Spannendes Musiktheater mit vielen Rezitativen
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller
Bei Christoph Willibald Gluck denkt man meistens an den großen Opernreformer,
der im 18. Jahrhundert die Gattung vom steifen Korsett der Opera seria befreit
hat. Dass er allerdings, bevor er mit Orfeo ed
Euridice seine erste Reformoper präsentierte, bereits 20 Jahre im Geschäft
war und in dieser Zeit große
Erfolge mit seinen der Opera seria verhafteten Werken feierte, wird heutzutage
gern vergessen, da auch ein Teil seines Opernschaffens dieser Zeit leider
verloren gegangen ist und noch nicht in irgendwelchen Archiven wieder
aufgetaucht ist. Doch auch seine erhaltenen frühen Werke fristen auf den
Opernbühnen ein Schattendasein. Die Oper Frankfurt hat sich nun sein Dramma per
musica Ezio vorgenommen, das insofern eine besondere Stellung einnimmt,
da Gluck dieses für die Karnevalssaison in Prag 1750 komponierte Werk 13 Jahre
später in der Wiener Fassung zu einem Zeitpunkt gravierend umarbeitete, als er
mit Orfeo ed Euridice bereits neue Wege eingeschlagen hatte. In Frankfurt
hat man sich allerdings für die Prager Fassung entschieden, die so sehr von den
Rezitativen beherrscht wird, dass sie stellenweise eher einem musikalischen
Schauspiel gleichkommt. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass man bei den
Gluck-Opern-Festspielen in Nürnberg 2012 eine adaptierte Fassung für
Schauspieler und Sänger präsentiert hat (siehe auch
unsere Rezension).
Fulvia (Paula Murrihy) gesteht Valentiniano (Max
Emanuel Cencic), dass sie Ezio, und nicht ihn liebt.
Die Geschichte basiert wie bei den meisten Frühwerken von Gluck auf einem
Libretto von Pietro Metastasio, welches dieser 1728 verfasste, als er noch nicht
als Hofdichter im Dienste der kaiserlichen Familie stand und somit in
seiner Charakterisierung des Herrschers frei von etwaiger Huldigung war, wie sie
beispielsweise in La Clemenza di Tito zu beobachten ist. Der römische
Feldherr Ezio (Aëtius) hat für den Kaiser Valentiniano (Valentinian III.)
den Hunnenkönig Attila besiegt und soll als Belohnung Onoria, die Schwester des
Kaisers, zur Frau bekommen. Allerdings liebt Ezio Fulvia, die Tochter des
Patriziers Massimo (Maximus), womit er sich den Neid des Kaisers zuzieht, da
dieser sie als Gemahlin für sich auserkoren hat. Massimo, der selbst noch eine Rechnung
mit dem Kaiser offen hat, plant, den Kaiser mit Fulvias Hilfe zu ermorden, und lässt Ezio beim Kaiser in
Ungnade fallen. Valentiniano, der durch Massimos Intrige glaubt, dass Ezio ihm
nach dem Leben trachte, will seinen treu ergebenen Feldherrn durch Varo heimlich
hinrichten lassen. Doch dieser führt den Befehl nur zum Schein aus, und so kann
Ezio noch rechtzeitig verhindern, dass Massimo einen Anschlag auf den Kaiser
verübt. Aus Dankbarkeit verzichtet Valentiniano nun auf Fulvia und gewährt
allen, sogar Massimo, Vergebung.
Ezio (Sonia Prina) weist Valentinianos Schwester
Onoria (Sofia Fomina) als Braut zurück.
Vincent
Boussard misstraut in seiner Inszenierung dem lieto fine, zumal es nicht der
Historie entspricht, wonach Ezio 454 bei einer Beratung im Palast des Kaisers
von Valentiniano eigenhändig ermordet worden ist, um etwaige potenzielle Gegner
des Kaisers einzuschüchtern. Zwar hält er sich in der Personenregie an den gesungenen Text,
lässt allerdings den Schluss in einer Art Museum spielen, wo Statisten
gewissermaßen als Museumsbesucher die Figuren des Stückes genauso betrachten wie
die zahlreichen ausgestellten Augustus-Statuen, die nicht nur in
unterschiedlicher Größe überall auf der Bühne stehen, sondern auch kopfüber an
den Wänden hängen. Wenn sich Ezio und die anderen zum Schlusschor in
friedlicher Harmonie auf einem Podest zum Gruppenbild positionieren, wirken sie selbst wie
Relikte einer längst vergangenen Zeit und fangen nur einen Moment ein, der
vielleicht vor einem anschließend folgenden Blutvergießen gestanden haben mag. Auch die von Kaspar
Glaner entworfenen hohen weißen Bühnenwände wirken wie zwei leere Seiten eines
Buches, das erst noch geschrieben werden muss.
