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Katja Kabanowa

Oper in drei Akten
Libretto nach dem Schauspiel Gewitter von Alexander Ostrowskji und vom Komponisten
Musik von Leo
š Janáček

In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: 1 ½  Stunden – keine Pause

Eine Produktion des Theatre Royal de la Monnaie, Brüssel

Premiere am 25. Januar 2014
(rezensierte Aufführung: 29.01.2014)

 

 

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Staatsoper Berlin
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Die Rätsel der Seele ergründen

Von Christoph Wurzel /  Fotos: Bernd Uhlig

Leoš Janáček ist in seiner Musik auch ein großer Seelenerkunder. „Wanderung einer Seele“ überschrieb er sein (fragmentarisches) Violinkonzert. Seine beiden Streichquartette sind Abbilder tief innerer Konflikte, kammermusikalische Kurzszenen voller dramatischer Spannungen. Und in seinen Opern geht Janáček der Psyche der Figuren radikal auf den Grund, belichtet sie gleichsam mit musikalischem Instrumentarium. Nicht zufällig war es ihm wichtig, den Duktus der Sprache in der Musik genau abzubilden und damit eine weitere, der Sprache adäquate Dimension des Ausdrucks zu erreichen.  Bemerkenswert, dass auch Sigmund Freud wie Janáček aus derselben Gegend im Norden Mährens stammt, nämlich aus Příbor, nicht einmal zehn Kilometer entfernt von Hukvaldy, wo der Komponist knapp zwei Jahre früher geboren wurde.

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Von Gewissensbissen heiß geplagt: Katja Kabanowa (Eva-Maria Westbroek) und die Bauersfrau Glascha (Emma Sarkiyan)

Mit großer Empathie hat Janáček besonders in seinen Frauengestalten Bühnenfiguren von immenser psychologischer Wahrhaftigkeit geschaffen. Mehr noch als in der früher entstandenen Jenůfa trifft dies für Katja Kabanowa zu, jene Kaufmannsfrau, die aus der bedrückenden Enge ihrer Ehe mit einem unter der Knute seiner Mutter stehenden Schwächling ausbricht, Ehebruch begeht und unter der Last ihres Gewissens regelrecht zusammenbricht. Die Liebe zu dem anderen Mann (Boris) kann nur als Wunsch aufkeimen, über einen kurzen Moment des Glücks kommen die beiden nicht hinaus. Nur wenige Takte lang gönnt der Komponist dem Paar eine gemeinsame Melodie, ansonsten herrscht bei Katja drückende Seelenbeschwernis, die sich in düsteren Farben und plötzlichen Klangausbrüchen des Orchesters musikalisch förmlich herausschreit.

Es ist der erste Triumph dieser Berliner Aufführung, dass Simon Rattle mit der exzellent disponierten Staatskapelle subtil die klangsprachlichen Spuren der Partitur verfolgt und mit höchstem Ausdruck realisieren lässt. Auch Janáček ist, wie Adorno es über Alban Berg sagte, ein Meister des kleinsten Übergangs. Der orchestrale Untergrund ist so wechselvoll und kontrastreich, wie das innere Erleben der Figuren sich unversehens wendet. Rattle spürt dieser gefühlschaotischen Sprache mit größter Sensibilität nach. Mit bewundernswerter Kunst wird aus dem im denkbar leisesten Pianissimo einsetzenden Vorspiel mit seinen düsteren Streicherlinien und den bedrohlich darüber liegenden  dumpfen Paukenschlägen, gefolgt von scharfen Bläserakkorden, in die sich schneidend die hohen Streicher mischen, allmählich ein energetischer Sog entwickelt, dass schon in diesen vier Minuten reiner Orchestermusik das ganze folgende Drama sich abzeichnet. Und dann der klangliche Orkan auf dem Höhepunkt im 3. Akt, wenn  während eines heftig tobenden Gewitters Katja dem Überdruck ihres Gewissen nur durch ein Geständnis Luft zu verschaffen vermag und sich im Orchester all ihre Seelenpein manifestiert. So eruptiv und gewaltsam wie die Musik hier erklingt, so präzise fügt Rattle das musikalische Material zu klarer Struktur. Weich, zärtlich und wie aus einer anderen Welt, mit silbrig glänzendem Ton der Streicher klingt dann die Liebesmusik, wenn sich Katjas Sehnsucht nach einer letzten Begegnung mit dem Geliebten erfüllt: So sehe ich dich doch noch! So anrührend schön und so niederschmetternd grausam war diese Musik an diesem Abend zu hören.

