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Il pirata

Melodramma in zwei Akten
Libretto von Felice Romani nach dem Roman Bertram or The Castle of Saint-Aldobrand (1816) von Charles Robert Maturin
Musik von
Vincenzo Bellini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Theater Passau am 30. November 2013

Logo: Landestheater Niederbayern
Landestheater Niederbayern
(Homepage)

Wahnsinn im Schattenspiel


Von Thomas Molke / Fotos von
Peter Litvai

Zum mittlerweile fünften Mal in Folge widmet sich das Landestheater Niederbayern Vincenzo Bellinis Opernschaffen und hat sich damit bereits überregional einen Ruf als Belcanto-Hochburg Bayerns erworben. Nachdem man in der letzten Spielzeit die eher selten gespielte lyrische Tragödie Beatrice di Tenda präsentiert hat (siehe auch unsere Rezension), steht in diesem Jahr mit Il pirata ein Frühwerk Bellinis auf dem Programm, das zum einen den Startschuss seiner Karriere markiert, zum anderen die erste tragische Wahnsinnsszene der Operngeschichte enthält und in Italien die erste große Phase der Schauerromantik einleitete, die mit Donizettis Lucia di Lammermoor einen weiteren Höhepunkt erreichen sollte. Dass Bellini heutzutage relativ selten gespielt wird, dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass die Gesangspartien in seinen Opern extrem anspruchsvoll sind. So komponierte er zahlreiche Opern für den damaligen Star-Tenor Giovanni Battista Rubini, dessen Stimme über mehr als drei Oktaven verfügte, was sich in den Partien mit Wechseln von den höchsten Höhen hinab in gewaltige Tiefen bemerkbar macht. Des Weiteren haben die Einspielungen mit Maria Callas die Messlatte für Sopranistinnen so hoch angesetzt, dass viele Sängerinnen den Vergleich mit der Callas scheuten. Dennoch nimmt man am Landestheater Niederbayern diese Herausforderung immer wieder mutig auf, und der große Zuspruch beim Publikum gibt den Theaterschaffenden bei dieser Entscheidung Recht.

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Imogene (Hyun-Ju Park) zwischen zwei Männern (hinter der Leinwand: Bernadette Leitner, Samuel Calas und Alekszandr Szivkov als Schatten von Imogene, Ernesto (links) und Gualtiero (rechts))

Auch wenn die Oper Il pirata heißt, steht eigentlich eine Frau im Mittelpunkt der Handlung: Imogene. Diese liebte einst Gualtiero, den Grafen von Montaldo, doch dieser wurde nach einem Kampf mit Ernesto, dem Herzog von Caldora, aus Sizilien verbannt und zieht nun als Anführer einer Gruppe aragonischer Piraten über die Meere, immer noch auf Rache sinnend. Ernesto hat Imogene mittlerweile gezwungen, ihn zu heiraten, und hat mit ihr einen Sohn. Zu Beginn der Oper stranden die Piraten nach einem Sturm an der Küste Siziliens in der Nähe der Burg Caldora. Imogene nimmt die schiffbrüchigen Piraten in der Burg auf und trifft auf den totgeglaubten Gualtiero. Dieser ist entsetzt darüber, dass sie seinen Erzfeind Ernesto geheiratet hat. Nachdem Imogene ihm die Umstände dieser Zwangshochzeit erklärt hat, bittet er sie, mit ihm zu fliehen. Doch Ernesto überrascht die beiden, und es kommt zum Zweikampf, in dem Gualtiero den Rivalen tötet. Da Imogene nicht bereit ist, ihren Sohn im Stich zu lassen und mit Gualtiero zu fliehen, stellt dieser sich der Justiz und wird zum Tode verurteilt. Daraufhin verfällt Imogene dem Wahnsinn und bricht zusammen.

