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Premiere im Großen Haus
des Staatstheaters Braunschweig
am 5. Oktober 2013 Mit Richard Wagners
Parsifal eröffnete das Staatstheater
Braunschweig die Opernsaison im großen Haus, denn
immerhin befinden wir uns noch im Wagner-Jahr, auch
wenn der 200. Geburtstag bereits am 22. Mai gefeiert
wurde und sich in dieser Spielzeit viele Häuser auf
das gleiche Jubiläum Giuseppe Verdis am 10. Oktober
konzentrieren. Für die Regie wurde Yona Kim
verpflichtete, die in Braunschweig bereits vor zwei
Jahren durch ihre Inszenierung von Tristan und
Isolde (unsere
Rezension)
auf sich aufmerksam machte. Doch
nach der umstrittenen Umsetzung von Wagner
Leidenschaftsorgie ist das Interesse an der seines
Bühnenweihfestspiels offensichtlich nicht besonders
groß. Viele Plätze im Zuschauerraum blieben in
der Premiere leer und auch für die Folgeaufführungen
sind noch reichlich Karten zu bekommen. Yona
Kim versucht, die Elemente verschiedener Religionen,
die Wagner unter dem Schirm des Christentums vereinigt
hat, gleichzeitig zu analysieren wie zu verbinden.
Dabei bleibt sie merkwürdig blass, vieles wirkt
unangenehm gewollt, gegen den Strich gebürstet oder
ungeschickt. Obendrein zeigt sie eine Personenregie,
die über weite Strecken entweder langweilig oder
haarsträubend und nur selten überzeugend ist. Die
verschiedenen Verführungsversuche Kundrys sind da eine
rühmliche Ausnahme. Dass einige Gralsritter Titurel
blutig zu Tode treten, bildet einen hochnotpeinlichen
Tiefpunkt. Ein Baby, das im Vorspiel einsam auf der
Bühne liegt, wird zum Knaben, der als optisches
Leitmotiv immer wieder auftaucht. Als Beobachter, als
Novize, als getroffener Schwan, als suchender
Speerträger in Tarnfleckjacke und schließlich als
Träger des am Ende nicht mehr ganz vollständigen
Gralsgefäßes. Ob er den Sinn des Lebens oder das Ende
der Aufführung sucht, bleibt ungewiss. Das
Gralsgefäß erinnert an den Brustschild eines jüdischen
Hohen Priesters (eine quadratische Platte mit 12
Edelsteinen in gleichmäßig aufgeteilten Feldern). Hier
ist es ein Würfel, dessen vier Seiten aus jeweils 16
Quadratischen Platten bestehen. Aus den Spalten dazwischen leuchtet der Gral.
Bühnenbildner David Homann hat diese Bild auch in die
Gestaltung des Bühnenraumes
aufgenommen, der in ähnlicher Plattenstruktur die
Bühne begrenzt. So strahlt nicht nur der Gral sein
Leben spendendes Licht auf die Ritterschaft, sondern
auch die Gralsburg auf die Welt – und das wissen wir
spätestens seit Lohengrins Gralserzählung. Ein
symbolträchtiger Raum also, der in seiner sterilen
Kälte des ersten und
dritten Aktes aber eher an ein Versuchslabor erinnert.
Hugo Holger Schneider hat für die Gralswelt rituelle
Kleidung entworfen, die wie eine Verquickung
verschiedener religiöser Gewandformen wirkt. Die
Blumenmädchen tragen schwarze Kostüme mit bunten
Strumpfhosen, nur die sechs Solistinnen zeigen sich
grellbunt in unfallverdächtig klumpigen High Heels.
Parsifal schwankt zwischen Sakko oder nicht Sakko,
aber sein weißes Hemd trägt er immer über der Hose. Der
erste Akt spielt in einem Studienraum oder
Klassenzimmer mit Schultischen und -stühlen. Gurnemanz
ist ein brutal strafender Oberlehrer oder Aufseher und
würde jedem Osmin Ehre machen. Die Knappen plündern
Kundrys Reisetasche und entdecken Kleider und Perücken
ihrer Welt- und Zeitreisen. Nachdem sie ihm Wasser
gereicht hat, kuschelt sich Parsifal kindlich, wie an
seine Mutter, an, was Kundry einfach nur nervt.
Überhaupt wirkt sie gerade im
ersten Akt als ziemlich zickig. Zur Verwandlungsmusik
erscheinen kopftuchtragende Frauen, die sich mit
bittenden Gesten an Parsifal
wenden. Gurnemanz schreibt „Erlöser?“ auf Parsifal
Rücken. Beim Eintreten der Gralsritter werden die
Schultische zu einer langen Tafel zusammengestellt und
mit zwei Dornenkronen dekoriert. Dreizehn Stühle
verheißen, was später kommt: Ein lebendes Bild des
letzten Abendmahls. Titurel, offensichtlich im Zustand
nach einem Schlaganfall, ohrfeigt Amfortas (im
schmutzigen, roten Kostüm) mit seiner gesunden Hand.
