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Schachnovelle

Oper in einem Akt
Libretto von Wolfgang Haendeler nach der gleichnamigen Novelle von Stefan Zweig
Musik von Cristóbal Halffter

Uraufführung in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca 1 ½  Stunden – keine Pause

Premiere in der Oper Kiel am
18. Mai 2013
(rezensierte Aufführung: 02.06.2013)




Theater Kiel
(Homepage)
Mit Geist gegen die Niedertracht

Von Christoph Wurzel / Fotos von Olaf Struck

Don Quijote, Lazarus und nun die Schachnovelle. Es ist bereits die dritte Oper von Christóbal Halffter, die das Kieler Opernhaus seit 2006 in Szene gesetzt hat. Die beiden letzten hat der spanische Komponist sogar für dieses Haus geschrieben. An einer zentralen Stelle der Handlung dieses neuesten Werks erinnert das Libretto an die ersten beiden mit Kiel verbundenen Titel. Da gelingt es dem Protagonisten Dr. Berger, sich in der Gestapo-Haft ein Buch zu verschaffen, von dem er Ablenkung in der zermürbenden Isolation seiner Gefangenschaft erhofft. Wie ein Gottesgeschenk empfindet er diesen Fund und sinniert darüber, wovon das Buch wohl handeln würde, vom vergeblichen Kampf Don Quijotes, den endlosen Irrfahrten des Odysseus oder der wunderbaren Erweckung des Lazarus. Doch Berger ist ein Lehrbuch über das Schachspiel in die Hände gefallen, das ihm zuerst sinnlos erscheint, ihm jedoch bald die Rettung aus den Fängen der Nazi-Haft verschafft. Denn er stählt seinen Widerstandsgeist, indem er die Schachpartien des Buches nachspielt, zuerst real mithilfe von Zuckerstückchen, dann nur noch in Gedanken, schließlich sogar gegen sich selbst. So hält er seinen Geist wach gegen die Gefahr der seelischen Zerstörung durch die  Naziverhöre, steigert sich aber zugleich in ein Schachfieber hinein, in Wahnvorstellungen, in denen die Realität mit den Schachfiguren verschmilzt.  Das „Matt“ der letzten Partie bringt den Zusammenbruch, der ihn aber vor der Fortsetzung der Haft bewahrt und ihm das Leben rettet.

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Schachspiel gegen die Isolation: Der bürgerliche Anwalt Dr. Berger (Jörg Sabrowski) kämpft gegen die Gewalt der Nazischergen (Chor)

An dieses Trauma wird er im zweiten Teil der Handlung wieder erinnert. Während einer Schiffsfahrt nach Süd-Amerika trifft er auf den Schachweltmeister Mirko Centovic, der eigentlich als unbesiegbar gilt und verhilft bei einer Beratungspartie einer Gruppe von Passagieren zu einem Remis gegen Centovic. Als Berger dann genötigt wird, allein gegen den Großmeister zu spielen, holt ihn sein Schachfieber wieder ein. Doch aus diesem erneuten Wahn geht er geheilt hervor und beschließt, in seine Heimat Wien zurückzukehren, wo Naziherrschaft und Krieg mittlerweile beendet sind. Am Ort seiner peinigenden Gefangenschaft entdeckt er wieder ein Buch, diesmal die „Schachnovelle“ von Stefan Zweig und die Geschichte endet mit einem versöhnlichen Schluss. Berger will zu einer neuen Welt beitragen, in der „Geist und Würde nicht mehr schutzlos sind“.

Dieses Ende der Oper mag als Erfüllung der idealistischen Sehnsucht des Menschen Stefan Zweig gelten, berührt aber angesichts dessen wirklichen Schicksals eher peinlich, denn dem Schriftsteller war es nicht vergönnt, aus dem Exil heimzukehren. Er nahm sich 1942 aus Verzweiflung über die Kriegserfolge der Nazis gemeinsam mit seiner Frau in Brasilien das Leben. So rührend wie dieser Opernschluss vom Librettisten gemeint sein mag, so nimmt er doch der bitteren Aussage der Novelle die Spitze. Dort bleibt das Ende eben offen. Ob der intellektuelle Dr. Berger gegen die geistlose Gewalt des Bauernjungen Centovic wirklich gestärkt und als Sieger vom Platz geht (wie in der Oper) oder ob er nicht eher letztlich  an diesem Kampf zerbrochen ist (wie Stefan Zweig selbst), bleibt in der Novelle offen, die als sein letztes Werk zehn Monate nach seinem Freitod erschien. So verbrämt das Libretto Zweigs literarisches Dokument einer stillen Resignation doch mit einem allzu heilen Opernschluss.

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Zusammengesunken unter der Nazigewalt: Dr. Berger (Jörg Sabrowski) mit dem Gestapo-Offizier (Michael Hofmeister) und einem Bewacher (Ulrich Burdack)

Noch in einem weiteren wesentlichen Punkt hat Wolfgang Haendeler, der frühere Kieler Operndramaturg, Zweigs Text verändert. Er erzählt die Handlung linear, während die Novelle das bestimmende unerhörte Ereignis, also die Umstände von Bergers Schachfieber, als Rückblende in die Mitte der Erzählung setzt. Auf dieses dramatisch wirkungsvollere Moment hat Haendeler wohl aus Gründen einer größeren Praktikabilität  für die Bühne verzichtet. Dadurch wirkt die Geschichte aber etwas brav herunter erzählt. Auch hat in der Oper die Figur des Centovic viel weniger Profil als bei Zweig, der ihn als kalten Schachautomaten schildert, als stupiden Machtmenschen mit faschistoiden Zügen, der damit gleichsam als Wiedergänger von Bergers Gegenspielern aus der Nazi-Haft erscheint. Zwar wird in der ersten Szene der Oper Centovics Jugend erzählt, was aber ohne große dramaturgische Folgen bleibt. Als Opernfigur wird Centovic  auf seine Geldgier reduziert.

