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Orlando furioso (Der rasende Roland)

Dramma per musica in zwei Teilen
Text von Grazio Braccioli nach dem gleichnamigen Versepos (1516) von Ludovico Ariosto
Musik von Antonio Vivaldi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt am 12. Februar 2014
(rezensierte Aufführung: 08.03.2014) (Premiere der Produktion: 14. Februar 2010)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Peppiges Barockspektakel mit großen Stimmen

Von Thomas Molke / Fotos von Wolfgang Runkel


Von Antonio Vivaldis ca. 97 Opern dürfte Orlando furioso wohl als die gelungenste Oper des zu seiner Zeit sicherlich produktivsten Komponisten gelten. Ein Grund dafür mag der Wahnsinn der Titelfigur sein, der sich gerade nicht in den für die damalige Zeit typischen Affekt-Arien nach dem üblichen ABA-Schema entlädt, sondern in Rezitativen abgebildet wird und die Arien gewissermaßen in ihre Einzelteile zerlegt. Auch dürfte die erste Wiederaufführung Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mit Marilyn Horne einen nicht unbedeutenden Anteil an der Popularität dieses Werkes haben, selbst wenn bei dieser ersten Neueinstudierung die meisten Arien, die nicht der Titelfigur zufielen, gestrichen wurden, weil die anderen Partien sonst nicht hätten besetzt werden können. Erst in den letzten Jahren hat sich mit dem wachsenden Interesse an den Barockopern eine Generation von Sängerinnen und Sängern entwickelt, deren Stimmen nicht mehr durch die Schule des 19. Jahrhunderts geprägt und damit den schnellen Koloraturen wieder gewachsen sind. In Frankfurt wurde nun David Böschs Inszenierung vom Februar 2010 erneut in den Spielplan aufgenommen.

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Alcina (Daniela Pini) will sich neuen Eroberungen zuwenden. Da ist Astolfo (Björn Bürger) nur noch für die Hausarbeit zu gebrauchen.

Die Handlung verknüpft unterschiedliche Handlungsstränge aus Ludovico Ariostos gleichnamigem Versepos und ist eigentlich eine radikale Umarbeitung der gleichnamigen Oper von Giovanni Alberto Ristori, die Vivaldi 1713 im Teatro Sant' Angelo erlebte und zu der er im folgenden Jahr eine Fortsetzung komponieren sollte. Diese Fortsetzung unter dem Titel Orlando finto pazzo wurde allerdings ein so großer Misserfolg, dass Vivaldi nach zahlreichen Umarbeitungsversuchen schließlich auf Ristoris Fassung zurückgriff. Orlando, ein Paladin aus dem Heer Karls des Großen, verliebt sich unsterblich in Angelica, die allerdings Medoro liebt. Auf der Flucht vor Orlando flieht sie auf Alcinas Zauberinsel und versucht, mit Hilfe der Zauberin Orlando loszuwerden. Zunächst gelingt es Angelica, Orlando auf die Suche nach einem Zaubertrank zu schicken, der ewige Jugend verspricht. Als Orlando bei seiner Rückkehr erfährt, dass Angelica während seiner Abwesenheit Medoro geheiratet hat, verfällt er dem Wahnsinn. Parallel zu dieser Handlung verirren sich der Kreuzritter Ruggiero und seine Frau Bradamante auf die Zauberinsel. Während Ruggiero zunächst Alcinas Reizen erliegt, kann Bradamante ihren treulosen Gatten aus den Fängen der Zauberin befreien und nimmt gemeinsam mit dem bereuenden Ruggiero Rache an Alcina. Nachdem Alcinas Macht zerstört ist, besiegt Orlando durch den Untergang der Zauberin seinen Liebeswahn und verzichtet auf Angelica, so dass dem für die Opera seria obligatorischen Lieto fine nichts mehr im Weg steht.

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Alcina (Daniela Pini) verführt Ruggiero (Lawrence Zazzo).

Das Bühnenbild von Dirk Becker könnte mit den hohen Felsen und dem hellblauen Hintergrund mit kleinen weißen Wolken fast den Eindruck erwecken, dass hier eine märchenhafte Zauberinsel abgebildet wird, wenn nicht die hohen Felsen mit teils kitschigem Mobiliar wie einem riesigen Gepard aus Porzellan und altmodischen Stehlampen, teils bunt peppigen Kissen und Luftballons ausgestattet wären. So bekommt das Zauberreich einen recht flippigen Anstrich. Auch die Kostüme von Meentje Nielsen sind modern gehalten. Orlando tritt zunächst in schwarzem Outfit als absoluter Macho auf, bevor er dann, wenn er dem Wahnsinn verfallen ist, ein rotes langes Kleid überzieht, das Angelica getragen hat, als sie ihn gebeten hat, für ihn den Zaubertrank zu beschaffen. Wenn er am Ende seinen Verstand wieder zurückgewinnt, ist er in einem hautfarbenen Shirt mit Waschbrettbauch wieder ganz der Macho vom Anfang. Auch Alcinas diverse Kostüme machen zum einen die Wandlungsfähigkeit der Zauberin - von Femme fatale in goldenem Glitzerkleid bis zur Krankenschwester, die den verletzten Medoro mit ihren Zauberkräften heilt -, zum anderen aber auch ihren Verfall durch das Schwinden ihrer Zauberkraft deutlich. So erscheint sie am Ende als alte gebrochene Frau.

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Orlando (Delphine Galou) rast, und Alcinas (Daniela Pini) Zauberreich geht unter.

