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Musiktheater
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Musik

»I make hits motherfucker«
Musik von Michael Langemann
Text von Helene Hegemann
Konzept von Janine Ortiz nach Frank Wedekinds Musik


in deutscher und englischer Sprache, teilweise mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Mit Unterstürtzung des Fonds experimentelles Musikthetare FEXM
Uraufführung im Palladium Köln-Mülheim am 7. Dezember 2013


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Wenn der Herr Professor wieder wach ist, dann fickt er die Gesangsstudentin

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Wenn es einen Dramatikerhimmel gibt, von dem aus sich auf unser heutiges Kulturleben hinabblicken lässt, dann wird an diesem Premierenabend der Bühnenschriftsteller und Dichter Frank Wedekind die Uraufführung des sehr multimedialen Theaterstücks Musik verfolgt haben, fußt es doch auf seinem wohl zu Recht vergessenen gleichnamigem Drama aus dem lange vergangenen Jahre 1908, worin eine Gesangsstudentin eine Liebesaffäre mit ihrem Professor eingeht und darob am Leben scheitert. Der Dichter wird sich erinnert haben, dass er dereinst beschloss, die Musik möge zwar den Titel geben, aber es dürfe keinesfalls eine solche dazu gespielt werden, Musik bleibe also ebenso allgegenwärtig wie unhörbar . Und wenn er nun mehr als ein Jahrhundert später die neu dazu gefundenen Töne des Komponisten Michael Langemann (geboren 1983) hört, dann wird er sich mit einem Lächeln der Genugtuung auf den Lippen sagen: Mein Verzicht auf echte Musik damals, der war gut so.

Szenenfoto

Hinter der Projektion der Gesangsschülerin Klara verschwindet Professorengattin Else, Seitensprünge ihres Ehemannes liberal ignorierend.

Man muss zur Ehrenrettung Langemanns sagen, dass es nicht ausschließlich an seiner durch alle Stilrichtungen, vornehmlich aber die Spätestromantik irrlichternden (darin immer noch spannender als in den uninspirierten „modernen“ Passagen) und ausgesprochen zitier- und paraphrasierfreudigen Musik liegt, dass diese Uraufführung so völlig belanglos vor sich hin plätschert. Aber die Komposition kann eben auch nie rechtferigen, warum sie eigentlich notwendig ist. In den besseren Momenten dient sie als austauschbare Hintergrundmusik, in den schlechteren hält sie die Handlung unnötig auf. Auch das selbstgesteckte Ziel, verschiedenste Stilebenen zu verbinden, verfehlt Langemann. Fast immer klingen die Übergänge bemüht und konstrtuiert, die im Programmheft hochtraberisch gerühmten Ausflüge in R'n'B und Dancefloor bleiben zahnlos. Zur Liebesszene das Duett aus dem zweiten Akt von Tristan und Isolde weichzuspülen oder der von ihrem Gesangslehrer verlassenen Sängerin Klara die Musik der ebenfalls sitzen gelassene Tannhäuser-Venus in den Mund zu legen, das ist mehr bildungsbürgerliche Angeberei als aufführenswerte Kunst. Das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Walter Kobèra trägt's mit routinierter Fassung.

Szenenfoto

Sex auf dem Flügel: Josef und Klara

Aber es ist eben nicht nur die ziemlich uninteressante Musik, es beginnt bei der überhaupt wenig aufregenden Konzeption an sich (Janine Ortiz). Man hätte das Wedekindsche „Sittengemälde“ nicht wiederbeleben müssen, schon gar nicht in der vermeintlich modernisierten, tatsächlich aber kreuzbraven Textfassung von Helene Hegemann (Jahrgang 1992), die ganz schlicht und linear eine Geschichte nacherzählt, die an Komplexität das Niveau der (seitenhiebartig im Stück kritisierten) Vorabendserien mühelos unterschreitet. Eine Affäre zwischen Professor und Studentin – reißt das in einer großen Universitätsstadt noch jemanden vom Stuhl? Laut Programmheft geht es um „große Emotionen“, die sich aber so gar nicht mitteilen. Die Librettistin parodiert hehre Opernlyrik (oder ist das mitunter gar ernst gemeint, was da wie aus der Textschmiede schlechten Deutschpops daher kommt?) und streut alle fünf Minuten deftiges Vokabular wie „ficken“ oder „geile Schwänze“ oder ganz schlicht „Scheiße“ ein. Im direkten Kontrast wirkt die eine Sprachebene so konstruiert wie die andere, und beide neutralisieren sich wechselseitig.

