Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Orlando furioso

Oper in drei Akten
Text von Grazio Braccioli nach Ludovico Ariost
Musik von Antonio Vivaldi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 05' (eine Pause)

Premiere im Theater am Goetheplatz am 12. Oktober 2013

 

 

Logo: TheaterBremen

Theater Bremen
(Homepage)

Lieto fine ohne Orchester

Von Thomas Molke / Fotos von Jörg Landsberg

Von Antonio Vivaldis umfangreichem Opernschaffen, das seit einigen Jahren auf den europäischen Bühnen eine Art Renaissance erlebt, nimmt Orlando furioso sicherlich eine Sonderstellung ein. Zum einen verzeichnet dieses Werk - zumindest in Deutschland - mehrere Neu-Inszenierungen, was es zur bekanntesten Oper des Venezianischen Barockkomponisten macht. Zum anderen gilt es mit der Komposition des Wahnsinns der Titelfigur als die gelungenste Opernkomposition Vivaldis, da sich Orlandos Raserei gerade nicht in den für die Zeit typischen Affekt-Arien nach dem üblichen ABA-Schema entlädt, sondern in Rezitativen abgebildet wird und die Arien gewissermaßen in ihre Einzelteile zerlegt. Dabei stellt die Oper eigentlich nur eine radikale Umarbeitung des gleichnamigen Werkes von Giovanni Alberto Ristori dar, welches Vivaldi 1713 im Teatro Sant' Angelo erlebte und das ihn zunächst veranlasste, für das folgende Jahr eine Fortsetzung unter dem Titel Orlando finto pazzo zu komponieren. Diese Fortsetzung wurde aber ein absoluter Misserfolg, und als auch zahlreiche Umarbeitungsversuche vergeblich waren, griff er einfach zu Ristoris Komposition und erreichte mit zahlreichen Änderungen das, was seinem ursprünglichen Kompositionsversuch verwehrt geblieben war.

Bild zum Vergrößern

Noch ist Orlando (Martin Kronthaler) Herr seiner selbst und vertraut auf ein glückliches Ende mit seiner angebeteten Angelica.

Die Handlung ist wie in den meisten Barockopern reichlich verworren und verknüpft unterschiedliche Handlungsstränge aus Ludovico Ariosts gleichnamigem Versepos aus dem 16. Jahrhundert. Orlando, ein Paladin aus dem Heer Karls des Großen, verliebt sich unsterblich in Angelica, die allerdings Medoro liebt. Auf der Flucht vor Orlando flieht sie auf Alcinas Zauberinsel und versucht, mit Hilfe der Zauberin Orlando loszuwerden. Zunächst gelingt es Angelica, Orlando auf die Suche nach einer Quelle zu schicken, die von einem Monster bewacht wird. Als Orlando bei seiner Rückkehr erkennt, dass Angelica während seiner Abwesenheit Medoro geheiratet hat, verfällt er dem Wahnsinn und zerstört mit einer Statue auch Alcinas Zauberkraft. Parallel zu dieser Handlung verirren sich der Kreuzritter Ruggiero und seine Frau Bradamante auf die Zauberinsel. Während Ruggiero zunächst Alcinas Reizen erliegt, kann Bradamante ihren treulosen Gatten aus den Fängen der Zauberin befreien und nimmt gemeinsam mit dem bereuenden Ruggiero Rache an Alcina. Nachdem Alcinas Macht zerstört ist, erkennt Orlando, dass er seinen Liebeswahn nur besiegen kann, wenn er auf Angelica verzichtet, und so ergibt sich aus einer scheinbar aussichtslosen Situation durch Einsicht der Titelfigur doch noch das für die Opera seria obligatorische Lieto fine.

Bild zum Vergrößern

Ruggiero (Hyojong Kim) erkennt sein Fehlverhalten und bittet seine Frau Bradamante (Marysol Schalit) um Verzeihung.

