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Musiktheater
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SACRE

Dreiteiliger Tanzabend von Mauro de Candia / Gregor Zöllig / Mary Wigman
Fiat Lux (UA), Rauschen (UA) und Le Sacre du printemps
Musik von Arvo Pärt, Steve Reich, Igor Strawinsky

Gefördert von TANZFONDS ERBE – Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Theater am Domhof am 9. November 2013

 

Logo: Theater Osnabrück

Theater Osnabrück
(Homepage)

Ein historischer, weiblicher Blick auf den Sacre          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg und Bettina Stöß

2013 ist neben Verdi und Wagner auch das Sacre-Jahr. Erinnert wird an den Beginn des modernen Tanzes, der mit der legendären Uraufführung des Sacre du Printemps von Igor Strawinsky in Paris verbunden war. Für das Theater Osnabrück ist dieser 100-jährige Geburtstag ein Anlass, mit Mary Wigman einen historischen und weiblichen Choreographie-Blick auf das Werk zu werfen, denn Mary Wigman, eine der wichtigsten Vertreterinnen des modernen deutschen Ausdruckstanzes bekam 1957, mit 70 Jahren, den Auftrag, die Berliner Erstaufführung des Sacre in Szene zu setzen.

Unter der künstlerischen Leitung Henrietta Horns wird  der Wigman-Nachlass gesichtet, Archivmaterial gesammelt, Anträge gestellt und schließlich bewilligt, sodass  mit der umfangreichen Rekonstruktion der Choreographie begonnen werden kann. Henrietta Horn betont, diese Arbeit sei ohne Teamwork nicht zu bewältigen. Unmengen von Fotos, Skizzen, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und Partitureinträgen werden zusammengetragen, geordnet, denn es existieren keine Filmaufzeichnungen von Proben oder von der Aufführung selbst. Wigmans Aufzeichnungen zeigen, wie sehr sie mit dem Werk gerungen hat. Vieles wird verworfen, neu konzipiert. Auch ist in den zahlreichen Skizzen zur Choreographie des Werkes zunächst keine chronologische Reihenfolge erkennbar. Katherine Sehnert, eine ehemalige Wigman-Schülerin und Mitglied des Choreographieteams hilft, aber der Höhepunkt des Sacre du printemps, die Choreographie des Danse Sacrale bleibt problematisch.

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Huldigungsformation (Foto: Jörg Landsberg)

Es ist der Schluss wo sich die Auserwählte zu Tode tanzt, ihr Leben und ihre Kraft als Auserwählte opfert. Nicht nur die Handlung findet hier ihren Höhepunkt, sondern mit der Wildheit der Rhythmen, der instrumentalen Wucht und Dichte des Klanges auch die Musik. Leider hat Wigman selbst diesen wichtigen Teil 1957 nicht selbst choreographiert, sondern die Aufgabe an Dore Hoyer weitergegeben. Sie kreiert und tanzt die Rolle des Opfers und wird berühmt für ihre legendäre Interpretation der Auserwählten. Ein mühsehliger, komplizierter und konzentrierter Erinnerungsprozess beginnt. Man versucht, sich von allen Seiten heranzutasten und immer wieder die Musik zu hören. Langsam kristallisieren sich zwar bestimmte Bewegungsmotive wie Stampfen, Kreisen, Drehen heraus. Aber die Frage, wie Dore Hoyer die Auserwählte interpretiert und getanzt hat, lässt sich nicht endgültig klären. Um es so wie sie umsetzen, zeigen zu können, müsste Henrietta Horn sie sein, ihr Leben haben, ihre Persönlichkeit, Gefühle, Bildfantasie und ihr Zeitmaß. Sie entscheidet sich, allen sechs hervorragenden Solistinnen die Chance zu geben, ihre Interpretation zu zeigen.

Am Samstag, dem 9. November 2013 ist es endlich soweit. Begleitet von einem Symposium, auf dem überwiegend über andere Sacre-Choreographien gesprochen wird und einer kleinen Ausstellung über die Lebens- und Gedankenwelt Mary Wigmans, führen jeweils 10 Tänzerinnen und Tänzer des Theaters Osnabrück und Bielefeld sowie 5 Tanzabsolventen der Folkwang-Universität Essen erstmalig die rekonstruierte Wigman-Inszenierung des Sacre du printemps auf. Das Staatsballett München, das die Rekonstruktion im Juni 2014 zeigt, wird sie in der originalen Besetzung von 45 Tänzern zeigen. Osnabrück muss auch bei der Orchesterbesetzung Abstriche machen. Im Orchestergraben des Theaters ist für die über 100 Musiker einfach kein Platz.

