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Tanz um den Schuh
Von Thomas Molke
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Fotos von Bettina Stöß Aller guten Dinge sind drei. Nachdem Stijn Celis sich bereits 1999 zum ersten Mal als Choreograph mit Prokofjews Ballettklassiker Cinderella am Staatstheater Wiesbaden, der damaligen Wirkungsstätte des Essener Ballettdirektors Ben Van Cauwenbergh, auseinandergesetzt und 2003 eine neue Choreographie des Stückes für Les Grands Ballets Canadiens de Montreal erarbeitet hatte, hat Van Cauwenbergh seinem Landsmann nun die Möglichkeit gegeben, die neue Ballett-Saison in Essen mit einer weiterentwickelten Fassung zu eröffnen. Damit bleibt das Aalto Ballett Essen, das seit mehreren Jahren recht erfolgreich das gesamte Spektrum vom Handlungsballett bis zum modernen Ausdruckstanz abdeckt, seiner Linie treu. Traum von einer vergangenen Zeit: Die verstorbene Mutter (Anna Khamzina, links), der Vater (Denis Untila) und Cinderella (Yulia Tsoi, rechts) Celis erzählt dabei die berühmte Geschichte des armen Mädchens, das nach dem Tod der Mutter unter dem tyrannischen Regiment der Stiefmutter und der beiden Stiefschwestern leidet, bis es von einem Prinzen, aus ihrem tristen Dasein befreit wird, als modernes Märchen, ohne dabei auf einen gewissen Zauber zu verzichten. So bildet die verstorbene Mutter eine zentrale Rolle in der Choreographie, da sie als gute Fee im Verlauf des Stückes in Traumsequenzen immer wieder auftaucht. Bei der Einleitung sieht man in relativ kurzen Lichtsequenzen eine Familienidylle aus Vater, Mutter und Cinderella. Dass die Mutter dabei in ihrem weißen Kleid und den blonden kurzen Locken wie eine Reminiszenz an Doris Day wirkt, die in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts den idealen Frauentypus verkörperte, mag mit einer gewissen Ironie aus der Biographie des Choreographen betrachtet werden. So tritt sie beispielsweise in einem Traum zu zwei Songs von Les Baxter, einem amerikanischen Komponisten der 60er Jahre, auf, wobei die beiden Lieder mit ihrem seichten Klang an Musik aus einer Hotel-Lounge erinnern. Der Tanz mit dem Vater lässt dabei verklärte Kindheitserinnerungen Cinderellas wach werden, die im starken Gegensatz zu den eher harten Klängen Prokofjews stehen, die den Auftritt der Stiefmutter und der Stiefschwester begleiten. Die Stiefmutter (Artur Babajanyan, Mitte hinten) und die beiden Stiefschwestern (Liam Blair, links, und Wataru Shimizu, rechts) versuchen, beim Vater (Denis Untila) und Cinderella (Yulia Tsoi, 2. von rechts) die Erinnerungen an die verstorbene Mutter zu vertreiben. Eine tiefe symbolische Bedeutung kommt auch der Orange zu. Während in der Märchenvorlage bei Perrault Cinderella diese Frucht ihren Stiefschwestern auf dem Ball überreicht, steht sie in Celis' Interpretation für die Erinnerung an die Mutter. Als die Mutter aus der Familienidylle in den ersten Lichtsequenzen verschwunden ist, bleibt dem Vater nur eine Orange, die er nicht aus den Händen lässt, auch wenn die Stiefmutter mit ihren beiden Töchtern immer wieder versucht, dem Vater die Orange zu entwenden. Doch die Erinnerung an die verstorbene Ehefrau ist zu stark und kann von der Stieffamilie nicht verdrängt werden. Recht passend zu dieser Frucht wird im zweiten Akt dann auch noch der berühmte Marsch aus Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen eingefügt. Das Bühnenbild greift mit den riesigen Orangen, die aus dem Schnürboden herabhängen, wenn der Prinz nach dem Ball auf der Suche nach Cinderella ist, ebenfalls die Erinnerung an die Mutter wieder auf. Interessant dabei ist aber, dass der Prinz Cinderella erst findet, nachdem die Orangen verschwunden sind. Löst sich Cinderella mit ihrer Liebe zum Prinzen in einer Art Reifungsprozess von der verstorbenen Mutter? Der Prinz (Breno Bittencourt) und Cinderella (Yulia Tsoi) auf dem Ball Abwechslungsreich