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Anna Karenina

Ballett von Jochen Ulrich
nach dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi
Musik von Sergej Rachmaninow

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 8. November 2013 

 

 



Opernhaus Halle
(Homepage)

Im Sturm der Leidenschaften

Von Joachim Lange / Fotos von Falk Wenzel

Es ist ein großer Abend. Ballettkino im Breitbandformat sozusagen. Einer, der alle Register zieht. Die Staatskapelle spielt nicht nur live einen wunderbar schwermütig aufleuchtenden Sergej Rachmaninow  - die zweite Sinfonie, drei Sätze der Dritten und, zur letzten Szene, die sinfonische Dichtung „Die Toteninsel“. Das Orchester und sein Dirigent Robbert van Steijn sind diesmal sogar mit auf der Bühne. Die Musik ist wie gemacht für diese von Darie Cardyn und Ziga Jereb einstudierte Choreografie des 2012 im Alter von 68 Jahren verstorbenen Choreografen Jochen Ulrich. Der gehörte zu den Pionieren des modernen Tanztheaters in Deutschland und war zuletzt Ballettdirektor am Opernhaus in Halles Partnerstadt Linz, wo seine Anna Karenina vor drei Jahren heraus kam.

SzenenfotoKeine Angst vor dem Pathos der Gefühle: Wronski und Anna

Die Musiker sitzen hinter einer gewaltigen Glasfensterfront samt XXL-Gardinen, mit der Alexandra Pitz die Spielfläche in einem Halbrund begrenzt. Zusammen mit den opulenten, zwischen Pelz und Uniform, Salon-Eleganz und Landgut-Leichtigkeit changierenden Kostümen von Marie-Therese Cramer sorgt dieser Hauch von großzügigem Wintergarten mit einschwebenden Kronleuchtern alleine schon für die Atmosphäre, in der sich das Russland-Seelenbild entfalten kann. Und da hat es das Jahrhundert von Tschechow, Tschaikowski und eben Leo Tolstoi hierzulande deutlich leichter, als das aktuelle, das vor antimodernen Verwerfungen nur so strotzt.

Im neunzehnten Jahrhundert waren die Sankt Petersburger und Moskauer Eliten noch ganz bei sich und auch in ihrer Dekadenz authentisch. Hatten Jahrhunderte für ihre Rituale und Moralvorstellungen geübt. Eine Liebe außerhalb der gesellschaftlichen Spielregeln sahen die freilich nicht vor. Und wenn doch, dann wurde die Rechnung dafür, fast ausschließlich den Frauen präsentiert. So wie Anna Karenina. Sie ist die Heldin von Tolstois (1828-1910) gleichnamigen Roman und dieses Tanzabends. Es ist die letzte große Rolle der „Erste Solotänzerin“ des Rossa Balletts Markéta Šlapotová. Der gewaltige Rosenstrauß und die Standing Ovations für Sie am Ende galt also nicht nur ihrer dramatisch berührenden Gestaltung der Titelfigur an diesem Abend. Tolstois Roman aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts hat wie sein Epos „Krieg und Frieden“ nichts von seiner Faszination verloren. Wird immer noch zur inspirierenden Vorlage für üppige Neuverfilmungen oder auch für Bühnenadaptionen.

Szenenfoto

Verloren in einem kurzen Glück ohne Dauer

In zwölf auf zwei Akte verteilten Bildern erzählt Ulrich die Geschichte jener Frau, die der Kälte ihrer Ehe mit dem Staatsbeamten Alexej Karenin zu entkommen versucht und die aufkommende Leidenschaft zu dem Offizier Wronski zulässt. Dem Roman folgend übersetzt Ulrich aber auch das Gesellschaftspanorama, das Tolstoi entwirft, in getanzte Bilder und erzählt neben der tragischen großen Lovestory auch die Nebenhandlungen mit profilierten Figuren und Liebe zum Detail. So ist Andriy Holubovskyy Annas notorisch fremdgehender Bruder Stiwa, oder Ludivine Dutriez-Revazov die von Wronski zurückgewiesene Kitty, die erst auf Umwegen zu ihrem Lewin (Gorden Wannhoff) findet.

