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Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden 30 Minuten (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Kassel am 27. April 2013

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Staatstheater Kassel
(Homepage)

Grenzüberschreitung

Von Bernd Stopka / Fotos: N. Klinger

Das Staatstheater Kassel hat eine große Wagner-Tradition und im Publikum die entsprechende Begeisterung für dessen Werke. Diese Saison steht Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg auf dem Spielplan. In den Bühnenbildern von Paul Zoller und den Kostümen von Katharina Gault hat Regisseur Lorenzo Fioroni seine Folge von Wagner-Inszenierungen in Kassel fortgesetzt und ist dabei seinem Stil treu geblieben. 


Vergrößerung in neuem Fenster Tannhäuser (Paul McNamara), Venus (Ulrike Schneider)

Gespielt wird die so genannte Dresdner Fassung, allerdings mit der Variante, dass die Ouvertüre nahtlos in das ausgiebige Bacchanale übergeht. Rein musikalisch, denn zu dem, was da musikalisch geschildert wird, muss sich der Zuschauer seine eigenen Bilder denken. Auf der Bühne dreht sich ein riesiger Quader, der als Bühne auf der Bühne zunächst nichts von seinem Inhalt zeigt und erst später einen treppen- und stufenreichen Raum freigibt, der als Einheitsbühnenbild dieser Inszenierung dient.
Auf einem kleinen Balkon an einer der Außenwände, der wie ein Séparée wirkt, lamentieren Tannhäuser und Venus höchst unerotisch über das Weggehen oder Bleiben. Wobei Venus als matronenhafte Dame der gehobenen Gesellschaft erscheint, die ihren trotteligen kleinen Künstler etwas genervt, aber erfolglos bei Laune zu halten versucht, während sie den Tisch zum Abend-Austern-Essen deckt – ein wohlsituiertes Ehepaar in mittleren Jahren. Erotik oder Lust: Fehlanzeige. Bemerkenswert: Tannhäuser nimmt noch vor Venus’ Auftritt eine rote Rosenblüte aus der Tischdekoration, betrachtet sie schwärmerisch und versteckt sie schamhaft vor seiner Gattin. Seine Sehnsucht nach Natur und Lebendigkeit wird so sehr deutlich. Weniger deutlich wird dagegen, dass er sein „Heil in Maria“ suchen zu müssen glaubt. Zu diesem Ausruf reißt er effektvoll die Tischdecke herunter, der Quader dreht sich und es erscheint, von Kerzenlicht beleuchtet, eine Festgesellschaft, denen eine elegant gekleidete Sängerin (vormals der Hirtenknabe) eine musikalische Einlage gibt. Als Gastgeberin erscheint grüßend Madame Venus – hochanständig und hoch verehrt.


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 Walther (Johannes An), Biterolf (Marc-Olivier Oetterli), Wolfram (Stefan Zenkl), Heinrich (Musa Nkuna), Reinmar (Krzystof Borysiewicz)

Sechs später kommende Gäste (vormals Minnesänger und Landgraf) schalten das Licht ein und setzen der schummrigen Stimmung ein jähes Ende. „Wer ist der dort in brünstigem Gebete?“ Es ist ein verloren gegangener und nun nach langer Zeit wieder aufgetauchter Partygast, der heimlich wieder zurückgekommen ist und sich unsicher an seinem Weinglas festhält. Swingend, singend, tanzend wie eine Boygroup umschwirren die (Minne)Sänger Tannhäuser, der sich aber erst mit Wolframs Ausruf „Bleib bei Elisabeth“ zum Bleiben bewegen lässt. Mit dem Ausruf dieses Namens erscheint im sich drehenden Quader ein enger miefiger Wohnungsflur mit Kruzifix und Papstbild an der getäfelten Wand. Hier begrüßt der Landgraf im Dinner Jacket seine Gäste, die von der Venus-Party zur Hermann-Party wechseln. An einer der Quader-Rückwände hat sich eine Dame erhängt.


