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Musiktheater
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Der Meister und Margarita

Musiktheater in zwei Akten von York Höller
Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Roman von Michail Bulgakow

In deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hamburg am 14. September 2013
(rezensierte Aufführung: 18. September 2013)

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Eine Einladung zum Teufelsball

Von Joachim Lange / Fotos von Brinkhoff / Mögenburg

Mit Aribert Reimanns Lear hatte die etwas glücklose, in der übernächsten Saison Hamburg verlassende Intendantin Simone Young schon einmal Glück. Mit York Höllers Der Meister und Margarita hat sie es wieder. Ihre vorletzte Spielzeit beginnt jedenfalls mit einem eindrucksvollen Stück Moderne. Es gehört schon deshalb nach Hamburg, weil es 1984 vom damaligen Chefdirigenten Hans Zender in Auftrag gegeben wurde. Wegen des Wechsels an der Spitze der Oper kam die geplante Uraufführung aber nicht in Hamburg, sondern 1989 in der Regie von Hans Neuenfels in Paris zustande. Eine zweite Produktion besorgte die Kölner Oper 1991.

Die Vorlage von Michail Bulgakow (1891-1940) ist ein Jahrhundert-Roman. In den 30er-Jahren entstanden, konnte er erst 1966/67 in der Sowjetunion erscheinen. Was nicht verwundert, ist er doch nicht nur großformatig gedacht, sondern auch eine Melange aus der Geschichte von Pontius Pilatus und seinem berühmtesten Gefangenen, dem Künstleralltag im Reich Stalins samt seiner Repressionen bis hin zum berüchtigten Wegsperren missliebiger Geister in der Psychiatrie, und einer Liebesgeschichte zwischen den beiden Titelfiguren. Mit einem leibhaftig in Moskau auftauchenden Teufel als Star.

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Der Meister / Jeschua (Dietrich Henschel)

York Höller hat den Roman gekonnt und mit szenischem Gespür zu einem wirkungsvollen Libretto verdichtet. In seiner Komposition hat er einer klassischen Literaturoper durch seine serielle Kompositionsweise und die Einbeziehung von elektronischen Zusätzen zu ihrer besonderen Originalität verholfen. Dabei ist die Musik dezidiert rezitativisch. Sie umspielt die Dialoge geradezu. Die elektronischen Beigemischungen schwirren auch schon mal von hinten durch den Saal. Verfremdete Zitate bis zur Wiedererkennbarkeit blitzen auf. Von Bruchstücken aus Barock, Jazz und Rock, über assoziative Bezüge zu Gounod, Berlioz und Mussorgski. Bis hin zu den Stones. Die hatten sich von Bulgakow zu ihrem Song "Sympathy For The Devil" inspirieren lassen, was Höller seinerseits mit einem Zitat im Amalgam seiner musikalischen Bezüge honoriert. Diese Musik packt emotional, forciert den Handlungsverlauf und leugnet weder die Wirkung, die Bernd Alois Zimmermanns Soldaten auf den Komponisten hatten, noch seine Nähe zu Karlheinz Stockhausen.

Mag sein, dass diese Moderne schon etwas Patina angesetzt hat, eine Herausforderung für die Zuschauer bleibt sie allemal. Diejenigen, die den Roman kennen, werden kein größeres Problem haben, sich im ausufernden Personaltableau und im Wechsel der Erzählebenen zurechtzufinden. Den andern hilft die Regie von Jürgen Biganzoli. Zusammen mit seinem Bühnenbildner Johannes Leiacker und Heike Neugebauer (Kostüme) hat er das Kunststück fertig gebracht, die szenische Fantasie zu fokussieren und gleichzeitig opulent ins Kraut schießen zu lassen.

Vergrößerung in neuem Fenster Ensemble

Der zwar wandelbare, aber doch hermetische Einheitsraum ist vor allem weiß. Von Neonröhren ausgeleuchtet. Was auf den ersten Blick zur psychiatrischen Klinik passt, in der der schriftstellernde Meister fast zwangsläufig landet, weil er im Reich des verordneten Atheismus die Begegnung des Nazareners und des römischen Prokurators wie ein historisches Faktum behandelt. Angesichts der Übermacht der staatlichen „Vernunft“ verbrennt er das Manuskript seines Romans. Aber – das ist einer der Schlüsselsätze – „Manuskripte brennen nicht“! Einmal in der Welt, führen sie ihr subversives Eigenleben. Außerdem gibt es ja einen Augenzeugen für das Geschehen damals in Jerusalem.

