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Giselle

Ballett in zwei Akten von David Dawson
Musik von Adolphe Adam arrangiert von David Coleman

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Koproduktion mit dem Musiktheater im Revier

Premiere im Aalto-Theater Essen am 29. März 2014
(rezensierte Aufführung: 08.04.2014)


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Theater Essen
(Homepage)
Im Reich der Kirschblüte

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß

Als er Giselle zum ersten Mal gesehen habe, sei er von der Einzigartigkeit dieses Handlungsballettes so begeistert gewesen, dass er am Ende seiner Laufbahn als Tänzer den Beschluss gefasst habe, selbst eine Giselle zu kreieren. So äußert sich David Dawson in seinen inhaltlichen Notizen "Ein Stück, an das ich wirklich glaube" anlässlich der Choreographie für das Semperoper Ballett, die seit 2008 fester Bestandteil des Repertoires in Dresden ist. Nun hat er dieses Stück neu einstudiert und verbindet dabei zwei Compagnien, die zwar geographisch nah beieinander liegen, bis jetzt allerdings noch nicht kooperiert haben: das Aalto Ballett in Essen und das Ballett im Revier in Gelsenkirchen. Während dieser Ballettabend in dieser Spielzeit mit Tänzerinnen und Tänzern aus beiden Compagnien im Aalto Theater zu erleben ist - teilweise steht dabei die Ballettchefin aus Gelsenkirchen, Bridget Breiner, selbst in der Titelpartie oder als Bathilde auf der Bühne -, wird diese Produktion in der nächsten Saison Einzug ins Musiktheater im Revier halten.

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Hilarion (Armen Hakobyan) liebt Giselle (im Hintergrund: Ensemble).

Dabei schafft Dawson seine eigene Version des Handlungsballettes, das sich von der weitläufig bekannten Geschichte in einigen Punkten unterscheidet. Zunächst verzichtet Dawson auf jegliche zeitliche oder örtliche Einordnung. So ist Giselle weder ein armes Bauernmädchen, noch macht der Standesunterschied zu dem adeligen Albrecht eine feste Beziehung zwischen den beiden unmöglich. Hierin liegt auch der einzige Schwachpunkt der Handlung, da so der Betrug Albrechts beziehungsweise sein Vergehen, das Giselle in den Wahnsinn und damit in den Selbstmord treibt, nicht nachvollziehbar wird. Er gehört zu Bathildes Gefolge, das heißt zu einer Reihe von Verehrern, die diese begehrenswerte Frau begleiten. Wieso die Enthüllung dieser Tatsache für Giselle fatale Folgen hat, wird in Dawsons Erzählung eigentlich nicht motiviert. Umso poetischer gelingt Dawson die Schilderung des zweiten Aktes, in dem Albrecht erneut auf Giselle trifft, die nun als Geist unter den Wilis im Wald wandelt. Zwar tritt auch Myrtha als Königin der Wilis auf und leitet eine Nacht des Tanzes ein. Auf Hilarion, der sich mit den Wilis im zweiten Akt zu Tode tanzt, wird allerdings verzichtet. Auch Bathilde tritt nicht noch einmal auf, um Albrecht am nächsten Morgen an Giselles Grab vorzufinden.

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Doch Giselles (Yanelis Rodriguez) Herz schlägt für Albrecht (Breno Bittencourt) (im Hintergrund: Ensemble).

David Coleman hat dabei Adams Musik neu arrangiert und bearbeitet, teilweise ganze Passagen, die Komponisten wie Ludwig Minkus im Laufe der Zeit dem Ballett hinzugefügt haben, gestrichen, um so, nach eigenem Bekunden, der Urfassung musikalisch wieder näher zu kommen. Zum Beispiel ersetzt er den gewöhnlich aufgeführten Pas de deux bei der Bauernhochzeit, dessen Echtheit nicht geklärt ist,  durch einen Pas de cinq, bei dem neben der Braut und dem Bräutigam auch noch ein Trauzeuge und zwei Brautjungfern auftreten. Für Giselles Solo im ersten Akt rekonstruiert er aus Adams Autograph von 1841 eine Komposition, die auf dem Motiv des im Original enthaltenen Blumen-Pas de deux basiert. Der zweite Akt konzentriert sich nahezu kammermusikalisch ganz auf Albrecht, der in tiefer Trauer die Erinnerungen an Giselle Revue passieren lässt. Der Auftritt der Wilis gibt dem ganzen einen nahezu ätherischen Charakter und entführt Albrecht in eine Welt, die nur von Gefühlen und der Erinnerung lebt.

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Ausgelassene Hochzeitsfeier: Braut (Adeline Pastor, Mitte), Bräutigam (David Jeyranyan, davor), Brautjungfern (Carolina Boscán und Yusleimy Herrera Leon, rechts und links davon) (rechts außen: Albrecht (hier: Artur Babajanyan), links außen: Giselle (hier: Anna Khamzina))