Szenenfoto

Klaras Mutter

Helene Hegemann, vor ein paar Jahren mit ihrem plagiatsverdächtigen Roman Axolotl Roadkill kurzzeitig zum Nachwuchsstar der deutschen Literaturszene hochgejubelt, darf auch Regie führen. Das tut sie so schematisch, dass man sich mitunter im Schultheater wähnt. Problematisch ist sicher, dass die Sänger ellenlange Textpassagen sprechen müssen (daran ist Frau Hegemann ja nicht unschuldig) – Gloria Rehm in der Rolle der Klara mag eine ordentliche Sängerdarstellerin sein, ihrem uninspirierten Endlostext gewinnt sie auf Dauer nicht viel ab, verfällt auch gerne in schwer verständliche Schnellsprecherei. Sie singt mit recht leichtem Sopran durchaus schön, wobei das eben doch typisch opernhafte Timbre schon einen deutlichen Kontrast zu den vielen Sprechstellen darstellt und die Übergänge zwischen gesprochenem und gesungenem Text keineswegs nahtlos sind. Henryk Böhm spielt den Professor mit lässiger Arroganz zwar eindimensional, aber mehr gibt die Figur wohl auch nicht her. Nicht nur seines sehr dünnen Baritons wegen hat man die paar gesungenen Stellen vergessen, kaum sind sie verklungen. Seine mondäne Gattin Else ist fast durchgängig als Sprechrolle gehalten, von Schauspielerin Judith Rosmair souverän, wenn auch etwas lustlos gestaltet – der eine Song, der ihr komponiert wurde, reicht angesichts der dünnen Singstimme dann auch. John Heuzenröder als ihr Liebhaber Franz bleibt sehr blass, und Dalia Schaechter möchte man angesichts der hölzernen Partie als Klaras Mutter (mit staubtrockenen Ariosi) keinen Vorwurf machen für das vergleichbar unbewegliche Spiel.

Szenenfoto

Pathetisches Finale: Klara

Vollends überflüssig scheint eine drittklassige Tänzergruppe mit einer noch unterklassigeren Dancefloor-Choreographie (Athol Farmer), die irgendwie die Stimmung eines Pop-Konzerts andeuten soll. Wenn überhaupt etwas die fast zwei langatmigen Aufführungsstunden (ohne Pause) auflockert, dann sind das die Videosequenzen von Kathrin Krottentaler, die als Kamerafrau und Cutterin für mehrere Jahre für Christoph Schlingensief gearbeitet hat und ein gewisses Maß an Professionalität in den jugendbewegten Abend bringt. In pathetischem Schwarzweiß mit etlichen Anspielungen an die Filmgeschichte steuert sie immerhin große Bilder bei. Als Darstellerin im Film erscheint Gloria Rehm ungleich präsenter und geheimnisvoller als auf der Bühne (wo ihr wohl jemand fehlt, der etwas vom Regiehandwerk versteht).

Im Dramatikerhimmel aber, da wird der Bühnendichter Frank Wedekind sich von dem wichtigtuerisch hohlen Spiel längst gelangweilt abgewendet haben.


FAZIT

Ein entbehrliches Stück Musiktheater.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Walter Kobéra

Inszenierung
Helene Hegemann

Bühne und Kostüme
Janina Audick

Video
Kathrin Krottenthaler

Licht
Nicol Hungsberg

Choreographie
Athol Farmer

Dramaturgie
Janine Ortiz

Dramaturgie Fond experimentelles
Musiktheater FEXM
Roland Quitt

Produktionsleitung
Christian Grammel


Statisterie der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Klara
Gloria Rehm

Josef
Henryk Böhm

Else
Judith Rosmair

Klaras Mutter
Dalia Schaechter

Franz
John Heuzenroeder

Arzt
Lucas Singer

Tänzer
Lisa Rölleke
Finja Johanna Wichard
Esther Manon Siddiquie
Nathalie Nord
Daniel Kalischewski



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)



Da capo al Fine

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