Nationalheldin wider Willen
Von
Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von
Jörg Landsberg
Antonin Dvorák komponierte eine ganze Menge mehr
Opern als gemeinhin bekannt ist. Seine 5. Oper Vanda,
die momentan im Theater Osnabrück ihre deutsche,
szenische Erstaufführung feiert, vollendete der
Komponist als 34-Jähriger. Die tragische Oper wurde
1876 im Interimstheater in Prag uraufgeführt und
steht ganz im nationalen Kulturrausch des 19.
Jahrhunderts. Vanda, die Protagonistin der Oper ist
eigentlich eine polnische Heldin. Die tschechische,
mythische Nationalfigur Libussa machte vor Dvorák
schon Smetana von 1869 bis 1872 zum Opernstoff. Sie
sollte Eröffnungsoper des neuen Nationaltheaters
sein und kam daher erst 1881 zur Uraufführung.
Dvoráks Oper thematisiert den Mythos Vanda, diese
heidnischen Krakauer Fürstin, die siegreich mit den
Feinden kämpft und sich anschließend in der Weichsel
ertränkt, ganz im Stile der Grand Opera des 19.
Jahrhunderts - fünfaktig, mit vielen, großen
Ensembleszenen, Zwischenspielen und Balletteinlagen.
Hier werden keine Protagonisten charakterisiert
sondern musikalische Heroenbilder gezeichnet -
statisch, mit viel Blech und tänzerisch,
folkloristisch anmutenden Einlagen. Manchmal kehrt
dieser überdimensionierte Klangrausch zu
kammermusikalischen Tönen zurück, etwa wenn zur
Auftrittsarie des deutschen Herzogs Roderich die
Harfe erklingt oder wenn zur Klangfarbe des
Violoncello im 2. Akt ein adeliger Gemahl gefunden
werden soll.
Als Librettist wird Vaclav Benes-Sumavsky genannt,
aber glaubt man zeitgenössischen Zeitungsberichten
scheinen auch andere damalige JournalistInnen und
SchriftstellerInnen wie Frantisek Zakrejs oder
Eliska Krasnohorska beteiligt gewesen zu sein. Die
eigentlichen Quellen für Musik und Libretto, Dvoráks
Partiturautograph und sein Handexemplar des Textes,
sind verschollen. Die szenische Aufführung in
Osnabrück basiert auf der von Alan Houtchens
herausgegebenen neuen Edition, ersetzt jedoch die
Ouvertüre und einen anderen Abschnitt aus dem
originalen Material von 1876.
Das Volk huldigt
der Königin wider Willen.
Die Opernhandlung spielt im 11.
Jahrhundert. Von ihrem Vater zur Nachfolgerin
auserkoren, muss Vanda zunächst gegen ihren Willen
den Thron besteigen. Es gilt den Willen des
Ältestenrates und der Götter, vertreten durch den
Hohepriester, zu befolgen. Da die adeligen
Kandidaten, die für die anstehende Hochzeit in Frage
kommen, in den vorgeschriebenen Prüfungen versagen,
ist zunächst der Weg frei für Slavoj, den vom Volk
bejubelten Jugendfreund niederen Standes. Dieser
tritt auch erfolgreich gegen den neuen Gegner, den
deutschen Herzog Roderich an, muss ihn aber am Leben
lassen. Auf einer Art schwarzen Messe träumt Vanda
vom erlösenden Tod. Als im vierten Akt der Kampf
gegen Roderich aussichtslos zu sein scheint, schwört
Vanda vor den Göttern, ihr Leben einem Sieg zu
opfern. Sie tötet Roderich, und löst gegen den
Willen des Volkes und Slavoys den Eid ein und nimmt
sich das Leben.
Regisseur Robert Lehmeier zeigt die Oper als
klischeehaft und symbolträchtig überzeichneten
Bilderreigen, als Folge ästhetisch angeordneter
Tableaux. Er wirft einen analytischen Blick auf die
polnische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, deutet
die tragischen Liebeskonflikte der Protagonistin zu
ihrer Jugendliebe Slavoj und dem politischen Gegner
Roderich an und stellt Vanda zugleich als
widersprüchliches, zwischen Grausamkeit und
moralischer Unbedenklichkeit schwankenden
Heldenmythos dar. Passend dazu hat Tom Musch einen
geschlossenen Raum geschaffen, in dessen Mitte ein
riesiger Altar aus Monolithen prangt. Er ist
Denkmal, Ort politischer Verkündigung und
Kultstätte, zugleich aber auch der Rahmen für den
verklärenden Auftritt Roderichs im zweiten Akt.
