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Musiktheater
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L'Italiana in Algeri
(Die Italienerin in Algier)

Dramma giocoso per musica in zwei Akten
Text von Angelo Anelli
Musik von Gioacchino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 50' (eine Pause)

Kooperation mit der Opéra national de Lorraine - Opéra Théâtre de Metz Métropole

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 28. September 2013
(rezensierte Aufführung: 02.10.2013)

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Musiktheater im Revier
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Algier im Kongobecken

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Gerade 21 Jahre alt war Rossini, als ihm mit der L'Italiana in Algeri, seiner bereits elften Opernkomposition, die in Venedig eigentlich nur als Lückenbüßer gedacht war, da das ursprünglich geplante Werk von Carlo Coccia, La donna selvaggia, nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte, ein so großer Erfolg gelang, dass man von nun an auch international auf diesen begnadeten Komponisten aufmerksam wurde. In knapp vier Wochen schuf er auf ein bereits fünf Jahre zuvor von Luigi Mosca für Mailand vertontes Libretto von Angelo Anelli, das inhaltlich ganz im damaligen Trend für orientalische Themen stand, ein Werk, das sich allmählich neben dem Barbiere und der Cenerentola einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser zurückerobert hat. In Gelsenkirchen präsentiert man in Kooperation mit der Opéra national de Lorraine eine Produktion, die bereits 2012 in Nancy ihre Premiere feierte und nun in gewisser Weise auch als Beitrag des MiR zum Wagner-Jubiläumsjahr betrachtet werden kann, da die Uraufführung am 22. Mai, 1813, Wagners Geburtstag, stattfand.

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Mustafa (Krzysztof Borysiewicz, Mitte) will seine Frau Elvira (Alfia Kamalova) loswerden (links: Dong-Won Seo als Haly).

Die Handlung soll auf der wahren Geschichte der Mailänderin Antonietta Frappoli basieren, die 1808 Berühmtheit erlangte, als es ihr aus nicht genau geklärten Gründen gelang, aus der Gefangenschaft im Harem des Beys von Algier über Venedig in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Der Bey in der Oper, Mustafa, wahrscheinlich eine Anspielung auf Mustafa II., der von 1798 bis 1805 als osmanischer Statthalter über die Provinz Algier herrschte, ist seiner Frau Elvira überdrüssig und glaubt, dass nur eine Italienerin seinen Bedürfnissen nach der "idealen Frau" entsprechen kann. Diese erscheint in Gestalt der schönen Isabella, die in Begleitung ihres ältlichen Verehrers Taddeo von Livorno aufgebrochen ist, um ihren Geliebten Lindoro zu suchen, der als Sklave in Algier gefangen gehalten wird. Mit List und Charme gelingt es ihr, sich den Bey gefügig zu machen. So ernennt sie ihn beispielsweise zu einem Pappataci (was auf Deutsch in etwa "Papa, halt die Klappe" bedeutet), dessen einzige Beschäftigung darin besteht, zu essen, zu trinken und zu schweigen, und bricht währenddessen mit Lindoro und Taddeo zurück nach Italien auf. Zu spät erkennt Mustafa den Betrug und bittet seine Gattin Elvira demütig um Verzeihung.

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Finale des ersten Aktes: von links: Lindoro (Hongjae Lim), Isabella (Carola Guber), Taddeo (Piotr Prochera), Mustafa (Krzysztof Borysiewicz), Zulma (Anke Sieloff) und Elvira (Alfia Kamalova), auf dem Flügel: Haly (Dong-Won Seo), im Hintergrund: Herrenchor

Da das Klischee des Orients, mit dem Rossini in der Italiana spielt, weder musikalisch noch soziokulturell einen Zusammenhang zu den dortigen Völkern aufzeigt und die Figuren der Algier-Welt in der heutigen Zeit eine Ansiedlung der Handlung in der muslimischen Kultur für den Regisseur David Hermann als zweifelhaft erscheinen lassen, verlegt er die Geschichte kurzerhand in den Urwald. Hier vermittelt die Bevölkerung in ihren langen sandfarbenen Gewändern mit überdimensionierten fantasievollen afrikanischen Masken vor dem Gesicht eine Welt, die europäischen Konventionen wirklich fremd ist und die die Ausnahmesituation glaubhaft widerspiegelt, in die Lindoro, Isabella und Taddeo geraten, wenn sie auf ihren Expeditionen buchstäblich stranden. Im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic beherrschen die detailgetreu gestalteten Wrackteile eines riesigen Flugzeugs, das mitten im afrikanischen Urwald eine Bruchlandung erlitten hat, die Szene. Mit viel Fantasie haben die Urwaldbewohner diese Reste des Flugzeugs in ihre Welt integriert, sei es in Form des Laderaumes im Rumpf, der dem versklavten Lindoro als Zelle dient, dem abgebrochenen Flugzeugflügel, der dem Diener Haly als Aussichtsplattform dient, oder den blauen Sitzen im Flugzeuginneren, die in ihrer Enge bei Mustafas geplantem Rendezvous mit Isabella keinerlei Privatsphäre zulassen. Auch wie der Wald von diesem Flugzeug als Fremdkörper Besitz ergreift, ihn bereits schon wieder überwuchert und fast in seine natürliche Beschaffenheit integriert, wird von Ajdarpasic wunderbar umgesetzt.

