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Alterswerk in surrealen Bildern
Miguel de Cervantes Saavedras Don Quixote gilt als
erster moderner Roman der Weltgeschichte, der auch heute noch zu den
meistgelesenen Werken der Literatur zählt. Obwohl die Geschichte um den
Landadeligen Alonso de Quijana, der nach der Lektüre unzähliger Ritterromane
verrückt wird und beschließt, als fahrender Ritter Don Quixote durch die Welt zu
reisen und das Unrecht zu bekämpfen, auch zahlreiche Komponisten inspiriert hat,
den Stoff zu vertonen, konnte keine dieser musikalischen Bearbeitungen - mit
Ausnahme des Musicals Man of La Mancha von Mitch Leigh und Dale Wasserman
- sich dauerhaft auf den Spielplänen der Opernhäuser durchsetzen. Die Wuppertaler
Bühnen präsentieren nun im Rahmen ihres "Spanien" - Schwerpunktes als letzte
Opernpremiere der Spielzeit Jules Massenets Version, die 1910 in Monte Carlo
eine äußerst erfolgreiche Uraufführung erlebte und die als Alterswerk ähnlich
wie bei Verdis zwei Jahrzehnte zuvor komponiertem Falstaff eine Art
persönliches Lebensfazit des Komponisten zieht. Don Quichotte (John In Eichen,
vorne links) träumt von Dulcinée (Joslyn Rechter, mit den vier Verehrern Pedro
(Annika Boos), Garcias (Miriam Ritter), Rodriguez (Boris Leisenheimer) und Juan
(Miljan Milović) und dem Chor). Massenet orientiert sich in seiner Vertonung weniger an
Cervantes' zweibändigem Ritterroman als vielmehr an dem Theaterstück Le
chevalier de la longue figure von Jacques Le Lorrain, das am 3. April 1904
uraufgeführt worden war und das den Schwerpunkt auf das melancholische
Lebensende Don Quichottes setzt. Der wesentliche Unterschied besteht in der
Figur der Dulcinea, die bei Cervantes die fette Wirtsmagd Aldonza ist, die von
Don Quixote zu einer Edeldame idealisiert wird und somit eigentlich nur seiner
Fantasie entspringt. Bei Lorrain und Massenet wird diese Figur als wunderschöne
Dulcinée nun Wirklichkeit. Allerdings ist sie als Kurtisane, die mit den Männern
spielt, für Don Quichotte genauso unerreichbar wie das Traumbild Dulcinea bei
Cervantes. Obwohl Don Quichotte bei Massenet Dulcinées Wunsch nachkommt, als
Liebesbeweis ihr von Räubern gestohlenes Collier zurückzubringen, indem er auf wundersame Weise die Räuber
bekehrt und zur
Herausgabe ihrer Beute bringt, weist Dulcinée den Ritter spöttisch zurück.
Mit gebrochenem Herzen flüchtet Don Quichotte mit seinem Diener Sancho Pansa in
den Wald und nimmt todkrank Abschied von der Welt, wobei ihm in seinem Tod noch
einmal Dulcinée als Stern am Firmament erscheint. Don Quichotte (John In Eichen)
bekehrt die Räuber (Chor). Jakob Peters-Messer lässt in seiner Inszenierung die ganze
Geschichte nur in Don Quichottes Fantasie stattfinden. Bevor die Musik einsetzt,
sieht man Don Quichotte mit einem Buch in einer Badewanne liegen, während Thomas
Braus über Lautsprecher den Prolog aus Cervantes' Ritterroman vorträgt. Dabei
suggeriert Braus' Flüsterton eine leicht unheimlich Atmosphäre, die sich
einstellt, wenn man ein spannendes Buch im Bett unter der Bettdecke liest. In
dieser Badewanne befindet sich Don Quichotte auch wieder am Ende des Stückes, so
dass sich die Ereignisse der fünf Akte als Traumsequenz der Titelfigur deuten
lassen und eigentlich nur Sancho Pansa real ist, der am Krankenbett seines Herrn
wacht. Markus Meyer hat einen hohen weißen Bühnenraum entworfen, der zahlreiche
surrealistische Elemente enthält. So sieht man auf der rechten Seite einen
Balkon, von dem eine Treppe hinabführt, die aber nicht bis zum Bühnenboden
reicht, sondern in der Mitte abbricht. Auf diesem Balkon tritt Dulcinée häufig
auf, ist für die Menschen unten allerdings unerreichbar, da sie nicht
die Treppe hinabsteigen und die anderen nicht hinaufsteigen können. Eine
unvollständige Uhr an der Rückwand erinnert an die schmelzenden Uhren von
Salvador Dalí. Dulcinée (Joslyn Rechter)
weist Don Quichotte (John In Eichen, vorne) zurück (hinten von links: Chor,
Rodriguez (Boris Leisenheimer) und Juan (Miljan Milović)). Durch Projektionen auf diesen weißen Bühnenraum gelingen
faszinierende Bilder für die einzelnen Akte. Zu nennen ist hier zunächst ein
