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Die Eroberung von Granada
(La conquista di Granata)

Oper in drei Akten
Libretto von Temistocle Solera
Musik von Emilio Arrieta

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 24. Mai 2014



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Belcanto-Rarität aus Spanien

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Emilio Arrieta gehört zu den zahlreichen Komponisten des 19. Jahrhunderts, deren Werke heutzutage größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Selbst in seiner Heimat Spanien stehen nur noch seine zahlreichen Zarzuelas auf den Theaterspielplänen. Dabei waren es vor allem seine beiden ersten Opern, die ihm dank der Förderung durch die spanische Königin Isabella II. eine sichere Position im spanischen Musikleben verschafften. Dennoch verschwanden diese Werke schon zu seinen Lebzeiten sehr schnell von den Spielplänen und gelangten im Fall seiner zweiten Oper La conquista di Granata erst 2006 in zwei konzertanten Aufführungen in Madrid wieder auf die Bühne. Das Stadttheater Gießen, das sich schon seit mehreren Jahren verborgenen Schätzen der Opernliteratur widmet, hat nun dieses Werk über die "Reconquista" auf den Spielplan gestellt und präsentiert damit nicht nur eine deutsche Erstaufführung, sondern auch nach fast 160 Jahren die erste szenische Umsetzung. Für die Inszenierung zeichnet dabei die Intendantin Cathérine Miville höchstpersönlich verantwortlich.

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Isabella (Giuseppina Piunti, mit dem Chor im Hintergrund) träumt von der Eroberung Granadas.

Die Oper spielt in Granada im Jahr 1492. Die christlichen Spanier wollen unter Leitung ihrer Königin Isabella I. den letzten maurischen Herrscher Boabdil (Mohammed XII.) aus Andalusien vertreiben. Im Mittelpunkt steht der spanische Ritter Gonzalo, der heimlich die Nichte des maurischen Königs, Zulema, liebt. Als Isabella Gonzalo auswählt, um im Zweikampf gegen Zulemas Bruder Almanzor anzutreten, befindet sich Gonzalo in einem Gewissenskonflikt zwischen seiner Treue zur Königin und seiner Liebe zu Zulema. Sein Freund Lara bietet ihm an, an seiner Stelle gegen Almanzor zu kämpfen, und tötet diesen im Zweikampf. Zulemas Vater Muley-Hassem verstößt daraufhin seine Tochter, weil er glaubt, dass sein Sohn von Zulemas Geliebten getötet worden sei. Als Gonzalo bei Zulema gefasst wird und von den Mauren zum Tode verurteilt wird, tritt Lara auf und gesteht, dass er Almanzor getötet hat. Gonzalo verspricht, seinen Einfluss geltend zu machen, um Isabellas Belagerung der Stadt abzubrechen. Daraufhin lässt Muley-Hassem die beiden Christen frei, wird dafür allerdings von den maurischen Kriegern in ein Verlies geworfen. Als Gonzalo davon erfährt, zieht er erneut mit den spanischen Kriegern in den Kampf gegen die Mauren, erobert Granada und befreit Zulema und Muley-Hassem, der sich im Gefängnis zum Christentum bekannt hat. Unter großem Jubel kann Isabella nun als Herrscherin die Alhambra betreten.

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Liebe zwischen verfeindeten Kulturen: Zulema (Naroa Intxausti) und Gonzalo (Leonardo Ferrando)

Das Regieteam um die Intendantin verzichtet bei der Inszenierung auf eine Verlegung der Handlung in eine andere Zeit, bleibt im Bühnenbild von Lukas Noll allerdings recht abstrakt. So sind auf der Drehbühne zwei schräg nach oben laufende Bühnenstege angebracht, die auf einem hohen Gerüst mit einem Schriftzug abschließen, der Auszüge einer Inschrift für Isabella und ihren Gatten Ferdinand beinhaltet und der am Ende der Ouvertüre auch auf eine durchsichtige Leinwand im Bühnenvordergrund projiziert wird. Dahinter befindet sich über dem Gerüst ein weiterer Steg, der als Balkon oder Empore fungiert. Für die einzelnen Szenenwechsel wird dieses Bühnenbild lediglich gedreht, schränkt die Protagonisten in ihrem Handlungsspielraum allerdings sehr ein, was sich besonders auf die Massenszenen mit dem Chor auswirkt, der dadurch nur relativ statisch agieren kann. Wieso der Chor in der ersten Auftrittsszene merkwürdig geformte schwarze Brillen trägt, die an Augenbinden erinnern, bleibt ebenso unverständlich, wie die Videoprojektion, in der eine Hand einen Granatapfel zerquetscht und das rote Innere nach unten tropfen lässt. Soll das eine Anspielung auf die Brutalität der katholischen Kirche sein, die nach jahrelangem friedlichen Zusammenleben die Araber und Juden aus Andalusien vertrieben und mit der Inquisition Angst und Schrecken verbreitet hat? Sind die an Augenbinden erinnernden Brillen der Versuch, vor dieser Grausamkeit die Augen zu verschließen?

