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Musiktheater
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Die Jahreszeiten

Szenisches Oratorium
Text von Gottfried van Swieten nach James Thomson
Musik von Joseph Haydn

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 27. April 2014




Theater Dortmund
(Homepage)
Jahreszeiten als Geschichte der Bundesrepublik

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas Jauk (Stage Pictures)

Während sich bei Händels Oratorien zahlreiche Opernbühnen aufgrund der dramaturgischen Struktur der erzählten Geschichten mittlerweile schon traditionell für eine szenische Umsetzung entscheiden, lässt sich auch bei anderen Werken dieser Gattung zunehmend das Bestreben beobachten, den gesungenen Text auf der Bühne in Szene zu setzen und den eigentlich für den Konzertsaal gedachten Stücken somit eine neue Handlungsebene zu verleihen. Der Intendant der Oper Dortmund, Jens-Daniel Herzog, wagt diesen Versuch nun bereits zum zweiten Mal. Nachdem er vor zwei Spielzeiten Felix Mendelssohn-Bartholdys Elias in Szene gesetzt hat (siehe auch unsere Rezension), widmet er sich in dieser Spielzeit Joseph Haydns Alterswerk Die Jahreszeiten und entwickelt eine Deutung, die nicht bei allen Zuschauern auf Zustimmung stößt. Schon nach dem ersten Teil, dem "Frühling", macht ein Besucher seinem Ärger lauthals Luft und fordert, gewisse in Dortmund getroffenen Entscheidungen noch einmal zu überdenken. Ob er damit auf Herzogs Vertragsverlängerung bis 2021 anspielt?

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Frühling: Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands nach dem Krieg: Simon (Morgan Moody, vorne) mit dem Opernchor

Was war geschehen? Herzog hat das Oratorium, das in einer ländlichen Idylle anhand der vier Jahreszeiten den Kreislauf der Natur vom aufkeimenden Frühling über den heißen Sommer und die Zeit der Ernte im Herbst bis zum strengen Frost des Winters beschreibt, auf die Geschichte der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg übertragen. Der Chor fungiert hierbei als das deutsche Volk, das in den einzelnen Jahreszeiten die Zeit vom aufkeimenden Wirtschaftswunder bis zu einer allmählich vergreisenden Gesellschaft durchlebt. Die drei Solisten des Oratoriums, der Pächter Simon, seine Tochter Hanne und der junge Bauer Lukas schlüpfen dabei in unterschiedliche Figuren auf diesem Weg. Man mag Herzog bei dieser Übertragung vielleicht nicht in allen Punkten folgen und manche Vergleiche als fragwürdig betrachten. Lautstarke Unmutsäußerungen wie "Pfui" wirken dabei allerdings völlig überzogen, da Herzog weit davon entfernt ist, Abstoßendes oder Skandalöses auf die Bühne zu stellen.

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Sommer: Heimeliges Familienglück vor dem Fernseher (Opernchor)

Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man einen riesigen geschlossenen Bühnenraum, auf dem alles in Schutt und Asche liegt. Aus dem Schnürboden rieselt leise der letzte Schnee, bis sich die ersten Gestalten vom Boden erheben und die Solisten das Ende des Winters und damit des Krieges verkünden. Man sieht die Frauen, die die Besatzer mit Fotos von ihren vermissten Männern und Söhnen belagern, und schließlich auch die Soldaten, die teilweise mit Verletzungen aus dem Krieg zurückkehren. Und schließlich ist es der amerikanische GI, der mit "Der Landmann hat sein Werk vollbracht" Lebensmittel und andere Güter auf einem prall gefüllten Tisch präsentiert und damit die Begeisterung des Volkes auslöst. Dass sich nun einzelne Frauen zu Hannes Text "Der laue West erwärmt und füllt die Luft mit feuchten Dünsten an", dem Soldaten anbieten, um weiteren Nutzen aus den Besatzern zu ziehen, mag dem einen oder anderen Besucher in der Interpretation vielleicht doch zu weit gehen. Jedenfalls ist man beim abschließenden Jubelgesang in der neu gegründeten Bundesrepublik angekommen. Der Chor steht mit einem neuen Gesetzesbuch auf der Bühne und im Hintergrund hängt der deutsche Bundesadler.

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Fremdenfeindlichkeit im Herbst (Opernchor und Statisterie)

Die Hitze des Sommers wird nun auf die Hitze an den Öfen der Stahlindustrie übertragen. Simon, der vorher mit Ludwig Erhard-Maske und Zigarre großzügig Geschenke an das Volk verteilt hat, beaufsichtigt nun als Vorarbeiter die Männer an den Hochöfen, die nicht nur in der Mittagspause von ihren adrett gekleideten Ehefrauen das Essen serviert bekommen, sondern neben dem Wirtschaftswachstum einen regelrechten Baby-Boom auslösen. Der "fahle Nebel" der im Sommer aus der "schwülen Luft" aufsteigt, ist dann die "rote Gefahr" aus dem Osten. Auf einem riesigen Plakat sieht man finstere schwarze Augen vor einer roten Fahne als Zeichen der Bedrohung für die allmählich wieder erstarkende Gesellschaft durch den Kommunismus. Rechtzeitig bringt da Simon als "fettes Rind" den Fernseher, der in den deutschen Wohnzimmern Einzug hält und den Familien den Feierabend versöhnt, auch wenn es vielleicht ein Anachronismus ist, dass das Bild auf diesen Fernsehern bereits bunt ist.

