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Mutterschaft
und Krieg
Von Bernd
Stopka /
Fotos von N. Klinger
Vor 100 Jahren brach der erste
Weltkrieg
aus. Während die Welt
in der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts in ihren Grundfesten
erschüttert
wurde, philosophieren Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss in Die Frau ohne Schatten märchenhaft über
Beziehungskrisen, Standesunterschiede und Mutterschaft.
Ähnlich
aus der Welt gehoben hat
Strauss später während des Zweiten Weltkriegs mit Clemens
Krauss in Capriccio über Musik und Theater im
Allgemeinen und die Vorrangstellung von Wort oder Musik im Besonderen
sinniert.
Ob es sinnvoll ist oder weiterbringt,
die Weltgeschichte zur Entstehungszeit in eine szenische Umsetzung
einzubeziehen, ist bei beiden Werken fraglich. Dass dadurch – über
einen
geschichtlichen Hinweis hinaus – eine Vertiefung oder Erhellung des
Inhalts bewirkt
wird, zeigt sich auch in der Neuproduktion der Frau ohne
Schatten in Kassel
nicht, aber Regisseur Michael Schulz bürstet die Geschichte auch
nicht gegen
den Strich, sondern hat sie mit Bühnenbildner Dirk Becker und
Kostümbildnerin
Renée Listerdal in nachvollziehbare, den jeweiligen Situationen
entsprechende
Bilder übertragen.
Marc-Ollivier Oetterli (Geisterbote), Opernchor,
Extrachor und Kinderchor
Zu Beginn bleiben die optischen
Eindrücke zeitlos abstrakt.
Die Amme schreitet in beherrschter Ungeduld das Proszenium ab, bevor
der
geheimbündlerisch wirkende Geisterbote erscheint. Ein zeltartig
wirkendes
Gemach beherbergt Kaiserin und Kaiser. Mit Schinkels
Sternenhimmel aus seinen Bühnenbildern zu
Mozarts Zauberflöte entsteht ein
ästhetischer
Verweis auf die von Hofmannsthal selbst bezeichnete Parallele (zwei
Paare
unterschiedlichen Standes, Prüfungen, Kinder…). Ein dem Publikum
Assoziationen
anbietender, aber nicht aufdringlicher, obendrein wunderschöner
und damit
geradezu genialer Einfall. Der Kaiser als Feldherr mit drei dicken,
alten Generälen als
Begleiter und der Falke als in rotem Leder gekleideter, abgeschossener
Jagdflieger führen uns in konkretere Zeiten und wenn die Amme die
Kaiserin
hinab zu den ihr so widerlichen Menschen führt, geraten sie in die Mobilmachung. Für sie bedeutet „zu den
Menschen“ ähnliches wie „in den
Krieg“.
Pickelhauben, Reichskriegflaggen und in Sütterlin geschriebene
Schilder „Es
lebe der Krieg“, „Jeder Stoß ein Franzos“ und „Auf zum
Preisschießen“
beschreiben nun ganz konkret den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Über dem
Volk, auf einer Art Galerie steht der Geisterbote mit einem Jungen und
einem
Mädchen, Flugblätter fallen, man denkt an die Geschwister
Scholl (ein Hinweis
auf dem Zweiten Weltkrieg?). Doch auf den Allgemeinen Jubel folgt
Ernüchterung
und Erschütterung, wenn Baraks Brüder als Verwundete Soldaten heimkehren.
Barak betreibt in einer gläsernen
Fabrikhalle eine
Wäscherei, Reinigung, Ausbesserungswerkstatt für
Soldatenuniformen oder
ähnliches und begrüßt seine heimgekehrten Brüder
sehr herzlich – im Gegensatz
zur gesungenen Arbeitsaufforderung. Die Färberin arbeitet emsig
mit, trägt
dazu eine viel zu schicke, aber ihren höheren Ambitionen
entsprechende Bluse. Sehr
eindrucksvoll und bewegend zeigt die Personenregie ihre Zerrissenheit.
