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Zerstörung der Unschuld Von Christoph Wurzel / Fotos von Marcus Lieberenz Das Gedenkjahr für Benjamin Britten ist längst vorbei, aber seine Opern gibt es weiterhin landauf landab zu sehen. Und das Repertoire ist so breit gefächert wie nie. Da ist doch mal ein Jubiläum nicht nur ein Strohfeuer, sondern richtig nachhaltig! Und wirklich: Brittens Opern können nicht oft genug gespielt werden. Das zeigte nun wieder in Berlin die Deutsche Oper mit einer gelungenen Produktion von Billy Budd - sogar als Erstaufführung! Schon im November sollen in der Hauptstadt zwei Kammeropern Brittens folgen: an der Deutschen Oper The Rape of Lucretia und an der Staatsoper The Turn of the Screw. Harter Alltag auf dem Kriegsschiff „Indomitable“: Chor der Deutschen Oper Berlin In Billy Budd klingen zwei der großen Lebensthemen des Komponisten an: Brittens Homosexualität und sein Pazifismus. Und beides wird eng in Beziehung zu einander gesetzt. Die Oper spielt ausschließlich auf einem Kriegsschiff in einer Atmosphäre nicht nur latenter Aggression und rigider Triebunterdrückung. Der Kapitän Edward Fairfax Vere ist ein entschlussloser Schöngeist, aber die Mannschaft verehrt ihn wie einen Gott. Das harte Regiment des Waffenmeisters John Claggart dagegen schindet die Leute bis aufs Blut. So unerschütterlich, wie es der Name des Schiffs - „Indomitable“ – verheißt, ist auch die Disziplin, die hier herrscht und gnadenlos sind die Regeln. Als mit Billy Budd ein neuer Matrose das Schiff betritt, verändert allein sein offenes, liebenswertes Wesen die Verhältnisse. Schnell gewinnt er die Zuneigung der Mannschaft. Im Kapitän spricht er eine weiche Seite an und in dem nach außen brutalen Claggart weckt er Bedürfnisse, die dieser sich nicht einzugestehen wagt. „Wer nicht leiden will, muss hassen“ hatte es der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter einmal auf die Formel gebracht. Claggart hasst Billy um seiner Schönheit, seiner menschlichen Ausstrahlung wegen, weil er daran leidet, dass er ihn nicht lieben kann. Die erotische Anziehung, die er gegenüber Billy empfindet, verdrängt er mit aller Energie. Daher will er ihn vernichten. So lanciert er eine Verleumdung, gegen die Billy sich nicht wehren kann, weil er im entscheidenden Moment kein Wort herausbringt, sondern Claggart im Affekt die Faust ins Gesicht schlägt und ihn damit tötet. Unschuldig wird er schuldig und obwohl der Kapitän dies erkennt, stimmt er dem Todesurteil der Offiziere zu und liefert Billy der Hinrichtung aus. Die Oper zeigt die nahezu unweigerliche Tragik Billy Budds, die Destruction of Innocence, die Brittens Opern leitmotivisch durchzieht. Die Berliner Inszenierung von David Alden realisiert diese Zusammenhänge in eindrucksvoller Intensität. Schon durch die Bühnenoptik gewinnt die Szene jene düstere Schwere und beklemmende Enge, die der Handlung entspricht. Ein stählerner Schiffsbauch, mit verstrebten Wänden ist zu sehen, kein Blick auf Himmel oder Meer und keine Farbe, auch nicht in den Kostümen. Die Schiffsbesatzung trägt verschlissene Arbeitskleidung, die Offiziere Uniformen im optischen Querschnitt aller möglichen Unterdrückungssysteme zwischen KGB und Gestapo. Ganz in ironisch unschuldiges Weiß ist Kapitän Vere gekleidet. Steril und kalt wirkt das Weiß seiner Kajüte. Verhörszene: John Crest (Billy Budd), Gidon Saks (Claggart) und Burkhard Ulrich (Kapitän Vere) (v. links) Der harte Alltag auf diesem Schiff, den Britten besonders im ersten Bild mit schroffem Orchestersatz charakterisiert, wird von Alden beklemmend gezeigt, auf ihren Knien müssen die