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Musiktheater
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Carmen

Oper in vier Bildern
Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der Novelle von Prosper Mérimée
Musik von Georges Bizet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere am 19. Januar 2014

 

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

En garde!

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Brinkhoff/Mögenburg

Die erste Premiere 2014 an der Staatsoper Hamburg ist einer Neuinszenierung von Bizets Carmen gewidmet. Seit der nicht autorisierten Rezitativfassung, in der die Oper nach dem Tode des Komponisten im Juni 1875 an der Wiener Hofoper ihre Erstaufführung in deutscher Sprache erlebt, avanciert Carmen zum internationalen Publikumsliebling schlechthin. Mittlerweile hat sich die ursprüngliche Dialogfassung der Uraufführung vom März 1875 an der Pariser Opéra Comique durchgesetzt. Sie ist stärker an der literarischen Vorlage des Librettos, der gleichnamigen Novelle Prosper Mérimées orientiert und führt uns anschaulich Lebenswirklichkeit und vermeintliche Kultur der Roma vor Augen. Bei Mérimée ist Carmen nicht die exotische Femme fatale des 19. Jahrhunderts. Als Roma ist ihr Platz überall und nirgends: Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, Tänzerin, Prostituierte, Schmugglerin, eine Frau die sich für ihr Lebensrecht schlägt, „nein“ sagt, sich ihre Freiheit bewahren will und an ihr zerbricht.

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Mittagspause vor der Zigarettenfabrik

Jens-Daniel Herzog, seit 2011 Intendant des Opernhauses Dortmund, nimmt in seiner spannenden, „unsentimentalen“ und einfühlsamen Hamburger Inszenierung – wie in der Novelle - die Perspektive des analytischen Erzählers ein. Wie kann ein so freundlicher Zeitgenosse, ein Don wie Don José zum Mörder werden? Herzog nutzt zwar die festlichen Klänge der Ouvertüre, um uns gleich zu Beginn die scheinbaren Gewinner und Verlierer des gesellschaftlichen Systems plakativ vor Augen zu führen: Die Soldaten „kassieren“ doppelt, die Frauen „zahlen“ mehrfach. Sie müssen sich regelmäßig auf Schmuggelware durchsuchen lassen, sexuelle Belästigungen ertragen und in ihrer Mittagspause das einfache Volk unterhalten. Aber der Blick des Regisseurs ist wohltuend differenziert. Ein schüchterner, Brille tragender, geradezu lächerlich wirkender Außenseiter, wie Don José muss von den Fabrikarbeiterinnen als Provokation empfunden werden, ebenso wie der blonde  Leutnant Zuniga mit seinem betont harten, deutschen Akzent Angst einflößt. Und während Carmen ihre Schönheit und Verführungskünste nutzt, um der Armut zu entkommen, verelendet Don José charakterlich mehr und mehr.

Geschickt bezieht Herzog auch die Auftritte der Kinder mit ein. Im ersten Akt sind sie darauf aus, die gelangweilten Soldaten mit neckischen Spielereien abzulenken, um leere Flaschen zu ergattern. Zur festlichen, leise erklingenden Zwischenmusik zum vierten Akt schleichen sie heran, um in grausamster Weise ihr Opfer zur Herausgabe der Zigaretten zu zwingen und zu quälen. Nahtlos folgt die Eingangsszene des 4. Aktes, „das tönende Bild südlicher Sonne“: Es ist Festtag. Statt südlicher Früchte, Fächer, Wein und Wasser wird Schmuggelware feilgeboten. Statt Stierkampfarena mit barocken, goldgelben Schnörkeln an den Wänden präsentiert uns Herzog verarmte, zur Klagemauer aufgestellte Menschen, die sich einen Fernseher organisieren, um gebannt den Stierkampf zu verfolgen und ohne mitzubekommen, dass ein Mensch hinter ihren Augen ermordet wird. Vor allem in diesem Akt gelingen Herzog packende, eindrückliche, bewegte Massenszenen, die eine aus Not und Armut geborene Gier nach öffentlicher Unterhaltung zum Ausdruck bringen.

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Don José hält die tote Carmen im Arm während im Hintergrund der Sieg des Torero bejubelt wird.