Vergrößerung in neuem FensterElisabeth (Kelly Cae Hogan, stärker beleuchtet), Chor

Als Star des Abends und Ehrengast erscheint die Primadonna Elisabeth auf der Party des Landgrafen. Die Diva freut sich, dass sie wieder einmal hier sein darf, schäkert hier und neckt da und nimmt das alles nicht so ernst. Mit Wolfram und Tannhäuser allein gelassen, spielt sie das Spiel weiter, wobei sie sich beide Verehrer zunächst warm hält, dann jedoch lieber den dusselig-trotteligen Tannhäuser verspottet. Der ist ganz verwirrt, als sie sich zurückwirft und den Blick auf ihre Beine freigibt, traut sich nicht einmal, sie zu berühren. Schließlich wälzen sie sich aber doch knutschend auf dem Boden – was jäh vom Erscheinen des Landgrafen unterbrochen wird. Mit „Blick mir ins Auge! Sprechen kann ich nicht.“ meint Elisabeth eine verrutschte Kontaktlinse oder eine Wimper, die ihr Beschwerden bereitet. Nebenbei baut eine kleine Band ihre Anlage auf.
Die Party steht als Kostümfest unter dem Motto „Märchen“. Die Gäste erscheinen in bunten Kostümierungen von den tanzenden sieben Raben über Rotkäppchen, Froschkönig, Schneewittchen, Zwergen, Hexen und dergleichen Figuren, die vielleicht auch als Reminiszenz an das Grimm-Jahr und die dazu am Premierentag eröffnete Ausstellung in der Documenta-Halle nebenan gesehen werden können. Auch Frau Venus erscheint – mit drei Damen im Gefolge, die Gesichter mit Schädelmasken verdeckt.

Mit den Minnesängern kommt auch der tapsige Tannhäuser zurück, der erst einmal ein paar im Wege liegende Flaschen wegräumt (diese Ordnung hat er bestimmt bei Gattin Venus gelernt). Die Verkündigung des Preises („dem reich' Elisabeth den Preis,  er fordre ihn, so hoch und kühn er wolle, ich sorge, dass sie ihn gewähren solle.“) wird beim Publikum mit spöttischem Lachen, bei Elisabeth zunächst mit erschrockener Angst, dann Unsicherheit und schließlich mit der Hoffnung auf einen nicht ernst gemeinten Spaß aufgenommen.


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                    in neuem Fenster

Landgraf (Hee Saup Joon), Tannhäuser (Paul McNamara), Heinrich (Musa Nkuna), Biterolf (Marc-Oliver Oetterli)

Das Losverfahren, wer im Sängerstreit zuerst singen darf, wird durch Flaschendrehen entschieden (stilvoll mit einer Champagner-Flasche). Auch wenn Tannhäuser versucht zu schummeln – er ist noch nicht dran. Die Gesänge der anderen werden mit Ironie vorgetragen und von Tannhäuser entsprechend empört kommentiert. Die Rose aus dem ersten Akt überreicht er Elisabeth, die sie jedoch nicht weiter beachtet. Er ist auf der falschen Beerdigung, nimmt ernst, woraus sich die anderen einen Spaß machen. Wortwörtlich lässt er erst erfolglos  die Hosen  runter und überschreitet dann  in seiner Verzweiflung eine der wenigen sakrosankten Grenzen dieser Spaßgesellschaft: „Zieht in den Berg der Venus ein!“ singt er und greift höchst bildhaft Elisabeth coram publico in den Schritt. Das ist zuviel – und der Moment, in dem eine anständige Dame das Lokal verlassen sollte. Die Damen gehen also  und lassen sich auch vom  Landgrafen nicht aufhalten. Fast unbemerkt hatten sich die Minnesänger um Frau Venus gesellt. Jetzt stellen sie sich Tannhäuser mit verschränkten Armen hämisch grinsend entgegen, schlagen ihn zusammen, durchbrechen ein Papstbild auf seinem Kopf, setzen ihm eine Eselsmaske auf und jagen ihn peitschend fort. Das wirkt wie die Bestrafungszeremonie eines Geheimbundes. Ausgesprochen eindrucksvoll ist die Wandlung, die Elisabeth hier vollzieht. Die sorglos spöttelnden Diva wird zur  ernsthaften Frau. Nicht nur Tannhäusers Gefühle für sie, sondern die Ernsthaftigkeit des Lebens im Allgemeinen und die der Liebe im Besonderen werden ihr  bewußt. Einer der stärksten Momente des ganzen Abends.

