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Musiktheater
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Macbeth

Oper in vier Akten
Dichtung von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 19. Oktober 2013


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Vor dieser Lady muss man keine Angst haben

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Essen im Jahr 1 nach Stefan Soltesz: 16 Jahre lang hat der ungarischstämmige Dirigent in Doppelfunktion als Opernintendant und Generalmusikdirektor das Aalto-Theater geprägt (unser Kommentar). Mit Soltesz' Ausscheiden sind die beiden Leitungspositionen auf Hein Mulders (Intendanz) und Tomáš Netopil (GMD) aufgeteilt worden. Nach außen hin setzt der neue Intendant eher auf Kontinuität denn auf Wechsel - anders als etwa in Bonn, wo der neue Theaterchef Bernhard Helmich vom Logo über das Ensemble bis zur Spielplangestaltung deutlich einen Neuanfang signalisiert, ist in Essen das verkleinerte Format der Programmhefte (ansonsten ist vom Theaterlogo bis zur markant blauen Farbe alles beibehalten) schon beinahe die auffälligste Neuerung, was natürlich auch an der Theaterstruktur liegt. Als Repertoiretheater spielt das Aalto nicht weniger als 13 Produktionen der vergangenen Jahre auch weiterhin (dem gegenüber stehen fünf Neuproduktionen). Und ursprünglich hätte Soltesz selbst noch ein paar Abende am Pult der Essener Philharmoniker stehen sollen, die er inzwischen abgesagt hat. Der nicht gerade für Selbstzweifel bekannte Dirigent sei, so munkelt man, doch recht ungehalten, dass ihm die angeblich von ihm selbst heftig reklamierte Ehrendirigentenwürde nicht widerspruchslos erteilt wurde.

Vergrößerung in neuem Fenster Ziemlich blutig: Lady Macbeth (Gun-Brit Barkmin)

Soltesz hatte seine künstlerische Autorität auf die exzellente Orchesterkultur der Essener Philharmoniker begründen können, die er mit (freundlich gesagt) hartem Regiment, aber auch außerordentlich hoher Präsenz (welcher andere Chefdirigent leitet so viele Vorstellungen am eigenen Haus?) nicht nur zu einem Spitzenorchester geformt hat, sondern – womöglich noch schwerer – dauerhaft auf dem erreichten hohen Niveau halten konnte. Die leise Sorge, Soltesz' arg große Fußstapfen seien für den Nachfolger vielleicht doch (zu) groß, kann Tomáš Netopil als neuer Chefdirigent in dieser ersten Opernproduktion mehr als entkräften. Als vormaliger Musikdirektor des Prager National- und Ständetheaters keineswegs ein unbeschriebenes Blatt, führt Netopil die enorme Präzision und Genauigkeit im Zusammenspiel fort, zeigt aber zugleich seine eigene Handschrift. Er lässt den Musikern bei aller Disziplin mehr Freiheiten, behandelt Soloinstrumente nicht so stark wie Soltesz als Registerfarben eines Kollektivs, sondern lässt die Bläser aufblühen, die Musik stärker „atmen“, ist flexibler in der Anpassung der Tempi an die Sänger. Er kostet die düsteren Klangfarben dieser Partitur mit einer sehr nuancierten Gestaltung aus, bindet durch große Bögen die immer heiklen Umtata-Stellen des frühen Verdi schlüssig in die Gesamtlinie ein, ist nie vordergründig in den Effekten und gibt der Musik trotz mancher Rücksichtnahme auf die Sänger die nötige Dramatik. Und ganz ausgezeichnet klingt unter seinem Dirigat der (von Alexander Eberle perfekt einstudierte) Chor, der – eine Seltenheit unter Opernchören – die Stärke des Vibratos der Szene anpasst und beispielsweise zu Beginn des vierten Aktes vom Oberrang aus fast ohne Vibrato, trotzdem mit vollem Klang und mit oratorischer Strenge die Leiden des kriegsgeplagten Volkes besingt. Orchester, Chor und Dirigent sind die eindeutigen Gewinner des Abends.

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Ziemlich durcheinander: Macbeth (Tommi Hakala)

Die Gesangssolisten (und auch das setzt – leider - eine Tradition der Soltesz-Jahre fort) können dieses hohe Niveau nicht halten. Der finnische Bariton Tommi Hakala verfügt über eine durchaus große, nicht allzu farbenreiche Stimme, die in den Spitzentönen nicht ungefährdet ist und dann je nach Vokalfärbung auch recht fahl klingen kann, und gibt damit einen durchaus akzeptablen, wenn auch nicht glanzvollen Macbeth. Die Lady Macbeth ist mit Gun-Brit Barkmin dagegen sehr unglücklich besetzt. Der Stimme fehlt die dramatische Kraft (wie singt sie nur in Wien Salome und Sieglinde?), von der oberen Mittellage an klingt sie unfokussiert, muss die Intonation oft korrigieren, wechselt uneinheitlich die Klangfarbe und lässt jeden Glanz vermissen. Nun muss die Lady nach Verdis Diktum nicht „schön“ gesungen werden, aber dann doch bitte Furcht einflößend düster oder zumindest geheimnisvoll. Irgendwie bewältigt sie die Partie, gestaltet sie mit ein paar schönen (lyrischen) Pianotönen, allerlei Schluchzern, halb gesprochenen Passagen und anderen Manierismen ziemlich vordergründig – ein überzeugendes Rollenportrait ergibt auch das nicht. Der verhältnismäßig freundliche Schlussapplaus sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass Szenenapplaus ausblieb – eigentlich undenkbar für diese Rolle. Ein wenig altmodisch und altväterlich in Klang und Gestus, aber doch stimmlich mehr als solide gibt der chinesische Bss Liang Li den Banquo. Alexey Sayapin mit nicht allzu schwerem Tenor ein ordentlicher Macduff.

