Feuerzauber vor Filmplakat
Von Thomas Molke
/
Fotos von Ludwig Olah
Von den vier Teilen des Rings
dürfte wohl die Walküre am ehesten ein "Eigenleben" führen, so dass sie
bisweilen auch schon einmal außerhalb der kompletten Tetralogie auf die Bühne
gebracht wird. Dies mag zum einen am dramaturgischen Aufbau des Werkes liegen,
in dem die Liebe des Wälsungenpaars Siegmund und Sieglinde eine Innigkeit
erreicht, die keinem anderen Paar in Wagners Musikdramen zuteil wird, selbst
wenn es sich dabei um ein inzestuöses und damit illegitimes Verhältnis handelt.
Des Weiteren wird in keinem anderen Stück der persönliche Schmerz und die Tragik
der Figuren so spürbar wie hier, ob man nun das Wälsungenpaar betrachtet, das
mit Ausnahme eines ganz kurzen Momentes des Glücks, in dem der künftige Held
Siegfried gezeugt wird, nur Leid und Verfolgung erfährt, oder den Göttervater
Wotan, der am Ende nicht nur erkennen muss, dass der Untergang der Götter nicht
mehr aufzuhalten ist, sondern auch noch mit Brünnhilde sein liebstes Kind opfert
und fortan als Wanderer die Welt durchstreift. Zum anderen übertrifft sich
Wagner mit der musikalischen Umsetzung der Emotionen regelrecht selbst, was dazu
geführt hat, dass einzelne Passagen wie der Walkürenritt aus dem dritten
Aufzug oder Siegmunds "Winterstürme wichen dem Wonnemond" aus dem ersten Aufzug
Eingang in zahlreiche Galakonzerte gefunden haben. In Nürnberg präsentiert das
Regie-Team um Georg Schmiedleitner nach dem großen Erfolg des Rheingolds (siehe auch
unsere Rezension) diesen "Ersten Tag" im
Rahmen des gesamten Zyklus, der bis Oktober 2016 im Staatstheater auf die Bühne
gebracht wird, und bleibt dabei im Großen und Ganzen der im Rheingold
begonnenen "Vermenschlichung" der Geschichte treu, auch wenn die leicht
unverständlichen Regie-Mätzchen etwas zunehmen.
"Winterstürme wichen dem Wonnemond": Sieglinde (Ekaterina
Godovanets) und Siegmund (Vincent Wolfsteiner) Bereits für
das Vorspiel haben Boris Brinkmann und Stefan Brandtmayr eine Video-Animation
entworfen, die auf Hundings zweistöckige Hütte geworfen wird und eine
Großaufnahme von Wotans Gesicht zeigt, wobei immer näher an das eigentlich
fehlende Auge herangezoomt wird, in dem sich Kriegsbilder spiegeln, die wohl für
Siegmunds Flucht stehen. Dass man diese Bilder durch das "fehlende" Auge sieht,
ist im Ansatz gar nicht mal so schlecht, da Wotan dieses Auge ja geopfert hat,
um Weisheit zu erlangen. Hundings Hütte erinnert an ein vom Krieg zerstörtes
Haus, in dem nur noch die Grundmauern stehen. Dass Brandtmayr das Schlafzimmer
dabei in das Obergeschoss legt, ermöglicht dem Zuschauer auch wahrzunehmen, was
laut Libretto eigentlich hinter der Bühne passiert. Von der Esche, die mitten im
Raum steht, sind nur noch der im Rumpf befindliche Stamm und ein Teil erhalten,
der durch die Decke ins Obergeschoss führt, so dass Siegmund sich zum
Herausziehen des Schwertes, welches im oberen Teil steckt, gewissermaßen in den
Baum stellen kann. Das Leuchten des Schwertes erinnert dabei eher an eine Lampe,
die von oben herabstrahlt. Hundings Tätowierungen am ganzen Körper sind zwar
nicht schön, lassen ihn aber wie einen zu fürchtenden kriegerischen
Stammesfürsten erscheinen. Ob er allerdings mit einem großen Stierkopf auftreten
muss, mit dem er an einen Minotaurus erinnert und bereits vor seinem Erscheinen
durch ein Fenster schaut, bleibt diskutabel, zumal damit der Situation durch
eine gewisse Komik die Bedrohlichkeit genommen wird. Auch das Dosenbier als
"labender Trank" und das blutrote Fleisch, das Sieglinde im Schnellkochtopf
zubereitet, sind eher unnötige Regiebeigaben. Musikalisch
hingegen lässt dieser erste Aufzug keine Wünsche offen. Vincent Wolfsteiner
begeistert als Siegmund mit einem kräftigen Heldentenor, der mit seinen
eindringlichen "Wälse"-Rufen dem Zuhörer den Atem stocken lässt und im berühmten
"Winterstürme wichen dem Wonnemond" zu einer regelrecht lyrischen Innigkeit
findet. Zum Ende des ersten Aufzugs hat man allerdings das Gefühl, dass er sich
mit seinem stimmlichen Einsatz ein wenig übernommen hat und der Pause
entgegenfiebert, um neue Kräfte zu sammeln. Ekaterina Godovanets glänzt als
Sieglinde mit strahlenden Höhen und eindringlicher Darstellung. Dass das
Wälsungenpaar mit Ensemble-Mitgliedern besetzt werden kann, spricht für die hohe
künstlerische Qualität des Hauses. Randall Jakobsh wechselt vom Göttervater
Wotan im Rheingold zu Hunding, was seinem dunklen Bass mit der markanten
Schwärze sehr entgegenkommt.