Vergrößerung in neuem FensterElisabeth (Kelly Cae Hogan), Venus (Ulrike Schneider)

Auf der mit Partymüll verdreckten Bühne legt oben rechts der Papst Tarot-Karten (diese  Kombination allein ist schon ein blasphemisches, aber köstliches Bild), während Elisabeth und Venus unten links in freundschaftlicher Einigkeit auf Tannhäuser warten, die eine in ruhiger, die andere in sehr unruhiger Verzweiflung. In der Bühnemitte kauert der heruntergekommene psychisch dekompensierte und von Krämpfen geschüttelte Wolfram. Nun spielen Elisabeth und Venus um Tannhäuser Flaschendrehen. Doch der kommt nicht zurück. Venus betrinkt sich, Elisabeth greift sich ein Büßerhemd und eine Schere, mit der sie sich die Haare abschneiden wird. Auf dem ehemaligen Venus-Balkon singt Wolfram sein „Lied an den Abendstern“ vor einem Sternenhimmel. Wie zuvor Venus deckt er jetzt den Tisch, legt die als optisches Leitmotiv fungierende rote Rosenblüte auf den freien zweiten Stuhl und spielt ein Dinner zu zweit – vereinsamt auf dem Balkon.

Tannhäuser kehrt zurück und kann sich nicht zwischen der blöde kichernden, betrunkenen  Venus und der durchgedrehten Elisabeth entscheiden. Er geht im artig zugeknöpften Trenchcoat allein fort. Wagners Regieanweisungen zum Finale werden auf die Bühne projiziert, vor einem kaum erkennbaren naturalistischen Hintergrundprospekt singen die Chöre. Der Bühnenquader dreht sich, Venus winkt Tannhäuser zum Abschied und der Papst bietet im Bauchladen Kreuze und Tarot-Karten feil. Eine Vierteldrehung später sieht man unter all den scheußlich verdreckten Pilgern Wolfram, an dessen Brust sich Venus anschmiegt. Sie hat ihr nächstes Opfer gefunden.

Elisabeth (Kelly Cae Hogan), Venus (Ulrike Schneider), Wolfram (Stefan Zenkl), Papst (Statist)Vergrößerung in neuem Fenster

Eine ganz geistreiche und witzige Geschichte, die die Grenze zu Persiflage und Karikatur momentweise nicht nur streift, sondern auch überschreitet. Der Zwiespalt zwischen Fleischeslust und hehrer Liebe, zwischen weltlicher Ordnung und religiöser Erlösung bleibt aber unbeleuchtet. Der Regisseur stellt Ursachen und Folgen einer Grenzüberschreitung dar, die selbst eine noch so dekadente Spaßgesellschaft wie ein schwarzer Freitag trifft. Dass dieser Griff in den Schritt der Diva ein Skandal ist, wird ohne Zweifel deutlich. Auch in der Dekadenz gibt es Grenzen. Selbst wenn Tannhäuser damit verraten hätte, dass die Gäste bei Venus und die Gäste beim Landgrafen die gleichen  Menschen sind – was ist daran schlimm? Alle kennen sich doch. Ganz abgesehen davon, dass sich die beiden Partys in nichts unterscheiden. Sex gibt es bei Venus ja auch nicht. Warum bricht überhaupt das ganze System zusammen? Warum sind die Minnesänger im dritten Akt kollektiv so heruntergekommen? Warum ist Tannhäusers sexueller Übergriff so schockierend? Tannhäuser ist doch (zumindest scheinbar) ein Einzeltäter, der erst als Sau durchs Dorf und dann als Esel nach Rom getrieben wird? Und wie passt die ganze Pilgerei, samt herrlicher Chöre, in diesen Zusammenhang? Tannhäuser als ungeschickten, verträumten Künstlertrottel darzustellen und nicht als selbstbewussten (und selbstverliebten) Revoluzzer hat reizvolle Momente, kann im Ganzen aber nicht überzeugen.

