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Liebe mit geschlossenen AugenVon Thomas Molke / Fotos von Claudia Heysel
Dass Jules Massenets Oper Esclarmonde erst 2013 ihre deutsche Erstaufführung in Dessau erlebte, mag aus mehreren Gründen verwundern. Zum einen hielt Massenet dieses Werk für seine gelungenste Komposition. Zum anderen avancierte dieses Stück, das gewissermaßen zeitgleich mit der Einweihung des Pariser Eiffelturms seine Uraufführung erlebte, zu einem regelrechten Welterfolg, an dem sicherlich einerseits die Besetzung der Titelpartie mit der jungen und bildhübschen Ausnahmesopranistin Sybil Sanderson, die laut Massenets Memoiren über ein Stimmvolumen von drei Oktaven verfügte, und andererseits die technischen Möglichkeiten der Weltausstellung einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet haben dürften. So brachte es diese Produktion bis 1890 auf ca. 100 Vorstellungen an der Pariser Opéra-Comique, die übrigens alle von Sanderson gesungen wurden. Vielleicht war es aber auch gerade der Respekt vor dieser Sängerin und den technischen Möglichkeiten in Paris, die andere Bühnen vor diesem Werk zurückschrecken ließen. Jedenfalls geriet die Oper nach ihrem Sensationserfolg nach 1890 zum Leidwesen des Komponisten sehr schnell in Vergessenheit und hat, anders als Manon und Werther, bis jetzt nicht den Weg ins gängige Repertoire gefunden. Das Anhaltische Theater Dessau hat mit dieser deutschen Erstaufführung nun einen ersten Versuch unternommen, dies zu ändern. Kaiser Phorcas (Ulf Paulsen) ernennt seine Tochter Esclarmonde (Angelina Ruzzafante) vor dem Volk (Chor) zu seiner Nachfolgerin. Das Libretto geht zurück auf den zur damaligen Zeit weit verbreiteten Ritterroman Parthenopeus de Blois und entstand als Entwurf bereits in den 1870er Jahren. Massenet musste allerdings erst die Bekanntschaft mit Miss Sanderson machen, bevor er sich 1888 entschied, diesen Stoff zu vertonen. Im Zentrum steht Esclarmonde, die Tochter des Kaisers Phorcas von Byzanz, die nicht nur vom Volk wie eine Heilige verehrt wird, sondern auch mit Hilfe dämonischer Mächte Zauberkräfte besitzt. Bis zu ihrem zwanzigsten Geburtstag soll sie mit einem Schleier verhüllt die Kaiserwürde ausüben. Dann soll bei einem Ritterturnier ein Sieger gekürt werden, der ihr Gemahl und damit auch Kaiser über Byzanz wird. Doch Esclarmonde verliebt sich in der Zwischenzeit in den französischen Ritter Roland und trifft sich mittels ihrer Zauberkräfte heimlich mit ihm auf einer Zauberinsel. Dabei muss Roland ihr schwören, dass er niemals ihren Schleier lüften oder sie nach ihrem Namen fragen werde. Nach der Befreiung der Stadt Blois durch Roland kommt sein Verhältnis mit der geheimnisvollen Unbekannten auf Drängen des Bischofs ans Tageslicht, und Esclarmonde muss dem Geliebten entsagen, um ihn vor dem Tod zu bewahren. In seiner Verzweiflung sucht er diesen allerdings in besagtem Ritterturnier, bei dem der Sieger nicht nur Esclarmondes Gatte sondern auch Herrscher über Byzanz werden soll. Roland gewinnt das Turnier, und so nimmt die Geschichte völlig unerwartet doch noch ein gutes Ende. Esclarmonde (Angelina Ruzzafante) ruft die dämonischen Mächte (Statisterie) herbei. Roman Hovenbitzer betont in seiner Inszenierung den Aspekt des "Nicht-Sehen-Dürfens". Wenn Esclarmonde die dämonischen Mächte das erste Mal zur Hilfe ruft, um Roland auf die Zauberinsel zu bringen, treten diese alle mit roten Strumpfmasken vor dem Gesicht auf, bei denen die Augen nicht sichtbar sind. Auch Roland verbindet sich in seinen Zusammentreffen mit der Geliebten stets die Augen mit einem weißen Tuch, so dass er sich gewissermaßen aus Liebe blind macht. Im Gegensatz dazu steht allerdings, dass das Eintauchen in die Zauberwelt durch ein riesiges Auge erfolgt. Wenn die Geister Roland auf einem Boot auf die Zauberinsel führen, wo er zum ersten Mal auf Esclarmonde trifft, tritt er ebenso wie sie durch das große Auge in der Mitte der Bühne auf. Dieses Auge wird auch aus dem Schnürboden herabgelassen, wenn Roland nach seinem Sieg über die Sarazenen in Blois erneut seine Geliebte erwartet. Dass diese Liaison nicht "unsichtbar" bleiben kann, wird auch bereits im Prolog in der Basilika angedeutet, wenn Tilo Steffens in seinem Bühnenbild zwischen den geschwungenen Holzbögen, die in ihrer Form wohl eine Anspielung auf die Füße des Eiffelturms sein sollen, zahlreiche Augen im Hintergrund positioniert. Ob der schräg angelegte Kreisring im vierten Akt, durch den Esclarmonde schuldig vor ihren Vater tritt, nachdem dieser von der Missachtung seines Gebots erfahren hat, und in dem er mit Esclarmonde verschwindet, nachdem sie Roland entsagt hat, ebenfalls eine Anspielung auf das Innere eines Auges sein soll, ist Interpretationssache. Esclarmonde (Angelina Ruzzafante) überreicht ihrem Geliebten Roland (Sung-Kyu Park) ein magisches