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Musiktheater
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Drei Einakter
Musik von Paul Hindemith

Mörder, Hoffnung der Frauen

Oper in einem Akt
Text von Oskar Kokoschka, nach dem gleichnamigen Schauspiel

Das Nusch-Nuschi

Ein Spiel für burmanische Marionetten in einem Akt
Text von Franz Blei

Sancta Susanna

Oper in einem Akt
Text von August Albert Bernhard Stramm nach dem gleichnamigen Drama

In deutscher Sprache mit deutschen Seitentiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere im Theater am Domhof am 15. Juni 2013

 

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Theater Osnabrück
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Sex, Liebe und Lust in multikultureller Vielschichtigkeit          

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Jörg Landsberg

2013 ist nicht nur das Jubiläumsjahr von Verdi und Wagner. Osnabrück erinnert in seiner letzten Inszenierung der Saison an die ersten dramatischen Kompositionen des Wagner kritischen Paul Hindemith, der 1895 in Hanau geboren 1963 in Frankfurt verstarb. Gezeigt werden die drei Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen, das Nusch-Nuschi und Sancta Susanna – Hindemiths in Anlehnung an Puccini aus sehr unterschiedlichen Libretti bestehende Opern-Triptychon, das mit Oskar Kokoschka, Fritz Blei, August Stramm und Oskar Schlemmer als Bühnen- und Kostümbildner ebenso unterschiedliche wie namhafte Avantgarde-Künstler zusammenbrachte.

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Wohnzimmeralltag, unten: der einsame Mann

Besonderen Anstoß erregte bei der Uraufführung der von August Stramm stammende Text von Sancta Susanna. Thema sind Triebverzicht, Angst und kollektive Gewalt. Als sich die fromme Susanna im Bewusstsein ihrer Sinnlichkeit entkleidet, dem Gekreuzigten das Lendentuch vom Leibe reißt und sich schließlich - ähnlich wie Don Giovanni - der Buße und Reue verweigert, wird sie von der Alten Nonne als „Santana“ verdammt. Fritz Busch hatte das Erstdirigat dieses gesellschaftliche Tabus brechenden, Religiosität und Sexualität mischenden, blasphemischen Einakters abgelehnt, sodass seine Uraufführung knapp ein Jahr später, im März 1922  im Opernhaus Frankfurt erfolgte.

Bestes Beispiel für die parodistischen, provozierenden Absichten der Autoren ist das Nusch-Nuschi, ein „Spiel für burmanische Marionetten“ - ein turbulentes Bühnengeschehen im orientalischen Ambiente. Auch hier wird die Tabuisierung sexueller Themen wie Lust, Polygamie, Kastrationsängste und Impotenz attackiert, wobei die Figuren in ihren derben Possen und Doppelbödigkeiten oft an die Commedia dell’Arte erinnern. Hindemith parodiert mit direkten und indirekten Zitaten die Klang- und Opernwelt der Spätromantik und entwürdigt bspw. den Wagner-Mythos, wenn der zuvor als impotent belächelte Kaiser Mung Tha Bya seinen wieder einmal leeren Harem mit den König Marke-Worten „Mir dies!“ aus dem 2. Akt von Tristan und Isolde kommentiert.

Auch in der ersten Oper Mörder, Hoffnung der Frauen lassen sich zahlreiche motivische Wagner-Anspielungen vor allem für die Gesangspartien der Frau aufweisen. Männer und Frauen begegnen sich hier in Liebesspielen und einer Art archetypischem Geschlechterkampf, bei dem der Mann die Frau „mit seinem Zeichen brandmarken lässt“, während die Frau sich mit dem Messer wehrt und ihn verletzt. In seinen Traumfantasien begegnet der Mann ihr erneut mit Liebesentzug und erobert, - tötet sie.

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Mit "Rai" melden die Affen den Vollzug des Geschlechtsaktes

Befreit vom historischen Umfeld der 1920er Jahre transformiert Biganzoli Kokoschkas archetypischen Geschlechterkampf eindrücklich und passend zur Musik in den „normalen“ Beziehungsalltag unserer Tage. Fast voyeuristisch blickt man hinter die Kulissen der spärlich möblierten, immer mit einem Sofa ausgestatteten Wohnzimmer eines offenen, mehrstöckigen Haus. Nach einer Art Exposition und Chorprobe werden uns in kurzen Szenen unter Einsatz der Drehbühne unterschiedlichste, u. a. von Gewalt, Liebe, Lust und Demütigungen durchzogene Begegnungen von Mann und Frau vor Augen geführt.

