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Von der Bedeutung sorgfältiger Aussprache
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Ich sehe Krähen in der Nähe, Rehe noch eher näher." Man stelle sich diesen Satz, mit dem das im Gossendialekt plappernde Prekariatsmädel Eliza Doolittle die korrekte Aussprache des h" üben soll, gesprochen vor von einem Sänger der 50er-Jahre, etwa dem jungen Dietrich Fischer-Dieskau. Der hätte jeden Buchstaben kunstvoll zelebriert, bis hin zum elegant gerollten r" der unbetonten letzten Silbe. Solcher Sprachsinn hat ihm den Vorwurf des Manierismus eingebracht, als Hochkultur und Hochsprache als elitär galten und Natürlichkeit angesagt war. Ob junge Sänger heute den Umgang mit Sprache auch noch ähnlich gewissenhaft lernen? Man darf zweifeln. Jedenfalls hätte man dieser Premiere von My Fair Lady etwas mehr manierierte Sprechkultur gewünscht. So bunt sieht das Londoner Prekarieat aus: Eliza (Mitte), umringt von Professor Higgins (mit Notizbuch) und Oberst Pickering
Dieser exzentrische Londoner Phonetikprofessor Henry Higgins, der mit seinen Unterrichts- und Erziehungsmethoden das ungehobelte Blumenmädchen Eliza hofballtauglich machen möchte, der müsste doch selbst ein bestechend elegantes, ein wenig artifizielles Idiom pflegen. Ein wenig so, wie das britischer Komiker vom Schlage eines John Cleese vermögen. Markus Heinrich spielt ihn als hyperaktiven Tyrannen, der nicht ganz ernst zu nehmen ist, leider ganz ohne englische Noblesse, die einen mitfühlen lassen könnte, immerhin als Dauergetriebener einigermaßen glaubwürdig in seiner Aggressivität. Aber dass dieser Herr die Sprache liebt? Eine Behauptung des Textbuches. Oder Oberst Pickering, noch so ein Sprachforscher, von Thomas Peters bräsig-gutmütig gegeben, auch der müsste sich doch in Betonung und Sprachmelodie irgendwie abheben. Eine Haushälterin mit starkem Akzent im Hause des Professors? Undenkbar, hier aber Realität Debra Hayes hat die nicht so sehr anspruchsvolle Rolle eigentlich nicht nötig, und eine Muttersprachlerin müsste sich am Theater doch wohl finden lassen. Elizas Vater Alfred muss natürlich keine Hochsprache beherrschen, den Text bis an die Grenze zur Unverständlichkeit vernuscheln müsste Haik Dèinyan aber auch nicht. Die High Society beim Pferderennen in Ascot dagegen sollte denkbar gepflegt kommunizieren vom Chor ist das schön gesungen, aber mit begrenzter Textverständlichkeit. Higgins' Mutter, eine echte Dame von Welt? Moment, die spricht tatsächlich so, wie man sich das wünscht, nämlich kunstvoll, nuanciert und mit Zwischentönen. Den anderen möchte man doch zu Sprachübungen raten in der Art Ich sehe Krähen " Die Wette beginnt: Higgins (links) will Eliza phonetisch hoffähig machen. Pickering bleibt skeptisch.
Nun gut, Johanna Lindinger ist Schauspielerin, die anderen Genannten sind Opernsänger, und dafür machen sie ihre Sache ganz akzeptabel. Aber ausgerechnet mit dem Gesang hapert's, und das kann (auch) an der Technik liegen: Mikrophonverstärkt klingt es doch arg matt aus den Lautsprechern, deren müder Klang kaum eine räumliche Trennung der Stimmen zulässt. Zudem wird wie mit angezogener Handbremse gesungen, als ob man der Technik nicht trauen könne (kann man womöglich wirklich nicht). Was müssen das für paradiesische Zeiten gewesen sein, als ein Stadttheaterensemble noch Operette und Musical unplugged darbot! Raphael Bruck als Elizas zögerlicher Verehrer Freddy Eynsford-Hill ist der einzige, der über die dürftige Technik hinweg singt und 'mal ordentlich loslegt. Hier sind weitere Übungen erforderlich: Eliza leistet sich eine Entgleisung beim Pferderennen in Ascot.
Der Eliza von Gabriela Kuhn dagegen hilft an diesem Abend auch keine Technik, Sprech- wie Singstimme klingen allzu schnell angestrengt. Den (entfernt berlinerischen) Dialekt hat sie brav einstudiert, Regie (Roland Hüve) und Ausstattung (Okarina Peter und Timo Dentler) haben ihr jegliche mädchenhafte Ausstrahlung ausgetrieben - und dem ganzen Stück den allermeisten Witz und fast alle ironische Schärfe. Ein angedeutetes Varieté-Theater auf der Bühne in einschlägigen Reguiehandbüchern findet man das sicher als probate Schutzvorrichtung gegen allzu abstruse Textbücher, die man so augenzwinkernd demonstrativ in den Bereich des Unterhaltungstheaters abschieben kann. Aber My Fair Lady ist weder Revueoperette noch von besonders abstrusem Inhalt, warum dann diese Verortung im Varieté? Das schwächt unnötig den Kontrast der konkurrierenden Milieus ab, um den es doch geht. Ansonsten wird unaufgeregt und überraschungsarm inszeniert, was die Story so verlangt. Dabei gerät die Welt der Unterprivilegierten arg bunt, und Ballettdirektor Robert North choreographiert sein Trüppchen von sechs Tänzerinnen und Tänzern reichlich bieder vor dieser geradezu folkloristischen Kulisse. Vorbei: Higgins hat seine Wette gewonnen und Eliza (rechts) verloren. Die findet Verständnis bei Mrs. Higgins, der Mutter des Professors.
Die Produktion macht also nicht viel wirklich richtig, aber das meiste auch nicht völlig falsch (nur eben ziemlich mittelmäßig), und im Notfall trägt das Stück sich eben selbst. Zum Glück sind da noch die bestens aufgelegten Niederrheinischen Sinfoniker, die unter der Leitung von Andreas Fellner alles an die Wand spielen ein bisschen laut vielleicht, aber eigentlich sollten die oben auf der Bühne doch mit Mikro und Lautsprecher mithalten können. Und dass Frederick Loewe in fast jeder Nummer zündende Gute-Laune-Musik geschrieben hat, hilft über manche verlorene Pointe hinweg.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Eliza Doolittle
Professor Henry Higgins
Alfred P. Doolittle
Freddy Eynsford-Hill
Oberst Pickering
Mrs. Pearce
Mrs. Higgins
Mrs. Eynsford-Hill
Harry
Jamie
Ballettensemble
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