In Moskau führt der den Namen Voland. Gilt als Ausländer, sagt dem Literaturfunktionär Berlioz wahrheitsgemäß sein unmittelbar bevorstehendes Ende als Opfer eines Straßenbahnunfalls voraus und liefert im Varieteetheater einen spektakulären Auftritt. Bei Biganzoli in Hamburg übernimmt die Theaterortsgröße Corny Littmann die Rolle des Conférenciers. Natürlich nicht ohne Anspielungen auf das Hamburg von heute. Von den aktuellen HSV-Ergebnissen bis hin zum Endlosdrama um die Elbphilharmonie ist alles drin. Die Hamburger im Saal werden zu denen im Moskauer Varietee – auch die Geldscheine (die im Roman zu wertlosen Zeitungspapier werden, sobald man sie auszugeben versucht, und in Hamburg den Aufdruck ERUS tragen) regnet es – angeblich sind zwei echte 50 Euro Scheine dabei. Die große Modenschau mit französischer Haute Couture ersetzt Biganzoli durch eine Präsentationsshow für ein neues iPhone. Das hat etwas von billiger Publikumsanmache - und soll es haben. Weil es Verhaltensweisen vorführt, die gerne geleugnet werden. Als Rache der Vorgeführten wird dem Conférencier sogar (zeitweise) im wahrsten Wortsinn der Kopf abgerissen.

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Der Meister (Dietrich Henschel) und Margarita (Cristina Damian)

Ansonsten ist Voland der charmante, dialektische Entertainer, der von Berufs wegen böse ist, aber doch das Gute schafft. Zumindest die Menschen zu sich selbst führt. Und in diesem speziellen Fall dem bedrängten und an sich selbst verzweifelnden Schriftsteller hilft. Der Schlüsselsatz über die Manuskripte, die nicht brennen, der bleibt denn auch ihm vorbehalten. Biganzoli führt nicht nur seine Protagonisten, ihr Hilfspersonal und die Nebenfiguren (etwa die Schriftsteller) mit Präzision und bewältigt die Zeitsprünge zwischen den Erzählebenen spielerisch, er hat auch die Personalmassen, die den mitternächtlichen Ball, zum dem Voland lädt und auf dem Margarita die attraktive und begehrte Königin ist, fest im choreografischen Griff. Wenn das Chaos vor dem Hintergrund eines Bosch-Bildes losbricht, dann hat das metaphorisch doppelbödige Methode, entfaltet Kostümpracht und macht atmosphärischen Effekt.

Vergrößerung in neuem Fenster Marie (Susanne Elmark)

Dietrich Henschel bewältigt mit scheinbarer Leichtigkeit und enormer Kondition seine Doppelrolle als Meister und als Jesus und damit die vokale Hauptlast des Abends. Zeitweise verstärkt durch zwei Doubles. Mit souveräner Entertainerlässigkeit ist sein Baritonkollege Derek Welton der charismatische und überlegen auftretende mefistophelische Voland im weißen Anzug. Mit ihm geht die erotisch anziehende Margarita Cristina Damian einen Pakt ein, um ihrem Meister zu befreien. Klar, dass der Counter Andrew Watts sich nicht die Gelegenheit entgehen lässt, als Kater im Tütü seinem Komödiantenaffen Zucker zu geben. Dabei ist die Wortverständlichkeit der Protagonisten exzellent und die Spielfreude ansteckend. Worauf die interaktiven Momente des Abends, wenn sich der Saal in ein Varietee verwandelt, angewiesen sind und profitieren.

Im Graben gibt diesmal der Nürnberger GMD Marcus Bosch als Gast am Pult der Philharmoniker in Hochform die Rolle eines höchst überzeugenden musikalischen Hexenmeisters. Mit perfektem Überblick sorgt er für den Zusammenhalt, meistert die Komplexität und heizt vor allem dem Teufelsball gewaltig ein.


FAZIT

Hamburg präsentierte in Anwesenheit des Komponisten eine anspruchsvolle und interessante Variante einer Literaturoper auf musikalisch und szenisch hohem Niveau. Sie gehört auf die Habenseite von Intendantin Simone Young.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Jürgen Biganzoli

Bühnenbild
Johannes Leiacker

Kostüme
Heike Neugebauer

Licht
Stefan Bolliger

Choreographie
Silvia Zygouris

Dramaturgie
Kerstin Schüssler-Bach
Michael Schlicht


Philharmoniker Hamburg


Solisten

Der Meister/ Jeschua
Dietrich Henschel

Margarita
Cristina Damian

Voland, der „schwarze Magier“
Derek Welton

Korowjew, sein Gehilfe
Ulf Dirk Mädler

Asasello
Jürgen Sacher

Behemoth, der Kater
Andrew Watts

Pontius Pilatus/ Dr. Strawinsky, Arzt
Tigran Martirossian

Iwan Besdonmny, Lyriker/ Levi Matthäus
Chris Lysack

Berlioz, Chefredakteur
Dieter Schweikart

Stjopa, Varieté-Direktor
Manuel Günther

Stjopas Frau
Renate Spingler

Gella, die Hexe
Corinna Mindt

Conférencier
Corny Littmann

Deninskin
Fero-Veikko Häkkilä

Latunski
Rainer Mesecke

Dubratsky
Jürgen Stahl

Beskudnikow
Faris Schulz-Thierbach

Armian
Frieder Stricker

Meister 2
Thomas C. Zinke

Meister 3
Jan Baake

Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





Da capo al Fine

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