Streit zwischen Fricka (Roswitha Christina
Müller) und Wotan (Antonio Yang) Beim zweiten Aufzug stellt man
sich die Frage, ob dem Staatstheater eventuell die Requisiten
ausgegangen sind. So gibt es nur einen einzigen Speer, der gleichzeitig von
Wotan und Brünnhilde genutzt wird. Dass Fricka zunächst mit diesem Speer
auftritt, um damit Wotan an seine Vertragsverletzung zu erinnern, mag ja noch
nachvollziehbar sein. Ob sie dabei eine Seitenwand eintreten und mit einer
großen Einkaufstüte auftreten muss, aus der sie ein sauberes Hemd und ein gelbes
Sakko für ihren Mann entnimmt, ist Geschmackssache. Auch Brünnhildes albernes
Spiel mit ihrem Holzpferdchen trifft nicht das Komikzentrum eines jeden
Zuschauers, obwohl der eine oder andere im Publikum durchaus sein Amüsement
bekundet, wenn der Pferdekopf im Gespräch zwischen Wotan und seiner Frau durch
die eingetretene Wand lugt. Interessant eingesetzt hingegen wird ein Podest, das
auf- und abgefahren kann und auf dem sich zunächst Wotan befindet und mit großen
Fotos und Zeichnungen seinen Plan verfolgt, mit Hilfe Siegmunds wieder in den
Besitz des Rings zu gelangen. Im Streit mit Fricka wird dieses Podest
herabgefahren und Fricka fährt empor. Jetzt hat sie die Oberhand, und Wotan muss
sich ihrem Willen beugen. Erst wenn er der Walküre den Befehl gibt, nicht für
Siegmund zu streiten, befindet sich Wotan erneut oben auf dem Podest und fährt
erst dann herab, wenn er seiner Tochter erklärt, dass es keinen Ausweg für die
Götter mehr gebe und er sich das Ende herbeisehne. Für den zweiten Teil des
zweiten Aufzugs wird dann die Rückwand in den Schnürboden gezogen, und der Blick
wird frei auf die zahlreichen Autoreifen, die bereits im ersten Aufzug hinter
Hundings Hütte zu sehen waren. Welche Bedeutung diesen Autoreifen zukommen, ist
fraglich. Wahrscheinlich sollen sie wie der Plastikmüll im Rheingold die
Reste einer zum Untergang verdammten Gesellschaft symbolisieren. Wieso das
Podest nicht mit der Wand in den Schnürboden gezogen wird, sondern auf der Bühne
bleibt, ist unverständlich, zumal Brünnhilde es nicht zur Todverkündungsszene
nutzt. Das hellbraune Ledersofa, das sich noch aus Walhall auf der rechten
Bühnenseite befindet, wirkt ebenfalls etwas störend, zumal es der Szene die
Dramatik nimmt, wenn sich das Wälsungenpaar erschöpft darauf niederlässt.
Brünnhilde (Rachael Tovey, Mitte) erscheint
Siegmund (Vincent Wolfsteiner, mit Ekaterina Godovanets als schlafende
Sieglinde).
Der Kampf wird dann über Videoeinspielung ausgetragen, was im Ansatz nicht
schlecht ist. Wieso allerdings Hunding und Siegmund dabei statisch im
Hintergrund stehen, zumal sie eh mit Hall verstärkt singen, ist nicht
nachvollziehbar. Auch Wotans Eingreifen in den Kampf wird szenisch verschenkt.
Spätestens an dieser Stelle wird nicht mehr klar, wem der Speer denn jetzt
eigentlich gehört: Brünnhilde, um Siegmund zu schützen, oder Wotan, um Siegmund
den Sieg zu nehmen. Die Schwerttrümmer liegen dann völlig unmotiviert hinter dem
Sofa, wo der Kampf überhaupt nicht stattgefunden hat. Doch auch hier entschädigt
die musikalische Umsetzung für die szenischen Ungereimtheiten. Antonio Yang, der
im Rheingold als Alberich glänzte, ist nun in die Rolle Wotans geschlüpft
und stattet die Partie mit markanten Tiefen und großartiger Textverständlichkeit
aus. Auch darstellerisch gibt er dem Göttervater tragische Züge. Roswitha
Christina Müller ist die einzige Solistin, die erneut die Partie interpretiert,
die sie bereits im Rheingold gesungen hat. Mit voluminösem Mezzo macht
sie ihre Ansprüche geltend und geht als Siegerin aus ihrer Auseinandersetzung
mit ihrem Gatten hervor. Rachael Tovey verfügt als Brünnhilde über einen
durchschlagenden dramatischen Sopran, der bisweilen zu einem leicht
übertriebenen Vibrato neigt. Dass sie mit ihrem Holzpferdchen ein wenig albern
wirkt, ist sicherlich Schmiedleitners Personenregie und nicht ihrem Spiel
anzulasten.