Während das Volk mit Cocktailkleidchen, Turmfrisur
und Anzug die Fahnen schwenkende Feiergesellschaft
des 19. Jahrhunderts repräsentiert, erscheint er,
Roderich, als exotischer Deus ex Machina, der zu den
Klängen einer im goldenen Guckkasten platzierten
Harfe als verweichlichter Lebemann mit weißem Anzug,
langen blonden Locken und goldenen Schuhen auf die
Bühne stolziert.
Gegenpohl ist der im gemusterten Pullunder
auftretende Slavoj. Er schultert kraftvoll sein
erlegtes Wild und schlitzt es auf, um seiner
geliebten Vanda symbolträchtig das Herz zu
überreichen. Keine Chance für die hoch dekorierten,
arthritisch gebeugten, zuckenden, greisen adeligen
Bewerber auf den Königsthron.
Der Hohe Priester sitzt im Rollstuhl und vertritt
mit Buch und Maske die alte Ordnung. Seine Diener
konterkarieren clownesk die häufig symbolträchtige Schwere
seiner Auftritte.
Nach gewonnener
Schlacht, Mord und Opfertod wird Schwester Bozena
die Last der Krone tragen müssen.
Die schwarze Messe im dritten Akt
entpuppt sich als triebhafte Kehrseite der
Gesellschaft - angereichert mit einer von Slavoj und
Vanda unterbundenen Intrige der Zauberin Homera und
Roderichs. Am Ende zieht sich die Oper arg in die
Länge. Bevor Vanda nach der bitteren Erkenntnis „die
Hand eines Mannes kann unser Land besser regieren“
in die Weichsel springt und Slavoj dem Hohen
Priester die Maske vom Gesicht reißt und ihn
ersticht, müssen noch zwei weitere Akte
Fahnen-Ziehen und -Rollen, Götter-Beschwörung,
tragische Selbstreflexion und tränenreicher Abschied
ertragen werden. Das ausdrucksstarke Bild, in dem
Vandas gebeugtes Alter Ego, ihre Schwester Bozena
versucht mit einem zum Angstschrei geöffneten Mund
das Schicksal der lastenden Krone aufzuhalten,
verpufft am Schluss.
Ob schwermütig klagend, slavisch tänzerisch oder
blechlastig triumphierend, das Orchester Osnabrück
unter der Leitung Daniel Inbals lotet transparent
und homogen die statischen Klangbilder der
Dvorák-Komposition aus. Engagiert und bestensausgewählt und einstudiert, spielen und
singen Chor und Solistenensemble in tschechischer
Sprache – ein ebenso bewundernswürdiger Kraftakt des
Theaters wie die Initiative der szenischen
Erstaufführung.
Lina Liu bewältigt mit ihrem klangschönen, tragenden
Sopran meisterhaft die Rolle der jugendlichen, zur
Heroin wider Willen erkorenen Vanda. An ihrer Seite
sozusagen als Alter Ego verkörpert Susann Vent eine
dramatisch schwingende Schwester Bozena. Per Hakan
Precht ist ein kraftvoller, brustig gefärbter
Slavoj. Oleg Korotkov überzeugt mit klangvollem
Bassbariton in der Rolle des Hohenpriesters.
Almerija Delic weiß mit klangvoller, dramatischer
Stimme in der Rolle der Zauberin Homena das Publikum
zu verführen. Daniel Moon gibt einen leichten,
brustig gefärbten deutschen Herzog Roderich.
FAZIT
Das Theater Osnabrück hat mit der
deutschen szenischen Erstaufführung von Vanda wieder
einmal eine interessante Ausgrabung gemacht.
Andererseits erstaunt es nicht, dass die Oper nicht
zum internationalen Repertoire gehört. Auch die
bewegten Tableaux von Robert Lehmeier können die
Handlungsarmut nicht auffangen. Die Inszenierung
unterstreicht die statischen Klangszenarien Dvoráks,
die Oper zieht sich in die Länge.