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La Gerusalemme liberata

Dramma per musica
Text von Giulio Cesare Corradi nach Torquato Tassos Epos Das befreite Jerusalem (1574)
Musik von Carlo Pallavicino

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Koproduktion der Hochschule für Musik Mainz und des Staatstheaters Mainz

Premiere im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz am 17. Mai 2013



Staatstheater Mainz
(Homepage)

Action pur in der Barockoper

Von Thomas Molke / Fotos von Martina Pipprich

Am Staatstheater Mainz ist es mittlerweile zu einer Tradition geworden, mit den Mitgliedern des Jungen Ensembles und in Koproduktion mit der Hochschule für Musik Mainz eine in der Regel recht unbekannte Barockoper zu erarbeiten. Nach Scarlattis Oratorium Il Primo Omicidio overo Cain im letzten Jahr (siehe auch unsere Rezension) ist die Wahl in dieser Spielzeit auf Carlo Pallavicino gefallen, der mit seinen um die 20 Opern, einem Oratorium und zahlreichen sakralen Werken zwischen 1675 und 1685 als der führende Opernkomponist Venedigs galt. Dass seine vorletzte Oper La Gerusalemme liberata das Erfolgsmodell der Venezianischen Oper an den Dresdner Hof brachte, mag aber weniger seiner Musik als der Sopranistin Margherita Salicola zu verdanken sei, die den Kurfürsten Johann Georg III. von Sachsen dermaßen verzauberte, dass er sie dem Duce Ferdinando Carlo IV. von Mantua ausspannte und gemeinsam mit Pallavicino nach Dresden holte. Der Duce hätte sich sogar auf einen "heiligen Krieg" mit Johann Georg um die Sopranistin eingelassen, wenn der Kurfürst von Bayern nicht eine blutige Auseinandersetzung verhindert hätte.

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Rinaldo (Michael Taylor) hat seinen Auftrag vergessen und genießt die Zweisamkeit mit Armida (Aline Wilhelmy).

Wie der Titel bereits verrät handelt die Oper vom 1. Kreuzzug, zu dem Papst Urban II. 1095 aufgerufen hatte, um das unter muslimische Herrschaft gefallene Jerusalem zurückzuerobern, und der im Juli 1099 in einem von Gottfried von Bouillon angeführten Kreuzfahrerheer nach harten, verlustreichen Kämpfen siegreich beendet werden konnte. Torquato Tasso hatte im 16. Jahrhundert dieses historische Ereignis in einem umfangreichen Epos glorifiziert, das zahlreichen Komponisten als Vorlage für ihre Vertonungen diente. Während sich jedoch beispielsweise Monteverdi, Händel und Gluck in den auch heute noch bekannten Opern Il combattimento di Tancredi e Clorinda, Rinaldo und Armide jeweils auf eine Episode aus dem Epos konzentrieren, führt Pallavicino unterschiedliche Erzählstränge zusammen. So treten hier sowohl der Kreuzritter Rinaldo und die Magierin Armida auf, deren Zauber Rinaldo zunächst erliegt, bevor er sich mit Hilfe des Zauberers Ubaldo von ihr befreit und sie dermaßen schwächt, dass sie zum christlichen Glauben konvertiert, als auch der Kreuzritter Tancredi, der die sarazenische Kriegerin Clorinda liebt, im Zweikampf allerdings versehentlich tötet. Eingebettet werden diese amourösen Verstrickungen in die Befreiung Jerusalems, die als lieto fine am Ende der Oper steht.

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Tancredi (Radoslava Vorgic, links) kämpft gegen den ehemaligen Kreuzritter Rambaldo (Frederik Bak, rechts) (unten: Arideno (Marc-Eric Schmidt)).

