zerstörten Kirchenfenstern sieht man die
starken Äste eines sich später als kahler oder toter
Baum herausstellenden Bühnenelementes, das fast ein
bisschen surreal wirkt. Durch das Seitenportal des
Gebäudes sieht man im Hintergrund immer wieder
Figuren mit Gasmasken über die Hinterbühne irren.
Diese Figuren überqueren zu Beginn und beim Finale
zusammen mit einer im Kinderwagen brauchbare Dinge
vor sich herschiebenden Frau die Bühne. Zusammen mit
einer Soldatenleiche, die in einem künstlichen
Wasserbecken vor der Kirche dahinmodert, bilden sie
die offensichtlichsten Hinweise auf die
Grausamkeiten des Ersten Weltkrieges, der ansonsten
vor allem durch Kostüme (Susanne Hubrich) und
Requisiten präsent ist. Sicher, das Regieteam hat
seine Hausaufgaben gemacht und die Entstehungszeit
und –umstände hinterfragt. Der Artikel dazu im
Programmheft hätte aber voll und ganz genügt, denn
das Sichtbarmachen auf der Bühne bringt das Stück
kein Stück weiter, belastet es nur mit dem fahlen
Beigeschmack eines „Ich weiß was!“.
Das ist besonders schade, weil die Regie sich hier
Wasser in den Wein einer ganz exzellenten
Personenregie schüttet. Durch sparsame Aktionen,
manchmal nur angedeutete Details, zuweilen mit
durchaus auch ganz konventionellen Elementen, wirkt
sie ausgesprochen eindringlich und menschlich. Nie
verfällt sie in wilden Aktionismus und – das ist
besonders erwähnenswert – sie lässt dem Zuschauer
viel Raum zu eigenen Assoziationen,
Interpretationen, Gedanken und zum Genießen der ganz
exzellenten musikalischen Seite dieser
Produktion.
Färberin (Sabine
Hogrefe), Amme (Dalia Schaechter)
Nach dem Auftritt der
Gasmaskenträger, die irgendeine nicht näher erklärte
Verbindung zur Amme haben, erscheint vor dem Mond
auf der obersten Spielebene der Geisterbote in einer
Rüstung, die Elemente verschiedener Zeitalter
vereint. Der Kaiser schreitet hinter den zerstörten
Fenstern eine Ebene tiefer zur Jagd, während Amme
und Kaiserin später mit großem Gepäck (der letzten
Habe von Kriegsflüchtlingen?) durch die Fenster in
Baraks Welt gelangen. Eine übergroße Tasche liegt
der Kaiserin besonders am Herzen, sie wird sie durch
den ganzen Abend begleiten. Barak bringt Ware vom
und für den Schwarzmarkt in Körben und im Rucksack
heim und blickt beim Auspacken kurz, aber
sehnsuchtsvoll auf einen Kinderschuh. Dies sei als
ein Beispiel für viele kleine Gesten und dezente
Andeutungen genannt, die die Personenregie so
eindrucksvoll verfeinern. Seine Brüder sind
tatsächlich von den im Textbuch beschriebenen Leiden
gezeichnet. Höchst eindringlich gelingt die
Auseinandersetzung zwischen Barak und seiner Frau,
die keine wilde Furie, sondern eine sehnsüchtige,
verzweifelte Frau mit einer verletzten Seele ist
(immerhin wurde sie als Bettlertochter an Barak
verkauft). Vielleicht will sie ihn sogar lieben –
und kann es doch nicht. Wenn Barak sie berührt und
sich an ihren Schoß schmiegt, erstarrt sie und
scheint einen Teil von sich abzuspalten, der dies
nicht ertragen, aber doch irgendwie hinnehmen muss.
Das Trauma einer Vergewaltigung? Das kann ihr im
Krieg geschehen sein – aber auch unter vielen
anderen Umständen.
