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Der Sieg von Zeit und Wahrheit
(The Triumph of Time and Truth)

Oratorium in drei Akten, HWV 71
Libretto von Thomas Morell nach Benedetto Kardinal Pamphili
Musik von Georg Friedrich Händel

Der Sieg von Schönheit und Täuschung
(The Triumph of Beauty and Deceit)

Oper in zwei Akten
Libretto von Meredith Oaks
Musik von Georg Friedrich Händel / Gerald Barry

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Badischen Staatstheater am 16. Februar 2013
im Rahmen der 36. Händel-Festspiele
(rezensierte Aufführung: 23.02.2013)

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Allegorische Figuren im Großraumbüro

Von Thomas Molke / Fotos von Falk von Traubenberg

Auch im 36. Jahr der Händel-Festspiele in Karlsruhe bleibt das Badische Staatstheater seiner Linie treu, ein Werk des Hallenser Komponisten zu präsentieren, das bis jetzt noch nicht an diesem Theater szenisch zu erleben war. In diesem Jahr hat man sich sogar etwas ganz Besonderes ausgedacht, indem man Händels letztes Oratorium mit einer Art Fortsetzung kombiniert hat, die der irische Komponist Gerald Barry 1991 für den britischen Fernsehkanal Channel 4 als Antwort auf den im Oratorium behandelten allegorischen Konflikt komponierte. Barry präsentiert in seiner Fassung dieselben allegorischen Figuren in einer gleichen Ausgangssituation, wobei allerdings das Ende mit Blick auf die heutige Zeit ein anderes ist. Nachdem der Streik des öffentlichen Dienstes bei der Premiere am 16. Februar dazu geführt hatte, dass dieser Doppelabend mehr oder weniger konzertant gegeben werden musste und damit schon beinahe wieder Oratorien-Charakter ohne Chöre annahm, konnte man sich bei der Dernière davon überzeugen, dass auch Händels letztes Oratorium die dramatische Wucht besitzt, die eine szenische Umsetzung rechtfertigt.

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Das Vergnügen (Sebastian Kohlhepp) verspricht der Schönheit (Anna Patalong) ewige Jugend.

Das Thema um die Schönheit, die aus Angst vor der eigenen Vergänglichkeit sich mit dem Vergnügen einlässt, nach einiger Zeit jedoch mit Hilfe der Wahrheit erkennt, dass es vor der Zeit kein Entrinnen gibt, und schlussendlich dem Vergnügen entsagt und den Weg der Tugend einschlägt, hat nahezu Händels komplettes Leben als Komponist beschäftigt. Im Alter von 22 Jahren komponierte er in Rom im Auftrag des Kardinals Benedetto Pamphili das Oratorium Il trionfo del tempo e del disinganno. Als dann 1737 sein italienisches Opernunternehmen in London nicht mehr den erwünschten Anklang fand und er mit dem Oratorium in London einen neuen Markt für sich entdeckte, arbeitete er sein Frühwerk um und brachte es unter dem Titel Il trionfo del tempo e della verità heraus. Zwanzig Jahre später, als er bereits erblindet war, beschäftigte er sich mit Hilfe seines Assistenten erneut mit diesem Stück und ließ die Texte von dem Pfarrer Thomas Morell ins Englische übersetzen. Als neue allegorische Figur wurde in dieser letzten Fassung die allegorische Figur Täuschung (Deceit) hinzugefügt, die das Vergnügen in seinem Kampf um die Schönheit unterstützt und sie mittels neu eingefügter Arien manipuliert. Barry behält von den Stimmlagen nur die Zeit als Bass und die Wahrheit als Countertenor bei. Das Vergnügen wird bei ihm von einem Countertenor gesungen, die Täuschung mit einem Bariton und die Schönheit mit einem Tenor besetzt, was ähnlich befremdlich wie seine Klangsprache wirkt. Auch lässt Barry nicht die Zeit und die Wahrheit den Sieg davontragen, sondern entscheidet sich dafür, dass das Vergnügen und die Täuschung die Schönheit überzeugen können, für das Jetzt zu leben und nicht mehr über die Vergänglichkeit nachzudenken.