Sie
möchte Barak so gern lieben, aber sie
kann nicht. Eine flüchtige Berührung ist alles, aber nicht
genug und sie leidet
darunter ebenso stark wie er – es drückt sich nur anders aus. Amme und Kaiserin tragen
Bediensteten-Schürzen. Die Erscheinung
des Jünglings, ein Gigolo im weißen Anzug, wird von
weißen Schleiern und einer
elfenhaften Abordnung von Damen aus den goldenen Zwanzigern eskortiert.
Im
Stile eines Grand Hotels wird der Kaiserin das Abendessen (die Fische)
zu den
Stimmen der Ungeborenen serviert. Das Tauschangebot der Amme für
den Schatten
bezieht sich nicht nur auf einen schönen jungen Mann, sondern auf
ein gänzlich
anderes Leben – in diesem Falle auch in einer friedlichen,
luxuriösen
Nachkriegszeit. Doch der Jüngling verblutet in den Armen der
Kaiserin. Barak
kehrt heim, ihm schmeckt das Essen nicht, aber er wundert sich nicht
einmal
über den vornehm gedeckten Tisch. Zur zweiten Strophe der
Wächter betritt ein
Zug von vom Giftgas erblindeter Verwundeter Baraks Haus. Sie werden
aufopferungsvoll aufgenommen und versorgt, von Barak, den Brüdern
und auch von
der Färberin. Ganz in der Tradition der Familie
„Unser waren dreizehn Kinder, aber für jeden Armen, der kam,
standen die Schüsseln und dampften von Fett!“
Ray M. Wade Jr. (Kaiser) und Lin Lin
Fan (Falke)
Aus Baraks Haus ist ein Lazarett geworden.
An
den Händen des
nun puppenhaft erscheinenden Jünglings
klebt Blut. Das üppige Schlemmerfest findet hier sein
bedrückend adäquates Bild
im festlichsten Moment, der im Krieg möglich erscheint: Mit der
Familie,
Kindern der Nachbarschaft, Verwundeten und Krankenschwester feiert man
Kriegsweihnacht. Der kahle Weihnachtsbaum wird notdürftig mit den
Orden der
Verwundeten geschmückt. Kinder spielen Krieg und ein dabei
entstehendes Bild
erinnert stark an das Foto des kleinen Jungen mit erhobenen Händen
aus dem Warschauer
Ghetto. Das könnte eine weitere (s. o.) Anspielung auf den Zweiten
Weltkrieg
sein. Nun erfolgt kein Szenenwechsel zum Falknerhaus. Das Cellosolo des
Zwischenspiels wird als Weihnachtsständchen für die
Verwundeten vom
Jüngling-Gigolo gespielt dargestellt. Der Kaiser betrachtet die
Szene zunächst
nur von der Galerie aus, betritt dann das Lazarett zusammen mit dem
Falken, dem
er, nachdem er seine Gattin nicht töten kann, sein Messer in die
Brust stößt. Aus
dem Orchester wird ihm musikalisch unmittelbar die Strafe dafür
verheißen „Er
wird zu Stein“. Mit steinernem Herzen exekutiert er vier Zivilisten
blutspritzend hinter der Glaswand während die Kaiserin entsetzt
zuschaut.
Spätestens hier wird ihr die Erlösungsbedürftigkeit des
Kaisers schmerzhaft in
ihrer Dringlichkeit bewusst.
„Es dunkelt“ singt Barak, aber es dunkelt
gar nicht. Die
Androhung, ihren Schatten zu verkaufen und Barak nie Kinder zu
gebären,
bekräftigt die Färberin mit Schlägen auf Baraks
Rücken, was den grausamen
Worten, die Barak tiefer verletzten, als jede körperliche Gewalt
es könnte, ein
Stück ihres Schreckens nimmt. Mit dem Bajonett des Gewehres, das
ihm die Amme
reicht, will Barak seine Frau töten. Doch, und das wird
ausgesprochen eindrucksvoll
dargestellt, nun sieht die Färberin in ihrem Mann den echten Kerl,
den sie sich
so sehr wünscht, nicht den immer liebevoll verständnisvollen,
immer verzeihenden
und sie dabei nie wirklich ernst nehmenden, sanftmütigen Trottel.