Als wahrhaft mephistophelische Erscheinung
schmeichelt sich die Amme mit verunsichernder,
zickiger, einschmeichelnder, ja geradezu
einwickelnder List bei der Färberin ein und zeigt
ihr in einem beleuchteten Spiegel, den sie in ihren
Zylinder eingebaut hat, die mit Diadem und edlen
Kleidern geschmückte eigene Schönheit. Einen
Jüngling für ihr persönliches Glück zeigt sie ihr
nicht. Stattdessen dreht sie der Kaiserin das
Gesicht des toten Soldaten im Wasser zu und verheißt
ihr damit kein erotisches Glück, aber vielleicht das
Glück des Kriegsendes und der Wiederkehr aller
Vermissten und die Auferstehung aller Gefallenen.
Zum Braten der Fische heizt die Amme das Feuer im
Kanonenofen geradezu teuflisch mit Teddybären an,
während sich die Färberin bei der Aussicht des
Verkaufs ihrer Fähigkeit Mutter zu sein unter
Unterleibsschmerzen krümmt. Der eintreffende Barak
findet seine Matratze vor der Kirchentür und kaut
lieber an einem Kanten Brot, anstatt sich die Fische
schmecken zu lassen, die dem feinfühligen Mann
unwissend wissend nicht geheuer sind.
Falke (Onur Abaci),
Kaiser (hier: Marco Jentzsch)
Das kulinarische Freudenfest des
zweiten Aktes fällt spärlich aus, verbreitet aber
das Glücksgefühl, in Kriegszeiten etwas zu essen
zu haben. Mit den Bettelkindern (und ihren sie
beobachtenden Müttern) erscheint auch der Falke, ein
verletzter, vom Giftgas geblendeter Soldat in roter
Uniform mit zerfledderter K. u. K-Fahne auf dem
Rücken, der sich mühsam die Treppe zu den
Kirchenfenstern hinaufzieht, um dort dann später vom
Kaiser wiedergefunden zu werden. Auf dem Weg zur
„Schwelle des Todes“ stellt er sich seinem Herrn
entgegen, der jedoch entschlossenen Schrittes den Weg
beschreitet, der ihm durch das Auseinanderdriften
eines beweglichen Bühnenelementes geöffnet wurde.
Eindringlich gelingt die Szene, in der sich die
Kaiserin zum Mitleiden, zum Verzicht bekennt, ihr
Glück nicht auf Baraks Leid aufbauen will und somit
menschlich und zur Mutterschaft fähig wird. Ebenso
eindrucksvoll vollzieht sich die Wandlung der
Färberin, die ihren Verkauf der Mutterschaft wie eine
fast schon irreale Beschwörungsformel erscheinen lässt
und die in ihrem Gatten erst dann den richtigen Mann
sieht, als er energisch wird und sie töten will. Das
Messer dazu gibt ihm die Amme. Erst in letzter Minute
wird es ihm von einer fremden Hand abgenommen.
Das Auseinanderdriften der vorderen Bühnenelemente
wirkt dann als Umweltkatastrophe doch etwas zu dezent.
Zu Beginn des dritten Aktes stehen
Färberin und Barak hinter der gleichen schmalen Mauer,
einander so nah und doch so fern. Amme und Kaiserin
sitzen tatsächlich in einem Kahn, dezente Projektionen
suggerieren Wasser. Die Szene vor der endgültigen
Verstoßung der Amme aus dem Geisterreich (Sie hat die
Kaiserin nicht ausreichend bewacht, was ihre Aufgabe
war, so konnte der Kaiser sie gewinnen. Diesen Fehler
kann und konnte die Amme nicht wieder ausgleichen,
daher die Strafe „nach dem Gesetz“.) gehört zu den
gesanglich großartigsten Momenten des Abends.
Warum der verletzte Falke immer
wieder leidend und kriechend auftritt, erschließt sich
genauso wenig wie die Tatsache, dass er gleichzeitig
als Hüter der Schwelle fungiert und man fragt sich,
warum man diese beiden Figuren zu einer
zusammengeführt hat.
Der „versteinerte“ Kaiser scheint in einem
Wandausschnitt eingeschlossen zu sein. Zunächst wirkt
es befremdlich, dass das Wasser des Lebens die
Dreckwasserpfütze sein soll, durch die jeder
hindurchwatet und in ihm auch den Dreck der Schuhe
hinterlässt. Doch sind das nicht die Spuren des wahren
Lebens? Dies ist einer der Momente, die dem Zuschauer
ein Angebot zu eigener Interpretation machen.