Anna-Sophie Mahler siedelt Alcinas Zauberinsel in einem "Hotel Niemandsland" an. Duri Bischoff hat dafür die Bühne in einen riesigen verschachtelten Flur verwandelt, von dem zahlreiche Türen in Räume führen, die eine Realität vorspiegeln, die sich jedoch schnell als Illusion entpuppt. So verschwinden Alcina und Angelica hinter einzelnen Türen, die für Astolfo, Alcinas Verehrer, und Orlando zunächst unerreichbar sind, und tauchen kurz darauf hinter anderen Türen wieder auf. Dass dieses Reich mehr Schein als Sein ist, entpuppt sich auch am Ende, wenn einzelne Türen aus den Angeln gehoben werden und Orlando in seiner Raserei sogar eine ganze Wand einreißt. Spätestens dann erkennt auch der Zuschauer, dass in diesem Haus nur Leere herrscht. Allerdings gibt es auch kein Entrinnen, und so tauchen die Figuren, wenn sie zu fliehen versuchen, immer wieder auf, als ob sie sich nur im Kreis bewegen. Ob sich diese "Stationen des Wahnsinns", wie die Handlung im Programmheft bezeichnet wird, nur im Kopf der Titelfigur abspielen, oder ob die Figuren des Stückes sich wirklich in diesem Raum verlieren, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen.

Bild zum Vergrößern

Orlando (Martin Kronthaler) rastet aus, was Angelica (Alexandra Scherrmann) zu spüren bekommt.

Dem Lieto fine traut Mahler in ihrer Inszenierung nicht. So lässt sie Orlando nicht aus seinem Wahnsinn zur Besinnung kommen. Nachdem er auf der Bühne ein Bild der Verwüstung hinterlassen hat und Angelica wahrscheinlich getötet hat, begibt er sich in den Orchestergraben und zerlegt dort eine Geige in ihre Einzelteile, was einen Großteil des Orchesters aus dem Graben fliehen lässt. Nach und nach vertreibt er beim folgenden Wahnsinns-Rezitativ auch noch den Dirigenten, die Lautenspielerin und als letzten Musiker den Herrn am Cembalo. Nachdem er sich dann ein paar Takte selbst begleitet hat, legt er sich im Orchestergraben nieder, während zu den zarten Klängen einer Flöte hinter der Bühne die Übertitel das glückliche Ende einblenden, das nun laut Libretto folgen müsste, zum vorherrschenden Bild der Zerstörung allerdings in keiner Weise passt. Dass sich mit den übrigen Protagonisten auch die vermeintlich tote Angelica erhebt und abgeht, legt nahe, dass sich die ganze Geschichte nur in Orlandos Kopf abspielt.

Bild zum Vergrößern

Alcina (Nadja Stefanoff) steht vor den Trümmern ihres Reiches.

Eine überzeugende Szene gelingt auch zu Beginn des zweiten Aktes, wenn Orlando von seinem Kampf mit dem Monster zurückkehrt und erfahren muss, dass Angelica mit Medoro vermählt worden ist. Während Angelica in ihrer Arie "Sei mia fiamma" ihre Liebe zu Medoro besingt, sieht man mehrere Bräute in Weiß durch unterschiedliche Türen auf- und abgehen, was den wachsenden Wahnsinn Orlandos sehr bildhaft werden lässt. Ob hingegen Ruggiero zu Beginn in einem rosafarbenen Schlafanzug auftreten muss, um zu zeigen, dass er von Angelica verführt worden ist, und Bradamante ihren untreuen Gemahl in Reiterhose mit Gerte zur Raison bringen muss, ist Geschmacksache. Alcinas lange Kleider unterstützen wiederum mit den wechselnden Perücken den mondänen Charakter der Zauberin. Bei Orlando wird auch durch die Kostümierung der geistige Verfall im Verlauf des Stückes recht deutlich. In seinem bordeaux-farbenen Anzug wirkt er zu Beginn noch gesittet. Mit wachsender Raserei legt er nicht nur den Anzug ab, den er als seinen Schatten begräbt, sondern nimmt in dem blassen Unterhemd und den langen Unterhosen allmählich immer wahnsinnigere Züge an. Martin Kronthaler setzt als Orlando darstellerisch und stimmlich die Demontage des Titelhelden glaubhaft um.