Eingeleitet wird der Abend von Fiat Lux, einer Choreographie Mauro de Candias zu zwei kurzen Werken für Streicher von Arvo Pärt und Rauschen, einer Choreographie Gregor Zölligs in Zusammenarbeit mit den Tänzern zu Eight Lines von Steve Reich. Beide Choreographien nehmen zwar Bezug auf den Sacre, unterscheiden sich jedoch in Musik und Tanzsprache wesentlich von der sich anschließenden Darbietung. Mary Wigmans Choreographie wirkt weniger wie ein Tanz, sondern mehr wie die Inszenierung einer kultisch-rituellen Handlung.

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Der Opfertanz (Foto: Bettina Stöß)

Die Introduktion hat die Funktion einer Ouvertüre und wird bei geschlossenem Vorhang gespielt. Mit Weihe des Festplatzes, Entführung, Feierlicher Reigen, Männertanz, Bahn des Weisen, Kuss für die Erde und Tanz für die Erde schließt sich der 1. Teil L’ Adoration de la Terre (die Anbetung der Erde) an. Er trägt bei Wigman den Titel Das Fest. Nach einer weiteren Introduktion folgt der 2. Teil, den auch Wigman als das Opfer bezeichnet. Er besteht aus den Teilen Frühlingsabend, Erwählung, Anrufung der Ahnen, Bestätigung und Verherrlichung der Erwählten durch die Ältesten und Weisen und Opfertanz.

Die Frauen sind einheitlich in gelbe, schlichte, wadenlange Kleider gewandet, das der Auserwählten ist rot. Die Männer tragen lässig aufgekrempelte, braune Hosen und beige T-Shirts. Die geflochtene Zopfhaartracht changiert zwischen Afrolook und Sandro Botticelli-Figur. Hinzu kommen weitere männliche und weibliche Figuren, deren Kopf und Körper einheitlich in matt blaue, lange Gewänder gehüllt sind. Wigman nennt sie „Mütterliche Gestalt“, „der Weise“, „zwei Priesterinnen“ und „die Gruppe der Ältesten“. Alle sind barfuss. Fessel und Dornenkrone Stöcke für den Männertanz kommen als weitere Requisiten hinzu.

Die Inszenierung hält sich im Großen und Ganzen an die Bilder, wie sie der Maler und Strawinsky-Freund Nikolas Roerich entwirft, stellt sie jedoch in einen zeitlosen, naturphilosophischen Rahmen.

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Die Bahn des Weisen (Foto: Jörg Landsberg)

„Jedes Jahr, wenn die Erde aus ihrem Winterschlaf erwacht und ihren Schoß aufs Neue der Sonne darbietet, wenn das große Jubilate der Lebenserneuerung in allen Geschöpfen der Erde aufklingt, dann rüstet sich der Stamm zur Feier seines höchsten Jahresfestes, zur Einsegnung des Frühlings. Der von alters her für dieses Fest bestimmte Tanzplatz wird auf Neue geweiht, und unter der Führung der Ältesten, der Mütter und Weisen bringen die jungen Menschen der wiedererblühenden Erde ihre tänzerische Huldigung dar,“ heißt es in Wigmans Anmerkungen zur Sacre-Inszenierung.

Weihe und Huldigung. Die Sprache offenbart, was sich an starr wirkenden Haltungen und Gesten in den Tanzbewegungen wiederfindet. Hier wird die soziokulturelle Lebenswirklichkeit der 1950er Jahre lautlos vor Augen geführt und in goldenes Licht getaucht. Die Frauen schreiten feierlich, umkreisen kniend die zur Priesterin stilisierte "Mütterliche Gestalt". Die Männer betreten kurze Zeit später raumgreifend und erdenschwer stampfend die Bühne und ziehen einen weiteren Kreis um die Gruppe. Die Auserwählte nimmt ihr Schicksal widerspruchslos an und trägt die Dornenkrone. In klar gegliedertem Oben und Unten entfalten sich bruchlos aneinandergereihte, chorische Formationen im Raum. Sie sind warm ausgeleuchtet und konterkarieren die kurzen, dissonanten, Panik verbreitenden Einwürfe der Holzbläser. Nach 100 Jahren hat Strawinskys Musik an Modernität nichts eingebüßt.