Das Regie-Team um Sandra Leupold legt einen Schwerpunkt in der Inszenierung auf eine tempo- und aktionsreiche Umsetzung der unterschiedlichen Handlungsstränge. So verlangt sie den Sängerdarstellern auch körperlich einiges ab. Da wird für die offenen Kampfszenen eine ausgeklügelte Choreographie erarbeitet, die die Auseinandersetzungen recht realistisch wirken lassen. Frederik Bak schwingt sich als abtrünniger Kreuzritter Rambaldo wie Tarzan an einem Seil auf die Bühne und verwickelt Radoslava Vorgic als Kreuzritter Tancredi auf einer Strickleiter in schwindelerregenden Höhen in ein eindrucksvolles Gefecht. Florian Küppers muss als Goffredo im Kampf gegen ein Windrad, das wohl für die angreifenden Sarazenen steht, sogar im Handstand singen. Und auch von Saem You als Clorinda, Alexey Egorov als Argante und Michael Taylor als Rinaldo wird enorme Höhensicherheit verlangt, wenn sie beim Gesang diverse Leitern in den Schnürboden empor- und hinabsteigen müssen. Unterstützt werden die Sängerdarsteller von Statisten, die ebenfalls atemberaubende Kampfszenen beisteuern.

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Tancredi (Radoslava Vorgic) hat seine Geliebte Clorinda (Saem You) versehentlich im Kampf getötet.

Obwohl Leupold auf ein umfangreiches Bühnenbild verzichtet und größtenteils auf leerer Bühne spielen lässt, gelingt es ihr, mit zahlreichen Ideen die magischen Momente der Oper einzufangen. Wenn Armida beispielsweise die Kreuzritter verwandelt, verändern plötzlich aufblähende Luftballons die Arme der Kreuzritter oder lassen Marc-Eric Schmidt als Arideno mit wachsenden Brüsten zu einer Frau mutieren. Wenn die Magierin die Krieger verschwinden lässt, werden Tancredi, Arideno und zwei weitere Ritter in einem Netz Richtung Schnürboden gezogen und baumeln bis zu ihrer Befreiung durch Ubaldo nach der Pause wie gefangene Tiere in luftigen Höhen. Auch die abgeschossenen Pfeile beweisen enorme Treffsicherheit. So wird Goffredo auf offener Bühne von einem Pfeil getroffen. An der Rampe kann ein Bühnenelement von oben herabgefahren werden und Armida zeigen, wie sie als Drahtzieherin über dem Geschehen thront. Wenn Clorinda nach der Pause eine Leiter, die für einen christlichen Belagerungsturm steht, in Brand setzt, entfacht Saem You einen regelrechten Feuerzauber.

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Die Kreuzritter fürchten Armidas Rache (von links: Artemidoro (Lukas Eder), Ubaldo (Alin Deleanu), Rinaldo (Michael Taylor), Arideno (Marc-Eric Schmidt), Tancredi (Radoslava Vorgic), Guelfo (Joachim Imig) und Raimondo (Stefan Plösser)).

Die zahlreichen  Szenenwechsel werden durch einen Scheinwerfer eingeleitet, der zu diesem Zweck jeweils aus dem Schnürboden herabgelassen wird und ein wenig unangenehm ins Publikum leuchtet, während auf der ansonsten dunklen Bühne die nächste Szene vorbereitet wird. Ansonsten wird viel mit Bühnennebel gearbeitet, vor allem bei den Auftritten Clorindas, wobei die Nebelschwaden neben der enormen Treffsicherheit ihrer Pfeile wohl die einzigen magischen Fähigkeiten dieser Kriegerin darstellen sollen. Großartig gelingt der Nebel, der sich in einem Scheinwerferstrahl fängt, der aus dem Zuschauerraum auf die Bühne geworfen wird, wenn Armida aus dem Off die Kreuzritter bedroht. Auch das Kostüm der Zauberin hebt sich farblich von den anderen Figuren ab. Andreas Wilkens hat für sie ein Kleid in leuchtendem Grün entworfen, das ihre Macht manifestiert. Wenn sie das Kleid Rinaldo anzieht, um ihn in ihrem Bann zu halten, verliert sie allmählich ihre magischen Kräfte.