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Die Wahrheit (William Purefoy, Mitte) überwacht die Schönheit (Anna Patalong, links hinten) und die anderen Sekretärinnen (Statisterie) bei der Arbeit im Großraumbüro.

Das Regie-Team um Sam Brown und Annemarie Woods haben die Handlung in ein Großraumbüro der 50er Jahre verlegt. Hinter einem riesigen Fenster sitzen unzählige Sekretärinnen an kleinen Tischen und tippen wild auf ihren Schreibmaschinen herum, während sie von einigen Aufsehern bei ihrer Arbeit beobachtet werden. Die Zeit sitzt als Firmenboss an einem mondänen Schreibtisch am rechten Bühnenrand, wobei die Wahrheit als rechten Arm dieses Chefs fungiert. Der Bühnenraum von Woods scheint sich nach hinten durch weitere Fenster unendlich fortzusetzen. Eine besondere Bedeutung kommt auch dem marmorierten Waschraum zu, der mit zahlreichen Waschbecken und Spiegeln vor dem Büro herabgelassen werden kann. Während der Ouvertüre sieht man hier die Sekretärinnen vor dem Spiegel stehen und sich gewissermaßen endlos mit ihrer Gesichtspflege beschäftigen. Die Schönheit ist eine dieser Sekretärinnen, die allein vor diesen Spiegeln zurückbleibt und über die Vergänglichkeit sinniert, bis das Vergnügen, zunächst ebenfalls als Sekretärin kostümiert, ihr immerwährende Reize verspricht. Während sich das Vergnügen in dieser Szene noch in Frauenkleidern mit der Schönheit auf und unter dem Schreibtisch des Chefs amüsiert, entpuppt sich das Vergnügen im weiteren Verlauf als einer der Aufseher, der auch die anderen Sekretärinnen zu verführen versucht.

Ein großartiges Bild gelingt Brown, wenn die Zeit auf die Vergänglichkeit des Seins hinweist. Da schleicht eine buckelige alte Frau in das Büro des Chefs, um der Schönheit zu demonstrieren, wie sie in einigen Jahren aussehen wird. Diese Frau sitzt auch später im Hintergrund und achtet darauf, dass die Sekretärinnen ihrer Arbeit nachkommen. Sie versucht auch, den ständigen Austausch zwischen der Schönheit und der Täuschung zu unterbinden, die ebenfalls als Sekretärin im Büro arbeitet und die Schönheit unter anderem zum Rauchen animiert. Gut gelingt auch das Spiel mit den Spiegeln, die je nach Beleuchtung die Person vor dem Spiegel reflektieren oder eine Person zeigen, die hinter dem Spiegel steht. Im Kampf zwischen Wahrheit und Vergnügen wird ein Spiegel sogar zerbrochen. Bei Barry ist es die Schönheit selbst, die den Spiegel durchbricht und damit dem Vergnügen Einlass gewährt.

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Die Schönheit (Peter Tantsits, links) und das Vergnügen (Iestyn Morris, rechts) bei Barry

Während der Händel-Teil in jeder Hinsicht stimmig ist, gerät der Barry-Teil doch arg abstrus. Brown führt den Ansatz Barrys, alle Figuren mit Männern zu besetzen dahingehend fort, dass auch die Statisterie im zweiten Teil nur aus Männern besteht. Diese Männer treten aber nun ebenfalls als Sekretärinnen auf, wobei das Großraumbüro wie nach einem Bombeneinschlag regelrecht verwüstet wirkt. Zwar steht auf den Trümmern noch der eine oder andere Schreibtisch, aber mit Arbeiten beschäftigen sich diese Sekretärinnen nicht. Stattdessen kopulieren sie wild auf den Trümmern herum, wobei man der Regie an dieser Stelle allerdings nicht den Vorwurf machen kann, dass gegen die Musik oder das Libretto inszeniert wird. Man mag die drastischen Bilder nicht mögen, aber zum Inhalt passen sie. Die Wahrheit tritt jetzt in einem weißen Kittel auf und wirkt wie ein Nervenarzt. Dennoch bleiben einige Regieeinfälle unklar. So ist nicht nachvollziehbar, wieso sich die Zeit wie eine dicke Nacktschnecke über die Bühne wälzen muss. Auch der grüne Jogging-Anzug, den die Wahrheit der Zeit überzieht, erschließt sich nicht. Unklar ist auch die Strumpfmaske, die die Schönheit über den Kopf ziehen muss. Aber auch Barrys Musik ist nach fast zweistündigem wohligem Händel-Klang eher sperrig. Dennoch verlassen nur vereinzelte Besucher während des zweiten Teils den Zuschauerraum. Auch am Ende sind es nur relativ wenige Besucher, die ohne Applaus sofort aus dem Saal gehen, während der Rest großen Beifall zollt.