Und die Inszenierung der 70-jährigen Mary Wigman? Sie erlebte 1957 an der Städtischen Oper Berlin den größten Triumph ihrer Karriere - auch bezogen auf ihr Selbstverständnis als Künstlerin. „Wir bringen nicht allein Opfer, wir sind Opfer“, formuliert sie anlässlich ihres Solotanzzyklus Opfer im Jahre 1931. Und weiter: „Der Künstler gehört nicht sich, er gehört den Mächten, gehört dem Unfassbaren, das ihn treibt, beherrscht, aufruft, niederwirft, emporhebt und mordet.“ Mary Wigman ist ein Kind ihrer Zeit. 1886 als Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns in Hannover geboren, entdeckt sie 1910 ihre Liebe zum Tanz, besucht die Rhythmische Bildungsanstalt von Emile Jacques-Dalcroze, die sie 1913 mit dem Lehrdiplom für Rhythmische Gymnastik beendet. Die Entscheidung, ihr Leben dem Tanz zu widmen, fällt sie in der Schule für Kunst von Rudolf von Laban, ein Tänzer, Maler, Tanzphilosoph und Bewegungsforscher, der in der linksorientierten Lebensreformerkolonie in Monte Verità in Ascona lehrt. Wigman übernimmt in der sechsjährigen gemeinsamen Zusammenarbeit - im Rollenverständnis der damaligen Zeit - häufig männliche Aufgaben.

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Fesselung und Krönung der Auserwählten (Foto: Jörg Landsberg)

Im Herbst 1920 eröffnet sie in Dresden eine eigene Schule nachdem sie die Pläne zur Übernahme der Ballettleitung und Einrichtung einer Opernballettschule in Dresden zerschlagen haben. Nicht nur in Dresden, Berlin, Hamburg und Paris werden ihre Solotänze, Tanzzyklen, Choreographien und Inszenierungen gefeiert. In den USA wird sie auf den drei triumphalen Tourneen von 1930 bis 1933 zum Inbegriff des deutschen Ausdruckstanzes. Mary Wigman selbst nennt ihren Ausdruckstanz „Freien“ oder „Absoluten Tanz".  Ihre Themen sind abstrakt. Die Bewegung entwickelt sich aus dem augenblicklichen, inneren Erleben heraus wie ein Dialog mit sich selbst. Oft tanzt sie ohne Musik und wenn sie mit Komponisten  zusammen arbeitet, entwickeln diese Klangkompositionen zu ihren Tänzen. Noch in den 1930er Jahren beginnt sie Gruppenwerke zu choreographieren – darunter auch die Choreographie der Totenklage mit 80 Tänzerinnen für das Festspiel Olympische Jugend anlässlich der Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin oder die Carmina Burana in Leipzig im Jahre 1943. 1949 eröffnet sie in West-Berlin erneut eine eigene Schule. 1963 erscheint ihr Buch Die Sprache des Tanzes. Unermüdlich kämpft sie für ihr Lebenswerk, unterrichtet, schreibt Artikel und Buchbeiträge und macht Vortragsreisen. Sie stirbt 1973, im Alter von 86 Jahren.

FAZIT

Ein faszinierendes, stilistisch sehr unterschiedliches Balletterlebnis  aus Modern Dance des 21. Jahrhundert und deutschem Ausdruckstanz der 1950er Jahre



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Produktionsteam

Fiat Lux (Uraufführung)

Musikalische Leitung
Daniel Inbal

Choreografie
Mauro de Candia

Bühne und Kostüme
Alfred Peter, Mauro de Candia

Dramaturgie
Patricia Stöckemann

 

Tanzensemble Osnabrück
Osnabrücker Symphonieorchester

 

Rauschen (Uraufführung)

Musikalische Leitung
Daniel Inbal

Choreografie
Gregor Zöllig

Bühne und Kostüme
Alfred Peter

Dramaturgie
Diether Schlicker

 

Tanztheater Bielefeld
Osnabrücker Symphonieorchester

 

Le Sacre du printemps
von MARY WIGMAN


Eine Rekonstruktion
Kooperation mit dem Theater Bielefeld,
gefördert durch TANZFONDS ERBE

Rekonstruktionsteam
Henrietta Horn (verantwortliche Choreografin),
Susan Barnett, Katharine Sehnert,
Brigitta Herrmann, Emma Lewis Thomas

Projektleitung
Patricia Stöckemann

Musikalische Leitung
Daniel Inbal

Bühne und Kostüme
Alfred Peter

 

Tanzensemble Osnabrück

Tanztheater Bielefeld

Gasttänzer/innen

Osnabrücker Symphonieorchester



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)





Da capo al Fine

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