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Die Entführung aus dem Serail

Singspiel in drei Aufzügen
Libretto von Johann Gottlieb Stephanie dem Jüngeren nach einem Libretto von Christoph Friedrich Bretzner
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Übernahme vom Nationaltheater Mannheim

Premiere im Opernhaus Dortmund am 17. Mai 2014




Theater Dortmund
(Homepage)
Serail als Hinterhof

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (Stage Pictures)

Keine vier Wochen ist es her, dass Jens-Daniel Herzogs szenische Umsetzung des Haydn-Oratoriums Die Jahreszeiten im Dortmunder Opernhaus für Furore gesorgt und das Publikum gespaltet hat (siehe auch unsere Rezension), da präsentiert der Intendant der Dortmunder Oper schon die nächste selbst inszenierte Premiere. Dabei handelt es sich allerdings streng genommen um eine Übernahme, die Herzog 2004 als damaliger Schauspieldirektor in Mannheim für das Nationaltheater kreiert und nun mit dem Dortmunder Ensemble neu einstudiert hat. Einer derartigen finanziell effektiven Spielplangestaltung ist es wohl unter anderem auch zu verdanken, dass Herzogs Vertrag als Intendant bis 2021 verlängert worden ist. Dass in der Premiere am Samstag allerdings trotzdem zahlreiche Plätze im Opernhaus frei blieben, dürfte wohl weniger an der Tatsache gelegen haben, dass ein Teil des Publikums die Inszenierung schon aus Mannheim kannte, sondern vielmehr daran, dass die Fußballstadt Dortmund mit öffentlichen Übertragungen des Pokalendspiels aus Berlin eine starke Konkurrenz zu Mozarts Entführung anzubieten hatte.

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Serail im Dortmunder Hinterhof: in der Mitte: Konstanze (Eleonore Marguerre) und Bassa Selim (Serdar Somuncu) mit dem Chor und der Statisterie im Hintergrund

Dabei unternimmt Herzog einige Versuche, Mozarts populäres Singspiel massentauglich zu machen. Zum einen hat er für die Sprechpartie des Bassa Selim den Kabarettisten, Autor und Schauspieler Serdar Somuncu gewinnen können, der mit seinem Kabarettprogramm Der Hassprediger - Ein demagogischer Blindtext von 2009 bis April 2014 für ausverkaufte Säle gesorgt hat. Zum anderen ist die komplette Statisterie für diese Produktion mit türkischstämmigen Mitbürgern besetzt, die ab Anfang April vom Theater Dortmund gesucht worden sind und in unterschiedlichen Altersgruppen die kulturelle Vielschichtigkeit repräsentieren. Damit befinden wir uns im Bühnenbild von Mathis Neidhardt allerdings auch nicht in einem märchenhaft verklärten Serail, in das Belmontes Geliebte Konstanze und deren Zofe Blonde geraten sind, sondern in einem recht schäbigen Hinterhof mit abgeblätterten Wänden, den obligatorischen Satellitenschüsseln neben den kleinen Balkons und uneinheitlichen Plastikstühlen für ein Treffen außerhalb der eigenen vier Wände. In der Rückwand sieht man hinter zwei großen Fenstern im Erdgeschoss eine Küche, in der Blonde Essen vorbereitet, und in der ersten Etage ein Büro, in dem Konstanze für den Bassa arbeitet. In diesem Ambiente erleben die Statisten den Alltag einer Hochhaussiedlung.

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Konstanze (Eleonore Marguerre, oben) arbeitet für den Bassa (Serdar Somuncu) im Büro, Blonde (Tamara Weimerich, unten) in der Küche.

Somuncu stattet den Bassa Selim in seinem beinahe schon an eine Uniform erinnernden blauen Anzug als gefährlichen Machtmenschen mit Macho-Allüren aus. Solange Konstanze sich seinem Werben gegenüber offen zeigt, gibt er sich zwar großzügig, wird allerdings sofort aggressiv, wenn sie sich ihm entzieht. Deutlich macht Somuncu dies mit seiner schneidenden Intonation, wobei seine Stimme stellenweise ein bisschen heiser wirkt. Absolut authentisch gelingt ihm die Sequenz, in der er Türkisch spricht und die nicht in den Übertiteln übersetzt wird, weil der des Türkischen nicht mächtige Zuschauer ihn an dieser Stelle wahrscheinlich genauso wenig verstehen soll wie Belmonte. Auch die Szene, in der er Belmonte vorwirft, sich ein falsches Bild von ihm und seinen Mitbürgern entworfen zu haben, wirkt absolut aktuell, da damit eine Parallele zwischen den Vorstellungen von Mozarts Zeitgenossen über die Türken, die in den damals populären "Türken-Opern" orientalisch verkitscht wurden, zu den auch heute noch bestehenden Kommunikationsproblemen zwischen den unterschiedlichen Kulturen gezogen werden kann. Weniger glaubwürdig bleibt, dass Selim sich, nachdem er Belmonte und Konstanze völlig unmotiviert die Freiheit geschenkt hat, in seinem Büro erschießt. Dass dies dann der Auslöser dafür ist, dass Osmin zum Maschinengewehr greift und der Jubelgesang auf den Bassa als Aufruf zum Terrorismus inszeniert wird, schießt dann doch über das Ziel einer Aktualisierung hinaus.