Schwert. Die magischen Momente der Oper werden nicht nur durch Tilo Steffens' zahlreiche Bühnenelemente, die aus dem Bühnenboden auftauchen und wieder verschwinden, sondern auch durch geschickte Videoprojektionen von Barbara Janotte eingefangen. Wenn Esclarmonde im ersten Akt in einem langen weißen Gewand verschleiert auf einer Empore thront, sieht man auf diesem Gewand bereits Projektionen von Roland, um deutlich zu machen, wie dieser Ritter in ihre Gefühlswelt eindringt. Gelungen ist auch das Knüpfen eines Seils, das auf einen schwarzen Prospekt vor der Bühne projiziert wird, welches sich hinterher als ein Netz entpuppt, in dem Roland auf die Zauberinsel gebracht wird. Auch die erste Liebesnacht auf der Insel wird mit dezenten Bildern passend zur Musik auf diesem Prospekt umgesetzt. Einige Regie-Einfälle werfen allerdings Fragen auf. So wirkt es schon ein wenig übertrieben, dass Hovenbitzer Roland gewissermaßen unter Folter dem Bischof die Beziehung zu der geheimnisvollen Fremden gestehen lässt. Auch ist fraglich, warum Hovenbitzer das glückliche Ende in Frage stellt. Nachdem Roland erkennt, dass er mit seinem Sieg beim Ritterturnier die geliebte Esclarmonde gewonnen hat, zieht der Chor die Treppe zur Seite, die zu der auf einer Empore schwebenden Esclarmonde führt, so dass Roland zwar zum jubelnden Schlussgesang die Treppe emporsteigen kann, um mit Esclarmonde auf Augenhöhe zu gelangen, allerdings zu weit von ihr entfernt ist, um auch nur ihre Hand zu ergreifen. Das Volk von Blois (Chor) bejubelt Roland (Sung-Kyu Park) als Retter, während der Bischof (Nico Wouterse) misstrauisch bleibt. Dass man über diese kleinen Unstimmigkeiten leicht hinwegsehen kann, ist vor allem der musikalischen Umsetzung zu verdanken, die zum einen die Qualitäten des Anhaltischen Theaters unterstreicht, da bis auf eine Ausnahme alle Partien mit Ensemble-Mitgliedern besetzt werden können. Großen Eindruck hinterlässt Ulf Paulsen, der mit kräftigem Bass-Bariton Esclarmondes Vater gewaltige Autorität verleiht. Erwähnenswert ist hier seine bewegende Arie "Sort mystérieux", in der er Esclarmondes Treuebruch beklagt. Nico Wouterse, ehemaliges Ensemble-Mitglied, stattet den Bischof mit markantem Bass aus und lässt ihn stimmlich bald dämonischer als die eigentlichen dunklen Mächte des Stückes erscheinen. Rita Kapfhammer begeistert als Esclarmondes Schwester Parséïs mit einem voluminösem Mezzo und bewegendem Spiel. Der Opernchor, der nicht nur um den Extra- und Kinderchor sondern auch um den freien Chor "coruso" erweitert wird, trumpft vor allem bei der Belagerung der Stadt Blois im dritten Akt und beim Finale mit großer Homogenität fulminant auf. Auch darstellerisch ist er intensiv ins Spiel einbezogen. David Ameln und Thomas Skambraks gefallen ebenfalls in den Partien des Énéas und Cléomer. Phorcas (Ulf Paulsen) will Esclarmonde (Angelina Ruzzafante) mit den dämonischen Mächten (Statisterie) zur Rechenschaft ziehen. Eine besondere Herausforderung stellen die beiden Hauptpartien Esclarmonde und Roland dar. Doch auch hier lässt die Besetzung keine Wünsche offen. Mit Sung-Kyu Park hat man einen Tenor für den Ritter Roland verpflichtet, der nicht nur das Heldenhafte der Partie großartig auszusingen vermag, sondern auch die lyrischen Momente mit sanfter Stimmführung voll zur Geltung bringen kann. So gelingen ihm die hohen Töne, ohne zu pressen oder zu forcieren. Eine Glanzleistung liefert auch Angelina Ruzzafante in der Titelpartie ab. Mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit schraubt sie sich bei den Koloraturen in schwindelerregende Höhen und gestaltet die Partie auch in der Mittellage mit gewaltigem Volumen. Hinzu kommt ihr intensives Spiel, so dass man ihr die Leiden der jungen verliebten Frau in jedem Moment abnimmt. Abgerundet wird diese hervorragende sängerische Leistung durch die eindringlich aufspielende Anhaltische Philharmonie, die diese Produktion erstmals unter der Stabführung von Wolfgang Kluge präsentiert. So gibt es am Ende frenetischen Beifall für alle Beteiligten, auch wenn das Haus leider nicht ausverkauft ist. FAZIT
Diese selten gespielte Oper sollte man sich nicht entgehen lassen. Im Rahmen des
Elbmusikfestes wird diese Produktion noch einmal am 1. Juni 2014 zu
erleben sein. |
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung Bühne und Kostüme Video Chor Kinderchor Dramaturgie
Opern-, Extra- und Kinderchor "coruso" Erster Deutscher Freier Statisterie des Anhaltischen Anhaltische Philharmonie Solisten*rezensiert Aufführung Esclarmonde, Kaiserin des Orients Parséïs, ihre Schwester Ritter Roland, Graf von Blois Kaiser Phorcas, Vater von Esclarmonde Der Bischof von Blois Énéas, byzantinischer Ritter und Cléomer, König von Frankreich *Thomas Skambraks Ein Gesandter der Sarazenen Ein byzantinischer Herold
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