Wenn Eurydike zur "Bumsebiene" von Pluto
wird
Von Ursula
Decker-Bönniger / Fotos von Jörg
Landsberg
Dass eine Operette aus dem Jahre 1858 humorvoll,
unterhaltsam, auch zeitpolitische Anspielungen auf
das krisengeschüttelte Europa des 21.
Jahrhunderts enthalten kann, zeigt Walter Sutcliffes
abwechslungsreiche Neubearbeitung von Jacques
Offenbachs Orphée
aux Enfers in Osnabrück.
Eurydike
kann das selbstverliebte Geigenspiel ihres
Mannes nicht länger ertragen.
Orpheus und Eurydike, verarmte griechische
Tavernenbesitzer, denen die Touristen ausbleiben,
streiten sich. Pluto, der Gott der Unterwelt, hat
als Lover Aristeus eine Affäre mit der
schönen Eurydike begonnen. Als sie zum Strand
aufbrechen wollen, legt Pluto einen tödlichen
Brandsatz, um seine Schöne in die "Unterwelt"
zu entführen. Draußen, zu operettigen
Walzer- und Galoppklängen liefert sich das
Volk, Tanzrhythmus und -seligkeit konterkarierende
Straßenschlachten mit der Polizei. Retter in
der Not soll die personifizierte Öffentliche
Meinung werden. Sie fordert in zeitlosem, geordnetem
Kostüm Moral, Ehre und Treue ein und scheint
zunächst die gesellschaftliche Konvention
aufrecht zu erhalten. Selbst Göttervater
Jupiter beugt sich ihr, um die revoltierenden
Götter in Schranken zu halten.
Sutcliffe und Inbal haben der Originalfassung von
1858 neben den berühmten Sirtaki-Klängen
von Mikis Theodorakis auch einige gefällige,
vor allem Tanznummern der von Offenbach selbst
komponierten Neubearbeitung aus dem Jahre 1874
hinzugefügt. Hinzu kommt eine von Walter
Sutcliffe und Daniela Brendel geschriebene
Neufassung der Dialoge.
Jupiter
und Juno im Olymp
Ergebnis ist ein bunter, Offenbachs
Original nahekommender stimmiger Mix aus
Musiknummern, gesprochenen Dialogen und schrillen
Tanzeinlagen, eine absurde Satire auf die scheinbare
Überflussgesellschaft, in der Doppelmoral
vorherrscht, Luxus und Liebe verherrlicht und das
ausschweifende Leben im Rausch genossen werden. In
der Schlussszene verbinden sich "Ober-" und
"Unterwelt" zu dionysischer Lust, verfällt man
anstelle des Can-Can im Galop infernal in Revueglanz und
rauschhafte Liebesorgien, um schließlich
ermattet am Boden zu liegen. Und die
Öffentliche Meinung? Kann sie einem solchen
Rausch widerstehen? Jupiter bringt mit einem plumpen
Sektkorkenknall nicht nur Orpheus dazu, sich
umzublicken. Schlussendlich spielt auch die
Öffentliche Meinung im schwarz-rot-goldenen
Unterröckchen mit. Timo Dentler und Okarina Peter
verlegen das Operettengeschehen des 2, 3. und 4.
Bildes in den schlichten Ausstellungsraum, bzw.
wunderbar schwarz-glitzernden Strand eines Museums.
Die Götterwelt erinnert in ihrer witzigen,
einheitlich hautengen und marmorierten
Kostümierung und Kopfbedeckung an antike
Götterstatuen, - nach außen zu
künstlichen Posen erstarrt, nach innen der
göttlichen Speise des Nektar und Ambrosia
überdrüssig. Wunderbar passend dazu sind
die ironisches Understatement ausstrahlenden
Bewegungsmuster und Blicke des Göttervaters
Jupiter. Skurril überzeichnend wird Koloratur
mit Lustgewinn gleichgesetzt. Schwarzhumorig, fast
ins Geschmacklose abgleitend beglückt Jupiter
im Fliegenduett die schöne Eurydike im engen
Klohäuschen. Das Lachen bleibt oft im Halse
stecken, so skurril ist die Mischung aus Ernst und
Komik.
Styx versucht mit
Gentleman-Charme, die schöne,
luxusverliebte Eurydike anzubaggern.
Das Osnabrücker Sinfonieorchester spielt in
passend kleiner Besetzung und führt unter der
Leitung Daniel Inbals beschwingt durch den Abend.
Schade, dass die Musiknummern nicht übertitelt
sind, was zur besseren Textverständlichkeit
beigetragen hätte. Sieht man einmal von sicher
jahreszeitlich bedingten, stimmlichen
Einschränkungen ab, so präsentieren Chor,
Gesangssolisten und Tänzer eine engagierte
Darbietung. Daniel Wagner ist - passend zur Rolle -
ein selbstverliebter Orpheus. Mark Hamman
präsentiert im Hirtengesang Aristeus'
effektvoll ein angekratztes Falsett. Jan Friedrich
Eggers spielt überzeugend den leicht
angestaubten, staksigen, hinterlistig
Machtfäden spinnenden Jupiter. Hans Hermann
Ehrich ist in nostalgisch seidenschimmerndes
Butler-Outfit gewandet und singt sein "Als ich noch
Prinz war von Arkadien". Almerija Delics klangvoller Sopran
überzeugt als kraftvolle Öffentliche Meinung. Star des Abends
war Elena Fink, die für die erkrankte Marie-Christine Haase
als Eurydike eingesprungen war. Wie sie mit klangschönem
Sopran, lupenreinen Spitzentönen, makellosen Registerwechseln
und Koloraturen das Publikum berauschte, war einfach ein
wunderbarer Genuss.
FAZIT
Sutcliffe
und Inbal präsentieren eine unterhaltsame,
neu zusammensgestellte und ironisch aktualisierte
Operetteninszenierung mit einem
abwechslungsreichen Mix aus Tanz, Dialog und
Gesang.