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Unglückliche Liebe zwischen Imogene (Hyun-Ju Park) und Gualtiero (Eric Vivion-Grandi)

In Szene gesetzt wird die Produktion von Controluce Teatro d'Ombre, einer Schattentheatergruppe aus Turin, die 1994 von dem spanischen Maler Jenaro Meléndrez Chas und den Musikern Cora De Maria und Alberto Jona mit dem Ziel gegründet wurde, Musik, abstrakte Malerei und das Schattenspiel zu einem künstlerischen Gesamtwerk zu verbinden. Auf unterschiedliche Tücher werden hierbei Bilder projiziert, die in der Regel Imogenes Perspektive einnehmen und gewissermaßen durch ihre Augen auf die Situation blicken. Zu Beginn werden weiße Tücher wie große Segel gespannt, auf denen ein Schiff, das um ein Auge kreist, die in Seenot geratenen Piraten erahnen lässt. Auch treten die drei Hauptfiguren in Form von Tänzern als Schattenfiguren mal vor und mal hinter den Tüchern auf, je nachdem wie tief die Protagonisten in ihren Illusionen verstrickt sind. Besonders eindrucksvoll gelingt das Bild, in dem Imogene an ihren Alptraum aus der vergangenen Nacht erinnert wird, als sie den sterbenden Gualtiero sah. Hinter einem weißen Tuch, von dem rotes Blut hinabfließt, kommt Gualtieros Schatten immer stückweise zum Vorschein.

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Tödliches Duell zwischen Ernesto (Michael Mrosek, links) und Gualtiero (Eric Vivion-Grandi, rechts)

Auch einzelnen Farben kommt in der Inszenierung eine besondere Bedeutung zu. So stattet Antonio Martire nicht nur die Piraten in dunklem Blau aus, sondern gestaltet auch den Bühnenhintergrund mit einem blauen Tuch, wenn Gualtiero im Schloss die Szene beherrscht. Diese Farbe verschwindet allerdings, sobald Ernesto die Szene betritt. Bei ihm dominiert die Farbe Rot, die hier allerdings nicht für die Liebe steht, sondern für die brutale Macht, mit der er die Herrschaft über seine Frau ausübt. So geht auch von den Schattenspielen hinter dem roten Tuch eine gewisse Bedrohung aus. Für Imogene steht die Farbe Weiß. Hier gibt es einen kleinen Moment der Hoffnung, wenn sie sich mit Gualtiero in eine bessere Zukunft träumt und auf das weiße Tuch eine pittoreske Küstenlandschaft projiziert wird, die den Traum eines sorgenfreien Lebens suggeriert. Doch die Bilder werden schnell unscharf, wenn Imogene in die Realität zurückgeholt wird. Großartig gelingt das Wahnsinnsbild, wenn das weiße Tuch, das die ganze Bühne beherrscht, mit flackerndem Rot angestrahlt wird, was den in Imogene brennenden Wahnsinn ausdrückt. Am Ende geht sie in diesem wild wehenden Tuch wie in einem Meer unter und ist nun endgültig dem Wahnsinn verfallen.

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Imogene (Hyun-Ju Park) verfällt dem Wahnsinn.

Bei aller Faszination dieser Bilder bringt die Inszenierung allerdings einen Nachteil mit sich, der die musikalische Qualität ein wenig einschränkt. Der von Christine Strubel einstudierte Chor tritt während der ganzen Oper nicht auf der Bühne auf, sondern muss aus dem Off singen. Wäre die Bühne zu klein gewesen, um mit dem Chor auf der Bühne die Schattenspiele durchzuführen? Hätte er womöglich die Sicht auf die projizierten Bilder genommen? Vielleicht hätte man ihn dennoch rechts und links auf der Bühne positionieren sollen und eventuell eine statische Personenführung beim Chor zugunsten des Klangs in Kauf nehmen sollen. So wirken die Einspielungen nämlich zum einen in der Lautstärke nicht richtig auf das Orchester und die Solisten abgestimmt, zum anderen merkwürdig künstlich und stellenweise nicht ganz homogen. Auch einzelne Szenen verlieren an Gewicht, weil die vier Statisten, die als Piraten auftreten und für die richtige Positionierung der Tücher bei den einzelnen Projektionen verantwortlich sind, beim Piratenchor wie ein Fremdkörper auf der Bühne wirken.

