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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 50' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Nürnberg am 5. April 2014




Staatstheater Nürnberg
(Homepage)

Feuerzauber vor Filmplakat 

Von Thomas Molke / Fotos von Ludwig Olah


Von den vier Teilen des Rings dürfte wohl die Walküre am ehesten ein "Eigenleben" führen, so dass sie bisweilen auch schon einmal außerhalb der kompletten Tetralogie auf die Bühne gebracht wird. Dies mag zum einen am dramaturgischen Aufbau des Werkes liegen, in dem die Liebe des Wälsungenpaars Siegmund und Sieglinde eine Innigkeit erreicht, die keinem anderen Paar in Wagners Musikdramen zuteil wird, selbst wenn es sich dabei um ein inzestuöses und damit illegitimes Verhältnis handelt. Des Weiteren wird in keinem anderen Stück der persönliche Schmerz und die Tragik der Figuren so spürbar wie hier, ob man nun das Wälsungenpaar betrachtet, das mit Ausnahme eines ganz kurzen Momentes des Glücks, in dem der künftige Held Siegfried gezeugt wird, nur Leid und Verfolgung erfährt, oder den Göttervater Wotan, der am Ende nicht nur erkennen muss, dass der Untergang der Götter nicht mehr aufzuhalten ist, sondern auch noch mit Brünnhilde sein liebstes Kind opfert und fortan als Wanderer die Welt durchstreift. Zum anderen übertrifft sich Wagner mit der musikalischen Umsetzung der Emotionen regelrecht selbst, was dazu geführt hat, dass einzelne Passagen wie der Walkürenritt aus dem dritten Aufzug oder Siegmunds "Winterstürme wichen dem Wonnemond" aus dem ersten Aufzug Eingang in zahlreiche Galakonzerte gefunden haben. In Nürnberg präsentiert das Regie-Team um Georg Schmiedleitner nach dem großen Erfolg des Rheingolds (siehe auch unsere Rezension) diesen "Ersten Tag" im Rahmen des gesamten Zyklus, der bis Oktober 2016 im Staatstheater auf die Bühne gebracht wird, und bleibt dabei im Großen und Ganzen der im Rheingold begonnenen "Vermenschlichung" der Geschichte treu, auch wenn die leicht unverständlichen Regie-Mätzchen etwas zunehmen.

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"Winterstürme wichen dem Wonnemond": Sieglinde (Ekaterina Godovanets) und Siegmund (Vincent Wolfsteiner)

Bereits für das Vorspiel haben Boris Brinkmann und Stefan Brandtmayr eine Video-Animation entworfen, die auf Hundings zweistöckige Hütte geworfen wird und eine Großaufnahme von Wotans Gesicht zeigt, wobei immer näher an das eigentlich fehlende Auge herangezoomt wird, in dem sich Kriegsbilder spiegeln, die wohl für Siegmunds Flucht stehen. Dass man diese Bilder durch das "fehlende" Auge sieht, ist im Ansatz gar nicht mal so schlecht, da Wotan dieses Auge ja geopfert hat, um Weisheit zu erlangen. Hundings Hütte erinnert an ein vom Krieg zerstörtes Haus, in dem nur noch die Grundmauern stehen. Dass Brandtmayr das Schlafzimmer dabei in das Obergeschoss legt, ermöglicht dem Zuschauer auch wahrzunehmen, was laut Libretto eigentlich hinter der Bühne passiert. Von der Esche, die mitten im Raum steht, sind nur noch der im Rumpf befindliche Stamm und ein Teil erhalten, der durch die Decke ins Obergeschoss führt, so dass Siegmund sich zum Herausziehen des Schwertes, welches im oberen Teil steckt, gewissermaßen in den Baum stellen kann. Das Leuchten des Schwertes erinnert dabei eher an eine Lampe, die von oben herabstrahlt. Hundings Tätowierungen am ganzen Körper sind zwar nicht schön, lassen ihn aber wie einen zu fürchtenden kriegerischen Stammesfürsten erscheinen. Ob er allerdings mit einem großen Stierkopf auftreten muss, mit dem er an einen Minotaurus erinnert und bereits vor seinem Erscheinen durch ein Fenster schaut, bleibt diskutabel, zumal damit der Situation durch eine gewisse Komik die Bedrohlichkeit genommen wird. Auch das Dosenbier als "labender Trank" und das blutrote Fleisch, das Sieglinde im Schnellkochtopf zubereitet, sind eher unnötige Regiebeigaben.