Der Tisch wird mit Stacheldraht abgegrenzt, und soweit
auf der Bühne Platz ist, werfen sich Gralritter
ausgestreckt auf den Boden. Amfortas vollzieht in
einem halb abwesenden Zustand die Enthüllung des Grals
und blutet das Tischtuch voll, das zum Aktschluss wie
ein Banner von der Bühne getragen wird – kurz bevor
Klingsor schon mal eben reinschaut. Wein und Brot
werden besungen, aber nicht ausgeteilt, aber jeder
darf seine Stirn an den von innen leuchtenden Würfel
halten. Parsifal geht ein wenig umher und steht in
einem Moment auch zwischen den Gralsrittern, so
dass man kurz hofft, dass er den Speer aus der
Hinterbühne zieht und mit „Nur eine Waffe taugt“
beginnt. Dann wäre jetzt schon Schluss und „erlöst
wär’ Gott und Welt“. So
erlösend das in diesem Moment erscheint, so schade
wäre es um den zweiten Akt, um den sich die in der
Pause (oder schon vorher) flüchtenden Besucher
bringen. Nicht wegen der zunächst betrunkenen
oder
unter Drogen stehenden Blumenmädchen, die auch als
Marionetten Klingsors überzeichnet sein könnten
und unter denen ein paar Prostituierte sind, die
schon bessere Jahrzehnte gesehen haben. Auch nicht
wegen der blendenden Scheinwerfer, die verdecken
sollen, dass Parsifal Klingsor den Speer ganz
einfach aus der Hand nimmt, während die
Blumenmädchen dies auch mit Maschinengewehren
nicht verhindern können. Nicht für die Frage,
warum Klingsor und Titurel die gleiche dreieckige
kultartige Schürze tragen (ein Hinweis auf die
ursprünglich göttliche Herkunft Luzifers?) und
warum Klingsor nach dem Verlust des Speeres
offensichtlich die gleiche Wunde wie Amfortas
trägt (der Speerverlust allein hat diese bei
Amfortas aber nicht verursacht, die Verantwortung,
die Amfortas hatte, hat Klingsor nicht). Auch
nicht für die am Ende zuckend zusammenfallenden
Blumenmädchen und den Knaben, der Parsifal
hinterherläuft. Aber durchaus für das Bühnenbild,
das den vorherigen Raum von einfachen, grauen
Pflanzen überwuchert zeigt und das stimmungsvoll
nachtblau ausgeleuchtet den Rahmen für eine
spannende Szene zwischen Parsifal und Kundry
bildet, die hier vielfältige Verführungskünste
anzuwenden versucht und berechnend und
hinterlistig als zickiges Mädchen, Lehrerin,
Mutter, scheinbar verzweifelte Sünderin oder
giftige Furie grandios damit scheitert. Kundry
(Morenike Fadayomi), Gurnemanz (Selçuk
Hakan Tiraşoğlu) Die
Hoffnung, die der zweite Akt macht, wird im
dritten leider nicht erfüllt. Die Plattenwand gibt
es nur noch als obere Bühnenabgrenzung. Der
suchende Knabe irrt einmal über die Bühne.
Gurnemanz sitzt mit einer Decke um die Schultern
auf einem Stuhl und erschreckt Kundry nicht zu
Tode, sondern wieder zum Leben. Parsifal erscheint
in Tarnfleckjacke, zieht eine Art Schlitten mit
dem Ballast seines kämpfenden Lebens hinter sich
her und hat die Speerspitze brav in Stoff
eingepackt. Warum Kundry Wasser aus eine Flasche
erst in ihre Hand schüttet und diese dann Parsifal
reicht und ihm nicht gleich die Flasche gibt, mag
symbolisch sein, ist aber unlogisch. Dass die
Salbe aus einer modernen Tube kommt, erscheint
dagegen wenig romantisch, aber möglich. Nach Ihrer
Taufe will Kundry erst einmal genervt abgehen,
bleibt aber unter den auftretenden
heruntergekommenen Blumenmädchen stehen und nimmt
einer erschöpften Mutter das Neugeborene ab.
Parsifal singt von Blumen, den armen Blumenmädchen
und der schönen Aue. Man sieht aber nur die nach
Erlösung schmachtenden Mädchen. Titurel lebt noch
und verteilt Brot unter den Frauen, die nun die
Hemden der Gralsritter tragen. Er bricht das Brot
abendmahlartig, bevor er von vier Gralsrittern
brutal und blutig zu Tode getreten wird. Das
blutige Tafeltuch schwebt vom Schnürboden herab
und wird von einem Blumenmädchen heruntergerissen.