Die Solisten und die Niederbayerische Philharmonie unter der Leitung von Basil H. E. Coleman gleichen dieses kleine musikalische Manko allerdings wieder aus. Michael Mrosek glänzt als Bösewicht Ernesto mit fulminantem Bariton und präsentiert sich direkt in seiner Auftrittsarie als kompromissloser und selbstgefälliger Mann, der seine Ziele stets mit Gewalt durchzusetzen vermag. Imogene ist für ihn nur eine Trophäe. An ihren Gefühlen ist er eigentlich nicht interessiert. Anders verhält es sich bei Gualtiero. Eric Vivion-Grandi verkörpert die Titelfigur mit tenoralem Schmelz, auch wenn er in den Spitzentönen ein wenig forcieren muss. Seiner Auftrittsarie "Nel furor delle tempeste" fehlt vielleicht bedingt durch eine gewisse Premieren-Nervosität noch etwas Glanz, wenn er vom Wiedersehen mit der geliebten Imogene träumt. Im anschließenden Duett mit Imogene findet Vivion-Grandi allerdings zu einer Form die dem Titel "Belcanto" in jeder Hinsicht gerecht wird. In den kleineren Partien lässt vor allem Young Kwon als Goffredo mit markantem Bass aufhorchen. Auch Oscar Imhoff als Itulbo und Kathryn J. Brown als Adele können stimmlich zu überzeugen.

Star des Abends ist Hyun-Ju Park, die nach ihren gefeierten Interpretationen als Norma und La sonnambula erneut als Bellini-Heroine am Landestheater auftritt. Und auch als Imogene macht sie mit ihrem dramatischen Sopran deutlich, dass sie keine Vergleiche mit anderen Interpretinnen dieser Partie fürchten muss. Die höhere Mittellage stattet sie mit einem satten Sopran aus und schafft es, bruchlos aus diesem vollen Volumen in sanfte, nahezu zerbrechliche Spitzentöne überzugehen. Ihre Interpretation der Wahnsinnsarie am Ende der Oper geht nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch unter die Haut. Wie sie mit mittlerweile gelösten Haaren den endgültigen Verfall dieser gebrochenen Frau regelrecht durchlebt, bewegt zutiefst. An dieser Stelle finden Gesang und Inszenierung zu einer Intensität, die keine noch so gute CD-Einspielung einfangen kann. Hier benötigt man das Live-Erlebnis, um wirklich betroffen zu sein. Das Publikum feiert im Anschluss an diese große Szene das Ensemble und alle Beteiligten mit frenetischem Beifall.

FAZIT

Auch im fünften Jahr wird das Landestheater Niederbayern seinem Ruf als Bellini-Hochburg mehr als gerecht. Wer diese Perle des Belcanto erleben möchte, sollte unbedingt nach Passau, Landshut oder Straubing fahren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Basil H. E. Coleman

Inszenierung
Controluce Teatro d'Ombre

Regie
Alberto Jona

Regiemitarbeit
Jenaro Meléndrez Chas

Schattenprofile
Cora De Maria

Ausstattung
Antonio Martire

Choreographie
Eva Simmeth

Choreinstudierung
Christine Strubel

 

Chor und Statisterie des
Landestheaters Niederbayern

Niederbayerische Philharmonie


Solisten

Ernesto, Herzog von Caldora
Michael Mrosek

Imogene, seine Frau
Hyun-Ju Park

Gualtiero, Anführer der Piraten
Eric Vivion-Grandi

Itulbo, Pirat
Oscar Imhoff

Goffredo, ehemaliger Erzieher Gualtieros
Young Kwon

Adele, Vertraute Imogenes
Kathryn J. Brown

Tänzer
Bernadette Leitner
Samuel Calas
Alekszandr Szivkov


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Landestheater Niederbayern

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