riesiges Auge, das sich über die ganze Rückwand erstreckt, wenn Don Quichotte
zum ersten Mal Dulcinée auf ihrem Balkon erblickt. So wird deutlich, dass diese
Frau nun sein ganzes Leben beherrscht. Wenn er ihren Auftrag siegreich
ausgeführt hat sieht man einen herrlichen ausgeschmückten Barock-Saal auf der
Rückwand, der Don Quichotte auf ein glückliches Leben mit seiner Geliebten
hoffen lässt. Doch als Dulcinée ihn abweist verfällt der barocke Glanz, und
alles, was bleibt, ist schäbiger und abgebröckelter Putz an den Wänden. Dulcinée
hat Don Quichottes Lebenstraum zerstört. In Don Quichottes Todesstunde leuchtet
ein riesiger Vollmond auf der Rückwand, von dem aus Dulcinée das letzte Lebewohl
zuzurufen scheint. Die Kostüme, für die Markus Meyer ebenfalls verantwortlich
zeichnet, sind hell und farblos gehalten und nehmen die Projektionen somit
ebenfalls auf. Der Chor vermittelt dabei mit den Torero-Hüten spanisches
Nationalkolorit, während die vier Verehrer Dulcinées in ihren weißen Anzügen mit
den schwarzen Hemden eher in die Entstehungszeit der Oper passen. Nur Dulcinées
Kostüm sticht aus den anderen Kostümen heraus. In einem langen wallenden
schwarzen Kleid hebt sie sich als einzige Frau von den anderen Figuren ab und
setzt mit ihren leuchtenden roten Haaren auch den einzigen Farbtupfer außerhalb
der Projektionen. Don Quichotte (John In Eichen,
rechts) nimmt Abschied von seinem Diener Sancho Pansa (Martin Js. Ohu, links). Als Gaul Rosinante fungiert eine weiße Leiter auf Rollen, auf
der Don Quichotte mit einer riesigen Lanze über die Bühne gezogen wird. Der Gaul
ist folglich schon so klapprig, dass er sich allein gar nicht mehr fortbewegen
kann. Sancho Pansa wird durch einen Eselskopf selbst zu dem Esel, der dem
Knappen zum Transport dient. Der Kampf mit den Windmühlen wird ebenfalls witzig
inszeniert, weil als Windmühlen zwei Deckenventilatoren aus dem Schnürboden
herabgelassen werden, mit denen Don Quichotte und Sancho Pansa den Kampf
aufnehmen, den sie natürlich verlieren müssen. Wenn Don Quichotte in der
Bekehrungsszene im dritten Akt die Räuber dazu bringt, ihm das gestohlene Collier
zurückzugeben, erscheint er in einem weißen Lichtstrahl in der Mitte der
Bühne nahezu wie ein Heiliger. Musikalisch lassen sich zahlreiche Anklänge an Massenets
frühere Stücke erkennen. Das wunderschöne Zwischenspiel zwischen dem vierten und
fünften Akt weckt beispielsweise Erinnerungen an die berühmte "Méditation" aus
Thaïs. Leider klingt das Cello-Solo an einigen Stellen nicht ganz
sauber, was den musikalischen Genuss etwas dämpft. Ansonsten gelingt dem
Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Tobias Deutschmann eine
klangschöne Umsetzung der Partitur, die der Vielschichtigkeit des Werkes gerecht
wird. Mit John In Eichen und Martin Js. Ohu verfügen die Wuppertaler Bühnen über
zwei großartige Bässe, die Don Quichotte und seinen Diener Sancho Pansa mit markanter
Tiefe und genügend Kraft in der Höhe verkörpern. In Eichen gibt auch optisch in
seiner Aufmachung einen glaubwürdigen Ritter, dem man seinen Idealismus in jedem
Moment abnimmt. Ohu begeistert mit seinem komödiantischen Spiel und gewinnt
darstellerische Tiefe, wenn er seinen Herrn gegen die boshafte Gesellschaft
verteidigt. Joslyn Rechter glänzt als Dulcinée mit wohl-timbriertem Mezzo und
grandiosem Spiel, das die Vielschichtigkeit der Person beeindruckend auslotet.
So empfindet man bei aller Grausamkeit, mit der sie Don Quichotte behandelt,
dennoch Mitleid mit ihr, da sie aus gesellschaftlichen Zwängen ihre Rolle nicht
verlassen kann, und man kann gut nachvollziehen, wieso sie Don Quichotte in
seiner Todesstunde als eine Art Stern am Firmament erscheint. Auch die kleineren
Partien und der von Jens Bingert einstudierte Chor überzeugen, so dass es am
Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne und Kostüme Licht Choreinstudierung
Dramaturgie Opernchor der Sinfonieorchester Wuppertal SolistenDon Quichotte Sancho Pansa Dulcinée Pedro
Garcias Rodriguez
Juan
Räuberhauptmann
1. Räuber
2. Räuber
1. Torero / Gitarrist
2. Torero
Stimme von Cervantes
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- Fine -