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Zulema (Naroa Intxausti) und ihr Vater Muley-Hassem (Calin Valentin Cozma) im Kerker

Musikalisch bietet diese Opernrarität Belcanto vom Feinsten, so dass das Publikum von den eingängigen Melodien so begeistert ist, dass es schon beinahe störend jede noch so kleine Szene mit Applaus goutiert. Für die Partie der Isabella hat man mit Giuseppina Piunti erneut einen Gießener Publikumsliebling verpflichten können - in den letzten beiden Spielzeiten interpretierte sie mit großem Erfolg die Titelpartien in Pacinis Maria Tudor und Gomes' Fosca. Piunti gestaltet die spanische Königin mit einer voluminösen Mittellage und dramatischen Höhen. Für die beweglichen Läufe wirkt ihre Stimme allerdings mittlerweile ein bisschen zu schwer. Darstellerisch verleiht sie der Königin die ihr gebührende Autorität. Mit Adrian Gans kehrt in der Partie des Lara ein ehemaliges Ensemblemitglied nach Gießen zurück, der hier in den vergangenen Jahren große Erfolge feiern konnte - erwähnt seien hier nur die Titelpartien in Verdis Oberto und Gomes' Lo Schiavo. Als Lara punktet er mit seinem kräftigen Bariton vor allem in seiner herrlichen Auftrittsarie im ersten Akt, wenn er seinem Freund Gonzalo anbietet, für ihn in den Zweikampf zu ziehen. Leider bleibt seine Partie im weiteren Verlauf des Stückes etwas blass. Man hätte gern mehr von ihm gehört. Unklar ist auch, wieso er mit einem Granatapfel auftritt. Soll dies der Apfel sein, der zu Beginn der Aufführung in der Videoprojektion zerquetscht wurde?

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Glückliches Ende für die Christen: in der Mitte von links: Zulema (Naroa Intxausti), Gonzalo (Leonardo Ferrando), Isabella (Giuseppina Piunti), Muley-Hassem (Calin Valentin Cozma), Alamar (Aleksey Ivanov) und Almeraya (Michaela Wehrum), rechts und links außen: Chor)

Ein Höhepunkt des Abends dürfte als Ritter Gonzalo der Tenor Leonardo Ferrando sein, der in Gießen bereits als Riccardo in Pacinis Maria Tudor brillierte. Nahezu schwerelos schwingt sich sein schlank geführter Tenor in atemberaubende Höhen empor, ohne dabei zu forcieren. Mit jedem Ton nimmt man ihm im ersten Akt seine Gewissensbisse ab, wenn Isabella ihn in den Kampf gegen den Bruder seiner Geliebten Zulema schicken will. Auch das anrührende Duett mit Zulema im zweiten Akt, wenn er der Geliebten erklärt, dass er nicht für den Tod ihres Bruders verantwortlich sei, ist an Innigkeit kaum zu übertreffen. Heldenhaft zeigt er sich dann, wenn er die Todesstrafe für den Freund Lara auf sich nimmt. Mit Naroa Intxausti aus dem Gießener Ensemble steht ihm als Zulema mit zartem Sopran und wunderbar klaren Höhen eine adäquate Partnerin zur Seite. Ein Höhepunkt ihrer Interpretation dürfte ihr Gebet im dritten Akt darstellen, in dem sie mit einer Soloflöte (Carol Brown) eine ergreifende musikalische Einheit bildet. Calin Valentin Cozma stattet ihren Vater Muley-Hassem mit kräftigem Bass aus, der mit Intxausti vor allem in der Kerkerszene zu einer bewegenden Innigkeit findet. Jan Hoffmann führt nicht nur das Philharmonische Orchester Gießen mit sicherer Hand durch die wunderbare Belcanto-Partitur, sondern lässt auch den Chor mit seinen großartigen musikalischen Nummern hervorragend zur Geltung kommen. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Musikalisch verdient Emilio Arrieta mehr Aufmerksamkeit, auch wenn der Inhalt  dieser Oper sicherlich dramaturgisch nicht immer ganz nachvollziehbar ist. Belcanto-Fans sollten sich diese Perle in Gießen nicht entgehen lassen, zumal die Inszenierung den musikalischen Genuss auch für Traditionalisten keineswegs trüben dürfte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Chor
Jan Hoffmann

Inszenierung
Cathérine Miville

Bühne und Kostüme
Lukas Noll

Licht
Christopher Moos

Video
Martin Przybilla

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Chor und Extrachor des
Stadttheater Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen

 

Solisten

Zulema
Naroa Intxausti

Isabella
Giuseppina Piunti

Almeraya
Michaela Wehrum

Gonzalo
Leonardo Ferrando

Lara
Adrian Gans

Boabdil
Tomi Wendt

Muley-Hassem
Calin Valentin Cozma

Alamar
Aleksey Ivanov

Un Ufficiale
Nikolay Anisimov

Due Sentinelli
Sang-Kyu Han
Chul-Ho Jang

Soloflöte
Carol Brown


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



Da capo al Fine

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