Das nun
folgende Katastrophenszenario wird mit dem vielleicht grausamsten
Element der
massenvernichtenden Menschenverachtung des Ersten Weltkrieges
dargestellt: Soldaten
des Kaisers überfallen das Haus, töten die Brüder und
töten alles verbleibende
Leben durch einen Giftgasangriff. Hier handelt es sich also um keine
vernichtende
Naturkatastrophe, keine Rache der Natur, sondern die Rache des Kaisers
an der
Welt des Färbers, die ihm vermeintlich die edle Gattin beschmutzt
hat.
Vida
Mikneviciute
(Kaiserin),
Chor, Kinderchor
Barak und seine
Frau finden sich in einem Saal mit Stühlen
und Tischen wieder, zu dem ihre Behausung nun geworden ist. Rechts und
links
vorn an der Rampe, je an einem Tisch sitzend und sehnsuchtsvoll
singend. Dass
die Färberin unter den Tisch kriecht – wogegen die Kaiserin sich
später auf
einem Tisch stehend von der Amme lossagt – wirkt ein bisschen
überdeutlich. Auch, dass der Geisterbote einen Brief aufisst, den
Barak seiner Frau schreibt. An einem repräsentativen Schreibtisch im Hintergrund
sitzt der Kaiser mit Dokumenten (Todesurteile, Kriegmeldungen…?). „Sie kommen“
meint hier Frauen, Kinder und Soldaten, die den Kaiser mit ihren Uniformmänteln
geradezu begraben (versteinern?). Sie tragen Bilder von Toten oder Vermissten.
Der Amme wird das Ganze zu bunt, sie will Feierabend machen
und stellt die Stühle hoch – die der Geisterbote wieder
herunterstellt und
dabei auch den Brief der Färberin an Barak in den Mund stopft. Ein
theatralischer Effekt ohne sonderlichen Nährwert und nur ein
schwacher Ersatz
für die eigentlich letzte Bosheit der alle Fäden ziehenden
Amme gegen die
Färbersleute, die deren Zusammenkommen zu verhindern sucht, in dem
sie ihnen
verschiedene Richtungen weist. Ausgewiesen aus der Geisterwelt wird sie
von
einer Menschentraube geradezu eingesaugt. Auffordernd, bittend, ja
geradezu
anklagend wenden sich Frauen und Kinder an die Kaiserin wie an eine
Heilsbotin,
die sie um Erlösung anflehen. Das Wasser des Lebens wird ihr aus
einer hohen
schlanken Amphore eingeschenkt, aber sie trinkt nicht, wird nicht auf
Kosten
anderer Menschen zum Menschen, sondern durch ihr Mitgefühl, ihre
Rücksichtnahme, dadurch, dass sie sich selbst zurücknimmt und
den Färbersleuten
ihr Glück lässt. Mit diesen Eigenschaften wird sie menschlich
und der
Mutterschaft fähig, nicht durch einen Handel um den Schatten einer
anderen Frau.
Zum
glücklichen Finale finden sich beide Paare
gleichberechtigt an einer langen Tafel mit leeren Bierhumpen wieder.
Wie eine
Anklage umranden Fotos der Vermissten die Szene. Zum Jubelgesang
erscheinen
ernste, ja traurig blickende Kinder und scharen sich um die beiden
Paare, die
dann ob des Umfangs des Kindersegens doch mehr erschreckt als
beglückt sind. (Das
erinnert mich an August Everdings Zauberflöten-Inszenierungen in
denen sich zum
Papageno-Papagena-Duett viele kleine Papagenos und
Papagenas hinter dem Paar sammeln und der
künftige Vater vor Schreck umfällt, als er sich umdreht. Auch
das könnte ein
Hinweis auf die Parallelen beider Werke sein). Ein düsterer Mann mit
einem Militaristen als Begleiter
beobachtet die Szene. Keikobad?