Männer die Schiffsplanken schrubben und mit den Neuzugängen wird kurzer Prozess gemacht, wenn sie nicht spuren. Da fängt sich ein Neuling gleich heftige Stockschläge ein, weil er sich Widerspruch leistet. Seine berührende Klage ist eine von wenigen Szenen, in denen Britten dem musikalischen Fluss lyrische Ruhe gönnt. In einem ausgedehnten, klagenden Saxophonsolo stellt sich intensiv Empathie mit dem Gewaltopfer her. Ein noch größerer Moment des Mitgefühls entsteht im 3. Bild des 2. Aktes, wenn Billy nach seinem Todesurteil Abschied vom Leben nimmt. Halb kauert, halb hängt er ähnlich dem Gekreuzigten in der Verstrebung der Schiffswand und singt von der Ergebenheit in sein Schicksal. Britten hat seine Titelfigur auch musikalisch deutlich in die Nähe des Opferlamms Jesus gerückt, eine Streicher-Gloriole umgibt seinen Gesang. John Crest singt das anrührend schön. Und auch als Darsteller kann er überzeugen. Zuerst überrascht, dass seine Erscheinung so wenig Strahlendes oder Heldisches hat, gerade aber seine jugendfrische Natürlichkeit macht ihn zur geeigneten Projektionsfigur für die verklemmt erotischen Wünsche Claggarts. Crest spielt Billy einfach als den sympathischen Jungen. Bezeichnend ist auch, dass Britten diese Persönlichkeit gerade ganz bewusst mit dem „Makel“ des Stotterns versehen hat. Das macht ihn einerseits schwach, aber dadurch eben auch besonders menschlich im Gegensatz zum Verdränger Vere, der es erst im Epilog schafft , sich seinem Versagen zu stellen und besonders zu Claggart, der seine innere Armseligkeit mit Sadismus kaschiert. Gidon Saks gibt dem Schiffsprofoss entsprechend mit finsterer Stimme und hartem Ausdruck eine kalt autoritäre Ausstrahlung, ohne die Figur zu dämonisieren. Ähnlich wie Jago singt sich Claggart in einem Monolog den inneren Frust von der Seele: „Oh Schönheit, oh Anmut, oh Güte! Hätte ich euch doch nie erblickt!“ Saks macht daraus einen der gesanglichen Höhepunkte des Abends. Schließlich Burkhard Ulrich als Vere. Er bleibt gegen die beiden anderen Protagonisten entsprechend dem Rollenprofil zurückhaltend, und wenn er das Geschehen im Monolog und im Epilog nochmals aus der Nachschau reflektiert eher hilflos und irritiert. Stimmlich entspricht er in vollem Maße den lyrischen Anforderungen der Partie. Insgesamt bietet das ganze Ensemble eine hervorragende Gesamtleistung, auch die kleineren Rollen (etwa Tobias Blondelle in der kurzen Szene des geschundenen Neulings) sind ausgezeichnet besetzt. Nicht zuletzt gibt Billy Budd auch dem Chor große Aufgaben, die vom Herrenchor und dem Extrachor der deutschen Oper auch souverän gemeistert werden. Der harte Schiffsalltag spiegelt sich in den mit herbem Trotz gesungenen Passagen. Großartig formt Moritz Gnann auch den Orchesterklang plastisch aus, lässt es sich in den lyrischen Stellen weit entfalten und schärft die dramatische Aussage der Musik deutlich an. FAZIT Eine Produktion, die Brittens Meisterwerk gebührendes Format verleiht: in der Inszenierung mit klarer Aussage und musikalisch auf höchstem Niveau Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chorleitung
Kinderchor
Choreografie
Dramaturgie
Deutschen Oper Berlin
Herrenchor und
Kinderchor der
Solisten
Edward Fairfax Vere,
Billy Budd, Vortoppmann
John Claggart, Schiffsprofoss
Mr. Redburn, erster Offizier
Mr. Flint, Segelmeister
Leutnant Ratcliffe
Red Whiskers, ein gepresster Matrose
Donald, ein Seemann
Dansker, ein alter Seemann
Der Neuling
Squeak, ein Schiffskorporal
Mr. Bosun
1. Maat
2. Maat
Ausguck
Freund des Neulings
Arthur Jones / Stimme /
Gefährte des Kanoniers /
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