Musikalisch hingegen lässt dieser erste Aufzug keine Wünsche offen. Vincent Wolfsteiner begeistert als Siegmund mit einem kräftigen Heldentenor, der mit seinen eindringlichen "Wälse"-Rufen dem Zuhörer den Atem stocken lässt und im berühmten "Winterstürme wichen dem Wonnemond" zu einer regelrecht lyrischen Innigkeit findet. Zum Ende des ersten Aufzugs hat man allerdings das Gefühl, dass er sich mit seinem stimmlichen Einsatz ein wenig übernommen hat und der Pause entgegenfiebert, um neue Kräfte zu sammeln. Ekaterina Godovanets glänzt als Sieglinde mit strahlenden Höhen und eindringlicher Darstellung. Dass das Wälsungenpaar mit Ensemble-Mitgliedern besetzt werden kann, spricht für die hohe künstlerische Qualität des Hauses. Randall Jakobsh wechselt vom Göttervater Wotan im Rheingold zu Hunding, was seinem dunklen Bass mit der markanten Schwärze sehr entgegenkommt.

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Streit zwischen Fricka (Roswitha Christina Müller) und Wotan (Antonio Yang)

Beim zweiten Aufzug stellt man sich die Frage, ob dem Staatstheater eventuell die Requisiten ausgegangen sind. So gibt es nur einen einzigen Speer, der gleichzeitig von Wotan und Brünnhilde genutzt wird. Dass Fricka zunächst mit diesem Speer auftritt, um damit Wotan an seine Vertragsverletzung zu erinnern, mag ja noch nachvollziehbar sein. Ob sie dabei eine Seitenwand eintreten und mit einer großen Einkaufstüte auftreten muss, aus der sie ein sauberes Hemd und ein gelbes Sakko für ihren Mann entnimmt, ist Geschmackssache. Auch Brünnhildes albernes Spiel mit ihrem Holzpferdchen trifft nicht das Komikzentrum eines jeden Zuschauers, obwohl der eine oder andere im Publikum durchaus sein Amüsement bekundet, wenn der Pferdekopf im Gespräch zwischen Wotan und seiner Frau durch die eingetretene Wand lugt. Interessant eingesetzt hingegen wird ein Podest, das auf- und abgefahren kann und auf dem sich zunächst Wotan befindet und mit großen Fotos und Zeichnungen seinen Plan verfolgt, mit Hilfe Siegmunds wieder in den Besitz des Rings zu gelangen. Im Streit mit Fricka wird dieses Podest herabgefahren und Fricka fährt empor. Jetzt hat sie die Oberhand, und Wotan muss sich ihrem Willen beugen. Erst wenn er der Walküre den Befehl gibt, nicht für Siegmund zu streiten, befindet sich Wotan erneut oben auf dem Podest und fährt erst dann herab, wenn er seiner Tochter erklärt, dass es keinen Ausweg für die Götter mehr gebe und er sich das Ende herbeisehne. Für den zweiten Teil des zweiten Aufzugs wird dann die Rückwand in den Schnürboden gezogen, und der Blick wird frei auf die zahlreichen Autoreifen, die bereits im ersten Aufzug hinter Hundings Hütte zu sehen waren. Welche Bedeutung diesen Autoreifen zukommen, ist fraglich. Wahrscheinlich sollen sie wie der Plastikmüll im Rheingold die Reste einer zum Untergang verdammten Gesellschaft symbolisieren. Wieso das Podest nicht mit der Wand in den Schnürboden gezogen wird, sondern auf der Bühne bleibt, ist unverständlich, zumal Brünnhilde es nicht zur Todverkündungsszene nutzt. Das hellbraune Ledersofa, das sich noch aus Walhall auf der rechten Bühnenseite befindet, wirkt ebenfalls etwas störend, zumal es der Szene die Dramatik nimmt, wenn sich das Wälsungenpaar erschöpft darauf niederlässt.

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Brünnhilde (Rachael Tovey, Mitte) erscheint Siegmund (Vincent Wolfsteiner, mit Ekaterina Godovanets als schlafende Sieglinde).

Der Kampf wird dann über Videoeinspielung ausgetragen, was im Ansatz nicht schlecht ist. Wieso allerdings Hunding und Siegmund dabei statisch im Hintergrund stehen, zumal sie eh mit Hall verstärkt singen, ist nicht nachvollziehbar. Auch Wotans Eingreifen in den Kampf wird szenisch verschenkt. Spätestens an dieser Stelle wird nicht mehr klar, wem der Speer denn jetzt eigentlich gehört: Brünnhilde, um Siegmund zu schützen, oder Wotan, um Siegmund den Sieg zu nehmen. Die Schwerttrümmer liegen dann völlig unmotiviert hinter dem Sofa, wo der Kampf überhaupt nicht stattgefunden hat. Doch auch hier entschädigt die musikalische Umsetzung für die szenischen Ungereimtheiten. Antonio Yang, der im Rheingold als Alberich glänzte, ist nun in die Rolle Wotans geschlüpft und stattet die Partie mit markanten Tiefen und großartiger Textverständlichkeit aus. Auch darstellerisch gibt er dem Göttervater tragische Züge. Roswitha Christina Müller ist die einzige Solistin, die erneut die Partie interpretiert, die sie bereits im Rheingold gesungen hat. Mit voluminösem Mezzo macht sie ihre Ansprüche geltend und geht als Siegerin aus ihrer Auseinandersetzung mit ihrem Gatten hervor. Rachael Tovey verfügt als Brünnhilde über einen durchschlagenden dramatischen Sopran, der bisweilen zu einem leicht übertriebenen Vibrato neigt. Dass sie mit ihrem Holzpferdchen ein wenig albern wirkt, ist sicherlich Schmiedleitners Personenregie und nicht ihrem Spiel anzulasten.