Vergrößerung in neuem Fenster Ziemlich tot: Duncan (Bern Graf, links). Lady Macbeth und Gatte dagegen sind noch obenauf.

Ambivalente Eindrücke hinterlässt die Inszenierung von David Hermann. Inhaltlich knüpft sie an die seit Siegmund Freud in der Shakespeare-Rezeption präsente Deutungslinie an, die Kinderlosigkeit von Lord und Lady Macbeth als Auslöser für deren vor keinem Mord zurück schreckende Machtgier zu betrachten. Zu den Klängen des Vorspiels steht die Lady an einem Grab – vielleicht Grab ihres Kindes? Jedenfalls spielen Schwangerschaft und Kinder im Verlauf der Inszenierung eine tragende Rolle. Eine Schar von Kindern ist der eigentliche Gegenstand von Macbeths Vision zukünftiger Könige. Warum aber erscheinen diese Kinder nie als Kinder, sondern als kleine (immer männliche) Erwachsene? Es ist vielleicht nicht das Schlechteste, dass Hermann vieles uneindeutig lässt. Die eigentliche Geschichte läuft beinahe naturalistisch, wenn auch in den Mitteln stark abstrahiert, auf einer anderen, archaisch anmutenden Ebene in weitgehender Dunkelheit und irgendwie mittelalterlichen Hemden ab. Kontrastiert wird das durch eine Party-Gesellschaft im Stil der, ja, sollen das die 1920er oder 1930er-Jahre sein? Jedenfalls gruppiert man sich zur Bankett-Szene auf dem mit Herbstlaub bedeckten Rasen zum Picknick und ignoriert die Gespenstergestalten der Vergangenheit. Damit bringt Hermann sich und das Publikum um den von Verdi geplanten coup de théâtre, denn wo im Original Macbeth vor versammelter Gesellschaft durch seine Vision der Ermordeten spektakulär aus seiner Herrscherrolle fällt, gibt es hier ein undramatisches Nebeneinander der Zeitebenen, die sich nicht berühren.

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Ziemlich entwurzelt (Bühne Christof Hetzer). Unter Bäumen wandeln hier Banquo (Liang Li) und Macbeth (Tommi Hakala)

Gegenüber dem psychoanalytischen Regieansatz gewinnt die ästhetische Dimension schnell die Oberhand. Mit deutlich zu viel Blitz und Donner fährt zu Beginn ein Baumstumpf mit riesigen Wurzelballen gen Bühnenhimmel (sichtbares Zeichen der „Entwurzelung“ Macbeths) und hinterlässt einen Krater, aus dem (unsichtbar) die Hexen ihre Prophezeiungen erklingen lassen. Eine Bogenbrücke führt später über diesen Krater, und in derem schmiedeeisernen Geländer zeigt sich je nach Beleuchtung mehr oder weniger deutlich eine an eine Krone erinnernde Ornamentik. Hin und wieder senkt sich ein Kubus über Krater und Brücke, und auf dessen Außenwände werden Videoprojektionen eingeblendet – blutrote Hände, kräuselnde Wasseroberflächen, wehende Vorhänge (so weit sich das in der zur Abstraktion neigenden Darstellung erkennen lässt). Das Spiel mit solcher Bildsymbolik, wenn auch oft hart am Rand vordergründiger Plakativität, hat wirkungsvolle Momente, lässt die Szene aber mitunter auch erstarren wie in einer Ausstattungsoper. Ein wirklich überzeugendes Konzept dahinter wird nicht erkennbar. Als Alternative zu weitgehend ausgetretenen Regiepfaden, die den Macbeth als modernes Machtspiel in Führungsetagen oder mystisch raunendes Historienspektakel vorführen, lässt sich das nicht ganz schlecht an. Oder, wie man in der Pause allerorten hörte: Die Regie stört nicht groß.


FAZIT

Glanzvoller Opernstart für Essens neuen Chefdirigenten Tomáš Netopil mit großartigem Chor und Orchester. Viel mehr Gründe gibt es aber nicht, sich diese Produktion anzusehen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Tomáš Netopil

Inszenierung
David Hermann 

Bühnenbild und Kostüme
Christof Hetzer 

Video
Martin Eidenberger 

Chor
Alexander Eberle 

Dramaturgie
Dr. Alexander Meier-Dörzenbach 



Chor des Aalto-Theaters

Essener Philharmoniker


Solisten

Macbeth
Tommi Hakala

Banquo
Liang Li

Macduff
Alexey Sayapin

Lady Macbeth
Gun-Brit Barkmin

Kammerfrau der Lady Macbeth
Marie-Helen Joël

Malcolm, Duncans Sohn
Abdellah Lasri

Ein Arzt
Baurzhan Anderzhanov






Weitere Informationen
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Theater Essen
(Homepage)




Da capo al Fine

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