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Schachautomat gegen Schachintelligenz: Centovic (Tomohiro Takada) gegen Berger (Jörg Sabrowsi); Mitte: O’Connor (Michael Müller) und weitere Passagiere (v.l.: Anna Petrova, Juliane Harberg, Thomas Scheler)

Halffters Musik beeindruckt durch starke Expressivität. Der große Orchesterapparat wird nur stellenweise voll eingesetzt und dies gezielt wie im Zwischenspiel „In tempore belli“, wo das Chaos des Krieges musikalisch gemalt wird, unterstrichen durch die Videoprojektion einer sich verformenden und wieder zusammenfügenden Weltkugel. Mit einer ziellos fließenden elegischen Bratschenmelodie schafft Halffter subtil eine eindringliche Atmosphäre für Bergers Einsamkeit. Mit harten Xylophonschlägen, diffusen Bläsereruptionen oder aggressiven Trommelwirbeln unterlegt er die Szenen des Naziterrors. Unter dem Ganzen liegt ein ständig fließender instrumentaler Strom, der situationsbedingt durch die besonderen Klangereignisse die Stimmungen evoziert. Am versöhnlichen Ende der Oper drängt eine aufschwingende Geigenkantilene das Bratschenmotiv zurück. Bei der Ankunft Centovics auf dem Dampfer erklingt als Element von Gebrauchsmusik die Anmutung einer Nationalhymne und als ironisches Zitat verwendet Halffter die „Tritsch-Tratsch-Polka“ zum Smalltalk der Schiffs-Passagiere. Den Gestapooffizier lässt Halffter von einem Counter singen, was diese Figur im korrekten Anzug grotesk als Charaktermaske des Bösen entlarvt.

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Herausragender Sängerdarsteller: Jörg Sabrowski als Dr. Berger

Die Inszenierung bleibt weitgehend konventionell, erweitert die Handlungsebenen bei Bergers Wahnvorstellungen leicht  ins Surreale, wenn die Schachfiguren als Geistgestalten schemenhaft erscheinen, bei seinem zweiten „Anfall“ während der Partie mit Centovic verzichtet der Regisseur Daniel Karasek jedoch unverständlicherweise auf dieses Mittel. Bühnenbild und Kostüme sind prägnant auf das Wesentliche konzentriert. Engagiert stellt sich das Ensemble den schwierigen, wenn auch meist nicht umfangreichen Gesangsrollen. Herausragend ist Jörg Sabrowski in der Rolle des Dr. Berger. Auch Michael Hofmeister zeigt erhöhte Bühnenpräsenz. Als Verhöroffizier gibt er die passende Mischung aus Zynismus und Machtarroganz. Als plumper Centovic überzeugt Tomohiro Takada. Michael Müller gibt stimmschön einen überspannten O’Connor. GMD Georg Fritzsch hat das Orchester bestens im Griff und formt aus Halffters teilweise amorph erscheinender Partitur ein transparentes Klangbild von großer Ausdrucksintensität. Die solistischen Orchesterpartien gelingen beeindruckend.

FAZIT

Ob seiner Schwächen ist das Libretto nicht der ganz große Wurf. Und bietet die Musik auch nicht die außergewöhnlichsten Innovationen, so ist ihre Sprache doch eindrücklich und ausdrucksstark. Die Inszenierung bleibt in leicht erträglichem Rahmen und erzählt die Handlung klar und schlüssig. Die Sänger leisten Beachtliches und das Orchester widmet sich mit bewundernswertem Engagement der Partitur. Lang anhaltender Beifall des sehr gut gefüllten Hauses war dafür der verdiente Lohn.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Georg Fritzsch

Regie
Daniel Karasek

Bühnenbild
Norbert Ziermann

Kostüme
Claudia Spielmann

Video
Konrad Kästner

Choreinstudierung
Barbara Kler

Dramaturgie
Cordula Engelbert


Opernchor des
Theaters Kiel

Statisterie des
Theaters Kiel

Philharmonisches
Orchester Kiel


Solisten

*rezensierte Aufführung

Dr. Leo Berger
Ks. Jörg Sabrowski

Der Gestapooffizier

Michael Hofmeister

Mirko Centovic,
Schachweltmeister

Tomohiro Takada* /
Marco Vassalli

Krankenschwester

Ks. Heike Wittlieb

Erste Dame, eine Passagierin /
Schachfigur

Anna Petrova

Zweite Dame, eine Passagierin /
Schachfigur

Susan Gouthro

Dritte Dame, eine Passagierin /
Schachfigur

Juliana Harberg

Koller, Agent / Schachfigur /
Zweiter Reporter

Fred Hoffmann

Erster Gestapomann /
Mario Lotto, Passagier /
Erster Reporter /
Ingmar Soderström, Passagier

Thomas Scheler

Scott McConnor, Passagier
Michael Müller
 
Pfarrer / Graf Simczik /
Wärter / Kapitän / Kellner

Andreas Winter

Zweiter Gestapomann /
José Burgos, Passagier

Ulrich Burdack

Paul Teller, Passagier /
Schachfigur

Salomon Zulic del Canto

Boris, ein Wirt aus dem Dorf /
Schachfigur / Dritter Reporter

Marek Wojciechowski

Erster Kiebitz, Passagier
Rahel Brede

Zweiter Kiebitz, Passagier
Bogna Bernagiewicz

Mirko Centovic als Kind
Willem Klemmer* /
Clemens Marcic

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Kiel
(Homepage)




Da capo al Fine

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