Am Ende kann und will Leupold das lieto fine nicht mit dem im Epos verherrlichten glorreichen Sieg der Christen über die Sarazenen stehen lassen und lässt aus der Windmaschine rote Farbe spritzen, die die Figuren während ihres Jubelchores blutrot einfärbt, eine Anspielung auf das Gemetzel, das die Kreuzritter nach ihrem Sieg über die Muslime angerichtet haben. Die beiden Mädchen, die mit langer blonder Mähne zum Schluss auftreten, erinnern in ihren Kostümen ein wenig an amerikanische GIs. Goffredo begibt sich wieder ins Publikum - von dort ist er auch während der Ouvertüre aufgetreten - und schaut dem Treiben auf der Bühne wie einem spannenden Kinofilm zu. Armidas Schlussgesang "Ecco ancilla tua", mit dem sich die Zauberin nicht nur in Rinaldos, sondern auch in Gottes Hand begibt und der zumindest bei der Aufführung in Dresden wohl eigentlich dem Kurfürsten als Ständchen seiner Geliebten, der Sängerin Margherita Salicola, gewidmet war, lässt Leupold ohne musikalische Begleitung immer leiser werden, während Aline Wilhelmy sich als Armida immer weiter in den hinteren Bühnenhintergrund begibt, bis sie gar nicht mehr zu sehen und zu hören ist.

Neben den enormen darstellerischen Anforderungen können die jungen Solisten auch musikalisch auf ganzer Linie überzeugen. Aline Wilhelmy stattet die Zauberin Armida mit großem Sopran aus und macht deren innere Zerrissenheit zwischen Liebe und Hass auf die Christen auch stimmlich hörbar. Gleiches gilt für Saem You, die als Clorinda eigentlich die Christen bekämpfen will, sich aber zu Tancredi auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt. Michael Taylor präsentiert mit kräftigem Countertenor einen in jeder Hinsicht überzeugenden Kreuzritter Rinaldo, und auch Radoslava Vorgic lässt mit warmem Mezzo als Tancredi aufhorchen. Alin Deleanu sorgt als Ubaldo mit angenehmem Countertenor und schrillem Aussehen, das ein wenig an Johnny Depp in Fluch der Karibik erinnert, genauso wie Marc-Eric Schmidt als leicht ängstlicher Arideno für die komischen Momente des Abends. Am Dirigentenpult überzeugt Christian Rohrbach, der die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz mit präzisem Gespür für barocken Klang durch die farbenreiche Partitur führt und somit den von Leupold intendierten Augen- um einen Ohrenschmaus ergänzt. So gibt es am Ende lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Sandra Leupold gelingt eine stimmige moderne Umsetzung eines vergessenen Werkes, die das Stück nicht verbiegt und beweist, dass dieser Barockschatz es durchaus wert ist, gehoben zu werden.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christian Rohrbach

Inszenierung
Sandra Leupold

Bühne und Kostüme
Andreas Wilkens

Licht
Alexander Dölling

Dramaturgie
Barbara Gräb





Statisterie des
Staatstheaters Mainz

Philharmonisches Staatsorchester Mainz


Solisten

Goffredo, Führer des Kreuzfahrerheers
Florian Küppers

Rinaldo, Kreuzritter
Michael Taylor

Tancredi, Kreuzritter, in Clorinda verliebt
Radoslava Vorgic

Ubaldo, Zauberer in den Reihen der Christen
Alin Deleanu

Arideno, Tancredis Schildknappe
Marc-Eric Schmidt

Artemidoro, Ritter
Lukas Eder

Guelfo, Ritter
Joachim Imig

Raimondo, Ritter / Sigiero, Knappe
Stefan Plösser

Gherardo, Ritter / Kreuzfahrer
Julian Cedric Vogel

1. Mädchen
Maria Dehler

2. Mädchen
Rebekka Stolz

Argante, Herrscher über Jerusalem,
verlobt mit Clorinda

Alexey Egorov

Armida, Magierin
Aline Wilhelmy

Clorinda, Kriegerin, in Tancredi verliebt
Saem You

Rambaldo, Armidas Diener, ehemaliger Kreuzfahrer
Frederic Bak

Bote
Lukas Eder

1. und 3. Sarazene
Maria Dehler

2. und 4. Sarazene
Rebekka Stolz

5. Sarazene
Stefan Plösser

6. Sarazene
Julian Cedric Vogel

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Mainz
(Homepage)



Da capo al Fine

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