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Gefährliche Liebschaften am historischen WendepunktVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire
Cosí fan tutte ist unbestritten ein musikalisches Meisterwerk und hat es doch vielen Bewunderern schwer gemacht. Die Handlung um zwei Frauen, die binnen Stunden alle Treueschwüre vergessen und sich in behaupteter Unkenntnis dem nur notdürftig verkleideten Liebhaber der jeweils anderen hingeben, ist, für sich allein betrachtet, höherer Opernblödsinn, die Ausgangssituation als Experiment am lebenden Frauenobjekt zynisch, die Rollenbilder haarsträubend. Dabei liegt keineswegs das Zusammentreffen eines begnadeten Musikers mit einem dilettantischen Librettisten vor, ganz im Gegenteil, gehört doch das Gespann Mozart / da Ponte zu den Glücksmomenten der Operngeschichte, wie der Don Giovanni und der Figaro beweisen und Mozart sprachliches wie dramaturgisches Gespür hat bei Cosí wohl kaum Kompromisse zugestanden. Bei allem immer wieder geäußerten Unbehagen (das freilich längst vor den hohen Aufführungszahlen kapituliert hat): Alles ist wohl genau so gewollt, wie es in der Partitur steht. Noch sind die Verhältnisse geordnet, aber die bevorstehenden Wirrungen zeichnen sich bereits ab: Fiordiligi hängt (noch) an Guglielmo, Don Alfonso wendet sich skeptisch ab
Das in etwa ist das Spannungsfeld, in dem sich Tatjana Gürbacas vielschichtige Neuinszenierung bewegt. Sie betrachtet das Werk zunächst aus seiner historischen Situation an einer Bruchstelle der Zeit- und Weltgeschichte: Am Vorabend der französischen Revolution verfasst, beschreibt das Libretto die Rollenbilder im untergehenden Rokoko die Männer als Offiziere und Eroberer fremder Länder und (mehr noch) Damen, die Frau als im eigenen Haus isoliertes Heimchen. So lässt die Regisseurin den Soldatentrupp mit zerfetzter Tricolore aufziehen und beschwört in der Serenade des zweiten Aktes als Gegenpol ein antiquiertes Rokokoidyll zwei Szenen, die umso stärker auffallen, weil die leider insgesamt recht grob geratene Ausstattung (Ingrid Erb) auf unsere Gegenwart verweist. Wenn im Verlauf des Stückes Fiordiligi und Dorabella aus ihren eleganten, eng anliegenden und damit einschnürenden Roben wie aus einem Kokon herausschlüpfen, um sich luftig-leicht wie Falter auf denjenigen zuzubewegen, den sie nicht aus Gesellschaftsraison, sondern aus erotischer Anziehungskraft lieben wollen, so ist das ein zentrales emanzipatorisches Moment dieser Oper, damals wie heute gültig. Unterstrichen wird die Verklammerung von Vergangenheit und Aufklärung noch durch die Einblendung etlicher Zitate aus Heiner Müllers Quartett von 1980, in dem Müller sich wiederum auf den Briefroman Gefährliche Liebschaften von Choderlos de Laclos von 1782 bezieht. Finale des ersten Aktes: Fiordiligigi und Dorabella geben sich kämpferisch, Despina verarztet links den vorgeblich kranken Ferrando, Alfonso rechts kümmert sich um Guglielmo
Inhaltlich deutet die Regie das Spiel im Spiel um: Hier werden nicht zwei naive Frauen durch Verkleidungen getäuscht und vorgeführt; vielmehr erscheinen Ferrando und Guglielmo ohne falsche Bärte und Turbane (wie bei da Ponte vorgesehen), dafür in modernen, ziemlich scheußlich geratenen Kampfanzügen, und das darf man wohl so deuten, dass die Damen sich ganz bewusst auf das temporäre Partner-wechsle-dich-Spiel einlassen, von dem keiner der Beteiligten die dramatischen Folgen abschätzen kann. Das geht natürlich nicht immer mit dem (auch