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Selma Ježková

Oper in einem Akt
Libretto von Henrik Engelbrecht nach dem Film Dancer in the Dark von Lars von Trier
Musik von Poul Ruders

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 10' (keine Pause)


Deutsche Erstaufführung im Theater Hagen am 13. April 2013
(rezensierte Aufführung: 25. April 2013)

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Keine Oper zum Film

Von Stefan Schmöe / Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)

„Aber für alle diejenigen, die den Film gesehen haben: Bitte, bitte vergessen Sie ihn vollkommen“. Ein frommer Wunsch, lieber Poul Ruders – schließlich ist der Film, dessen Plot Sie da veropert haben, nicht irgendein Film, sondern Dancer in the Dark von Lars von Trier. Und dieser Lars von Trier ist ein Regisseur, dessen Filme man nicht mögen muss, über die man sich auch gehörig ärgern kann, nur sie vergessen, das geht so leicht nicht. Und überhaupt, lieber Poul Ruders, wenn Sie als dänischer Komponist in der dänischen Hauptstadt eine Oper zur Uraufführung bringen, die nach einem preisgekrönten Film des vermutlich bekanntesten und umstrittensten dänischen Filmregisseurs komponiert ist (Uraufführung 2010), dann mögen wir gar nicht so recht glauben, dass man diesen Film vergessen soll (und das gleich „vollkommen“). Und das Theater Hagen wohl auch nicht, sonst hätten die den Filmtitel doch wohl nicht dem Operntitel Selma Ježková als Untertitel hinzugefügt, oder?

Vergrößerung in neuem Fenster Entlassen wegen Tagträumerei am Arbeitsplatz: Selma (oben) mit Vorarbeiter Norman und Kollegin Kathy

Dancer in the Dark, beim Festival in Cannes 2000 mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, ist ja auch ein richtig guter Opernstoff. Die fast blinde Selma Ježková ist in den 60ern aus der Tschechoslowakei in die USA emigriert, um dort das Geld für eine Augenoperation für ihren Sohn Gene (der an derselben Krankheit leidet wie sie selbst) zu verdienen, lebt aber in Tagträumen und verliert dadurch ihren Job. Als ihr Vermieter Bill, selbst eine gescheiterte Existenz, sie um ihre Ersparnisse bringen will, verletzt sie ihn und tötet ihn schließlich, letztendlich auf sein Verlangen – und wird zum Tode verurteilt. Bis zuletzt weigert sie sich, ihre Ersparnisse für einen leidlich fähigen Anwalt auszugeben, und wird am Ende gehängt. Lars von Trier, den man verkürzt als ziemlich wirren, aber bildgewaltigen Metaphysiker bezeichnen könnte, lässt genügend Interpretationsfreiräume, die durch Musik gefüllt werden können, wenn man sich nur weit genug von seiner Film- und Bildlogik entfernt.

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Selma hat Bill getötet. Vorne Sohn Gene.

Das gelingt der starken Hagener Inszenierung von Gregor Horres in der schlichten, aber wirkungsvollen Ausstattung von Jan Bammes sehr gut. Vor schwarzem Hintergrund zeichnen zwei halbrunde, ansteigende Kreisbögen eine Arena oder Manege – ein symbolischer, kein realistischer Spielraum, in dem sich das Drama mehr in Gedanken Selmas als in der Realität vollzieht. Eine Gruppe von Personen mit neutralen Masken deutet die Geschworenen an, die den Schuldspruch fällen, aber auch das reglose Publikum, das die Zusammenhänge nicht durchschaut und wohl auch nicht durchschauen will. Der Staatsanwalt agiert wie ein Conferencier oder Zirkusdirektor, der dem Volk zwar kein Brot, aber Spiele präsentiert. Die weiteren Personen sind realistisch gezeichnet, sodass die Geschichte zu ihrem Recht kommt. Als zusätzliche Distanzierung zum Film setzt Horres ein eigenes Video (Volker Köster) ein, eine düstere Fahrt durch einen U-Bahn-Tunnel, Ausdruck der Ausweglosigkeit und in seiner Handlungslosigkeit ein Anti-Film zum Film. Vielleicht hätte Horres die Innenperspektive der Selma noch radikaler herausstellen können, aber insgesamt leistet die Regie ziemlich viel von dem, was diese Oper braucht.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Staatsanwalt und Selma