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Die Täuschung (Gabriel Urrutia Benet, rechts) und das Vergnügen (Iestyn Morris, links) im Barry-Teil

Was die musikalische Leistung des Abends betrifft, erweist sich dieser Beifall allerdings auch mehr als verdient. Da ist zunächst Anna Patalong, die nicht nur optisch als Schönheit eine hervorragende Figur macht, sondern auch mit ihrem leuchtenden Sopran diese Schönheit auf die musikalische Gestaltung überträgt. Sebastian Kohlhepp steht ihr als Vergnügen mit strahlendem Tenor in nichts nach und macht mehr als deutlich, wieso die Schönheit dem Vergnügen nur schwer widerstehen kann. Stefanie Schäfer begeistert als Täuschung mit kokettem Spiel und warmem Mezzo, die mit virtuosen Koloraturen in ihrer Arie "Melancholy is a folly" den ersten Szenenapplaus des Abends einfährt. William Purefoy verfügt als Wahrheit über einen warmen, weichen Countertenor und gefällt szenisch mit recht komödiantischem Spiel. Joshua Bloom stattet die Zeit mit einem fulminanten Bass aus, den er vor allem im Händel-Teil glänzend einsetzen kann. Bei Barry werden ihm gewaltige Oktavsprünge abverlangt, die Bloom aber ebenfalls gekonnt meistert. Die Schönheit von einem Tenor singen zu lassen, ist sicherlich gewöhnungsbedürftig. Aber Peter Tantsits meistert diese Aufgabe stimmlich und darstellerisch gut. Gleiches gilt für Gabriel Urrutia Benet als Täuschung und Iestyn Morris als Vergnügen. Richard Baker vollzieht mit der Badischen Staatskapelle einen grandiosen Wechsel von den barocken Händel-Klängen zu der doch eher schrägen Musik Barrys. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch der Komponist Gerald Barry einreiht.

FAZIT

Vom Hörerlebnis ist es für den Liebhaber von Barockmusik sicherlich anstrengend, sich nach knapp zwei Stunden mit wunderbaren Händel-Arien auf Barrys Klangsprache einzulassen. Dem Regie-Team gelingt es allerdings recht gut, die beiden musikalisch so unterschiedlichen Werke zu einer szenischen Einheit zu formen.

Weitere Rezensionen zu den 36. Händel-Festspielen 2013


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Richard Baker

Regie
Sam Brown

Bühne und Kostüme
Annemarie Woods

Choreographie
Lorena Randi

Licht
Stefan Woinke

Dramaturgie
Bernd Feuchtner


Statisterie des
Badischen Staatstheaters Karlsruhe

Badische Staatskapelle


Solisten

Zeit (Händel, Barry)
Joshua Bloom

Wahrheit (Händel, Barry)
William Purefoy

Schönheit (Händel)
Anna Patalong

Täuschung (Händel)
Stefanie Schaefer

Vergnügen (Händel)
Sebastian Kohlhepp

Schönheit (Barry)
Peter Tantsits

Täuschung (Barry)
Gabriel Urrutia Benet

Vergnügen (Barry)
Iestyn Morris

 

 


Weitere
Informationen

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Badischen Staatstheater Karlsruhe
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