Wotan (Antonio Yang) mit den Walküren (von links:
Leila Pfister, Michaela Maria Mayer, Hrachuhí Bassénz, Joanna Limanska-Pajak,
Gunta C ēse,
Christiane Marie Riedl und Leah Gordon, im Hintergrund links: Brünnhilde (Rachael
Tovey))Für die Walküren im dritten Aufzug
kreiert Alfred Mayerhofer ein recht kriegerisches Outfit mit Lederlook und
teilweise blutverschmierten Hälsen. Dass Brünnhilde in ihrem langen roten
Ledermantel völlig anders aussieht, erschließt sich erst, wenn Wotan seine
Lieblingstochter verflucht und ihr den roten Mantel nimmt. Erst jetzt ziehen
auch die anderen Walküren einen langen roten Ledermantel an und scheinen nun die
Aufgabe zu haben, die Lücke zu füllen, die Brünnhildes Scheiden aus Walhall
hinterlassen wird. Wieso allerdings während des Walkürenritts Kindersoldaten in
Käfigen in der Luft hängen, die sich quasi im Takt nach oben und unten bewegen,
bleibt ebenso unverständlich wie das große Plakat mit der Aufschrift "Wir rufen
dich!" im Hintergrund, das in der Zeichnung an ein Zwischending zwischen
Heimatfilm und Fantasy-Spektakel erinnert. Ist das die "Werbung", mit der die
Walküren als verführerische Frauen, dem Helden auf dem Plakat ein ruhmreiches
Leben als Kämpfer in Walhall versprechen? Stimmlich begeistern auch die acht
Walküren-Solistinnen mit kräftigen "Hojotoho"-Rufen und großer
Textverständlichkeit. Für den Feuerzauber legt sich dann Brünnhilde vor dieses
Filmplakat, während aus dem Bühnenboden das Feuer emporlodert. Ist das Plakat
vielleicht jetzt vielmehr der Ruf nach dem kommenden Helden Siegfried? Während
man noch darüber rätseln mag, kommt Schmiedleitner direkt mit dem nächsten
verwirrenden Einfall. Während der letzten Klänge tritt eine kleine Walküre im
roten Ledermantel auf und führt Wotan von der Bühne. Ist dies das Zeichen, dass
Wotan seine Macht nun endgültig an die kommende Generation abgegeben hat, was ja
eigentlich erst im Siegfried geschieht, wenn sein Speer an Siegfrieds neu
geschmiedetem Schwert zerbricht?
Feuerzauber mit Filmplakat: Brünnhilde (Rachael
Tovey) Das großartige
Ensemble wird von der hervorragend aufspielenden Staatsphilharmonie Nürnberg
unter der Leitung von GMD Marcus Bosch unterstützt, der, wie schon bereits im
Rheingold, zügig durch die Partitur führt und das häufig zu beobachtende
traditionelle Schwelgen in einzelnen Passagen vermeidet. So entwickelt sich
dieser Abend zu einem musikalischen Hochgenuss, der vom Publikum mit
frenetischem Applaus gefeiert wird. Auch das Regie-Team wird mit lautstarken
Beifallsbekundungen aufgenommen, wobei einzelne Buhrufe in der allgemeinen
Begeisterung untergehen.
FAZIT
Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar ist, bürstet Schmiedleitner das
Stück nicht gegen den Strich, so dass man ihm gerade auch mit Blick auf die
musikalische Ausgestaltung einzelne unverständliche Regie-Einfälle gerne
nachsieht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Marcus Bosch
Inszenierung
Georg Schmiedleitner
Bühne
Stefan Brandtmayr
Kostüme
Alfred Mayerhofer Licht
Olaf Lundt Video
Boris Brinkmann
Stefan Brandtmayr (Animation)
Dramaturgie
Kai Weßler
Statisterie Staatstheater
Nürnberg
Staatsphilharmonie Nürnberg
Stierhorn
Michael Wolkober
Solisten
Siegmund
Vincent Wolfsteiner
Hunding
Randall Jakobsh
Wotan
Antonio Yang
Sieglinde
Ekaterina Godovanets
Brünnhilde
Rachael Tovey
Fricka
Roswitha Christina Müller
Gerhilde
Leah Gordon
Ortlinde
Hrachuhí Bassénz
Waltraute
Leila Pfister
Schwertleite
Judita Nagyová
Helmwige
Michaela Maria Mayer
Siegrune
Gunta C ēse
Grimgerde
Joanna Limanska-Pajak
Roßweiße
Christiane Marie Riedl
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Staatstheater Nürnberg
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