GMD Patrick Ringborg präsentiert eine
sehr individuelle
Sichtweise der Partitur. Mit gemäßigten Tempi und stark
gedrosseltem
Klangvolumen klingt das Orchester über weite Strecken geradezu
kammermusikalisch transparent, wie mit dem Seziermesser dirigiert,
manchmal gar
wie buchstabiert. Aber eben auch oft spröde und zerfallend, ohne
die großen
verbindenden Bögen, ohne das Bezwingende und Mitreißende der
Musik, das den
lebhaften Kontrast zu den dezenter orchestrierten Passagen bildet. Zu
üppigen
und schwelgerischen Klängen findet er erst im dritten Akt. Das mag
Programm und
beabsichtige Steigerung sein, vielleicht ist mit dieser
Zurückhaltung auch
eine Schonung der Sänger beabsichtigt. Der Partitur bleibt er
damit aber doch
einiges schuldig. Mit den Strichen kann man da besser leben. Das
Orchester
folgt seinem Dirigenten mit hoher Konzentration, ebenso Chor und
Kinderchor,
der zur besseren Klangfülle gern von einigen Frauenstimmen
unterstützt werden
dürfte. Ein musikalisches
Koordinationsproblem während des Fischebratens mag der
Premiereinspannung
zuzuschreiben sein.
Als bösartige, ihren wilden
Gefühlen freien Lauf lassende
und sich wenig verstellende Gouvernante beherrscht Ulrike Schneider mit
großer
Bühnenpräsenz und Schauspielkunst in der Rolle der Amme das
Geschehen. Diese
Darstellung der Figur kommt ihr auch stimmlich entgegen, lässt
aber das
dämonisch Verführerische und hinterlistig Schmeichelhafte
eher vermissen. Espen
Fegran lässt als Barak seinen großen Bariton warm und voll
und an den
entsprechenden Stellen mit balsamischer Zärtlichkeit strömen.
Schade, dass seine
Reserven für einen stimmkräftigen Schlussjubelgesang in der
Premiere nicht mehr
ganz reichten. Stephanie Friede gibt sich den ungezügelten
Emotionen der
Färberin auch stimmlich ausgiebig hin und schont weder sich noch
ihre Stimme in
dieser anspruchsvollen Partie. Sowohl Vida Mikneviciute als Kaiserin
als auch Ray
M. Wade Jr. als Kaiser starten in ihren ersten Szenen etwas zu
leidenschaftlich
ungestüm und stimmlich nicht ganz kontrolliert, aber ebenso
gleichermaßen
steigern sie sich im weiteren Verlauf der Aufführung zu
großartigen Leistungen.
Selten hört man die Kaiserin so innig, so leidenschaftlich mit so
voll
blühendem, großem aber doch nicht erschlagendem Sopran
gesungen. Das
ausgeprägte Vibrato mag dabei Geschmackssache
sein. Auch Ray M. Wade Jr. findet nach
seinem ersten
Auftritt zu hoher Stimmkultur, besticht mit tenoralem Glanz,
Strahlkraft, aber
auch zarten, doch nie schwachen Tönen. Wunderschön zart und
engelsgleich singt
LinLin Fan den Falken, Anna Nesyba lässt bezaubernd
als
Hüter der Schwelle aufhorchen. Die Produktion verbindet den 150. Geburtstag von Richard Strauss mit dem 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und der Tatsache, dass Die Frau ohne Schatten in diesen Kriegsjahren entstanden ist. Die szenische Verlegung in die Zeit der Entstehung ist nicht neu, nicht bezwingend überzeugend, aber auch nicht störend. Auch, weil die Personenregie den Kern der Geschichte, die Beziehungen und seelischen Konflikte intensiv herausarbeitet. Musikalisch ist Ungewöhnliches und Eigenwilliges zu hören, aber spannend ist es allemal. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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