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Musiktheater
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Kontakthof

Ein Stück von Pina Bausch
(Uraufführung: 09.12.1978)

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Wiederaufnahme im Opernhaus Wuppertal am 7. März 2013

 



Tanztheater Wuppertal
(Homepage)

Ein Stück Nostalgie im Opernhaus

Von Thomas Molke / Fotos von Maarten Vanden Abeele

Es war eines der ganz frühen Stücke, das Pina Bausch 1978 in Wuppertal für das Tanztheater, das seit 1974 unter ihrer Leitung stand, choreographierte und das die Tanzsparte in Wuppertal revolutionierte. Während ihre vorherigen Werke in der Regel noch auf klassische Musik zurückgriffen und nur durch ein neues Bewegungsvokabular das damalige Publikum irritierten und spalteten, begann Bausch in Kontakthof durch die nahtlose Aneinanderreihung unterschiedlicher Szenen einen Stil zu entwickeln, der zum Strukturmerkmal ihrer weiteren Arbeit werden sollte. Welchen besonderen Stellenwert Kontakthof für die Choreographin selbst gehabt haben muss, zeigt, dass Bausch zunächst im Jahr 2000 dieses Stück mit Damen und Herren ab 65 Jahren auf die Bühne brachte, was wohl ihren ursprünglichen Wunsch vorwegnahm, die Inszenierung mit den Tänzerinnen und Tänzern der Uraufführung zu einem Zeitpunkt noch einmal aufzugreifen, wenn diese im Rentenalter seien, und dann 2008 knapp ein Jahr vor ihrem Tod mit der Fassung für Jugendliche ab 14 Jahren bewies, dass die Aussage des Stückes auch mit Teenagern funktioniert. Wenn man nun im Opernhaus die Neueinstudierung dieses Klassikers erlebt, ist von dem ursprünglichen Unverständnis, das 1978 in Wuppertal zu erleben war, nichts mehr zu spüren. Stattdessen weht ein Hauch von Nostalgie durch den Saal, an dem die leicht melancholische Musikauswahl mit Schlagern von Juan Llossas und seinem Tanzorchester aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gewiss nicht ganz unbeteiligt sein dürfte.

Das Bühnenbild von Rolf Borzik zeigt einen großen Saal mit hohen weißen Wänden, Fenstern und Türen, der wohl einem damaligen Probenraum der Kompanie in einem ehemaligen Kino nachempfunden ist. So gibt es auf der Rückseite auch eine Leinwand mit einem Vorhang. In dem Raum befinden sich nur Stühle, die ringsherum an den Wänden aufgestellt sind, ein Klavier, mehrere Mikrophone auf Ständern und ein elektrisches Schaukelpferd. Wie der Titel bereits verkündet, sind die Tänzerinnen und Tänzer bemüht, in diesem Ambiente Kontakte zu knüpfen. Dabei beginnt das Stück sehr bitter. Zu dem Schlager "Frühling und Sonnenschein" schreitet zunächst Julie Shanahan in einem roten Kleid zur Bühnenmitte, um sich wie eine Ware anzubieten, indem sie sich vorwärts, rückwärts und seitwärts aufstellt, ihre Zähne und die Innen- und Außenfläche ihrer Hände präsentiert. Weitere Tänzerinnen und Tänzer folgen ihr. Zarte Versuche werden unternommen, die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechtes auf sich zu lenken. So erstarren die Männer in Tanzposen, in die die Frauen versuchen sich einzufügen. Andrey Berezin erschreckt Nazareth Panadero mit einer kleinen Maus, die dazu führt, dass sie schreiend vor ihm über die ganze Bühne flüchtet.

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Ensemble

Der Kampf zwischen den Geschlechtern, der sich durch zahlreiche Bausch-Stücke zieht, darf hier ebenfalls nicht fehlen. In Kontakthof wird er recht perfide vorgeführt, wenn einzelne Pärchen zu der romantischen Musik quasi wie für ein Foto posieren, dabei dem Partner oder der Partnerin jedoch kleine Gemeinheiten zufügen, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Doch auch der verletzte Part zeigt kaum eine Reaktion und lächelt weiter freundlich ins Publikum, während er bzw. sie zum Gegenschlag ausholt. Begleitet werden die ausgetauschten Feindseligkeiten von der Akklamation der beobachtenden Tänzerinnen und Tänzer. Auch im Ensemble wird der Geschlechterkampf thematisiert, wenn sich beispielsweise die Frauen alle an der rechten Wand aufstellen und sich die Männer ihnen mit den Stühlen in hektischen Bewegungen zu schneller Musik nähern, wobei die Frauen in ähnlich abgehackten Bewegungen scheinbar versuchen, dieser Annäherung zu entfliehen, oder wenn sich Männer und Frauen gegenüber aufstellen und mit wechselseitigen, immer schneller und aggressiver werdenden Kommandos das andere Geschlecht in die Enge treiben und bei jeder Nennung eines Körperteils mit dem entsprechenden Teil zucken, als ob sie einen Schlag dorthin bekommen hätten.