Ein Stulphut mit schwarzem Hahnenfederbusch
verleiht dem entkristallisierten Kaiser Autorität,
doch auch damit bleibt er im Finale einsam. Glücklich
ist nur die Kaiserin, die in der Bühnenmitte kniet und
sich freut, Mensch geworden zu sein. Doch was nützt
ihr nun das einsame Glück? Barak und seine Frau laufen
ein um das andere Mal aneinander vorbei und als sie
sich wirklich finden, finden sie doch nicht
zueinander, erschrecken sich und schämen sich
voreinander. Baraks Jubelgesang wirkt in dieser
Situation doch sehr befremdlich. Es gibt keine
Versöhnung, keine Freude, keine Umarmungen. Scham und
Verletzungen sind zu groß. Barak und Färberin
wenden sich voneinander ab. Wie in Trance erscheint
die Amme und hält das Tau des Kahns in der Hand, der
sie eigentlich in Keikobads Welt, in ihre Welt,
zurückbringen sollte (man denkt an Ariadne, die voller
Sehnsucht den Faden nicht loslassen mag). Ja, wo soll
die Frau auch sonst hin – unter den von ihr so
gehassten Menschen kennt sie ja niemanden.
Amme (Dalia Schaechter),
Kaiserin (Marion Amman)
Neben einer sehr
ansprechenden Inszenierung (abgesehen von einigen
allzu flachen und für die Geschichte wenig bis gar
nicht hilfreichen Hinweisen auf die Entstehungszeit)
kann man in Saarbrücken ein ganz exzellentes
Sängerensemble erleben. Allen voran ist hier Sabine
Hogrefe zu nennen, die die Färberin nicht als
keifendes, giftiges Weib gestaltet, sondern als eine
verletzte Frau, die ihre Sehnsüchte mit
wunderschönen Tönen ausdrucksvollen Klang werden
lässt. „Meine Seele ist satt worden der
Mutterschaft, eh' sie davon verkostet hat“ singt sie
mit sehnsuchtsvoller Bitterkeit zum Steinerweichen,
um nur ein Beispiel zu nennen. Mit ihrem gleichmäßig
durchgeformten, angenehm timbrierten, warmen
Mezzosopran verleiht sie der Figur eine unglaublich
eindrucksvolle, starke, ungewöhnliche, aber durch
und durch überzeugende Dimension. Selten hat man die
Färberin so schön und kultiviert gesungen gehört,
selten so bewegend und unter die Haut gehend.
Dalia Schaechter steht ihr als Amme kaum nach. Es
ist faszinierend, über welch große Palette
stimmlicher und darstellerischer Möglichkeiten sie
verfügt: farbenreich blühend, hinterlistig, zickig,
überredend, dämonisch deklamierend und flüsternd,
aber nicht aus stimmlicher Not, sondern als
Ausdrucksvariante, denn sie kann daneben auch
klangschön verführerisch singen und das ist in der
Partie der Amme nicht selbstverständlich.
Geisterbote (James Bobby), Färberin (Sabine
Hogrefe), Amme (Dalia Schaechter)
Olafur
Sigurdarson (einziges Ensemblemitglied
in einer der Hauptrollen) singt den Barak nicht
mit den noblen Tönen eines Kavalierbaritons,
sondern lässt auch das Raue des Handwerkers mit
kernigem Timbre durchklingen, die Stimme strömt
satt aber nie zu weich und er hat üppige Reserven
für einen finalen wahrhaftigen Jubelgesang. Für
den erkrankten Marco Jentzsch ist in der Premiere
kurzfristig Torsten Kerl als Kaiser eingesprungen,
der die Partie zuletzt an der MET gesungen hat und
gerade auf dem Weg nach Bayreuth war. Souverän fügt er sich in
die Produktion ein, lässt eher die substanzreichen
Töne eines schweren Heldentenors als hell
strahlende Höhen hören und hat den langen Atem für
ein extrem langsam genommenes „Falke, Falke, du
wiedergefundener…“. Marion
Amman ließ sich wegen eventueller Atemprobleme
aufgrund einer angeknacksten Rippe vor der
Aufführung ansagen, hielt aber ohne
Ausfallerscheinungen durch. Als Kaiserin könnte
man sich eine hellere, klarere Stimme wünschen,
aber auch mit ihrem eher dunklen Timbre und
zuweilen auch abgedunkelten Höhen gestaltet sie
die Partie sehr eindringlich und hat ihre stärkste
Szene im zweiten Akt. Wenn
er schon nicht als schöner junger Mann auf der
Bühne erscheinen darf, verleiht János Ocsovai dem
Jüngling doch stimmlich Glanz und Schönheit.
