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Hintersinnig, spritzig,
unterhaltsam
Mit der Aaron Stiehl-Inszenierung von Rossinis
Barbiere ist dem neuen Intendanten des Theater
Münster Ulrich Peters ein zündender Einstieg
in die Spielzeit 2012 gelungen.
"Figaro qua, Figaro là, Figaro su, Figaro giù…." Auf dem Höhepunkt seiner Arie sollte die plappernde, musikalisch berauschende Selbstverliebtheit des Haar-"Künstlers" Figaro eigentlich ein Ende finden. Denn seine Kunden sind zunehmend verärgert: Da wird plötzlich - sozusagen als besondere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens - ein Hund hereingetragen, lässt sich widerstandslos das Fell "bearbeiten" und in einen Kurzhaar-Vierbeiner verwandeln. Da muss eine Kundin anstelle ihrer eigentlichen Lockenpracht mit unspektakulär glattem, einfachen Stufenschnitt Vorlieb nehmen. Münsters Premierenpublikum lachte und tobte vor Begeisterung. Lisa Wedekind und Youn-Seong Shim Und das ist nur ein Beispiel für die überschäumende Spielfreude und den entlarvenden Witz, mit dem Regisseur Aaron Stiehl die musikalische Situationskomik der Rossini-Oper in Szene setzt. Stiehl verlegt die 1816 in Rom uraufgeführte komische Oper in eine geldgierige, von Oberflächlich- und Äußerlichkeiten sprühende, biedere Gesellschaft: Die schlichte, graue Hausfassade der 1.Szene entpuppt sich als Schönheits- und Gruselkabinett des Dr. Bartolo. Er, der als alter Junggeselle um sein junges, attraktives Mündel Rosina wirbt und sie vor der Welt und ihren männlichen Verlockungen fernzuhalten versucht, nutzt selbst jede Gelegenheit für ein erotisches Abenteuer. Don Basilio, Bartolos ahnungslos und wunderbar schmierig wirkender, mit Asthmaspray ausgestatteter Helfershelfer, zeigt in der Verleumdungsarie "La calunnia è uno venticello" die gesellschaftlichen Vorzüge der Ränke- und Gerüchteschmiede auf, während Rosina, Bartolos raffinierte, mit Servierschürzchen und hochhackigen Pumps bekleidete Assistentin mit boshaft kommentierenden Gesten dem sozio-kulturellen Gesellschaftsbild die Krone aufsetzt. Kostüme und Langhaarfrisuren spiegeln Glamour und Biederkeit der 1970er Jahre. Der schrillste von Allen ist Figaro mit Rüschenhemd und poppig pinkfarbenem Anzug. Youn-Seong Shim, Plamen Hidjov, Juan Fernando Gutiérrez
Mit pädagogischem Geschick baut Stiehl seine
kritische Gesellschaftssatire auf. Im Sprechzimmer des
Dr. Bartolo hängen Nachbildungen des
Lampenhimmels des münsterschen Theaters. Und vor
Beginn des 1. und 2. Aktes gibt's
Publikumsbelustigung: Berta, die Haushälterin
Bartolos, plaudert zum Pausenende aus dem
"Nähkästchen". Süßigkeiten werden
zu Beginn der Oper in den Orchestergraben und ins
Parkett geworfenen. Und Fiorillo, der Diener
Almavivas, holt Orchestermusiker aus dem Graben, die
sich beamtenmäßig umständlich und
langsam an den in der ersten Reihe sitzenden
Zuschauern vorbeidrängeln und wunderbar zur
anschließenden, gräflichen Kavatine auf der
Bühne aufspielen. Die folgende Szene nutzt Stiehl
folgerichtig, um lärmende Lohnforderungen - nicht
Dankbarkeit wie es der italienische Text vermuten
lassen könnte - anzudeuten.
Bühnen- und Kostümbildner Fritz Eggert setzt
Drehbühne und Seitenprospekt ein, um den
Zuschauer immer wieder mit nahtlos aneinandergereihten
neuen Räumlichkeiten und Apparaturen des
Schönheits- und Gruselkabinetts zu
überraschen. Witzig, spritzig werden hier
Fortschrittsgläubigkeit sowie vermeintlich
technische Unfehlbarkeit aufs Korn genommen. Juan Fernando Gutiérrez und Statisterie
Das Theater Münster präsentiert sich zu
Beginn der neuen Intendanz mit einem ungewöhnlich
spielfreudigen, auch in den kleinen Rollen passend
ausgewählten Sängerensemble, das mit
transparenten, musikalisch gestalteten Ensembles
glänzt. Hinzu kommt ein ebenso homogen und
transparent spielendes, die Rossini-Musik effektvoll
steigerndes Orchester unter der Leitung Fabrizio Venturas.
Bass-Bariton Lukas Schmid ist ein wunderbar dunkel
gefärbter, sonorer Don Basilio mit weich
angesetzten Spitzentönen, Youn-Seong Shim ein mit
kräftigem, klangvollem Timbre ausgestatteter
Tenor, der mit lyrisch geschwungenen
Belcanto-Verzierungen oder jubelnden Koloraturen seine
Angebetete zu verführen weiß. Wohlklingend
und gewandt, mit weltmännischen Gesten meistert
Bariton Juan Fernando Gutiérres die
ausgedehnten, unterschiedlichen Gesangspassagen der
Prachtarie des Figaro. Plamen Hidjov überzeugt
als spielfreudiger Bartolo, der mit schnell
plapperndem Buffo-Ton auftrumpft und alte Hits seiner
Jugend mit ungelenker Stimme darzustellen weiß.
Ebenso spielfreudig gestaltet Lisa Wedekind die Rolle
der liebreizenden, gewitzten Rosina, bezaubert mal mit
weichem Mezzosopran und schönem Schmelz, mal mit
klangvollen Verzierungen, Koloraturen und Läufen
das Publikum.
FAZIT
Eine sängerisch gut
besetzte, von Aaron Stiehl hintersinnig und spielerisch
inszenierte Aufführung Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam Bühne und Kostüme Chor Dramaturgie
Statisterie Sinfonieorchester Münster Solisten Graf
Almaviva
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- Fine -