Valentiniano (Max Emanuel Cencic) will Fulvia
(Paula Murrihy) zwingen, ihn zu heiraten (rechts: Massimo (Beau Gibson)).
Beeindruckend gelingt die Lichtregie von Joachim Klein, der aus den Schatten der
Figuren beeindruckende Bilder auf die weißen Rückwände wirft. Vor der Pause
werden diese Schatten so
geschickt in die Projektion eines grauen Steinbodens auf der
Rückwand eingearbeitet, dass die Figuren über die senkrechten Wände zu laufen scheinen. Nach
der Pause sind es die zahlreichen Augustus-Statuen, die überall auf den Wänden
reflektieren und somit die grenzenlose Macht und Willkür des Kaisers
manifestieren. Einige der Video-Projektionen von Bibi Abel bleiben allerdings
unklar. Während der Steinboden wunderbar mit den Figuren korrespondiert, werden
die schwarzen Schatten zu Beginn der Aufführung, die in der Form an Flugzeuge
erinnern, nicht klar. Soll das ein Zeichen der Gegenwart sein, die in Form der
Technologie über die Antike hinweg fliegt, oder sind es Vögel, die über den
Kaiserpalast fliegen und an deren Flug in der Antike die Zukunft gedeutet wurde?
Immerhin lässt Kaspar Glaner auch angedeutete große schwarze Vögel im Flug aus
dem Schnürboden herabsinken. Aufwendig gestaltet sind die Kostüme von Christian
Lacroix, der Fulvia und Onoria mit ausladenden Rokoko-Kleidern ausstattet, die
farblich auf Massimos dunklen Mantel und Valentinianos glänzende Gewänder
abgestimmt sind.
Ezio (Sonia Prina) ist verzweifelt.
Für die Produktion sind mit Sonia Prina und Max Emanuel Cencic
zwei hochkarätige Gäste engagiert worden. Prina stattet die Titelpartie mit
einer satten Mittellage aus und taucht mit großem Volumen in unglaubliche Tiefen
ab. Einen Höhepunkt stellt ihre große Arie "Se fedele mi brama il regnante" dar, in der
Ezio zwischen seinen Gefühlen für Fulvia und der Treue zum Kaiser hin- und
hergerissen wird. Hier begeistert Prina mit beweglichen Koloraturen und
Ausbrüchen in dramatische Höhen, die den inneren Kampf der Titelfigur regelrecht
spürbar machen. Auch die tragische Arie "Ecco alle mie catene", wenn sich Ezio
von der Geliebten verabschiedet, um in den Kerker zu gehen, wird von Prina mit
großer Wärme und Innigkeit gestaltet. Darstellerisch wirkt Prina in der
Hosenrolle mit virilem Spiel absolut überzeugend. Cencic spielt den paranoiden
Charakter des Kaisers mit einem wandlungsfähigen Countertenor aus, der
einerseits in weichen Passagen belegt, dass er schwach und kein Held wie Ezio
ist, andererseits zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist, was die
Unberechenbarkeit dieses Kaisers deutlich macht.
Neben diesen beiden Gästen sind die anderen Partien mit
Ensemble-Mitgliedern ebenfalls hochkarätig besetzt. Paula Murrihy begeistert als
Fulvia mit dramatischem Mezzo, der die innere Zerrissenheit zwischen ihrer Liebe
zu Ezio, der Furcht vor dem Kaiser und dem Gehorsam ihrem Vater gegenüber
glaubhaft zum Ausdruck bringt. Auch darstellerisch weiß Murrihy als leidende
junge Frau zu überzeugen. Großartig gelingt ihre Szene "Misera, dove son?", die
in die Wahnsinns-Arie "Ah! Non son io che parla" übergeht, in der sie ihrem
Schmerz nach dem scheinbaren Verlust des Geliebten freien Lauf lässt. Sofia
Fomina stattet Valentinianos Schwester Onoria mit leuchtendem Sopran aus und
präsentiert sich als glaubhafte Rivalin zu Fulvia, die aber im Gegensatz zu den
männlichen Charakteren wie Fulvia ebenfalls humanistische Züge trägt und daher bereit ist,
auf den geliebten Ezio zu verzichten. Beau Gibson stattet den intriganten
Massimo mit einem kräftigen Tenor aus und wirkt auch optisch durch seine große
Statur gefährlich. Simon Bode gefällt als Varo mit lyrischem Tenor. Christian
Curnyn lotet mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester Glucks Partitur
differenziert aus und lässt aus dem Orchestergraben einen gelungenen
Barock-Sound erklingen. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für alle
Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht.FAZIT
Glucks Frühwerk ist trotz (oder wegen?) der zahlreichen Rezitative ein
spannendes Stück Musiktheater, das auf den Bühnen einen festen Platz neben
anderen Barockopern verdient.
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