Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Belcanto-Festival der Stimmen
Vincenzo Bellinis Opern wird am Landestheater Niederbayern besondere
Aufmerksamkeit geschenkt. So gibt es nach La sonnambula und Norma
in den vergangenen Spielzeiten in dieser Saison die selten gespielte lyrische
Tragödie Beatrice di Tenda, die in den letzten Jahren vor allem dank
einer Sängerin wieder einen steigenden Bekanntheitsgrad beim Opernpublikum
verbuchen konnte: Edita Gruberova. Vielleicht ist es aber gerade der Respekt vor
dieser Diva des Belcanto, der zahlreiche Opernbühnen davon Abstand nehmen lässt,
dieses Werk um eine Frau, die in ihrer Tragik mit den großen historischen
Opern-Heroinen Anne Boleyn und Maria Stuart durchaus gleichgestellt werden kann,
auf den Spielplan zu setzen. Intendant Stefan Tilch wagt es und kann mit Elvira
Hasanagic eine Sängerin präsentieren, die diese Herausforderung in jeder
Beziehung aufnehmen kann. Und so kann sich der niederbayerische Theaterverbund,
der die Städte Landshut, Passau und Straubing kulturell verbindet, zum
60-jährigen Bestehen erneut als Hochburg des Belcanto präsentieren. Agnese (Jennifer Davison)
gesteht Orombello (Mario Sofroniou) ihre Liebe. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit aus
Mailand um 1418. Beatrice di Tenda hat nach dem Tod des ruhmreichen
norditalienischen Söldnerführers Facino Cane den zwanzig Jahre jüngeren Filippo Maria
Visconti geheiratet und ihm somit zu Macht und Reichtum verholfen. Filippo liebt
jedoch die Hofdame Agnese del Maino und will seine Gattin loswerden. Agnese
wiederum ist Orombello zugetan, der jedoch Beatrice verehrt und ihr
leidenschaftliche Briefe schreibt, die allerdings von ihr unerhört bleiben. Als Agnese von Orombellos Zuneigung zu Beatrice erfährt, plant sie Rache, indem sie
die Briefe an Filippo weitergibt, der darin die willkommene Gelegenheit sieht,
seine Gattin der Untreue zu beschuldigen. Alle Versuche, Beatrice selbst unter
Folter zu einem Eingeständnis ihrer Schuld zu zwingen, schlagen fehl. Doch
Filippo fürchtet nicht nur eine Verschwörung sondern auch den Gesichtsverlust,
wenn er Beatrice nach der erhobenen Anklage für unschuldig erklärt, und lässt
daher seine Frau zusammen mit Orombello hinrichten. Agnese bereut ihre Tat und bitte
Beatrice um Vergebung, die diese ihr gewährt, bevor sie gefasst in den Tod geht. Beatrice (Elvira Hasanagic) ist
verzweifelt. Das Regie-Team um Sebastian von Kerssenbrock verzichtet auf
ein bombastisches Bühnenbild und konzentriert sich auf die inneren Vorgänge der
einzelnen Figuren. So besteht das Bühnenbild von Gottfried Pilz größtenteils nur
aus drei drehbaren doppelten Bühnenelementen, die zum einen als Rückwand
fungieren, zum anderen aber auch schmale nach hinten spitz zulaufende Räume
darstellen, die die einzelnen Figuren einengen. Im ersten Akt ist dies Agnese,
die zwar von Filippo geliebt wird, sich jedoch zu Orombello hingezogen fühlt. Im
zweiten Akt sind es Beatrice und Orombello, die in ihren kleinen Zellen unter
Folter zu einem Geständnis gebracht werden sollen. Einzig Filippo begibt sich
nie in einen solchen Raum, da er in seinen Handlungen scheinbar über jegliche
Zwänge erhaben ist. Auch die Beleuchtung ist bei diesen Wänden genau auf die
Farben der Kostüme abgestimmt. Bei Filippo sind die Wände so schwarz wie sein
Anzug und seine Seele. Bei Beatrice schimmern die Wände nachtblau wie ihr
langes glänzendes Abendkleid. Hinzu kommen ständig aufsteigende Nebelschwaden,
die eine gewisse Schauerromantik erzeugen. Filippo (Kyung Chun Kim) im
Zwiespalt: Soll er seine Frau wirklich hinrichten lassen? Der Chor fungiert als innere Stimme der Figuren. Daher tritt
er schwarz maskiert auf und scheint Filippo sein Handeln
einzuflüstern. Dabei kriechen die Chormitglieder bisweilen auch auf allen Vieren
wie die Nebelschwaden auf die Bühne und nisten sich so in Filippos Kopf
regelrecht ein. Fünf Statistinnen in schneeweißen Gewändern stellen symbolisch den
Garten dar, in dem Beatrice flaniert, und verkörpern die Reinheit der
Titelfigur. Im zweiten Akt fallen diese Statistinnen scheinbar dem Henkerbeil
zum Opfer.