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"Martern aller Arten": Konstanze (Eleonore Marguerre) mit dem Bassa (Serdar Somuncu), im Hintergrund: Blonde (Tamara Weimerich)

Auch an einigen anderen Stellen wird die Brutalität in der Inszenierung ein wenig übertrieben. Natürlich behandelt Osmin Pedrillo nicht gut, da er großes Misstrauen gegen den vorwitzigen Sklaven hegt, aber muss er ihn wirklich mit dem Kopf in einen Wassereimer untertauchen? Ist es wirklich nötig, dass Pedrillo ihn, nachdem er ihn regelrecht unter den Tisch getrunken hat, brutal zusammenschlägt und wie eine Leiche unter Müll begräbt? Folglich ist es hier auch nicht Osmin, der die geplante Entführung entdeckt, sondern der Bassa selbst, der mit seinem Volk die Flucht vereitelt. Konstanze geht in ihren Zuneigungsbekundungen zum Bassa stellenweise ebenfalls recht weit. Vor ihren beiden großen Arien "Ach ich liebte, war so glücklich" und "Martern aller Arten" gibt es zärtliche Liebkosungen und Küsse zwischen den beiden, was zumindest bei letzterer Arie inhaltlich unpassend wirkt, da Konstanze hierbei ja äußert, sich lieber foltern zu lassen, als dem Werben des Bassa nachzugeben. Ob sie sich zum Ausdruck ihrer Opferbereitschaft die Pulsadern aufschneiden muss, ist ebenfalls diskutabel.

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Gemeinsamer Fluchtversuch: von links: Belmonte (Lucian Krasznec), Konstanze (Eleonore Marguerre), Blonde (Tamara Weimerich) und Pedrillo (Fritz Steinbacher)

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Wen Wei Zhang begeistert als Osmin mit markantem Bass, wobei seine Textverständlichkeit in den gesungenen Passagen besser als in den Sprechtexten ist. Darstellerisch beweist er große Wandlungsfähigkeit vom brutalen Sklaventreiber, der Pedrillo über die Bühne scheucht, über den verliebten Gecken, den Blonde nach ihrer Pfeife tanzen lässt, bis hin zum lustigen Gesellen, wenn er zu tief ins Glas geschaut hat. Fritz Steinbacher gefällt als Pedrillo mit komödiantischem Spiel, stößt in der Arie "Frisch zum Kampfe" in den Höhen allerdings an seine Grenzen. Lucian Krasznec stattet den Belmonte mit einem lyrischen Tenor aus, der in der Mittellage mit herrlichen Bögen zu punkten weiß. Die Höhen sind noch ein bisschen ausbaufähig, da er an zwei Stellen ins Falsett ausweichen muss. Tamara Weimerich präsentiert mit beweglichem Sopran die Blonde als eine kecke junge Frau, die genau weiß, wie sie sowohl mit Osmin als auch mit Pedrillo umzugehen hat, um ihr Ziel zu erreichen. Eleonore Marguerre glänzt als Konstanze mit glasklaren und beweglichen Koloraturen, die auch in den Höhen absolut rein klingen. Darstellerisch setzt sie die von Herzog eingeforderte Personenregie glaubhaft um. Motonori Kobayashi führt die Dortmunder Philharmoniker mit sicherer Hand durch die leicht klingende Partie, und auch der Chor präsentiert sich unter der Leitung von Granville Walker stimmgewaltig und spielfreudig, so dass es am Ende einhelligen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Nach den unterschiedlichen Reaktionen auf Herzogs Inszenierung der Jahreszeiten überrascht die breite Zustimmung des Publikums, da Mozarts Entführung eigentlich wesentlich mehr Reibungspunkte als das szenische Oratorium bietet.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi

Inszenierung
Jens-Daniel Herzog

Mitarbeit Regie
Susann Kalauka

Bühne und Kostüme
Mathis Neidhardt

Chor
Granville Walker

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Hans-Peter Frings
Georg Holzer

 

Opernchor des
Theaters Dortmund

Statisterie des
Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Selim, Bassa
Serdar Somuncu

Konstanze
Eleonore Marguerre

Blonde
Tamara Weimerich

Belmonte
*Lucian Krasznec /
John Zuckerman

Pedrillo
Fritz Steinbacher

Osmin
Wen Wei Zhang


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



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