Die Raserei wird von Bösch mit großem Spektakel auf der Bühne in Szene gesetzt, wobei sich der Wahn nicht nur auf die Titelfigur beschränkt. So dürfen auch andere Figuren jede Menge Crash-Glas auf der Bühne zerschlagen, und Astolfo, der zu Beginn noch damit beschäftigt ist, die Scherben zu beseitigen, überschüttet am Ende sogar die ganze Bühne mit Benzin, um das Zauberreich der von ihm einst geliebten Zauberin zu zerstören. Bradamante schießt mit einer Waffe wild um sich, wenn sie ihren Mann Ruggiero aus den Fängen Alcinas befreien will, und Orlando selbst darf vor der Pause schon einmal alle anderen Figuren mit einem Laser-Schwert abstechen, bevor sich dann, wenn der Vorhang fällt, alle wieder erheben. Bösch betont, dass es sich hierbei größtenteils um Wahnvorstellungen Orlandos handelt, der dann im zweiten Teil ab einem bestimmten Zeitpunkt die Bühne auch nicht mehr verlässt, sondern das Geschehen beobachtet. Ob der Vollmond, der im Hintergrund bei Orlandos Raserei erscheint, eine Anspielung auf Ariosto sein soll, in dessen Roman Orlandos Verstand auf den Mond geflogen ist, von wo ihn Astolfo zurückholen muss, kann nur gemutmaßt werden.

Musikalisch bewegt sich die Vorstellung auf hohem Niveau, wobei drei Sängerinnen aus der Premierenbesetzung von 2010 zu erleben sind. Daniela Pini stattet die Partie der Zauberin Alcina mit verführerischem Mezzo aus, der in der Mittellage samtweich klingt und nachvollziehbar macht, wie diese Zauberin mit ihrer Stimme die Männer betört. In den Spitzentönen macht sie allerdings auch deutlich, dass mit dieser Zauberin nicht zu spaßen ist. Großartig gelingt ihre Arie "Così potessi anch'io", in der sie bei der Hochzeit von Angelica und Medoro um den verlorenen Ruggiero trauert und ihn in ihren Gedanken hinter einem leicht durchschimmernden dunklen Vorhang sieht. Bewegend setzt Pini dabei auch die Verwandlung der Zauberin in eine alte Frau um, deren Zauberkraft immer mehr schwindet. Paula Murrihy verleiht Medoro mit ihrem weichen Mezzo recht leidende Züge, so dass Angelica sich eventuell die Frage stellen könnte, ob dieser Mann wirklich ihre Liebe verdient. Katharina Magiera gefällt als Bradamante mit einem satten Alt, der die Entschlossenheit dieser jungen Frau glaubhaft zum Ausdruck bringt. Dass sie in der Beziehung "die Hosen anhat", wird deutlich, bevor sie die mittlerweile schon kraftlose Alcina als vermeintlicher Aldarico verführen will. Nachdem sie zunächst mit einer Kittelschürze ihrem Mann Ruggiero, der die ganze Zeit einen Kinderwagen schiebt, ein Baby nach dem nächsten zugeworfen hat, bindet sie ihm schließlich die Schürze um und vertauscht damit auch das Rollenverhalten in dieser Beziehung.

Für die Titelpartie ist Delphine Galou verpflichtet worden, die zwar an diesem Abend als leicht indisponiert angesagt wird, sich stimmlich und darstellerisch allerdings keine Schwäche anmerken lässt. Mit spielerischer Leichtigkeit gelingen ihr die schnellen Koloraturen, und in ihrem Spiel präsentiert sie sich nicht nur in der Mimik und Gestik absolut viril, sondern kostet auch die komischen Momente ihrer Raserei mit großer Spielfreude aus, wenn sie im ersten Teil die einzelnen Figuren nahezu versehentlich absticht und im zweiten Teil dem Orchester in ihren Wahnsinnsszenen sehr deutlich macht, wann sie welchen Einsatz beziehungsweise welche Melodie erwartet. Lawrence Zazzo überzeugt als Ruggiero mit beweglichem Countertenor und lässt vor allem seine große Arie "Sol da te, mio dolce amore", wenn er zur virtuosen Begleitung der Querflöte seine Gefühle für Alcina besingt, zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends werden. Björn Bürger begeistert als Astolfo mit kräftigem Bariton und trumpft szenisch richtig auf, wenn er Alcinas Demütigungen nicht länger ertragen kann und selbst die Insel zerstören will, auch wenn er sich dabei selbst mehr Leid zufügt und zum Schlussgesang bandagiert im Rollstuhl auf die Bühne fährt. Kateryna Kasper stattet Angelica mit einem mädchenhaften Sopran aus, und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester rundet unter der Leitung von Felice Venanzoni diesen Barockabend differenziert ausgelotet ab, so dass es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Für Barock-Fans und solche, die es werden wollen, hat diese bunte Inszenierung auch nach vier Jahren nichts an Frische eingebüßt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Felice Venanzoni

Regie
David Bösch

Szenische Leitung der Wiederaufnahme
Alan Barnes

Bühnenbild
Dirk Becker

Kostüme
Meentje Nielsen

Licht
Olaf Winter

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

*rezensierte Aufführung

Orlando
Delphine Galou

Alcina
Daniela Pini

Angelica
Sofia Fomina /
*Kateryna Kasper

Ruggiero
Lawrence Zazzo

Medoro
Paula Murrihy

Bradamante
Katharina Magiera

Astolfo
Björn Bürger



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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