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Belcanto-Rarität aus Spanien
Von Thomas Molke /
Fotos von Rolf K. Wegst
Emilio Arrieta gehört zu den zahlreichen Komponisten des 19. Jahrhunderts, deren
Werke heutzutage größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Selbst in seiner
Heimat Spanien stehen nur noch seine zahlreichen Zarzuelas auf den
Theaterspielplänen. Dabei waren es vor allem seine beiden ersten Opern, die ihm
dank der Förderung durch die spanische Königin Isabella II. eine sichere
Position im spanischen Musikleben verschafften. Dennoch verschwanden diese Werke
schon zu seinen Lebzeiten sehr schnell von den Spielplänen und gelangten im Fall
seiner zweiten Oper La conquista di Granata erst 2006 in zwei
konzertanten Aufführungen in Madrid wieder auf die Bühne. Das Stadttheater
Gießen, das sich schon seit mehreren Jahren verborgenen Schätzen der
Opernliteratur widmet, hat nun dieses Werk über die "Reconquista" auf den
Spielplan gestellt und präsentiert damit nicht nur eine deutsche Erstaufführung,
sondern auch nach fast 160 Jahren die erste szenische Umsetzung. Für die
Inszenierung zeichnet dabei die Intendantin Cathérine Miville höchstpersönlich
verantwortlich.
Isabella (Giuseppina Piunti, mit dem Chor im
Hintergrund) träumt von der Eroberung Granadas.
Die Oper spielt in Granada im Jahr 1492. Die christlichen Spanier wollen unter
Leitung ihrer Königin Isabella I. den letzten maurischen Herrscher Boabdil
(Mohammed XII.) aus Andalusien vertreiben. Im Mittelpunkt steht der spanische
Ritter Gonzalo, der heimlich die Nichte des maurischen Königs, Zulema, liebt. Als Isabella
Gonzalo auswählt, um im Zweikampf gegen Zulemas Bruder Almanzor anzutreten,
befindet sich Gonzalo in einem Gewissenskonflikt zwischen seiner Treue zur
Königin und seiner Liebe zu Zulema. Sein Freund Lara bietet ihm an, an seiner
Stelle gegen Almanzor zu kämpfen, und tötet diesen im Zweikampf. Zulemas Vater
Muley-Hassem verstößt daraufhin seine Tochter, weil er glaubt, dass sein Sohn
von Zulemas Geliebten getötet worden sei. Als Gonzalo bei Zulema gefasst wird
und von den Mauren zum Tode verurteilt wird, tritt Lara auf und gesteht, dass er
Almanzor getötet hat. Gonzalo verspricht, seinen Einfluss geltend zu machen, um
Isabellas Belagerung der Stadt abzubrechen. Daraufhin lässt Muley-Hassem die
beiden Christen frei, wird dafür allerdings von den maurischen Kriegern in ein
Verlies geworfen. Als Gonzalo davon erfährt, zieht er erneut mit den spanischen
Kriegern in den Kampf gegen die Mauren, erobert Granada und befreit Zulema und
Muley-Hassem, der sich im Gefängnis zum Christentum bekannt hat. Unter großem
Jubel kann Isabella nun als Herrscherin die Alhambra betreten.
Liebe zwischen verfeindeten Kulturen: Zulema
(Naroa Intxausti) und Gonzalo (Leonardo Ferrando)
Das Regieteam um die Intendantin verzichtet bei der Inszenierung auf eine
Verlegung der Handlung in eine andere Zeit, bleibt im Bühnenbild von Lukas Noll
allerdings recht abstrakt. So sind auf der Drehbühne zwei schräg nach oben
laufende Bühnenstege angebracht, die auf einem hohen Gerüst mit einem Schriftzug
abschließen, der Auszüge einer Inschrift für Isabella und ihren Gatten Ferdinand
beinhaltet und der am Ende der Ouvertüre auch auf eine durchsichtige Leinwand im
Bühnenvordergrund projiziert wird. Dahinter befindet sich über dem Gerüst ein
weiterer Steg, der als Balkon oder Empore fungiert. Für die einzelnen
Szenenwechsel wird dieses Bühnenbild lediglich gedreht, schränkt die
Protagonisten in ihrem Handlungsspielraum allerdings sehr ein, was sich
besonders auf die Massenszenen mit dem Chor auswirkt, der dadurch nur relativ
statisch agieren kann. Wieso der Chor in der ersten Auftrittsszene merkwürdig
geformte schwarze Brillen trägt, die an Augenbinden erinnern, bleibt ebenso
unverständlich, wie die Videoprojektion, in der eine Hand einen Granatapfel
zerquetscht und das rote Innere nach unten tropfen lässt. Soll das eine
Anspielung auf die Brutalität der katholischen Kirche sein, die nach jahrelangem
friedlichen Zusammenleben die Araber und Juden aus Andalusien vertrieben und mit
der Inquisition Angst und Schrecken verbreitet hat? Sind die an Augenbinden
erinnernden Brillen der Versuch, vor dieser Grausamkeit die Augen zu
verschließen?
