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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung mit Musik in drei Aufzügen
Von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: 5 ¼ Stunden – zwei Pausen

Premiere am 20. Juli 2014
(rezensierte Aufführung: 27. Juli 2014)

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

Entmythologisierung

Von Christoph Wurzel / Fotos: A. T. Schaefer

„Bin sehr gespannt, wie es weitergeht“ – ein derartiges Pausengespräch ist sicherlich kein schlechtes Urteil über eine Aufführung, sagt es doch etwas über den Grad ihres Überraschungspotentials aus. Besonders treffend aber war eine solche Äußerung anlässlich dieser Tristan – Inszenierung, denn Jossi Wieler und Sergio Morabito haben diese allseits bekannte Handlung nicht vorrangig als ein Bühnengeschehen im Sinne eines in sich geschlossenen Interpretationskonzepts inszeniert, sondern sie stellen uns Situationen von Gefühlszuständen der Protagonisten vor und dies in den unterschiedlichsten Spielräumen und Bildern. Keine Szene ist erwartbar, jeder Akt hat eine neue optische Gestalt, das Verhalten der Hauptfiguren erscheint jeweils in neuer Perspektive. So ist auf den Zwischenvorhängen das Foto des Panoptikums von Jeremy Bentham präsent, dieser architektonischen Konstruktion, mittels derer der Philosoph zu Beginn des 18.Jahrhunderts eine effizient durchführbare Überwachung von bestimmten Menschengruppen ermöglichen wollte. Als Objekte sollen die Menschen die Kontrolle nicht bemerken, dennoch sind sie, da sie sich im Gegenlicht befinden, dem Blick ihrer Überwacher ausgesetzt. Erkannt zu werden, ohne selbst zu erkennen, zu handeln, ohne sich selbst zu begreifen – diesen Zustand mit dem Panoptikum darzustellen, dem Apparat, mit dem alles einsehbar wird, ist das eine Prinzip der Inszenierung dieser Handlung von Tristan und Isolde. Und es wird von zahllosen entsprechenden Stellen des Textes untermauert.

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2. Akt: Im Gegenlicht: "O König, das kann ich dir nicht sagen": Tristan (Erin Caves, rechts) und Marke (Attila Jun)

Das andere Prinzip scheint darin zu liegen, dass die beiden Hauptfiguren hier weniger als stringent handelnde Individualitäten gezeigt werden. Diese Geschichte setzt sich eher aus vielfältigen Situationen des breit gefächerten Spektrums der Geschlechterbeziehung zusammen, aus den unterschiedlichsten, widersprüchlichsten und auch erschütternsten Zuständen des Begehrens, der Liebe aber auch des Verrats zwischen zwei Menschen, in die die Protagonisten dieser Oper geworfen sind. Der erste Akt zeigt uns im romantischen Gegenlicht eines Caspar David Friedrich drei Menschen auf einem schwankenden Schiff: Isolde in einem Kleid mit leicht folkloristischen Andeutungen, Brangäne mit Kleid und Kopftuch muslimischer Anmutung und Tristan im Gehrock und mit Zylinder. Als Genrebild spielt sich das Drama von Isoldes unerbittlichem Zorn und unversöhnlichem Hass gegen den untreuen Brautwerber ab, der sie hier zu einer Art Zwangsheirat nach Cornwall überführt. Mit leiser Ironie bricht die Regie diese Situation bitteren Ernstes und lässt Isolde sich mehrmals vor Übelkeit übergeben. Nachdem sie den Trank genommen haben, kippen Isolde und Tristan erst einmal buchstäblich  hinter die Reling.

2. Akt: "Wonnerblindet"  in der Verliebtheitsfalle: Tristan (Erin Caves) und Isolde (Christiane Iven)

Ganz anders der zweite Akt: Hier sehen wir zuerst Isolde am Spinnrad sitzen, als Heimchen im trauen Heim sozusagen. Die Szene wandelt sich zu einer Art nächtlichem Zaubergarten mit herabhängenden, glitzernden Girlanden. Kindisch, kopflos und pubertär bis hin zur Lächerlichkeit erscheint hier das Liebesgetändel des Paares, gegen das die gouvernantenhaft warnende Brangäne nichts ausrichten kann. Hier schlingert ein Paar allenfalls in die Verliebtheitsfalle, statt sich in Liebe zu finden. Ironisch konterkariert die Regie jede idealistische Verklärung im Text. Quasi dozierend lässt sie Isolde das Wörtchen „und“ als Ausdruck der vermeintlichen Verschmelzung der Liebenden gestisch in Anführungszeichen setzen. Schockartig bricht diese Traumwelt zusammen, wenn Melot (etwas märchenhaft als buckliges Männlein mit roter Kapuze) und Marke plötzlich hineindringen. Der verdunkelnde Vorhang zerreißt und lässt gleißendes Gegenlicht über die Bühne strömen. Erschütternd ist Markes Klage über den Verrat seines treuesten Freundes. Attila Jun gestaltet diese Szene mit beklemmender Intensität. Verzweifelt reißt er sich seine Kleider vom Leib.