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Julie Shanahan (links) und Nazareth Panadero (rechts) als Mädchen

Dass auch das Individuum eine besondere Rolle spielt und jeder in der Kompanie seine eigenen Erfahrungen mit in dieses Stück bringt, wird besonders in einer Szene deutlich, in der alle Tänzerinnen und Tänzer mit den Stühlen an der Rampe Platz nehmen und gleichzeitig auf das Publikum einreden. Dabei geht Daphnis Kokkinos mit einem Mikrophon um, das er jedem einzelnen Tänzer hinhält, so dass man einen Teil der Geschichten aufschnappt. Dabei sprechen die Tänzerinnen und Tänzer teilweise auf Deutsch, teilweise jedoch auch in ihrer Muttersprache, wobei das Thema, Erfahrungen zum Thema Liebe, auch klar wird, wenn man das gesprochene Wort nicht versteht. Dass das Individuum nicht von der Norm abweichen darf, macht Ditta Miranda Jasjfi deutlich, die bei dem Tango "Mein schönes Vis-a-vis", wenn die Tänzerinnen und Tänzer alle im Stechschritt quer über die Bühne hetzen, versucht, den anderen zu erklären, dass die Schrittfolge falsch ist, aber daran verzweifelt, kein Gehör zu finden. Großartig ist auch Julie Shanahan, die vorführt, auf wie viele verschiedene Arten man das Wort "Darling" intonieren kann.

Wenn sich im zweiten Teil des Abends die Tänzerinnen und Tänzer einen Film über verschiedene Entenarten auf einem Teich ansehen und das Ende des Films mit einem bedauernden "Oh" kommentieren, mag man sich vielleicht fragen, welche Funktion diese Einspielung haben soll. Stehen die Enten, die auf dem Teich ihren Lebensraum und ihren Partner gefunden haben, metaphorisch für die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, die alle noch auf der Suche sind? Oder soll der Film einfach nur eine amüsante Unterbrechung sein, der, gemessen an den Reaktionen des Publikums, auch dort sein Ziel nicht zu verfehlen scheint?

Eine besonders aufwühlende Szene gelingt Nazareth Panadero am Ende, wenn sie recht apathisch von den Tänzern umringt, berührt und hochgehoben wird. Man möchte schreien oder weinen, wenn man einerseits Panaderos Teilnahmslosigkeit, andererseits aber auch das in ihrer Körpersprache ausgedrücktes Unbehagen wahrnimmt. Wie dann der Bruch erfolgt, indem Julie Anne Stanzak zu dem Schlager "Gnädige Frau" die Aufmerksamkeit der Männer auf sich lenkt und alle in einem Kreis über die Bühne schreiten, ist einer der ganz großen Momente dieses Abends. So gibt es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für das Ensemble und ein Stück, das auch nach 35 Jahren immer noch zu bewegen vermag.

FAZIT

Kontakthof funktioniert in allen Altersklassen. Das zeigen zum einen die unterschiedlichen Versionen, zum anderen die breit gestreute Altersstruktur im Publikum.



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Produktionsteam

Inszenierung und Choreographie
Pina Bausch

Bühne und Kostüme
Rolf Borzik

Mitarbeit
Rolf Borzik
Marion Cito
Hans Pop

Probenleitung Neueinstudierung
Bénédicte Billiet
Dominique Mercy

 


Solisten

Pablo Aran Gimeno
Andrey Berezin
Ale
š Čuček
Clémentine Deluy

Silvia Farias Heredia
Ditta Miranda Jasjfi
Scott Jennings
Barbara Kaufmann
Daphnis Kokkinos
Eddie Martinez
Thusnelda Mercy
Christiana Morganti
Nazareth Panadero
Helena Pikon
Jorge Puerta Armenta
Franko Schmidt
Azusa Seyama
Julie Anna Stanzak
Julie Shanahan
Michael Strecker
Fernando Suels Mendoza
Anna Wehsarg
Paul White


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Tanztheater Wuppertal
(Homepage)




Da capo al Fine

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