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Winter: Deutschland als Alten-Republik bei der Bastelstunde mit "Schwester" Hanne (Anke Briegel, Mitte mit dem Opernchor)

Im Herbst, zur Zeit der Ernte, ist man dann auf dem Höhepunkt des Wohlstands angekommen. In einem Großraumbüro beaufsichtigt Simon nun die Büroangestellten, die Aktenordner bearbeiten, welche von Hanne und Lukas scharenweise hereingekarrt werden. Wenn Hanne und Lukas als junges Paar ihre Liebe besingen, wirken sie optisch bereits wie ein etwas in die Jahre gekommenes konservatives Pärchen, dass sich nicht über die Lebensweise der Städter lustig macht, sondern die eigenen Ressentiments gegenüber fremden Kulturen zum Ausdruck bringt, die mit bunten Kleidern und diversen Holzkohlegrills die Luft "verpesten". Wenn dann bei der Jagd auf die Feldkrähen und das Wild die Fremden zum Opfer werden, erreicht die Fremdenfeindlichkeit einen erschreckenden Höhepunkt. Nicht weniger Angst einflößend gelingt dann die Umsetzung des Winters, wenn der Chor mit Rollator auftritt und zu "Knurre, schnurre, Rädchen" unter Anleitung von Hanne als Altenpflegerin Muster in gefaltetes Papier schneidet. Am Ende sinken die Alten dann mit ihren Rollatoren auf der Bühne zu leicht fallendem Schnee zusammen, so dass mit dem Sterben der alten Gesellschaft der Kreis sich schließt und der Auftritt eines Kindes mit einer modernen Playstation einen Neuanfang suggeriert.

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Philipp Armbruster gelingt es, mit den Dortmunder Philharmonikern die lautmalerischen teils romantisch anmutigen Klänge von Haydns Partitur differenziert herauszuarbeiten und für jede einzelne Jahreszeit genau die richtige Klangfärbung zu finden. Anke Briegel begeistert als Hanne mit leuchtendem Sopran und wunderbarem Spiel, wenn sie im Herbst als altbackene Jungfer mit Lukas flirtet oder sich scheinbar über die sexuellen Belästigungen ihres Chefs (Simon) empört. Lucian Krasznec stattet den Lukas mit hellem Tenor aus, der auch in den Höhen wunderbar weich klingt. Morgan Moody gefällt als Simon mit kräftigem Bariton und großartiger Mimik und Gestik, wenn er die Selbstgefälligkeit deutscher Bonzen karikiert. In den schnellen Läufen könnte seine Stimme aber noch etwas beweglicher sein. Der von Granville Walker einstudierte Chor glänzt mit stimmlicher Präzision und wunderbarer Textverständlichkeit und beweist bei der Darstellung der einzelnen Epochen der deutschen Geschichte große Wandlungsfähigkeit. Um seine besondere Stellung an diesem Abend hervorzuheben, lässt Herzog den Chor erst nach den Solisten den ihm zustehenden großen Applaus entgegennehmen. Beim Regie-Team spalten sich dann die Geister. Während ein Großteil des Publikums Herzogs Arbeit mit Bravorufen goutiert, sind zur Pause noch nicht alle Gegner dieser Umsetzung gegangen und äußern mit lauten Missfallensbekundungen ihren Unmut über die an sich schlüssige Inszenierung.

FAZIT

Herzogs Inszenierung lässt niemanden kalt, im positiven wie im negativen Sinn. Wer sich eine pastorale Vorstellung bei Haydns Jahreszeiten bewahren möchte, wird wohl mit der Umsetzung nichts anfangen können. Wer eine abstraktere Deutung des Textes zulässt, wird eingestehen müssen, dass Herzog eine durchdachte und auch passende Geschichte erzählt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philipp Armbruster

Inszenierung
Jens-Daniel Herzog

Bühne
Mathis Neidhardt

Kostüme
Sibylle Gädeke

Choreinstudierung
Granville Walker

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Hans-Peter Frings
Georg Holzer

 

Opernchor des
Theaters Dortmund

Statisterie des
Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

Cembalo
Tatiana Prushinskaya

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Hanne
Anke Briegel

Lukas
*Lucian Krasznec /
John Zuckerman

Simon
Morgan Moody


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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