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Musiktheater
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JOHANNES-PASSION

Szenisches Oratorium
Text von Johann Sebastian Bach nach dem Johannes-Evangelium und Vorlagen von Barthold Heinrich Brockes, Christian Heinrich Postel und Christian Weise, BWV 245k
Musik von Arvo Pärt, Steve Reich, Igor Strawinsky

mit freundlicher Unterstützung der F1-innovate GmbH

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)

Premiere im Theater am Domhof am 18. Januar 2014
(rezensierte Vorstellung. 19.02.2014)

 

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Theater Osnabrück
(Homepage)

Möglicherweise existiert Gott          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg

Das Theater Osnabrück zeigt eine Inszenierung der Johannespassion von Johann Sebastian Bach. Die Erstaufführung fand 1724 im Karfreitagsgottesdienst statt. Sie war eine der ersten großen Amtshandlungen Bachs als Thomaskantor. Für ein Stadttheater ist die Inszenierung einer Passion ein ungewöhnliches Projekt. Osnabrücker Bürger verschiedenster Altersstufen sind beteiligt. Sie singen nicht nur die Choräle der christlichen Gemeinde auswendig. Sie stellen auch dar, übernehmen alle übrigen Chorparts - selbst die musikalisch anspruchsvollen, ausgesprochen dramatischen im Prozess vor Pilatus. An dieser Stelle wird auch Bach geradezu operndramatisch, zeigt einen aufgebrachten, wütenden Mop, der im Wechsel mit den Berichten des Evangelisten und entgegen den Einwendungen des Pilatus den Tod des Gottessohns fordert. Auch für den Regisseur stellt die Inszenierung eine Herausforderung dar, zumal Bach in der Zusammenstellung der Arien und Chöre weniger Wert darauf legt, eine packende Leidensgeschichte zu erzählen, sondern die christlichen Bekenntnisse in den Mittelpunkt rückt.

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Jesus als von der Folter gezeichneter Schreiner in seiner Werkstatt

Für das Herzstück der Johannespassion, die Gerichtsverhandlung, hat Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Andrej Woron eine steil ansteigende Treppe gewählt: Langsam erwacht die unter einer weißen Decke brodelnde Masse. Bretter, die sie als gute Christen wie Symbole des Kreuzes und der Lastenschwere tragen, werden zur Bedrohung, vor der ein unschuldig Angeklagter geschützt werden muss. Zu diesen Chorpassagen gelingt Co-Regisseur und Choreograph Lars Scheibner eine fantasievolle, symbolträchtige, mal zu Gesten erstarrte, mal bewegte Massenchoreographie. Bei den Bass-, Tenor-, Alt-, und Sopranarien jedoch verlässt Woron die Symbolebene und greift mitunter in eine unpassende Komödienkiste. So folgt Petrus seinem Herrn, indem er in einem geschlossenen Zelt auf die Bühne rollt. Und in der folgenden Sopranarie Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten wird der weibliche Fan nicht müde, alles in Fotos festzuhalten.

Mit moralischem Zeigefinger kommentiert Woron die Reue, die Petrus laut Evangelistenbericht nach seiner Verleugnung zeigt. Statt schuldbewusst wird uns Petrus als ein mit Kopfhörern ausgestatteter, vom Ort des Geschehens Abgewandter vor Augen geführt. In einer weiteren Szene spielt Woron auf die Millionenausgaben der Kirche in Limburg an. In der Arie Ach mein Sinn, wo willst du endlich hin, wo soll ich mich erquicken  wirft Tenor Daniel Wagner mit Geld um sich. Gierig vom Volk aufgegriffen wird es anschließend von Petrus und dem Evangelisten als „freiwillige“ Kollektengabe zurückgefordert.

Hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit präsentiert uns Woron die schwangere Maria Magdalena in den Altpartien. Während sie als Gefährtin Jesu in der ersten Arie Von den Stricken meiner Sünden die Hände – die rhetorische Figur der Bachkomposition aufgreifend – lust- oder leidvoll über ihren Bauch kreisen lässt, streckt sie - die letzten Worte „es ist vollbracht“ des Sterbenden aufgreifend - dem Publikum ein Neugeborenes entgegen, das sich danach mechanisch hin- und herwackelnd auf der Treppenstufe vorwärts bewegt. In einem abschließenden Bild präsentiert uns Woron den mathematischen Gottesbeweis auf einem Overheadprojektor. Möglicherweise existiert Gott ja, aber seine Verwirklichung bleibt verschüttet. Stattdessen hasten die Menschen – die Köpfe gesenkt und mit vollen Real-Plastiktüten bepackt – von rechts nach links und links nach rechts über die Bühne.

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Petrus hilft seinem Herrn die Last zu tragen.

Ob uns diese anklagende Moralkeule des Regisseurs hilft, den Evangelientext zeitgemäß zu interpretieren, bleibt fraglich. An vielen Stellen wirkt die Gegenüberstellung von Evangelientext und Passionslyrik zu allgemein und klischeehaft. Die Bilder sind revueartig aneinandergereiht, sodass die Regieinterpretation oft an der Oberfläche bleibt und in ihrer Wirkung verpufft. Musikalisch überzeugen die Osnabrücker Sinfoniker unter der Leitung von Andreas Hotz mit einer transparenten, differenzierten und ausdrucksstarken Interpretation. Rhythmische Passagen werden scharf und schlank artikuliert, Melodiebögen wunderbar dynamisch differenziert ausgestaltet. Ebenso professionell die engagierte Leistung des Projektchores, der neben textverständlichem, homogenem und differenziert gestaltetem Gesang auch schauspielerisch bezaubert. Marie-Christine Hase ist ein jugendlicher Fan mit schlankem, leicht vibrierendem Stimmklang. Almerija Delic stellt eine vollmundig klingende, opernhaft schillernde Maria Magdalena dar. Daniel Wagner ist ein hell timbrierter Judas. Shady Torbey überzeugt mit brustigem, kraftvollen Bassbariton und klangvollen, großen Melismenbögen. Mark Hamman hatte – zumindest an diesem Mittwochabend – mit dem musikalisch extrem anspruchsvollen Part des Evangelisten – Modulationen, Intervallsprünge, Höhe - an einigen Stellen zu kämpfen.

FAZIT

Ein mutiges, Pausendiskussionen anregendes, für alle Beteiligten herausforderndes Projekt des Theaters, das eine bessere Regie verdient hätte



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Hotz

Inszenierung/Bühne/Kostüme
Andrej Woron

Co-Regie/Choreografie
Lars Scheibner

Choreinstudierung
Stephan Lutermann

Dramaturgie
Ulrike Schumann
Alexander Wunderlich

 

Statisterie des Theaters Osnabrück

Basso Continuo-Gruppe

Osnabrücker Sinfonieorchester


Solisten

*rezensierte Aufführung

Jünger (Sopran-Arien)
Marie-Christine Haase

Magd
Anne Linnenschmidt/
*Mareike Schröder

Maria Magdalena (Alt-Arien)
Almerija Delic

Judas (Tenor-Arien)
Daniel Wagner

Evangelist
Mark Hamman

Diener
Alexey Goukov/
*Guido Witte

Petrus (Bass-Arien)
Shadi Torbey

Jesus
Jan Friedrich Eggers

Pilatus
Genadijus Bergorulko



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
(Homepage)





Da capo al Fine

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