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Wahnsinn im
Schattenspiel
Zum mittlerweile fünften Mal in Folge widmet sich das Landestheater Niederbayern
Vincenzo Bellinis Opernschaffen und hat sich damit bereits überregional einen
Ruf als Belcanto-Hochburg Bayerns erworben. Nachdem man in der letzten Spielzeit
die eher selten gespielte lyrische Tragödie Beatrice di Tenda präsentiert
hat (siehe auch
unsere Rezension), steht in diesem Jahr mit Il pirata ein Frühwerk
Bellinis auf dem Programm, das zum einen den Startschuss seiner Karriere
markiert, zum anderen die erste tragische Wahnsinnsszene der Operngeschichte
enthält und in Italien die erste große Phase der Schauerromantik einleitete, die
mit Donizettis Lucia di Lammermoor einen weiteren Höhepunkt erreichen
sollte. Dass Bellini heutzutage relativ selten gespielt wird, dürfte der
Tatsache geschuldet sein, dass die Gesangspartien in seinen Opern extrem
anspruchsvoll sind. So komponierte er zahlreiche Opern für den damaligen
Star-Tenor Giovanni Battista Rubini, dessen Stimme über mehr als drei Oktaven
verfügte, was sich in den Partien mit Wechseln von den höchsten Höhen hinab in
gewaltige Tiefen bemerkbar macht. Des Weiteren haben die Einspielungen mit Maria
Callas die Messlatte für Sopranistinnen so hoch angesetzt, dass viele
Sängerinnen den Vergleich mit der Callas scheuten. Dennoch nimmt man am
Landestheater Niederbayern diese Herausforderung immer wieder mutig auf, und der
große Zuspruch beim Publikum gibt den Theaterschaffenden bei dieser Entscheidung
Recht.
Imogene (Hyun-Ju Park) zwischen zwei Männern
(hinter der Leinwand: Bernadette Leitner, Samuel Calas und Alekszandr Szivkov
als Schatten von Imogene, Ernesto (links) und Gualtiero (rechts))
Auch wenn die Oper Il pirata heißt, steht eigentlich eine Frau im
Mittelpunkt der Handlung: Imogene. Diese liebte einst Gualtiero, den Grafen von
Montaldo, doch dieser wurde nach einem Kampf mit Ernesto, dem Herzog von Caldora,
aus Sizilien verbannt und zieht nun als Anführer einer Gruppe aragonischer
Piraten über die Meere, immer noch auf Rache sinnend. Ernesto hat Imogene
mittlerweile gezwungen, ihn zu heiraten, und hat mit ihr einen Sohn. Zu Beginn
der Oper stranden die Piraten nach einem Sturm an der Küste Siziliens in der Nähe
der Burg Caldora. Imogene nimmt die schiffbrüchigen Piraten in der Burg auf und
trifft auf den totgeglaubten Gualtiero. Dieser ist entsetzt darüber, dass sie
seinen Erzfeind Ernesto geheiratet hat. Nachdem Imogene ihm die Umstände dieser
Zwangshochzeit erklärt hat, bittet er sie, mit ihm zu fliehen. Doch Ernesto
überrascht die beiden, und es kommt zum Zweikampf, in dem Gualtiero den Rivalen
tötet. Da Imogene nicht bereit ist, ihren Sohn im Stich zu lassen und mit
Gualtiero zu fliehen, stellt dieser sich der Justiz und wird zum Tode
verurteilt. Daraufhin verfällt Imogene dem Wahnsinn und bricht zusammen.
Unglückliche Liebe zwischen Imogene (Hyun-Ju
Park) und Gualtiero (Eric Vivion-Grandi)
In Szene gesetzt wird die Produktion von Controluce Teatro d'Ombre, einer
Schattentheatergruppe aus Turin, die 1994 von dem spanischen Maler Jenaro
Meléndrez Chas und den Musikern Cora De Maria und Alberto Jona mit dem Ziel
gegründet wurde, Musik, abstrakte Malerei und das Schattenspiel zu einem
künstlerischen Gesamtwerk zu verbinden. Auf unterschiedliche Tücher werden
hierbei Bilder projiziert, die in der Regel Imogenes Perspektive einnehmen und
gewissermaßen durch ihre Augen auf die Situation blicken. Zu Beginn werden weiße
Tücher wie große Segel gespannt, auf denen ein Schiff, das um ein Auge kreist,
die in Seenot geratenen Piraten erahnen lässt. Auch treten die drei Hauptfiguren
in Form von Tänzern als Schattenfiguren mal vor und mal hinter den Tüchern auf,
je nachdem wie tief die Protagonisten in ihren Illusionen verstrickt sind.
Besonders eindrucksvoll gelingt das Bild, in dem Imogene an ihren Alptraum aus
der vergangenen Nacht erinnert wird, als sie den sterbenden Gualtiero sah.
Hinter einem weißen Tuch, von dem rotes Blut hinabfließt, kommt Gualtieros
Schatten immer stückweise zum Vorschein.