Titurel erhebt sich gespenstisch, wird aber mit
einem Stuhl endgültig niedergestreckt. Parsifal
erscheint mit dem Speer und berührt mit ihm
Amfortas Wunde, die aber weiterblutet. Sie halten
wie in neuer Freundschaft kurz die Köpfe
aneinander, doch der Erlöser gehört nicht Amfortas
allein, alle wollen ihn berühren. Der
Leitmotiv-Knabe hält das enthüllte, aber nicht
leuchtende Gralsgefäß, dem einige Platten fehlen.
Zum Schluss begegnen sich Amfortas und Kundry, die
immer noch das Baby im Arm hält. Eine Begegnung
ohne Nähe. Amfortas geht fast gleichgültig ab,
Kundry starrt ins Publikum. Im Hintergrund wird
mit Rosenkranz, Gebetsteppich, Gebetsschal und
weiteren Attributen verschiedener Religionen
gebetet. Erlösung dem Erlöser. Welchem? Die weltübergreifende Dimension
des Werkes wird auch durch die internationale
Sängerbesetzung (beabsichtigt oder zufällig)
verdeutlicht. Oleksandr Pushniak gestaltet den
Amfortas eindrucksvoll leidend, dabei klangschön mit
rundem, vollem Bariton, der lediglich in der Höhe
zuweilen Schwächen zeigt. Rossen Krastev gibt einen
stimmgewaltigen Titurel, Orhan Yildiz trotz
angesagter Indisposition einen verführerisch
wohlklingenden Morenike
Fadayomis dunkel timbrierter, hier im
Mezzofach eingesetzter Sopran blüht in
vielerlei Farben, die jedoch manchmal, gerade in
der Höhe, gewöhnungsbedürftig klingen.
Klingsor. Als begnadete Darstellerin kann sie jedoch
restlos überzeugen. Kundrys oben beschriebene
vielfältige Verführungsversuche sind mit ihr ein
echtes Erlebnis. Mit großer Stimme, aber allzu grob
dröhnend, mit eigenwilliger Vokalfärbung und oft
unpassender Phrasenbildung kämpft sich Selçuk Hakan
Tiraşoğlu durch die Partie des Gurnemanz, die ihm
einfach nicht zu liegen scheint, denn man hat diesen
Sänger schon sehr überzeugend mit kultivierter
Stimmgewalt erlebt. Gralsritter und Knappen sind
adäquat besetzt, wobei Malte Roesner hier besonders
aufhorchen lässt. Wunderschön harmonisch aufeinander
abgestimmt klingen die sechs Blumenmädchen. Die Entdeckung des Abends ist
Dominik Wortig, dessen baritonal gefärbte eher in
die Richtung eines schweren Heldentenors gehende
Stimme dennoch jugendlich frisch klingt und der mit
ausgesprochen schönem Timbre und hoher Stimmkultur
ein großartiges Rollendebüt als Parsifal gibt. Man
darf auf die weitere Entwicklung dieses jungen
Sängers gespannt sein. Braunschweigs GMD Alexander Joel
präsentiert eine eher eigenwillige Sicht auf die
Parsifal-Partitur. Nicht pathetisch, noch nicht
einmal feierlich und schon gar nicht mystisch,
sondern mit sehr direktem, klarem Klang, mit
transparenten Nebenstimmen und eher flotten Tempi
führt er das Orchester geradezu erfrischend und
geistreich belebend durch die ansonsten eher
tiefsinnig-schwerlastige Musik. Aber der zweite Akt
könnte doch ein wenig mehr Leidenschaft vertragen.
Leider hat das Orchester nicht seinen besten Tag und
so holpert und klappert es an ungewöhnlich vielen
Stellen. Das gilt auch, in abgeschwächter Form, für
die ansonsten prächtig klingenden Chöre. Musikalische Leitung Inszenierung Bühnenbild Kostüme Dramaturgie Amfortas Titurel Gurnemanz Parsifal Klingsor Kundry 1. Gralsritter 2. Gralsritter Vier Knappen Blumenmädchen Stimme aus der Höhe Weitere Informationen
Parsifal
Bühnenweihfestspiel
in
drei Aufzügen
von Richard Wagner
Dichtung vom Komponisten
Aufführungsdauer: ca. 5
Stunden 20 Minuten (zwei Pausen)
Staatstheater
Braunschweig
(Homepage)
Auf
der Suche
Von Bernd
Stopka / Fotos Volker Beinhorn
FAZIT
Dominik Wortig als Parsifal ist die Entdeckung des
Abends, auch das unpathetische Dirigat ist hörenswert.
Ansonsten neben Licht auch Schatten, wobei die
Inszenierung überwiegend im Dunkeln liegt.
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Hohmann
Hugo Holger Schneider
Georg Menskes
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Staatstheaters Braunschweig
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Solisten
Oleksandr Pushniak
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Selçuk
Hakan Tiraşoğlu
Dominik Wortig
Orhan Yildiz
Morenike Fadayomi
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Malte Roesner
Moran Abouloff
Milda Tubelyte
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