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Wotan (Antonio Yang) mit den Walküren (von links: Leila Pfister, Michaela Maria Mayer, Hrachuhí Bassénz, Joanna Limanska-Pajak, Gunta Cēse, Christiane Marie Riedl und Leah Gordon, im Hintergrund links: Brünnhilde (Rachael Tovey))

Für die Walküren im dritten Aufzug kreiert Alfred Mayerhofer ein recht kriegerisches Outfit mit Lederlook und teilweise blutverschmierten Hälsen. Dass Brünnhilde in ihrem langen roten Ledermantel völlig anders aussieht, erschließt sich erst, wenn Wotan seine Lieblingstochter verflucht und ihr den roten Mantel nimmt. Erst jetzt ziehen auch die anderen Walküren einen langen roten Ledermantel an und scheinen nun die Aufgabe zu haben, die Lücke zu füllen, die Brünnhildes Scheiden aus Walhall hinterlassen wird. Wieso allerdings während des Walkürenritts Kindersoldaten in Käfigen in der Luft hängen, die sich quasi im Takt nach oben und unten bewegen, bleibt ebenso unverständlich wie das große Plakat mit der Aufschrift "Wir rufen dich!" im Hintergrund, das in der Zeichnung an ein Zwischending zwischen Heimatfilm und Fantasy-Spektakel erinnert. Ist das die "Werbung", mit der die Walküren als verführerische Frauen, dem Helden auf dem Plakat ein ruhmreiches Leben als Kämpfer in Walhall versprechen? Stimmlich begeistern auch die acht Walküren-Solistinnen mit kräftigen "Hojotoho"-Rufen und großer Textverständlichkeit. Für den Feuerzauber legt sich dann Brünnhilde vor dieses Filmplakat, während aus dem Bühnenboden das Feuer emporlodert. Ist das Plakat vielleicht jetzt vielmehr der Ruf nach dem kommenden Helden Siegfried? Während man noch darüber rätseln mag, kommt Schmiedleitner direkt mit dem nächsten verwirrenden Einfall. Während der letzten Klänge tritt eine kleine Walküre im roten Ledermantel auf und führt Wotan von der Bühne. Ist dies das Zeichen, dass Wotan seine Macht nun endgültig an die kommende Generation abgegeben hat, was ja eigentlich erst im Siegfried geschieht, wenn sein Speer an Siegfrieds neu geschmiedetem Schwert zerbricht?

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Feuerzauber mit Filmplakat: Brünnhilde (Rachael Tovey)

Das großartige Ensemble wird von der hervorragend aufspielenden Staatsphilharmonie Nürnberg unter der Leitung von GMD Marcus Bosch unterstützt, der, wie schon bereits im Rheingold, zügig durch die Partitur führt und das häufig zu beobachtende traditionelle Schwelgen in einzelnen Passagen vermeidet. So entwickelt sich dieser Abend zu einem musikalischen Hochgenuss, der vom Publikum mit frenetischem Applaus gefeiert wird. Auch das Regie-Team wird mit lautstarken Beifallsbekundungen aufgenommen, wobei einzelne Buhrufe in der allgemeinen Begeisterung untergehen.

FAZIT

Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar ist, bürstet Schmiedleitner das Stück nicht gegen den Strich, so dass man ihm gerade auch mit Blick auf die musikalische Ausgestaltung einzelne unverständliche Regie-Einfälle gerne nachsieht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Georg Schmiedleitner

Bühne
Stefan Brandtmayr

Kostüme
Alfred Mayerhofer

Licht
Olaf Lundt

Video
Boris Brinkmann
Stefan Brandtmayr (Animation)

Dramaturgie
Kai Weßler


Statisterie Staatstheater
Nürnberg

Staatsphilharmonie Nürnberg

Stierhorn
Michael Wolkober


Solisten

Siegmund
Vincent Wolfsteiner

Hunding
Randall Jakobsh

Wotan
Antonio Yang

Sieglinde
Ekaterina Godovanets

Brünnhilde
Rachael Tovey

Fricka
Roswitha Christina Müller

Gerhilde
Leah Gordon

Ortlinde
Hrachuhí Bassénz

Waltraute
Leila Pfister

Schwertleite
Judita Nagyová

Helmwige
Michaela Maria Mayer

Siegrune
Gunta C
ēse

Grimgerde
Joanna Limanska-Pajak

Roßweiße
Christiane Marie Riedl


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