Zulema (Naroa Intxausti) und ihr Vater
Muley-Hassem (Calin Valentin Cozma) im Kerker
Musikalisch bietet diese Opernrarität Belcanto vom Feinsten, so dass das
Publikum von den eingängigen Melodien so begeistert ist, dass es schon beinahe
störend jede noch so kleine Szene mit Applaus goutiert. Für die Partie der
Isabella hat man mit Giuseppina Piunti erneut einen Gießener Publikumsliebling
verpflichten können - in den letzten beiden Spielzeiten interpretierte sie mit
großem Erfolg die Titelpartien in Pacinis Maria Tudor und Gomes' Fosca.
Piunti gestaltet die spanische Königin mit einer voluminösen Mittellage und
dramatischen Höhen. Für die beweglichen Läufe wirkt ihre Stimme allerdings
mittlerweile ein bisschen zu schwer. Darstellerisch verleiht sie der Königin die
ihr gebührende Autorität. Mit Adrian Gans kehrt in der Partie des Lara ein
ehemaliges Ensemblemitglied nach Gießen zurück, der hier in den vergangenen
Jahren große Erfolge feiern konnte - erwähnt seien hier nur die Titelpartien in
Verdis Oberto und Gomes' Lo Schiavo. Als Lara punktet er mit
seinem kräftigen Bariton vor allem in seiner herrlichen Auftrittsarie im ersten
Akt, wenn er seinem Freund Gonzalo anbietet, für ihn in den Zweikampf zu ziehen.
Leider bleibt seine Partie im weiteren Verlauf des Stückes etwas blass. Man
hätte gern mehr von ihm gehört. Unklar ist auch, wieso er mit einem Granatapfel
auftritt. Soll dies der Apfel sein, der zu Beginn der Aufführung in der
Videoprojektion zerquetscht wurde?
Glückliches Ende für die Christen: in der Mitte
von links: Zulema (Naroa Intxausti), Gonzalo (Leonardo Ferrando), Isabella
(Giuseppina Piunti), Muley-Hassem (Calin Valentin Cozma), Alamar (Aleksey Ivanov)
und Almeraya (Michaela Wehrum), rechts und links außen: Chor)
Ein Höhepunkt des Abends dürfte als Ritter Gonzalo der Tenor Leonardo Ferrando
sein, der in Gießen bereits als Riccardo in Pacinis Maria Tudor
brillierte. Nahezu schwerelos schwingt sich sein schlank geführter Tenor in
atemberaubende Höhen empor, ohne dabei zu forcieren. Mit jedem Ton nimmt man ihm
im ersten Akt seine Gewissensbisse ab, wenn Isabella ihn in den Kampf gegen den
Bruder seiner Geliebten Zulema schicken will. Auch das anrührende Duett mit
Zulema im zweiten Akt, wenn er der Geliebten erklärt, dass er nicht für den Tod
ihres Bruders verantwortlich sei, ist an Innigkeit kaum zu übertreffen.
Heldenhaft zeigt er sich dann, wenn er die Todesstrafe für den Freund Lara auf
sich nimmt. Mit Naroa Intxausti aus dem Gießener Ensemble steht ihm als Zulema
mit zartem Sopran und wunderbar klaren Höhen eine adäquate Partnerin zur Seite.
Ein Höhepunkt ihrer Interpretation dürfte ihr Gebet im dritten Akt darstellen,
in dem sie mit einer Soloflöte (Carol Brown) eine ergreifende musikalische
Einheit bildet. Calin Valentin Cozma stattet ihren Vater Muley-Hassem mit
kräftigem Bass aus, der mit Intxausti vor allem in der Kerkerszene zu einer
bewegenden Innigkeit findet. Jan Hoffmann führt nicht nur das Philharmonische
Orchester Gießen mit sicherer Hand durch die wunderbare Belcanto-Partitur,
sondern lässt auch den Chor mit seinen großartigen musikalischen Nummern
hervorragend zur Geltung kommen. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für
alle Beteiligten. Musikalisch verdient Emilio Arrieta mehr Aufmerksamkeit, auch wenn der Inhalt dieser Oper sicherlich dramaturgisch nicht immer ganz nachvollziehbar ist. Belcanto-Fans sollten sich diese Perle in Gießen nicht entgehen lassen, zumal die Inszenierung den musikalischen Genuss auch für Traditionalisten keineswegs trüben dürfte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung und Chor
Inszenierung Bühne und Kostüme Licht Video
Dramaturgie
Chor und Extrachor des Philharmonisches Orchester
SolistenZulema
Isabella
Almeraya Gonzalo Lara Boabdil
Muley-Hassem
Alamar
Un Ufficiale
Due Sentinelli
Soloflöte
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