Als musiktheatralisches Vorbild schimmert immer wieder Alban Bergs Wozzeck durch. Das betrifft den komprimierten Aufbau mit einer Folge von kurzen und prägnanten Szenen (mit gerade einmal 70 Minuten Spieldauer ist Selma Ježková da noch knapper als das Vorbild) mit entsprechenden Stimmungswechseln (das groteske Paar von Arzt und Hauptmann aus dem Wozzeck etwa scheint ein das Vorbild für den grell-hohen Staatsanwalt) wie auch die expressive Musiksprache, die im Wesentlichen mit stark dissonanter Tonalität die tragische Handlung nachzeichnet. Ruders betreibt aber gerne auch in gemäßigt modernen Klangbildern großflächigere Stimmungsmalerei. Ausflüge ins Musicalgenre sind durch Selmas Träumereien vom Broadway inhaltlich motiviert (allerdings etwas plump eingebaut), die Verwendung von Volks- und Kirchenmusik in ungebrochener romantisierender Diatonik wirkt reichlich anbiedernd und letztendlich kitschig-sentimental. Da hat man doch den Eindruck, Ruders möchte für jeden Opernbesucher etwas im Angebot haben und die Konservativen ebenso beglücken wie die Anhänger der Moderne. Aber auch die Verdichtung hat ihren Preis: Psychologische Entwicklungen brauchen ihre Zeit, und was in Wozzeck oder Salome auf engstem Raum (der aber immer noch größer ist als hier bei Ruders) gelingt, ist eben doch die meisterhafte Ausnahme. Bei Ruders stolpert man ziemlich unvermittelt in das Geschehen. An manchen Stellen ist der schnelle Pinselstrich ausreichend (so in der erwähnten Szene des Staatsanwalts), aber Selmas Charakter könnte durchaus eine ausführlichere, auch musikalisch und musikdramaturgisch raffiniertere Darstellung vertragen. Der Hinweis der Hagener Dramaturgin Dorothee Hannappel in der Werkeinführung, die Oper stelle viele unbeantwortete Fragen, greift da nicht weit genug: Auch Fragen besitzen nicht von allein Relevanz, sondern erst durch einen sinnvollen Kontext. Der fällt hier sehr knapp aus. Mag immerhin sein, dass das zur Emanzipation gegenüber dem Film beiträgt.

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Vor der Hinrichtung

Dagmar Hesse bewältigt die Titelpartie mit vor allem in den lyrischen Passagen schönen Sopran souverän. In den kleineren Partien überzeugen Bernd Könnes als Staatsanwalt mit bissig scharfem Charaktertenor und Kristine Larissa Funkenhauser als warmherzige Freundin Kathy; Raymond Ayers bleibt als Bill etwas blass. Das mit nur 33 Musikern an diesem Abend recht kleine Philharmonische Orchester Hagen, reduziert um Flöten und Oboen und ergänzt um Saxophone und Bassklarinette, spielt im Detail etwas grobschlächtig, trifft aber unter der Leitung von David Marlow einen angemessen sachlichen, trotzdem spannungsvollen Tonfall.


FAZIT

Eine ganz große Oper ist Selma Ježková sicher nicht, aber als Fortsetzung der Hagener Reihe von gemäßigt modernen Opern ist das Stück auch nicht uninteressant. Das Theater Hagen macht das Beste daraus.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Marlow

Inszenierung
Gregor Horres

Bühne und Kostüme
Jan Bammes

Video
Volker Köster

Licht
Ulrich Schneider

Dramaturgie
Dorothee Hannappel


Statisterie des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

Bill Houston
Raymond Ayers

Kathy
Kristine Larissa Funkhauser

Gene
Paul Schlenga

Selma Ježková
Dagmar Hesse

Norman
Orlando Mason

1. Wärter
Dirk Achille

Brenda
Rena Kleifeld

Staatsanwalt / 2. Wärter
Bernd Könnes

Oldrich Novey
Horst Fiehl

Linda
Jutta Wermeckes-Krafft


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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