Das Repertoire der Bewegungen bleibt sowohl bei den Solisten, als auch bei den atmosphärischen Ensembleszenen demonstrativ dem erzählenden Gestus verpflichtet. Sie reden aber nicht in imaginären Sprechblasen, sondern mit ihren Körpern. Und zwar so, als wäre es die natürlichste Art, sich auszudrücken. Diese Tanzästhetik von Handlungsballett ist in Halle nicht neu. Doch sie gelingt nicht immer in dieser Qualität. Natürlich blitzt auch hier die Virtuosität des Tanzes und der Tänzer auf. Direkt aus der Musik entspringend, nie als Selbstzweck einer athletischen Leistungsschau, hat das etwas von Leitmotiven zu Bewegung gewordener Emotion. Man kann das im Sinne eines reinen Tanzes bemängeln, doch dem so erzielten erzählerischen Sog kann man sich nicht entziehen.

Szenenfoto

Auf dem Ball: Wronski (in weißer Uniform) sieht, wie Anna schwebt

Die stets hochästhetischen Bilder wechseln organisch zwischen den Szenen (einer Ehe) in den Salons und denen der Lebensfreude oder auch der Einsamkeit und Zurückgezogenheit auf dem Lande. Da gibt es beispielsweise ein Picknick mit Kissenschlacht als Hintergrund und den Todesk(r)ampf des bei Dalier Burchanow athletisch und überzeugend durchs Stück torkelnden Nikolai. Solche Simultanszenen sind Futter für die Augen und demonstrieren den Sinn fürs Ganze und die Fähigkeit, das auch umzusetzen. Man kann sich schon verlieren in diesen Panoramabildern. Und ist dann wieder gepackt vom Kampf der Eltern um das Kind oder von der ausbrechenden Liebesaffäre, die die Grenzen der Gesellschaft sprengt. Am Ende ist es das Scheitern ihrer Liebe und die gesellschaftliche Isolation, die Anna bei einem bewusst provozierenden Besuch einer Abendgesellschaft erleben muss, die sie in den Selbstmord treiben. So wie vor allem Markéta Šlapotová, Jonathan dos Santos als ihr Begleiter, Michal Sedláček als steifer Karenin und Johan Plaitano als Liebhaber Wronski und alle anderen das nacherlebbar machen, erweitert es auch – ohne choreographische Bilderstürmerei - die Grenzen des klassischen Balletts. Es ist nicht nur ein großer, es ist ein großartiger Abend.

FAZIT

Es muss nicht immer etwas Neues sein – am Opernhaus Halle überzeugt  das hauseigene Ballett Rossa mit Jochen Ulrichs Anna Karenina.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Robbert van Steijn

Choreografie und Inszenierung
Jochen Ulrich

Einstudierung
Darie Cardyn (Gast)
Ziga Jereb (Gast)

Choreografische Assistenz
Michal Sedláček

Bühnenbild
Alexandra Pitz (Gast)

Kostüme
Marie-Therese Cramer (Gast)

Dramaturgie
Julia Zirkler

 

Staatskapelle Halle


Solisten

Anna Arkadjewna Karenina
Markéta Šlapotová

Der Begleiter
Jonathan dos Santos

Alexej Alexandrowitsch Karenin
Michal Sedláček

Serjoscha
Gustav Borggrefe /
Friedrich Borggrefe

Stepan Arkadjitsch Oblonski (Stiwa)
Andriy Holubovskyy

Darja Alexandrowna Oblonskaja (Dolly)
Marion Schwarz

Jekaterina Alexandrowna Schtscherbazkaja (Kitty)
Ludivine Dutriez-Revazov

Konstantin Dmitritsch Lewin
Gorden Wannhoff

Nikolai Dmitritsch Lewin
Dalier Burchanow

Marja Nikolajewna (Mascha)
Yuliya Gerbyna

Alexej Kirillowitsch Wronski
Johan Plaitano

Ballett Rossa
Maiko Abe
Denise Dumröse
Paloma Figueroa
Ayana Kamemoto
Gabriella Lacerda
Hyona Lee
Anastasia Melero Marchal
Johanna Raynaud
Tobias Almasi
Pietro Chiappara
Thiago Fayad
Zdenko Galaba
Vaclav Sutorka
Tatsuki Takada

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Halle
(Homepage)



Da capo al Fine

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