Tödliches Duell zwischen Ernesto (Michael Mrosek,
links) und Gualtiero (Eric Vivion-Grandi, rechts)
Auch einzelnen Farben kommt in der Inszenierung eine besondere Bedeutung zu. So
stattet Antonio Martire nicht nur die Piraten in dunklem Blau aus, sondern
gestaltet auch den Bühnenhintergrund mit einem blauen Tuch, wenn Gualtiero im
Schloss die Szene beherrscht. Diese Farbe verschwindet allerdings, sobald Ernesto die
Szene betritt. Bei ihm dominiert die Farbe Rot, die hier allerdings nicht für
die Liebe steht, sondern für die brutale Macht, mit der er die Herrschaft über
seine Frau ausübt. So geht auch von den Schattenspielen hinter dem roten Tuch
eine gewisse Bedrohung aus. Für Imogene steht die Farbe Weiß. Hier gibt es einen
kleinen Moment der Hoffnung, wenn sie sich mit Gualtiero in eine bessere Zukunft
träumt und auf das weiße Tuch eine pittoreske Küstenlandschaft projiziert wird,
die den Traum eines sorgenfreien Lebens suggeriert. Doch die Bilder werden schnell unscharf, wenn Imogene in die Realität zurückgeholt
wird. Großartig gelingt das Wahnsinnsbild, wenn das weiße Tuch, das die
ganze Bühne beherrscht, mit flackerndem Rot angestrahlt wird, was den in Imogene
brennenden Wahnsinn ausdrückt. Am Ende geht sie in diesem wild wehenden Tuch
wie in einem Meer unter und ist nun endgültig dem Wahnsinn verfallen.
Imogene (Hyun-Ju Park) verfällt dem Wahnsinn.
Bei aller Faszination dieser Bilder bringt die Inszenierung allerdings einen
Nachteil mit sich, der die musikalische Qualität ein wenig einschränkt. Der von
Christine Strubel einstudierte Chor tritt während der ganzen Oper nicht auf der
Bühne auf, sondern muss aus dem Off singen. Wäre die Bühne zu klein gewesen, um
mit dem Chor auf der Bühne die Schattenspiele durchzuführen? Hätte er womöglich
die Sicht auf die projizierten Bilder genommen? Vielleicht hätte man ihn dennoch
rechts und links auf der Bühne positionieren sollen und eventuell eine statische
Personenführung beim Chor zugunsten des Klangs in Kauf nehmen sollen. So wirken
die Einspielungen nämlich zum einen in der Lautstärke nicht richtig auf das
Orchester und die Solisten abgestimmt, zum anderen merkwürdig künstlich und
stellenweise nicht ganz homogen. Auch einzelne Szenen verlieren an Gewicht, weil
die vier Statisten, die als Piraten auftreten und für die richtige
Positionierung der Tücher bei den einzelnen Projektionen verantwortlich sind,
beim Piratenchor wie ein Fremdkörper auf der Bühne wirken.
Die Solisten und die Niederbayerische Philharmonie unter der Leitung von Basil
H. E. Coleman gleichen dieses kleine musikalische Manko allerdings wieder aus. Michael Mrosek glänzt als Bösewicht
Ernesto mit fulminantem Bariton und präsentiert sich direkt in seiner
Auftrittsarie als kompromissloser und selbstgefälliger Mann, der seine Ziele
stets mit Gewalt durchzusetzen vermag. Imogene ist für ihn nur eine Trophäe. An
ihren Gefühlen ist er eigentlich nicht interessiert. Anders verhält es sich bei Gualtiero. Eric Vivion-Grandi verkörpert die Titelfigur mit tenoralem Schmelz,
auch wenn er in den Spitzentönen ein wenig forcieren muss. Seiner Auftrittsarie
"Nel furor delle tempeste" fehlt vielleicht bedingt durch eine gewisse
Premieren-Nervosität noch etwas Glanz, wenn er vom Wiedersehen mit der
geliebten Imogene träumt. Im anschließenden Duett mit Imogene findet
Vivion-Grandi allerdings zu einer Form die dem Titel "Belcanto" in jeder
Hinsicht gerecht wird. In den kleineren Partien lässt vor allem Young Kwon als
Goffredo mit markantem Bass aufhorchen. Auch Oscar Imhoff als Itulbo und Kathryn
J. Brown als Adele können stimmlich zu überzeugen.
Star des Abends ist Hyun-Ju Park, die nach ihren gefeierten Interpretationen
als Norma und La sonnambula erneut als Bellini-Heroine am
Landestheater auftritt. Und auch als Imogene macht sie mit ihrem
dramatischen Sopran deutlich, dass sie keine Vergleiche mit anderen
Interpretinnen dieser Partie fürchten muss. Die höhere Mittellage stattet sie
mit einem satten Sopran aus und schafft es, bruchlos aus diesem vollen Volumen
in sanfte, nahezu zerbrechliche Spitzentöne überzugehen. Ihre Interpretation der
Wahnsinnsarie am Ende der Oper geht nicht nur stimmlich, sondern auch
darstellerisch unter die Haut. Wie sie mit mittlerweile gelösten Haaren den
endgültigen Verfall dieser gebrochenen Frau regelrecht durchlebt, bewegt
zutiefst. An dieser Stelle finden Gesang und Inszenierung zu einer Intensität,
die keine noch so gute CD-Einspielung einfangen kann. Hier benötigt man das
Live-Erlebnis, um wirklich betroffen zu sein. Das Publikum feiert im Anschluss
an diese große Szene das Ensemble und alle Beteiligten mit frenetischem Beifall.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Regie Regiemitarbeit
Schattenprofile Ausstattung Choreographie Choreinstudierung
Chor und Statisterie des Niederbayerische Philharmonie SolistenErnesto, Herzog von Caldora Imogene, seine Frau Gualtiero, Anführer der Piraten Itulbo,
Pirat
Goffredo, ehemaliger Erzieher Gualtieros Adele,
Vertraute Imogenes Tänzer
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- Fine -