Musikalisch verzichtet man im Bremen auf den Einsatz von Countertenören oder Hosenrollen und lässt Orlando, Medoro und Ruggiero von einem Bariton bzw. Tenor singen. Hyojong Kim kann aufgrund einer noch nicht auskurierten Viruserkrankung den Ruggiero nur spielen. Aus diesem Grund muss in der Premiere die Partie von Luis Olivares Sandoval von der Seite eingesungen werden. Sandoval verleiht Ruggiero dabei mit seinem lyrischen Tenor recht weiche Töne, die vor allem in der großartigen Arie "Sol da te mio dolce amore" zur Geltung kommen, wenn er zur virtuosen Begleitung der Querflöte Ruggieros Liebesgefühle für Alcina besingt. Marysol Schalit hält als Bradamante mit kräftigem Sopran dagegen und macht stimmlich und darstellerisch glaubhaft, dass sie ihren Mann aus den Fängen der Zauberin befreien kann. Patrick Zielkes Bass ist für den an gebrochenem Herzen leidenden Astolfo fast schon zu voluminös. Da könnte man sich fragen, warum die Zauberin ihn nicht erhört. Aber vielleicht ist es gerade sein liebevoll tapsiges Spiel, welches Alcinas Zurückweisung selbst dann noch nachvollziehbar macht, wenn sie selbst an Ruggieros Zurückweisung leidet. Nadja Stefanoff begeistert als Alcina mit großartigem Mezzo, der in der Mittellage eine verführerische Wärme besitzt und in den sauber angesetzten Spitzentönen deutlich macht, was für eine gefährliche Gegnerin Alcina sein kann. Alexandra Scherrmann gefällt als Angelica mit sauberen Koloraturen und mädchenhaftem Spiel. Christoph Heinrich gestaltet den Medoro mit weichem Bariton. Olof Bomann führt die Bremer Philharmoniker mit sicherer Hand durch die Partitur und erzeugt einen Klang, der sich mit ausgewiesenen Barockorchestern durchaus messen kann.

Die anfänglichen Buhrufe, die am Schluss der Oper ertönen, gehen im allgemeinen Jubel unter. Dass sie nicht auf die musikalische Leistung bezogen sind, wird beim großen Applaus für die Sänger und Musiker deutlich. Doch auch bei dem Auftritt des Regie-Teams sind keine Unmutsbekundungen mehr zu vernehmen. Entweder sind die Zuschauer, denen das Ende missfiel, zu diesem Zeitpunkt bereits gegangen oder sie haben sich doch eingestehen müssen, dass Mahlers Regie-Ansatz die Geschichte zu einem logischen und nachvollziehbaren Ende führt.

FAZIT

Auch wenn Anna-Sophie Mahler einige inhaltliche Eingriffe im Libretto vornimmt, überzeugt ihr Regie-Ansatz und macht mit der musikalischen Umsetzung den Besuch dieser Produktion lohnenswert.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Olof Boman

Regie
Anna-Sophie Mahler

Bühne
Duri Bischoff

Kostüme
Geraldine Arnold

Licht
Christopher Moos

Dramaturgie
Sylvia Roth

 

Bremer Philharmoniker


Solisten

*Premierenbesetzung

Orlando
Martin Kronthaler

Alcina
Nadja Stefanoff

Angelica
Alexandra Scherrmann

Medoro
Christoph Heinrich

Bradamante
*Marysol Schalit /
Cristina Piccardi

Ruggiero
Hyojong Kim (Spiel)
Luis Olivares Sandoval (Gesang)

Astolfo
Patrick Zielke


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Bremen
(Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -