Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Und ewig lächeln die Rheintöchter
Von Roberto Becker
/
Fotos von Hans Jörg Michel
Den Brecht-Schüler merkt man Achim Freyer nicht mehr so ohne weiteres an. Das Outfit und der weiße Wuschelkopf dieses auf die Achtzig zugehenden Jungspundes haben zwar mittlerweile auch so einen Wiedererkennungswert wie weiland die Zigarre des armen bb. Aber verfremdete Belehrung hinter der imaginären Brechtgardine ist bei dem auf vielen Feldern immer noch ziemlich kreativen Allroundkünstler längst im skurrilen Eigensinn eines Zeichen- und Bilderuniversums eigenen Rechts aufgegangen. Siegfried, bei den Gibichungen angekommen
Er braucht für seine Bühnenkreationen nicht einmal den gesamten menschlichen Körper. Weil Freyer die Welt, auch als Regisseur von Werken des Musiktheaters, vor allem als Maler sieht, dampft er den Körper auch gleich auf Puppenformat oder auf gezeichnete Abbilder ein. Sogar ohne Gesichter. An deren Stelle tragen beispielweise die Gibichungen grob skizzierte Masken. Manchmal fehlt seinen Figuren auch der Unterleib, oder die Beine sind verkürzt wie bei Hagen oder Alberich. Doch auch wenn Achim Freyer seinen imaginären Malerpinsel in der Oper schwingt, kann er natürlich nicht auf die Stimmen verzichten. Da müssen die Masken schon so bemessen sein, dass auch die Töne noch zu ihrem Recht kommen. Entwirft er, wir kürzlich bei Kabale und Liebe für seinen alten Weggefährten Claus Peymann am Berliner Ensemble ein Bühnenbild, dann lässt er sich bei solcher Art biographischer Reminiszenz schon mal von der Weisheit des Alters leiten, die allemal weniger für mehr hält. Brünnhilde im Feuerschein
Ist er, wie bei seinem Ring, den er jetzt als überarbeitete Neuauflage seiner Inszenierung aus Los Angeles mit der Götterdämmerung geschlossen hat, für alles verantwortlich, was auf der Bühne dazu gehört, dann lässt er in einem geradezu jugendlichen Überschwang vor allem seiner Malerfantasie freien Lauf. Da werden die Götter auf ihre Insignien reduziert oder mit ihnen verziert. Da kommen der Held Siegfried auch schon mal als Clown oder der finstere Hagen mit zu kurzen Beinen daher, das Erbe Alberichs sozusagen mit sich tragend. Die drei Rheintöchter dagegen haben es zu einem Nebenjob als Showgirls gebracht. Fragmentarisch nackt die ausgestellten Merkmale der Weiblichkeit auf drei verteilt, sind sie es, die ewig lächelnd am Beginn jedes Götterdämmerungs-Aktes den Vorhang hochgehen lassen. "Schläfst du, Hagen, mein Sohn": Alberich als Dunkelmann der deutschen Geschichte
Was man dann sieht, sind oft eindrucksvolle Bilder. Wie das mit dem schwarzen Spiegelkabinett der Gibichungen. Dieser in die imaginäre Weite verlängerte Raum ist mit ein paar Insignien der Götter bestückt und wird zum Ballsaal für eine makaber ihrem Ende zu tanzende Gesellschaft. Oder für eine der Tiefe der Erinnerung in schwindelerregende Höhe emporwachsende Brünnhilde kurz vor Siegfrieds Tod. Oder für das sternenfunkelnde All, in dem Brünnhilde und der für sie jedenfalls keineswegs tote Held gemeinsam staunen und vielleicht das Weltenende betrauern. Manchmal hebt sich der Vorhang aber auch für banalen Eigensinn. Wenn billige Reklamebilder über die Gazewände flimmern und nicht mehr bedeuten als ihre eigene Banalität. Da hat es der Alberich mit Hitlerbärtchen schon eher in sich. Und erinnert daran, das auch Freyer weiß, dass es im Ring um die wirkliche Welt geht und ihre Gefährdung. Und nicht nur um den großen waltenden Gesamtzusammenhang der Welt und ihrer Bewohner aller Arten. Der traurigste Held: Siegfried als Clown
Immerhin ist Freyer mit fröhlicher Unbekümmertheit das Risiko eingegangen, den weidlich politisierten Nibelungen-Ring von Richard Wagner zuerst aus dem Geiste der Poesie zum Leben zu erwecken. Oder im doppelten Wortsinn zu erledigen. Ein höchst subjektives Statement für die Automie des Künstlers, einen anderen Künstler zu interpretieren, ist ihm gelungen. Ob jeder auch die eingeschlossene subversive Infragestellung der Welt zu erkennen vermag, bleibt dahin gestellt. Ein paar Buhrufer wollten sich in Mannheim nicht mal auf die Herausforderung einlassen. Musikalisch ist die Götterdämmerung vor allem ein großer Erfolg für das Mannheimer Orchester und seinen Chef (die im Rheingold noch eher eine Orchesterdämmerung befürchten als auf ein so grandioses Finale hoffen ließen)! Jürgen Müller hatte durch Indisposition nicht seine volles Siegfried-Format, musste gegen Ende immer mehr kämpfen, machte das aber notgedrungen, doch hochprofessionell zum Teil von Siegfrieds Ende. Dagegen kämpfte Eva Johansson zu sehr und oft ohne Erfolg mit dem Wagnerdeutsch und der Intonation, um als Brünnhilde zu überzeugen. Anders Edna Prochnik als ihre besorgte Schwester Waltraute. Die Finsterlinge Alberich und Hagen waren bei Thomas Jesatko und Christoph Stephinger in ebenso soliden Kehlen wie Gutrune und Gunther bei Cornelia Ptassek und Thomas Berau. Exellente Rheintöchter und Nornen komplettieren das Ensemble, das am Ende gefeiert wurde. Achim Freyer hatte die Buhs für seinen szenischen Eigensinn wohl einkalkuliert.
Achim Freyer schließt in Mannheim mit einer poetischen Götterdämmerung einen höchst eigenwilligen Ring, der sich alles in allem nicht nur sehen, sondern auch hören lassen kann. Und zudem einen interessanten Kontrast zur Nibelungenring von Hansgünther Heyme im benachbarten Ludwigshafen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung / Bühne / Kostüme / Lichtkonzept
Licht
Dramaturgie
Mitarbeit Regie
Konzeptionelle Mitarbeit Regie
Mitarbeit Bühne und Kostüme
Chor
Solisten
Brünnhilde
Waltraute
Siegfried
Alberich
Gutrune
Gunther
Hagen
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
1. Norn
2. Norn
3. Norn
|
© 2013 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de