Ebenso Onur Abaci, die als Falke und Hüter der
Schwelle besten Eindruck hinterlässt. Bis zu den
drei Mägden, den Wächtern der Stadt, Chor und
Kinderchor und nicht zuletzt dem stimmgewaltigen
James Bobby als Luxusbesetzung des Geisterboten
hinterlässt die Aufführung den ungemein
beglückenden Eindruck einen Sängerfestes, ja einer
musikalischen Sternstunde.
Als Zentrum dieses Sternenhimmels
steht am Pult des hochkonzentriert und
leidenschaftlich spielenden Saarländischen
Staatsorchesters der scheidende Generalmusikdirektor
Toshiyuki Kamioka, dem der ausgesprochen schwierige
Spagat gelingt, in großen Bögen und unter intensiver
Spannung den Sog und Zauber der Musik
heraufzubeschwören und dabei immer wieder
interessante Details herauszuarbeiten und die
Partitur nicht nur in der Größe, sondern auch in der
Tiefe auszuloten. Selbst die kammermusikalischen
Passagen klingen satt und schwelgerisch, wo
geschwelgt werden darf. Dabei wählt er zuweilen
ungewöhnliche, sowohl frische als durchaus auch sehr
langsame Tempi, ist darin aber immer dynamisch und
spannungsreich. Es gibt Momente, in denen einem der
Atem stockt, etwa bei der ungeheuren musikalischen
Spannung vor dem wunderschönen Gesang der Wächter
der Stadt. Die auf meinem Platz ausgesprochen gute
Akustik setzte dem Gesamterlebnis eine klangvolle
Krone auf.
FAZIT
Eine
musikalische Sternstunde und auch szenisch sehr
gelungen, wäre da nicht diese wenig erhellende Idee,
den Ersten Weltkrieg als Entstehungszeit des Werkes
bildlich mit einzubeziehen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Toshiyuki Kamioka
Inszenierung und Bühnenbild
Dominik Neuner
Kostüme
Susanne Hubrich
Chor
Jaume Miranda
Regieassistenz
Katharina Molitor
Dramaturgie
Caroline Scheidegger
Das Saarländische Staatsorchester
Opernchor und Kinderchor
des Saarländischen Staatstheaters
Statisterie
des
Saarländischen Staatstheaters
Solisten
Der Kaiser
Torsten Kerl (Premiere)
Marco Jentzsch
Die Kaiserin
Marion Amman
Die Amme
Dalia Schaechter
Der Geisterbote
James Bobby
Stimme des Falken/
Hüter der Schwelle des Tempels
Onur Abaci
Stimme eines Jünglings
János Ocsovai
Eine Stimme von oben
Judith Braun
Barak, der Färber
Olafur Sigurdarson
Färberin, seine Frau
Sabine Hogrefe
Der Einäugige
Markus Jaursch
Der Einarmige
Hiroshi Matsui
Der Bucklige
János Ocsovai
Drei Dienerinnen
Yuna Maria Schmidt
Valérie Condoluci
Alexandra Paulmichl
1. Kinderstimme/
1. Solostimme der Ungeborenen
Yuna-Maria Schmidt
2. Kinderstimme/
2. Solostimme der Ungeborenen
Valérie Condoluci
3. Kinderstimme/
3. Solostimme der Ungeborenen
Onur Abaci
4. Kinderstimme/
4. Solostimme der Ungeborenen
Alexandra Paulmichl
5. Kinderstimme/
5. Stimme der Ungeborenen
Judith Braun
Stimmen der Wächter
James Bobby
Markus Jaursch
Hiroshi Matsui
Kinderstimmen
Kinderchor Cantamus
Weitere Informationen
erhalten Sie hier:
Saarländisches Staatstheater
Saarbrücken
(Homepage)
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