Weiße Blätter liegen nicht nur auf dem Boden, sondern rieseln auch aus dem
Schnürboden herab und scheinen Beatrice im Stillen dafür anzuklagen, dass sie
Filippo geheiratet hat und seiner Willkür kein Ende setzt. Bei dieser Masse an
Blättern kann Filippo gar nicht anders und muss seine Frau zwangsläufig
verurteilen. Eine weitere Komponente kommt auch der christlichen Symbolik in der
Inszenierung zu. Filippo trägt über seinem Anzug direkt zwei Kreuze, um sein
Handeln aus göttlicher Sicht zu rechtfertigen. Wenn er am Ende beschließt, seine
Frau hinrichten zu lassen, reißt er eine Jesus-Figur vom Kreuz, um sich dagegen
zu wehren, dass Beatrice den Anschein einer unschuldig verurteilten Märtyrerin
machen soll. Doch auch das Köpfen dieser Figur bringt ihm nichts. Beatrice setzt
die Figur wieder zusammen und geht so wie eine Heilige in den Tod. Beatrice (Elvira Hasanagic,
vorne) ist verurteilt, Agnese (Jennifer Davison, links) bereut (im Hintergrund:
Statisterie und Chor des Landestheaters Niederbayern). Interessant sind auch die Parallelen, die von Kerssenbrock
zwischen den beiden Frauengestalten aufstellt. Beatrices und Agneses lange Kleider sind exakt gleich
geschnitten und unterscheiden sich nur in der Farbe, Dunkelblau bei Beatrice und
Türkis bei Agnese. Auch die ähnliche Frisur legt eine Verbindung zwischen diesen
beiden Frauen nahe. Agnese soll Beatrices Rolle übernehmen. Von daher trägt sie
im zweiten Akt auch die dunkelblaue Stola, die eigentlich zu Beatrices Kleid
gehört. Agneses türkisfarbene Stola hingegen ist wie eine Korsage um Beatrices
Kleid gewickelt und schnürt diese im Gefängnis gewissermaßen ein.
Schließlich ist es Agneses Intrige, die zur Verurteilung geführt hat. Erst wenn
Beatrice am Ende Agnese vergibt, befreit letztere sie von der Stola. Während die
Wahl dieser beiden Kostüme überzeugt, wirken die goldene Papierkrone, die sich
Filippo über den Hut stülpt, und die schwarze Sonnenbrille, die er aufsetzt, um
sich Beatrices Flehen zu verschließen, eher unmotiviert. Musikalisch bewegt sich die Produktion auf hohem Niveau.
Basil H. E. Coleman kostet mit den Niederbayerischen Symphonikern die
wunderbaren Belcanto-Bögen regelrecht schwelgerisch aus. Der von Christine
Strubel einstudierte Chor macht seine Sache darstellerisch gut, auch wenn es in
einzelnen Passagen kleinere Ungenauigkeiten bei den Tempi gibt. Mario Sofroniou wirkt
als Orombello zu Beginn des Abends noch ein wenig belegt - vielleicht, weil er
die Partie am Vortag in der Premiere auch schon gesungen hat? - steigert sich im
Verlauf des Abends jedoch und überzeugt vor allem in der baritonal angehauchten
Mittellage. In den Höhen forciert er ein wenig, hält die Töne allerdings sauber.
Jennifer Davison begeistert mit warmem Sopran und bewegendem Spiel als Agnese,
und Kyung Chun Kim punktet mit stählernem Bariton als Bösewicht Filippo. Sehr
gut gelingt es Kim auch, die innere Zerrissenheit des Herzogs darzustellen.
Höhepunkt des Abends ist Elvira Hasanagic in der Titelpartie. Wie filigran sie
in den Höhen die Verzweiflung Beatrices spüren lässt und mit welcher Dramatik
sie an anderen Stellen auftrumpfen kann, ohne dabei zu forcieren oder auch nur
den kleinsten Anschein von Erschöpfung zu zeigen, lässt hoffen, dass mit ihr der
Belcanto-Gesang eine neue Blüte erfahren wird. So gibt es am Ende frenetischen
Applaus für ein Ensemble, das dem Publikum Belcanto im wahrsten Sinne des Wortes
beschert hat.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne und Kostüme Choreinstudierung
Dramaturgie
Chor und Statisterie des Niederbayerische Philharmonie SolistenBeatrice di Tenda Filippo Maria Visconti Agnese del Maino Orombello
Anichino
|
- Fine -