Einstieg und Überleitung für das komische Nusch-Nuschi ist eine Feier vor Ort. Getränkeflaschen werden verteilt, rote Lampionketten aufgehängt, Seemanns-, Liebes- und Tanzlieder aus der koreanischen und japanischen Heimat der Ensemblemitglieder vorgetragen. Mit dem Auftritt des grünen Wackelpeter verteilenden Diener Tum Tum beginnt das skurrile, sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernende, burmanische Spiel. Witzig ist der Auftritt des schönen Zatwai im engen, glitzernden Badehöschen. Sinnenfroh und verspielt verwandeln sich die Männer in der Gerichtsszene in Frauen mit historisch anmutenden gläzenden, asiatischen Gewändern und aufwendigen Steckfrisuren, glitzern die Showkostüme der Bajadere, leuchten im Dunkel der Straße die runden, den Gott des Verlangens symbolisierenden, gelben Gesichtsmasken auf, die sich als Nusch-Nuschi tanzend mal in eine Schlange, mal in einen beängstigend verschlingenden Mund verwandeln. Ideenreich auch die Projektion tanzender, übergroßer Manga-Figuren zu einer sich wie im Lust- und Liebestaumel immer schneller drehenden Bühne. Einzig provokantes Moment ist der Auftritt Richard Wagners in der entsprechenden Szene. Mit starrem Blick thront er – unberührt von den schwärmenden, zärtlich anhimmelnden Gesten seiner zahlreichen Verehrerinnen.

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Klementia, Susanna und die Alte Nonne

Mit Sancta Susanna kehrt man zurück in normative Einöde und Grausamkeit des ersten Einakters. Unter Auslassung des klösterlichen Ambientes konzentriert sich die Inszenierung auf die Tragik des Beziehungsgefüges, sodass Einheitlichkeit der rahmenden Einakter und belebender Kontrast des burmanischen Spiels betont werden. Biganzoli nutzt als inhaltliche Verknüpfung außerdem die gleiche Besetzung einiger Hauptfiguren. So verkörpert Lina Liu mir ihrem sinnlichen, lyrischen Stimmklang nicht nur die Rolle der Frau aus Mörder, Hoffnung der Frauen. Sie ist auch Bangsa, die Erste Frau des Kaisers im Nusch-Nuschi und Susanna im letzten Einakter. Bariton Daniel Moon stellt klangvoll und anrührend die Rolle des  Mannes dar und erscheint als schöner Zatwai im Nusch-Nuschi. Eva Gilhofer, die mit gebrochener Stimme die Alte Nonne verkörpert, geistert auch zuvor durch die Szenen. Im Nusch-Nuschi bspw. zerreißt sie die gelbe Maske der Ersten Frau, die nur widerwillig aus dem Spiel zurücktritt und ihr folgt. In Sancta Susanna ist sie schließlich die sittenstrenge Alte Nonne, die den züchtig, mit Blumenstrauß anrückenden Liebsten Susannas erschießt und letztere mit einer Plastiktüte erstickt.

Vervollständigt wird das eindrückliche Gesamtbild von einem in allen Rollen gut besetzten, engagiert spielen- und singenden Gesangsensemble, einem super einstudierten, immer homogen artikulierenden Chor, dem differenziert gestaltenden Orchester unter der souveränen Leitung von Andreas Hotz. Ob polyphone oder homophone Abschnitte, ob Bewegungskontraste, Marschzitate und lautmalerische Effekte, ob aufgelockertes Klangbild, satirisch überzeichneter, martialischer Pomp oder dramatische Zuspitzung – der nachhaltige Hörgenuss ist differenziert und ausdrucksvoll.

FAZIT

Eine unbedingt sehens- und hörenswerte Inszenierung und gelungene Aktualisierung der Hindemithschen Opern-Einakter der frühen 1920er Jahre



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andreas Hotz

Inszenierung
Jochen Biganzoli

Bühne
Wolf Gutjahr

Kostüme
Katharina Weissenborn

Choreinstudierung
Markus Lafleur

Choreografie
Günther Grollitsch

Dramaturgie
Ulrike Schumann

 

 

Chor des Theaters Osnabrück

Osnabrücker Symphonieorchester

Extrachor Herren


Solisten

Mörder, Hoffnung der Frauen

Der Mann
Daniel Moon

Die Frau
Lina Liu

Erster Krieger / Dritter Krieger
Mark Hamman

Zweiter Krieger
Genadijus Bergorulko

Erstes Mädchen
Susann Vent

Zweites Mädchen
Almerija Delic

Drittes Mädchen
Marie-Christine Haase

 

Das Nusch-Nuschi

Mung Tha Bya
Peter Kovacs

Mung Tha Bya / Ein Bettler
Mark Sampson

Kyce Waing / Der Zeremonienmeister
Genadijus Bergorulko

Henker / 1. Herold
Daniel Moon

Susulü
Ulrich Enbergs

Tum Tum
Mark Hamman

Kamadewa / 2. Herold
Daniel Wagner

Bangsa
Lina Liu

Osasa
Marie-Christine Haase

Twaise
Almerija Delic

Ratasata
Susann Vent

Bajaderen
Radoslava Yordanova
Kathrin Brauer
Marie-Christine Haase
Susann Vent

1. Affe
Stefan Kreimer

2. Affe
Andreas Schön

 

Sancta Susanna

Susanna / Magd
Lina Liu

Klementia
Almerija Delic

Alte Nonne
Eva Gilhofer




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Osnabrück
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