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Keine Chance auf Zweisamkeit: Mustafa (Krzysztof Borysiewicz, vorne rechts) und Isabella (Carola Guber, links) mit Elvira (Alfia Kamalova, Mitte), Lindoro (Hongjae Lim, hinten links) und Taddeo (Piotr Prochera, hinten rechts)

In diesem Ambiente gestaltet Bettina Walter absolut stimmige Kostüme, die die Europäer deutlich von den bunt bemalten Urwald-Afrikanern abheben. Wenn Isabella im Algier-Urwald ankommt - auf welchem Weg es die Titelheldin dorthin verschlägt, bleibt in der Inszenierung allerdings offen, wohingegen gemutmaßt werden kann, dass Lindoro wahrscheinlich ein Überlebender des Flugzeugabsturzes sein könnte -, wirft sie sich nach einer Dusche zunächst in ein feuerrotes verführerisches Abendkleid, welches sie optisch mondäner wirken lässt als Mustafas Hauptfrau Elvira, die verzweifelt um die Liebe ihres Gatten kämpft. Den genau entgegengesetzten Weg schlägt Taddeo ein, wenn er vom europäischen Outfit als Isabellas Begleiter zu Mustafas Statthalter, dem großen Kaimakan, mutiert, der in seiner Lächerlichkeit an den Affenkönig King Louie aus Walt Disneys Dschungelbuch erinnert. Warum die Afrikaner in Isabellas letzter großer Arie "Pensa alla patria", in der sie alle zur gemeinsamen Flucht in die Heimat motiviert, ihre Masken und die sandfarbenen Gewänder ablegen und somit zu Italienern werden, bleibt fraglich. Handelt es sich bei ihnen vielleicht um Überlebende des Flugzeugabsturzes, die wie das Flugzeug an die Umgebung assimiliert wurden und nun ihre wahre Identität wiederfinden, oder sind sie von der von Isabella repräsentierten Welt ähnlich wie Zulma so fasziniert, dass sie die Welt, in der sie leben, hinter sich lassen wollen? Jedenfalls scheint das Ablegen der Maske ein besonderer Moment der Erkenntnis für sie zu sein.

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Isabella (Carola Guber, im Flugzeug Mitte) und Lindoro (Hongjae Lim, im Flugzeug dahinter) fliehen mit den Italienern (Chor), während Mustafa (Krzysztof Borysiewicz, vorne Mitte) als Pappataci schweigt (in der Mitte unten von links: Haly (Dong-Won Seo), Zulma (Anke Sieloff) und Elvira (Alfia Kamalova)).

Dass Isabellas Flucht am Ende in den Wrackteilen des abgestürzten Flugzeuges erfolgt, wirkt ein bisschen unglaubwürdig und stellt den Erfolg dieses Unterfangens sicherlich in Frage. Auch verzichtet Hermann in seiner Inszenierung auf eine Versöhnung zwischen Mustafa und Elvira. Die beiden bleiben zwar zusammen; ob sie allerdings nach allem, was vorgefallen ist, glücklich miteinander werden können, wird offengelassen. Jedenfalls hat Elvira durch die Italienerin an Selbstbewusstsein gewonnen und weiß nun, sich gegen ihren Gatten zur Wehr zu setzen. Während Zulma am Ende ebenfalls mit Isabella und den Italienern das Land verlässt, bleibt Taddeo im Urwald zurück und passt sich optisch den Urwaldbewohnern an. So ist er am Ende genauso bunt geschminkt wie Haly, hat also gewissermaßen dessen Aufgabe übernommen. Da Isabella sich ja nun endgültig für Lindoro entschieden hat, scheint ihm der Verbleib in Mustafas Diensten lukrativer, auch wenn diese Überlegung gemäß dem Libretto nicht gerade logisch erscheint, da Mustafa sicherlich in seiner Wut über Isabella zunächst einmal an ihrem vermeintlichen Onkel, den er ja nur ihr zuliebe zum Statthalter ernannt hat, Rache nehmen würde. Sieht man von diesen kleinen und diskutablen Abweichungen vom Libretto ab, gelingt Hermann eine stimmige und unterhaltsame Personenregie, die vom Ensemble mit großer Spielfreude und darstellerischer Präsenz umgesetzt wird.