Arne Walther hat dazu ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen, das mit abstrakten Formen in Weiß (1. Akt) und Schwarz (2. Akt) spielt. Auf jeglichen Naturalismus wird dabei zumindest im ersten Akt verzichtet. Die weißen gebogenen Formen bieten auf beiden Seiten mit den spiralförmigen Gängen Möglichkeiten zum Rückzug, wirken allerdings auch recht steril. Diese Leere wird durch zahlreiche weiße Kirschblüten durchbrochen, die wie Schnee aus dem Schnürboden herabrieseln und den Traum einer wunderschönen, wenn auch schnell vergänglichen Jugend und Liebe symbolisieren. Wenn Giselle am Ende des ersten Aktes Selbstmord begeht, fallen aus ihrem Schoß ebenfalls Kirschblüten heraus. Dieses Mal sind sie allerdings nicht weiß, sondern blutrot gefärbt. Im zweiten Akt haben die Bühnenelemente eine ähnliche Struktur, allerdings sind sie schwarz wie die Nacht. Ein fahler Vollmond scheint auf die Rückwand und gibt der ganzen Szene eine gespenstische Atmosphäre. In weißen Tüll verhüllt treten die Wilis als junge Bräute auf, deren Gesichter man nicht erkennen kann. Nur Giselle löst sich im großen Pas de deux mit Albrecht aus dieser Verhüllung. Am Ende versinkt sie im Boden, und Albrecht bleibt allein zurück. Alles, was ihm bleibt, sind die Kirschblüten, die sich an der Stelle befinden, an der er gerade noch seine Geliebte in den Armen hielt, ein Bild, das unter die Haut geht.

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Die Wilis (Ensemble)

Die Tänzerinnen und Tänzer des Aalto Balletts und des Balletts im Revier verschmelzen zu einem homogenen Ensemble, aus dem in den Solo-Partien Mitglieder aus beiden Compagnien glänzen. Vom Aalto Ballett sind hier vor allem Adeline Pastor und Wataru Shimizu zu nennen. Pastor begeistert als Braut beim Hochzeits-Pas de cinq mit virtuosen Pirouetten, die sie regelrecht erschrocken unterbricht, wenn eine Freundin plötzlich als Wilis verkleidet auftritt und in der Braut die Angst weckt, selbst kurz vor der Hochzeit zu sterben. Shimizu glänzt als Trauzeuge mit kraftvollen Sprüngen. Aidan Gibson aus dem Musiktheater im Revier interpretiert Myrtha, die Königin der Wilis, mit grazilen Bewegungen und sauberem Spitzentanz. Die weiteren Hauptpartien sind an diesem Abend mit Solisten aus dem Aalto Ballett besetzt. Yanelis Rodriguez legt die Titelrolle absolut mädchenhaft an. So verwundert es nicht, dass sie sich von dem eleganten Albrecht verzaubern lässt und ihren langjährigen treuen Freund Hilarion gar nicht mehr wahrnimmt. Armen Hakobyan verleiht dem verschmähten Hilarion eine tiefe Traurigkeit, die allerdings vor einer heftigen Aggression dem Widersacher gegenüber nicht zurückschreckt. Barbora Kohoutkova gibt die Bathilde als grazile Femme fatale, die die Männer problemlos nach ihrer Pfeife tanzen lässt.

Star des Abends ist Breno Bittencourt, der mit kraftvollen Pirouetten, grandiosen Sprüngen und großer Emotionalität Albrecht zur eigentlichen Hauptfigur des Stückes macht. Während er im ersten Akt noch vor Selbstsicherheit strotzt und regelrecht nachlässig seinen Dolch zurücklässt, mit dem Giselle später zu Tode kommen soll, wirkt er im zweiten Akt absolut gebrochen und taucht von Reue geplagt in die Geisterwelt der Wilis ein. Wenn er dann noch einen kurzen Moment des Glücks mit Giselle in dem bewegend getanzten Pas de deux erlebt, wird seine Verzweiflung nach dem erneuten Verlust der Geliebten umso spürbarer. Von daher ist es anzuzweifeln, ob er, wie in der Inhaltsangabe im Programmheft beschrieben, am Ende wirklich seine Trauer abzulegen vermag. Das Schlussbild suggeriert ein anderes Ende. Die Bochumer Symphoniker zaubern unter der Leitung von Yannis Pouspourikas aus dem Graben einen romantischen Klang, so dass es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Anhänger des klassischen Handlungsballettes dürften in dieser Produktion auf ihre Kosten kommen und sicherlich in der nächsten Spielzeit für diese Inszenierung auch nach Gelsenkirchen fahren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yannis Pouspourikas

Choreographie, Konzept und
Inszenierung
David Dawson

Choreographische Assistenten
Tim Couchman
Raphaël Coumes Marquet

Bühne
Arne Walther

Kostüme
Yumiko Takeshima

Licht
Bert Dalhuysen

Dramaturgie
Freya Vass-Rhee

 

Bochumer Symphoniker

Solo-Violine
Raphael Christ

Solo-Bratsche
Marko Genero

Solisten

*rezensierte Aufführung

Giselle
Anna Khamzina /
*Yanelis Rodriguez /
Bridget Breiner

Albrecht
Artur Babajanyan /
*Breno Bittencourt /
Raphaël Coumes-Marquet

Hilarion
*Armen Hakobyan /
Tomás Ottych

Bathilde
Bridget Breiner /
*Barbora Kohoutkova

Hochzeits-Pas de cinq
Braut
Adeline Pastor

Bräutigam
David Jeyranyan

Trauzeuge
Wataru Shimizu

Brautjungfern
Carolina Boscán
Yusleimy Herrera Leon

Freunde
Nora Brown
Rita Duclos
Elisa Fraschetti
Yuki Kishimoto
Yulia Tsoi
Fabio Boccalatte
Valentin Juteau
Viacheslav Tyutyukin

Bathildes Begleiter
Joseph Bunn
Dmitry Khamzin
Ordep Rodriguez Chacon

Myrtha, Königin der Wilis
Aidan Gibson

Wilis
Paula Archangelo Cakir
Francesca Berruto
Nora Brown
Carla Colonna
Rita Duclos
Alena Gorelcikova
Yusleimy Herrera Leon
Ayako Kikuchi
Yuki Kishimoto
Tatiana Martinez
Ana Carolina Reis
Julia Schalitz




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