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Erdrückt von der mächtigen Über-Instanz: Katja (Eva-Maria Westbroek) und ihre moralstrenge Schwiegermutter (Deborah Polaski)

Und auch für die Solisten geriet diese Produktion zu einem Triumph. Eva-Maria Westbroek, in vielen Rollen wunderbar, ist aber unvergleichlich in Janáčeks Opern. In Stuttgart war sie eine charaktervolle, unbeugsame Jenůfa (siehe auch unsere Rezension), hier spielt sie die Katja als eine Frau voller Hoffnungen und Sehnsüchte, die aber dem Gefängnis ihrer eigenen Moralansprüche nicht entkommt, man könnte sagen von einem allzu starken Über-Ich erdrückt wird. Am Ende sieht sie den Tod zwar als Bestrafung für ihr Vergehen, aber auch als Befreiung aus ihrer Seelennot an. Am Schluss sucht sie den Tod (statt in der Wolga) mit zerschnittenen Pulsadern in ebender Badewanne, in der sie anfangs von den religiösen Ekstasen ihrer Kindheit erzählt hat. Alle Facetten dieses zerbrechlichen und durch die Gewalt einer rigiden Moral gebrochenen Charakters spielt die Westbroek mit größter Präsenz und singt die Rolle mit überwältigender Ausdrucksintensität. Als autoritäre, zynische und unmenschlich harte Schwiegermutter - wahrlich als eine Frau mit dem Blick einer Viper, wie es im Text heißt - zeigt Deborah Polaski die Kabanicha. Mit scharfer Tongebung gibt sie der Rolle auch gesanglich einen bezwingenden Charakter.

Der aus der Janáček-Stadt Brünn stammende Pavel Cernoch trifft die Rolle von Katjas Geliebten genau: sein Boris ist schwärmerisch, aber unzuverlässig, stimmlich erst mit großer Emphase und später doch leiser Melancholie. Das andere Paar nimmt das Leben unbeschwerter, risikobereit und dabei von der lustvollen Seite: die lebenslustige Varvara, wird mit junger Stimme erfrischend gesungen von der weißrussischen Sopranistin Anna Lapkovskaja. Auch ihr Geliebter Kudrjasch unterwirft sich als Lehrer und Naturwissenschaftler nicht der geistig-moralischen Enge in diesem Ort. Florian Hoffmann singt und spielt diese Rolle mit angemessener Ungezwungenheit und sympathischem Selbstbewusstsein. In seiner Rolle als Muttersöhnchen ist Stephan Rügamer ein überzeugender Tichon, der sich, statt zu seiner Frau Katja zu stehen, bis zur Selbstentwürdigung seiner herrischen Mutter beugt, die ihm im Waschzuber die große Abreibung verpasst. Herrisch ist sein Ton gegenüber Katja, am Schluss nur noch weinerlich nach deren Tod. Den  abscheulichen, ebenso gewalttätigen wie geilen alten Kaufmann Dikoj gibt höchst prägnant der Bariton Pavlo Hunka. Als Luxusbesetzung kann man Roman Trekel in der mit ganzen zwei Zeilen winzigen Rolle des Kuligin genießen.

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Vergebung für eine Sünderin:  In Katja ist der Entschluss zum Selbstmord gereift (kniend: Eva-Maria Westbroek sowie Roman Trekel als Priester und Leonie Eschenburg als kindliche Katja)

Die Regie von Andrea Breth verortet die Oper weniger in purem Bühnennaturalismus, sondern zeigt das Geschehen meist aus der Sicht der Titelfigur als innere Bilder. Wie ein Alptraum erscheint die Geständnisszene, in der Katja unter dem Joch ihrer Scham von allen gezerrt und schließlich erdrückt wird. Als Erlösungshoffnung sieht man dann die Szene vor ihrem Suizid, wo sie sich Erinnerungen an eine Zeit zurückholt, als sie mit sich noch im moralisch Reinen war. Ihren großen Monolog kurz vor dem Freitod erlebt sie wie ein Requiem für sich selbst inmitten von Votivkerzen, während in ihrer Erinnerung die fromme Katja der Kindheit in der Obhut des Priesters wieder erscheint. Das karge, graue Bühnenbild spiegelt als kaputte äußere Welt die Heimatlosigkeit von Katjas Seele. Zusätzlich schaffen auch die Kostüme eine enorme atmosphärische Dichte: die archaisch wirkenden schwarzen Gewänder der alten Dorffrauen, Katjas freudloses Grau, der protzige Pelzmantel der Kabanicha und im Gegensatz dazu das hellgelbe Kleid der unbekümmerten Varvara.

FAZIT

Die Produktion wurde aus Brüssel übernommen, wo sie 2010 mit großem Erfolg herauskam. Jetzt in Berlin wurde sie mit komplett neuer Besetzung akribisch neu einstudiert und entfaltet als rundes Ganzes eine bedrückende Wirkung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simon Rattle

Inszenierung
Andrea Breth

Szenische Einstudierung
Michael Csar

Bühne
Anne Murschetz

Kostüme
Silke Willrett
Marc Weeger

Licht
Alexander Koppelmann

Chorleitung
Frank Flade

 

Staatskapelle Berlin

Staatsopernchor Berlin

Statisterie des Staatstheaters Berlin

 

Solisten

Dikoj
Pavlo Hunka

Boris
Pavel Cernoch

Kabanicha
Deborah Polaski

Tichon
Stephan Rügamer

Katja
Eva-Maria Westbroek

Kudrjasch
Florian Hoffmann

Varvara
Anna Lapkovskaja

Kuligin
Roman Trekel

Glascha
Emma Sarkiyan

Fekluscha
Adriane Queiroz

Eine Frau aus dem Volk
Blank
a Modrá

Katja als Kind
Leonie Eschenburg




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



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