in den Rezitativen sehr genau vertonten) Libretto auf, und da springt die Inszenierung mitunter munter von einer Deutungsebene zur anderen, lässt manches als echte Gefühlsäußerung gelten, führt anderes demonstrativ als Theatereffekt vor, was mitunter recht hölzern wirkt. So bleiben zwiespältige Eindrücke, etwa wenn Fiordiligi ihre Arie Come scoglio an der Rampe mit Spot auf die Sängerin als Bravourstück zum Besten gibt alles nur selbstgefällige Show, will die Regisseurin wohl in ziemlich eindimensionaler Deutung sagen (dabei ließen sich psychologische Abhandlungen darüber verfassen, warum sie sich gerade in dieser brillanten und gleichzeitig traditionsbewussten Form äußert). Gewonnen? Guglielmo triumphiert über Dorabella
Trotz mancher Einschränkung gehört diese Inszenierung aber sicher zu den besseren des Werkes, auch wegen der nicht immer unanfechtbaren, aber doch sehr genauen Personenregie und der nicht nur musikalisch, sondern ebenso szenisch und optisch klugen Besetzung mit einem durchweg sehr engagiert spielenden Ensemble. Wenn am Ende beide Optionen der endgültige Bruch als Signal des Aufbruchs ebenso wie die Versöhnung angeboten werden und somit manche Frage offen bleibt, gehört das zu den Vorzügen einer ambitionierten und durchdachten Regie, die nicht allen, aber doch vielen Facetten dieser vertrackten Oper auf ihre spezielle Art gerecht wird. Rosarot erscheint die Welt nur einen ganz kurzen Moment lang: Fiordiligi (links) und Dorabella
Garant für die musikalische Qualität der Produktion ist einmal mehr Dirigent Konrad Junghänel mit forschen, unpathetischen Tempi und einem hellen, mitunter fast aggressiven Klangbild auf der einen Seite, aber auch Sinn für die melancholischen Momente (so in den verhangenen Abschiedsmusiken des ersten Akts). Das Gürzenich Orchester folgt dem insgesamt gut, im Detail merkt man hier und da die doch eher romantische Ausrichtung mit einem etwas unausgeglichenen Klangbild etwa im Vergleich der unprätentiös punktgenauen Solo-Flöte zur stärker exaltierten, sich mehr Freiheiten zugestehenden Solo-Oboe. Auch im Sängerensemble dominieren die hellen Farben. Sabina Cvilak ist eine ziemlich dramatische, metallisch glänzende Fiordiligi mit Kraft zur Attacke, Katrin Wundsam eine etwas lyrischere, eher leichte Dorabella mit dem größeren Vorrat an Zwischentönen. Matthias Klink verleiht dem Ferrando unangestrengten, weder zu leichten noch zu schweren Tenorglanz und wäre eine Sensation, wären ihm nicht im zweiten Akt einige Pianissimo-Töne unschön weggebrochen. Bei Miljenko Turks Guglielmo vermisst man die sonoren Baritonfarben, die ihn sonst auszeichneten; gesungen ist die Partie tadellos, wenn auch ein wenig geradlinig. Carlo Lepore ist ein wortgenau und nuanciert singender, kraftvoller Alfonso mit dem von Mozart geforderten virtuosen Parlando, Claudia Rohrbach eine nicht so sehr soubrettenhaft niedliche, vielmehr lyrisch leuchtende Despina. Die dramaturgisch eigentlich nicht allzu bedeutende Chorpartie wird durch den ganz ausgezeichneten, klanglich nuanciert singenden Opernchor aufgewertet und gibt der Szene dadurch die Kontrastfarben, vor denen die Regie die historisierenden Tableaus entwickeln kann.
Nicht alles funktioniert, aber in der Summe gelingt Tatjana Gürbaca eine spannende und bedenkenswerte Deutung auf musikalisch hohem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Fiordiligi
Dorabella
Guglielmo
Ferrando
Don Alfonso
Despina
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