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3. Akt: "Wann wird Ruh im Haus?" Erin Caves als Tristan

Im dritten Akt sieht man allein das Schiff vom Anfang. Leckgeschlagen liegt es an Land. Die hellen Lamellen im Hintergrund verströmen ein kaltes Licht und lassen die Atmosphäre leblos erscheinen. Die Szenerie wirkt abstrakt und auf das Wesentliche konzentriert. Orientierungslos tapert Tristan als alter Mann am Stock mit seinen Erinnerungslücken über die Bühne, erbarmenswürdig wie ein dementer Greis. Ein letztes Mal bäumt er sich in der Erinnerung an Isolde auf und sackt unmittelbar nach ihrem Erscheinen zusammen. Das ist kein Tod in den Armen der Geliebten, aber zu ihrem Schlussgesang, der mehr Hymne als Todesversenkung ist, steht er wieder auf, tanzt wie von schwerer Last befreit und verlässt gelöst die Bühne. Statt die Handlung mit mythischer Aura zu verrätseln, bietet die Inszenierung bis zum Schluss erhellende Kommentare.

Auch musikalisch ist dieser Abend eine Offenbarung. Sylvain Cambreling holt aus dem Orchester alle Energien heraus, die diese Partitur nur freisetzen kann. Den dynamischen Bogen spannt er aufregend weit aus. Das Staatsorchester spielt mit seltener Klangfarbigkeit und betont ausdrucksstark die vielfältige Chromatik der Musik. Bei der Einstudierung ist hier hörbar enorme Feinarbeit geleistet worden. Das Englischhornsolo von Katrin Stüble gelingt anrührend schön. Von besonderem klanglicher Reiz ist der Einsatz einer Holztrompete als triumphierendes Signal bei der Ankunft Isoldes am Schluss. Und gesungen wird hinreißend, weil nämlich in allen Partien wirklich gesungen wird und nicht geschrieen. Cambreling leitet auch das Orchester so einfühlsam, dass die Sänger nur an den unvermeidlich lautesten Stellen mal überdeckt werden. Ansonsten ist auch der Text hervorragend zu verstehen. Als Tristan gibt Erin Caves sein brillantes Rollendebut, seine Höhe ist phänomenal strahlend, frei und klar, seine Diktion makellos. Christiane Iven gestaltet Isolde mit reicher Ausdruckspalette und bewältigt die Partie ohne Kraftanstrengung mit stimmlichem Glanz bis zum Schluss. Als Brangäne beeindruckt Katarina Karnéus mit starker Bühnenpräsenz und vokaler Kraft. Attila Juns mächtiger Bass gibt der Rolle des Marke starkes Gewicht. Stimmlich ausdrucksvoll und mit lebendigem Spiel gibt Shigeo Ishino einen jungenhaft frischen Kurwenal. In den kleinen Rollen sind André Morsch (Melot), Thorsten Hofmann (Hirt), Motti Kastón (Steuermann) und Daniel Kluge (junger Seemann) gut besetzt und tragen bei zu einer runden Ensembleleistung.

FAZIT

Der lang anhaltende frenetische Beifall am Schluss war für diese Produktion mehr als angemessen. Die Staatsoper Stuttgart hat wieder einmal gezeigt, was ein Ensembletheater zu leisten vermag. Mit Jossi Wieler steht hier nicht nur ein erfolgreicher Intendant an der Spitze, sondern auch in Kooperation mit Sergio Morabito ein Regieteam, das Stücke immer wieder einer genauen Überprüfung unterzieht und in Inszenierungen mit überraschend neuen, erhellenden Perspektiven präsentiert. Auch Sylvain Cambreling erweist sich für die Stuttgarter Oper als außergewöhnlicher Glücksfall.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sylvain Cambreling

Regie und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne
Bert Neumann

Kostüme
Nina von Mechow

Licht
Lothar Baumgarte

Chor
Johannes Knecht

 

Staatsorchester Stuttgart

Herren des
Staatsopernchores Stuttgart


Solisten

Tristan
Erin Caves

König Marke
Attila Jun

Isolde
Christiane Iven

Kurwenal
Shigeo Ishino

Melot
André Morsch

Brangäne
Katarina Karnéus

Ein Hirt
Thorsten Hofmann

Ein Steuermann
Motti Kastón

Stimme eines jungen Seemanns
Daniel Kluge



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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