ist auch das Bühnenbild gestaltet. Während in der Wohnung Cinderellas die Möbel im Boden zu versinken scheinen und damit eine triste, langsam untergehende Welt beschreiben, wirkt das Schloss des Prinzen mit der aufgemalten Straßenkarte eher peppig und weniger surreal. Die Gäste auf dem Ball wirken in den Kostümen von Catherine Voeffray wie eine dunkle graue Masse, aus der sich Cinderella in ihrem knallroten Kleid farbenfroh abhebt. Es ist kein Wunder, dass sie darin die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zieht. Celis lässt Cinderella allerdings nicht mit den berühmten Schuhen auftreten. Die Schuhe befinden sich von Anfang an in Besitz des Prinzen, und er scheint gewillt, auf dem Ball nach einer Frau zu suchen, der diese Schuhe passen könnten. Dabei ist es kein Wunder, dass sich bereits auf dem Ball alle Frauen nach diesen Schuhen verzehren. Doch die Schuhe passen natürlich nur einer, Cinderella. Dabei wird das große Adagio im zweiten Akt zwischen Prinz und Cinderella mit den Schuhen in der Hand getanzt. Komödiantisch gelingt der dritte Akt, wenn der Prinz auf der Suche nach der geheimnisvollen Schönen ist und auf zahlreiche Cinderella-Doubles trifft. Voeffray hat hier phantasievolle Kostüme entworfen, in denen die Doubles dem Prinzen vorgaukeln, die von ihm gesuchte Frau zu sein. Besonders wirkungsvoll zeigen sich hier die Pailletten-Kleider der Stiefmutter und der beiden Stieftöchter. Bei so viel Glitter nimmt der Prinz die nun wieder farblose Cinderella in ihrem einfachen Kleid gar nicht mehr wahr. Da muss sie ihm schon den zweiten Schuh an den Kopf werfen, bevor er seinen Irrtum erkennt und es dann im Amoroso doch noch zu einem märchenhaften Happy End kommen kann, zu dem dann auch der Prinz seine Schuhe auszieht, so dass er und Cinderella nun endlich in der gleichen Welt angekommen sind. Happy End ohne Schuhe: Cinderella (Yulia Tsoi) und der Prinz (Breno Bittencourt) Während die Ensembles in den Ballszenen in der Abstimmung nicht immer ganz synchron sind, begeistern die Solisten auf durchgängig hohem Niveau. Anna Khamzina wirkt als verstorbene Mutter mit ihrem grazilen Spitzentanz wie ein entrücktes Wesen aus einer anderen Welt und macht somit glaubhaft, dass sie nur in der Erinnerung der anderen Figuren existiert. Denis Untila lebt als Vater in einem verträumten Pas de deux mit Khamzina die Erinnerung an seine Frau aus. Im Gegensatz dazu bewegt sich Artur Babajanyan als Stiefmutter bewusst grobschlächtig und sorgt mit Liam Blair und Wataru Shimizu als Stiefschwestern I und II für komische Momente. Breno Bittencourt begeistert als Prinz mit grandiosen Sprüngen und exaktem Spitzentanz, wenn er seine gehobene Stellung als Prinz auslebt, vermag sich aber auch mit bodenständigerem Ausdruckstanz in Cinderellas Welt einzufinden. Yulia Tsoi verleiht der Titelfigur eine mädchenhafte Ausstrahlung und vollzieht mit intensiven Bewegungen eine Entwicklung vom armen Mädchen zur selbstbewussten Frau, die nicht vom Prinzen gerettet wird, sondern ihn erst auswählt, nachdem er sie um Verzeihung gebeten hat. Die Bochumer Symphoniker lassen unter der Leitung von Yannis Pouspourikas Prokofjews üppige Musik aus dem Orchestergraben regelrecht erblühen, so dass es am Ende lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt. FAZIT Celis findet mit seiner Deutung des Ballettklassikers einen Mittelweg, der sowohl Zuspruch bei den Anhängern des klassischen Handlungsballettes als auch bei den Vertretern eines zeitgenössischeren Ansatzes finden dürfte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Choreographie und Bühne
Kostüme Licht
Bochumer Symphoniker Solisten
Cinderella
Prinz
Stiefmutter
Stiefschwester I
Stiefschwester II
Vater
Die gute Fee
Bote
Die Tauben - Damen
Die Tauben - Herren
Gäste auf dem Ball - Damen
Gäste auf dem Ball - Herren
Cinderella-Doubles |
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