Leider weist die musikalische Darbietung an diesem Abend allerdings einige Schattenseiten auf. Da ist zunächst Hongjae Lim als Lindoro zu nennen, der der Partie speziell in den Höhen noch nicht gewachsen ist. Sein Tenor verfügt zwar über einiges Potenzial, das er allerdings nicht immer zielgerichtet einsetzen kann. Seine beiden Kavatinen "Ah, quando fia" zu Beginn der Oper, wenn er seine Einsamkeit in Algier beklagt und sehnsuchtsvoll an seine Geliebte Isabella denkt, und "Oh come il cor di giubilo" im zweiten Akt, wenn er auf ein glückliches Ende mit Isabella hofft, werden zu einer regelrechten Zitterpartie, die die Wirkung dieser beiden wunderschönen Melodien leider verpuffen lässt. Auch Krzysztof Borysiewicz wird mit seinem stellenweise zu leisen Bass stimmlich der anspruchsvollen Buffo-Partie des Mustafa nicht immer gerecht. Probleme bereiten ihm teilweise die Tempi in der Abstimmung mit dem Orchestergraben. Die stimmlichen Defizite vermag er allerdings mit großartigem, machohaftem Spiel wieder auszugleichen. Leichte Probleme mit den Tempi hat bisweilen auch der von Christian Jeub einstudierte Herrenchor, was vielleicht auch an einer Sichteinschränkung durch die großen Masken liegen kann. Carola Guber präsentiert mit beweglichem Mezzo und lebhaftem Spiel eine solide Leistung in der Titelpartie. Dennoch werden sich langjährige Gelsenkirchener Theaterbesucher fragen, wieso man diese Partie nicht mit dem Ensemble-Mitglied Anke Sieloff besetzt hat, die ebenfalls das stimmliche und auch optische Potenzial für diese Figur gehabt hätte. Mit warmer Stimme und bewegendem Spiel macht sie nämlich aus der relativ unbedeutenden Figur der Zulma eine regelrechte Glanzrolle.

Zu den musikalischen Lichtgestalten des Abends zählen neben Sieloff auch Alfia Kamalova als Elvira und Piotr Prochera als Taddeo. Kamalova stattet Mustafas Ehefrau mit leuchtendem Sopran aus und vollzieht darstellerisch einen glaubhaften Wandel von der leidenden zur selbstbewussten Ehefrau, die sich von nun an nicht mehr von ihrem Mann demütigen lassen wird. Für Prochera ist die Buffo-Partie des Taddeo, dessen Handeln einzig von seiner Liebe zu Isabella motiviert wird, eine regelrechte Paraderolle, ob er nun mit einem knappen Röckchen aus Bambusblättern und Knoblauchzehen von Haly in den Kochtopf gesteckt werden soll oder von diesem genötigt wird, als großer Kaimakan in ein absolut albernes Kostüm zu schlüpfen. Stets gelingt es Prochera mit komödiantischem Spiel, diese Figur nicht der Lächerlichkeit preiszugeben und dabei noch mit kräftigem, beweglichem Bariton stimmlich zu punkten. Dong-Won Seo zeigt als Haly mit kräftigem Bass ebenfalls eine solide Leistung. Die Neue Philharmonie hat unter der Leitung von Valtteri Rauhalammi zumindest während der Ouvertüre noch einige Probleme mit Rossinis leichtem Belcanto-Klang, vermag sich allerdings im Verlauf des Abends zu steigern und präsentiert zumindest die Stretta am Ende des ersten Aktes, in der die Sänger ihre Überforderung mit den phonetischen Floskeln "Din-Din, Tak-Ta, Kra-Kra" und "Bum-Bum" zum Ausdruck bringen, im trefflichen Rossini-Tempo.

FAZIT

Leider kann an diesem Abend die musikalische Umsetzung mit der stimmigen Inszenierung und dem schönen Bühnenbild nicht ganz mithalten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Inszenierung
David Hermann

Regiemitarbeit
Karin Maria Piening

Bühne
Rifail Ajdarpasic

Kostüme
Bettina Walter

Lichtdesign
Fabrice Kebour

Lichteinrichtung
Jürgen Rudolph

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Anna Melcher
 

Herren des Opern- und
Extrachors des MiR

Statisterie des MiR

Neue Philharmonie Westfalen

Solisten

Isabella
Carola Guber

Mustafa
Krzysztof Borysiewicz

Lindoro
Hongjae Lim

Taddeo
Piotr Prochera

Elvira
Alfia Kamalova

Zulma
A
nke Sieloff

Haly
Dong-Won Seo


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