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Sale

Ein Projekt von Christoph Marthaler, Anna Viebrock, Laurence Cummings und Malte Ubenauf
Musik von Georg Friedrich Händel

In deutscher, italienischer und englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Zürich am 4. November 2012


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Opernhaus Zürich
(Homepage)
Händel im Sonderangebot

Von Roberto Becker / Fotos © T + T Fotografie Toni Suter + Tanja Dorendorf


Das Theater des Christoph Marthaler ist eine eigene Marke. Das ist nicht nur an der Berliner Volksbühne, in Basel, in Wien oder im Schauspielhaus Zürich eine Binsenwahrheit. Egal was drauf steht, drin ist immer eine Mischung aus Schau, Spiel und Oper oder zumindest Operette. Oder so etwas ähnlichem. Auf eigene Weise hochmusikalisch ist das immer. Manchmal auch an einzelnen Komponisten ausgerichtet. Ob nun einst sein Vive Parisienne oder jüngst seine Großherzogin von Gerolstein oder seine Verdi-Collage in Basel.

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Ein Kaufhaus, eine Chefin, ein Muster

Jetzt ist Marthaler in seine Heimatstadt Zürich zurückgekehrt, wo er ein paar Jahre der Chef des Schauspiels war und sich vor allem mit dessen Ausweitung in den Schiffbau nicht nur Freunde gemacht hat. Ein paar von seinen Kritikern waren jetzt auch im Opernhaus in Zürich dabei, wohin ihn der neue Intendant Andreas Homoki gelockt hat. Diesmal gibt es nur Musik von Georg Friedrich Händel. Die 24 Szenen vereinen Arien aus den Opern Alcina, Giulio Cersare in Egitto, Orlando, Agrippina, Poro, Admeto, Teseo und Rinaldo sowie Passagen aus den Oratorien Israel in Egypt, Semele, Il trionfo del tempo e del disinganno, La resurrezione, dem Messiah, L'allegro, il penseroso ed il Moderato, Saul und Salomon, abgeschmeckt mit zwei kleinen Instrumentalsätzen am Anfang, einem Schuss Feuerwerksmusik am Ende. Pikant nachgewürzt und doppelbödig eingedunkelt wir das Ganze mit ein paar Passagen aus Edgar Allan Poes Gruselstory Die Maske des Roten Todes, die Graham F. Valentine häppchenweise im englischen Original dazwischen schiebt.

Vergrößerung in neuem Fenster Einbruch der Außenwelt - die Kunden stürmen die Wühltheke

Rein musikalisch ist das schon deshalb hochbekömmlich, weil Laurence Cummings am Pult des historisch bestückten und versierten Orchestra La Scintilla für den rechten Sound sorgt (einmal sogar selbst singt). Er ist der neue Chef der Göttinger Händelfestspiele und erweist sich in Zürich obendrein als undogmatischer Barockspezialist, der willig den Erkundungen Marthalers folgt. Und weil die großartige Anne Sophie von Otter (deren Basler Großherzogin von Gerolstein unvergessen ist!)  ein Solistenensemble anführt, dass zur Marthaler-Bühnenfamilie gehört wie Valentine und Ueli Jäggi,  oder sich fabelhaft in seine Art Theater einzufinden vermag.

Dabei ist der Counter Christophe Dumaux (der schon beim letzten Salzburger Cesare geglänzt hatte) ein vokaler und darstellersicher Glücksgriff in der Rolle des hitzköpfigen Großneffen. Mit ihrem vokalen Einsatz und ihrer Spielfreude steht ihm Malin Hartelius als Nichte der Kaufhausdirektorin in nichts nach.

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Ausverkauf mit vielen Namen

Sale heißt das Ganze und meint nicht nur den lärmigen Ausverkauf in einem Kaufhaus, sondern gleich den des ganzen Kaufhauses. Zu dem erzwungenen  Abschiednehmen vom alten Glanz (und wohl auch den regelmäßigen Überweisungen) rückt der Direktorin und Dynastie-Chefin (eine wunderbare Rolle für von Otter) die gesamte nahe und ferne Verwandtschaft auf den Hals. Und bevölkert die Kaufhausetage, die die kongeniale Raumerfinderin Anna Viebrock auf die Bühne gestellt hat. Das ist mit einem Schuss Nostalgie neu erfundene Vertrautheit, mit Rolltreppen, Wühltheken und den üblichen Tiefstpreisschildern. Und einem Teppichbodenmuster, das sich in der Kleidung von allen wiederfindet. Hier nun lehnen sie sich, immer mit Händels melancholischem Wohlklang in der Kehle oder von seinem Rhythmus durchzittert, gegen das Ende auf, ignorieren es und zelebrieren es. Mit einer Art Beisetzung als Höhepunkt, bei der jeder einen Becher Waschpulver hinter den Kassentresen schüttet und sich dann selbst wie tot auf den Boden legt.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Familie und das Ende des Kaufhauses

Es ist nicht nur alte, längst verblichene Warenhauspracht, die hier zu Grabe getragen wird, sondern das Endspiel einer geschlossenen Gesellschaft. Die die Umwelt nur als einfallende und wieder verschwindende Schnäppchenjäger erlebt. Und die nicht mehr die offenen Türen findet, sondern gegen Wände läuft. Am Ende treffen sie sich zur Feuerwerksmusik und mit stummen Jubelreden zu einem üppigen Festmahl. Bis sie, begleitet von einer Trauermusik von Ferne her, erstarren.

Doch in dieser Umgebung wird der göttliche Wille als politisches Machtkalkül des Priester Kalchas gedeutet und ansonsten nach dem menschlich, allzu menschlichen Verhalten in vertrackten Situationen gefahndet. Kalchas setzt das gruselige Macht-Spiel mit seinem Schachpartner und politischen Kontrahenten Agamemnon in Gang. Was für ihn ein Leichtes ist, da er qua Amt göttliche Autorität besitzt. Und er bricht das Spiel ab, als Iphigenies Kopf schon unter der eilig aufgestellten Guillotine liegt.


FAZIT

Die Oper Zürich hat mit der neuen Marthaler-Kreation einen kleinen, feinen Händel der ganz besonderen Art im Programm. Heiter, melancholisch und hochmusikalisch.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Laurence Cummings

Inszenierung
Christoph Marthaler

Regie-Mitarbeit
Marie-Eve Signeyrole

Bühne und Kostüme
Anna Viebrock

Licht
Martin Gebhardt

Dramaturgie
Werner Hintze
Malte Ubenauf


Orchestra La Scintilla


Solisten

Die Chefin der Dynastie
Anne Sofie von Otter

Ihr verstorbener (dritter) Ehemann
Marc Bodnar

Filialleiter
Raphael Clamer

Eine Nichte der Kaufhausdirektorin
Malin Hartelius

Ein Grossneffe der Kaufhausdirektorin
Christophe Dumaux

Ein naher Verwandter
Graham F. Valentine

Eine norwegisch-amerikanische Verwandte
Tora Augestad

Eine ausgewanderte Verwandte
Catriona Guggenbühl

Der Ehemann der ausgewanderten Verwandten
Ueli Jäggi

Ein verwandter Witwenimitator
Jürg Kienberger

Der Liquidator
Bernhard Landau

Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Zürich
(Homepage)



Da capo al Fine

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