Das Bühnenbild von Mathis Neidhardt ist eine Art Fabrikvorplatz-Arena. In der Mitte die Spielfläche, auf der sich die Protagonisten des gesellschaftlichen Wettkampfes präsentieren. Links leicht erhöht befinden sich die Spinde der Arbeiterinnen, rechts entsprechend die sparsam mit Tisch und Schreibmaschine angedeutete Wache der Soldaten. Das gewaltige, eiserne Eingangstor der Tabakfabrik im Hintergrund öffnet sich im 2. und 4. Akt und gibt den den Blick frei auf einen notdürftig ausgestatteten, weitgehend nackten Raum - die Schenke von Lillas Pastia. Funktional auch die ebenfalls von Mathis Neidhardt stammenden Kostüme. Während der humorvoll eher einem Trainingsoutfit ähnelnde gold und ballonseiden schillernde Anzug Escamillos die Fantasie anregt, verwandelt sich Carmen von einer mit rotem Kopftuch und High Heels ausgestatteten Arbeiterin, in das Abziehbild einer verführerischen, klischeehaft grellen Femme Fatale, um am Ende als Frau im kurzen, schlichten, schulterfreien,  seidenroten Abendkleid zu sterben.

Musikalisch schwebt zunächst über allem eine wunderbar tänzerisch beschwingte Leichtigkeit. Kurze, leise stechende Stakkati, die zu lauten, homogenen Klangwolken anwachsen,  zum Innehalten anregende kleine Pausen und abgestuften Phrasierungen - es sind vor allem diese dynamisch und artikulatorisch ausgefeilten, auf das Bühnengeschehen abgestimmten Zwischentöne von Chor und Orchester, die die musikalische Gestaltung Alexander Soddys lebendig wirken lässt. Hinzu kommen Gesangssolisten, die den Abend zu einem unvergessenen Erlebnis werden lassen. Allen voran Elisabeth Kulman als Carmen, die mit vollmundigem, ausgewogenem Stimmklang Verführungskünste vom Feinsten aufbietet: mal schlank, mal zart vibrierend, mal leidenschaftlich, immer musikalisch differenziert gestaltend und bruchlos zwischen hohen und tiefen Stimmregistern wechselnd. Nikolai Schukoff  ist ein ebenso technisch versierter, wunderbar schauspielender Don José, der mal mit Kopfstimme, mal mit kleinen Schleifern und warm timbriertem, kultivierten Stimmklang, mal kraftvoll, offen und direkt die emotionale Entwicklung und Verrohung des Don zu veranschaulichen weiß. Liana Aleksanyan ist eine wohltönende, vibratoreich schillernde Micaela. Mélissa Petit als Frasquita und Maria Markina als Mercédès überzeugen insbesondere im schnellen, zarten, leicht dahinfließenden Duett im Opéra Comique-Stil des 3. Aktes. Florian Spieß gibt brustig timbriert den harten Leutnant Zuniga.

FAZIT

Ein anrührendes, musikalisch und inszenatorisch fantastisches, in seiner Perfektion geradezu filmreifes Opernerlebnis



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Soddy

Inszenierung
Jens-Daniel Herzog

Bühnenbild und Kostüme
Mathis Neidhardt

Licht
Stefan Bolliger

Dramaturgie

Kerstin Schüssler-Bach

Chor

Eberhard Friedrich

Hamburger Alsterspatzen
Jürgen Luhn

 

Philharmoniker Hamburg

Hamburger Alsterspatzen

Chor der
Staatsoper Hamburg

 

Solisten

Don José
Nikolai Schukoff

Escamillo

Lauri Vasar

Remendado

Jun-Sang Han

Dancaïro
Vincenzo Neri

Zuniga

Florian Spiess

Moralès

Viktor Rud

Carmen
Elisabeth Kulman

Micaëla
Liana Aleksanyan

Frasquita
Mélissa Petit

Mercédès
Maria Markina

Vier Zigarettenverkäufer
Veselina Teneva
Julius Vecsey
Catalin Mustata
Marc Bruce

Lillas Pastia
Maik Mensching


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





Da capo al Fine

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