Diese Regiearbeit ist ein typischer Fioroni: Eine fantastische, fein gearbeitete Personenregie mit ganz eindrucksvollen, tief bewegenden Momente sowie ironischen Brechungen, die dem Ganzen Würze geben, steht in einem Gesamtkontext, der dem Werk eine andere Geschichte überstülpt, die nur in einzelnen Aspekten funktioniert. Ein großes rundes Ganzes ist dabei nicht entstanden.  Und ein bisschen mehr Respekt vor der Musik wäre auch wünschenswert. Zu viele Stellen werden laut verraschelt, verkichert, verkreischt oder durch sonstige Geräusche gestört. Und – mit Verlaub – ich kann diese ganzen Videoprojektionen auf der Opernbühne nicht mehr sehen. Das Theater hat doch seine ureigenen Darstellungsmittel.


  Vergrößerung in neuem FensterElisabeth (Kelly Cae Hogan), Tannhäuser (Paul McNamara)

Paul McNamara steht die mörderisch anspruchsvolle Titelpartie fast ohne Ermüdungserscheinungen durch. Lediglich im zweiten Akt stößt er kurzzeitig an die Grenzen seiner Kraft. Er wirkt fast immer ein wenig abwesend – auch dadurch gelingt ihm die Darstellung des Tannhäuser als Anti-Held ganz außerordentlich überzeugend. Kelly Cae-Hogans fraulich-sinnlich klingender Sopran ist angenehm timbriert und verfügt über viel Stimmsubstanz und Strahlkraft. Damit erreicht sie nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich eine adäquate Umsetzung der Rollenzeichnung in dieser Inszenierung. Hee Saup Yoon prächtiger, aber nie zu üppig, sondern eher akzentuiert eingesetzter Bass verleiht dem Landgrafen individuelles Profil. Ulrike Schneider singt die elegante Künstlergattin Frau Venus mit energischem, aber wohlklingendem Mezzosopran. Stefan Zenkl begeistert als Wolfram mit seinem kultivierten, nicht zu weichen Bariton. Johannes An ist als Walther eine stimmschöne Luxusbesetzung. Mit LinLin Fans klarem und blitzsauber geführten Sopran ist die Partie des Hirtenknaben ideal besetzt.
GMD Patrik Ringborg lässt sich von der Regie nicht beirren und dirigiert leidenschaftlich, schwelgerisch, lässt große Bögen entstehen und beleuchtet Details der Partitur, ohne sich darin zu verlieren. Schon mit der Ouvertüre löst er einen musikalischen Sog aus, der fasziniert und dem man sich gern hingibt. Das Orchester folgt ihm, wenn auch mit einigen deutlichen Unsauberkeiten und verwackelten Einsätzen. Die Chöre singen prächtig, die akustische Balance zwischen Hinterbühne, Bühne und Orchestergraben könnte aber noch verbessert werden.


FAZIT

Eine typische Fioroni-Inszenierung mit geistreicher, subtil und intensiv ausgearbeiteter Personenregie in einem eher fragwürdigen Gesamtkonzept. Unter einem leidenschaftlichen Dirigat sind ordentliche und gute Sängerleistungen zu hören.



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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Patrik Ringborg

Inszenierung
Lorenzo Fioroni

Bühnenbild
Paul Zoller

Kostüme
Katharina Gault

Licht
Albert Geisel

Video
Lorenzo Fioroni
Paul Zoller

Chor
Marco Zeiser Celesti

Dramaturgie
Jürgen Otten


Staatsorchester Kassel

Opernchor, Extrachor
und Kinderchor CANTAMUS
des
Staatstheaters Kassel

Statisterie des
Staatstheaters Kassel


Solisten

Landgraf Herrmann
Hee Saup Yoon

Tannhäuser
Paul McNamara

Wolfram von Eschenbach
Stefan Zenkl

Walther von der Vogelweide
Johannes An

Biterolf
Marc-Olivier Oetterli

Heinrich der Schreiber
Musa Nkuna

Reinmar von Zweter
Krzysztorf Borysiewicz

Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Kelly Cae Hogan

Venus
Ulrike Schneider

Ein junger Hirt
LinLin Fan

(Vier) Edelknaben
Kinderchor Cantamus 



Weitere Informationen
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Staatstheater Kassel
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