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Die Dreigroschenoper

Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern von Bertolt Brecht
nach John Gays The Beggar's Opera übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann

Musik von Kurt Weill

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 4. Mai 2013


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Gnade vor Recht in der Oper

Von Thomas Molke / Fotos von Stefan Kühle (Rechte Theater Hagen)

"Und der Haifisch, der hat Zähne" ist nur einer der Songs, die nach dem grandiosen Erfolg der Dreigroschenoper die Welt eroberten und an mehr als 120 Theatern im In- und Ausland mit über 4000 Vorstellungen allein bis 1930 für ausverkaufte Häuser sorgten. Dabei habe das bei der Generalprobe am Tag zuvor, wie Lotte Lenya sich in ihren Memoiren später erinnerte, keiner für möglich gehalten. Bis 5 Uhr früh habe die Probe gedauert und im Anschluss sei die bis dahin überlange Aufführung sogar noch um eine Dreiviertelstunde gekürzt worden, wofür am Mittag eine weitere Durchlaufprobe habe angesetzt werden müssen. Doch am Abend sei von der totalen Erschöpfung aller Beteiligten nichts mehr zu spüren gewesen. Die Uraufführung wurde frenetisch aufgenommen, traf sie doch genau den Nerv der ausgehenden 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und auch heute gilt leider noch allzu häufig der Vorsatz: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral". Das Theater Hagen hat dieses Stück, das eigentlich für singende Schauspieler komponiert worden ist, nun mit dem hauseigenen Opern-Ensemble auf die Bühne gebracht, was die musikalischen Aspekte des Werkes stärker betont, als dies in der einen oder anderen Inszenierung umliegender Schauspielhäuser der Fall sein dürfte.

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Erstes Dreigroschenoper-Finale: Polly (Tanja Schun, links), Jonathan Peachum (Werner Hahn) und Frau Peachum (Marilyn Bennett, rechts)

Das Stück basiert auf der 1728 in London uraufgeführten The Beggar's Opera von John Gay mit der Musik von Johann Christoph Pepusch, die Elisabeth Hauptmann Ende 1927 für Brecht übersetzte und die Brecht für die Eröffnung des Theater am Schiffbauerdamm in Berlin umarbeitete. In Soho hat Macheath, genannt Mackie Messer, Polly Peachum, die Tochter des Bettlerkönigs, geheiratet. Peachum, der mit seiner Bettlerbande einen ständigen Machtkampf mit Macheaths Straßenbanditen führt, beschließt, Macheath für diese Unverfrorenheit verhaften zu lassen. Doch der Polizeichef Brown ist ein guter Freund von Mackie, so dass Peachum droht, mit seinen Bettlern die anstehenden Krönungsfeierlichkeiten zu stören. Widerwillig geht Brown also auf Peachums Forderungen ein und lässt Macheath verhaften, der gegen Pollys Rat nicht geflohen ist, sondern vorher noch bei der Spelunkenjenny, einer Hure, eingekehrt ist, die ihn für eine entsprechende Belohnung an die Polizei verrät. Doch da Macheath auch ein Verhältnis mit Browns Tochter Lucy hat, sorgt diese erneut für seine Freilassung, die allerdings wieder in den Armen einer Hure endet. Erneut festgenommen, soll Macheath nun gehängt werden. Doch in letzter Sekunde erscheint ein Bote des Königs, in der Vorlage ist dies Brown höchstpersönlich, der anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten verkündet, dass Macheath nicht nur sofort freizulassen sei, sondern obendrein noch in den erblichen Adelsstand erhoben werde.

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Macheath (Christian Higer) und die Spelunkenjenny (Evelyne Wehrens) (im Hintergrund: die Huren (von links: Verena Grammel, Anja Frank-Engelhaupt)

Thomas Weber-Schallauer vertraut in seiner Inszenierung auf die Aktualität des Stückes und verzichtet dabei größtenteils auf eine Modernisierung. Die weiß geschminkten Gesichter der Protagonisten erwecken mit ihren übertrieben roten Wangen den Eindruck, dass hier keine realen Figuren auf der Bühne stehen, auch wenn Jonathan Peachum mit seinen Äußerungen manchem kapitalistischem Konzernchef näher kommen dürfte, als man es vielleicht wahrhaben möchte. Bei der Moritat von Mackie Messer zu Beginn des Stückes verzichtet Weber-Schallauer auf jegliches Bühnenbild und stellt Kammersänger Horst Fiehl als eine Art Conferencier auf eine leere Bühne. Wieso sich während dieses Liedes der schwarze Vorhang langsam senkt und Fiehl in die Knie zwingt, bis er schließlich, auf dem Boden liegend, die letzte Strophe singt, bleibt unklar. Soll mit dem sinkenden Vorhang der Abstieg Mackie Messers im Laufe des Stückes angedeutet werden, bis er am Ende am Galgen landet? Jedenfalls ist es bei Weber-Schallauer nicht der Polizeichef Brown, der am Ende das Happy End einläutet, sondern eben dieser Moritatensänger vom Anfang, dieses Mal in einem barocken goldenen Kostüm ausstaffiert und auf einem weißen Schimmel reitend, was gewiss eine Anspielung auf den Deus ex Machina ist, der in den von Pepusch und Gay parodierten Barockopern das in der Regel stets unmotivierte lieto fine herbeiführte. So fordert Fiehl hier "Gnade vor Recht, zumindest in der Oper".

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Zickenkrieg zwischen Polly (Tanja Schun, Mitte) und Lucy (Maria Klier, rechts) (im Hintergrund links: Macheath (Christian Higer))

Bewusst lässt Weber-Schallauer Peachum und Macheath jeweils eine Pose wie Christus am Kreuz einnehmen. Wenn sich der Vorhang zum Morgenchoral des Peachum öffnet, liegt Werner Hahn als Peachum mit ausgebreiteten Armen auf einer Treppe in seiner Bettlergarderobe. In seinem großen Monolog klagt Hahn sein Leid darüber, dass sich die Bibelsprüche mit der Zeit abnutzen und es für einen Bettler immer schwieriger wird, an das Mitgefühl der Menschen zu appellieren. Auch Christian Higer nimmt als Macheath am Ende, wenn er vor dem Galgen bewahrt wird und der Chor im letzten Finale dazu auffordert, das Unrecht nicht zu sehr zu verfolgen, mit überkreuzten Beinen und ausgebreiteten Armen auf einer Empore über den anderen Protagonisten diese Christus-Pose ein und entlarvt damit die Nächstenliebe im Stück als reine Showeinlage. Es geht also nicht darum, selbst in Moral sondern von der Moral der anderen zu leben.

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Happy End mit königlichem Boten (Horst Fiehl, im Barockkostüm) (oben: Macheath (Christian Higer), unten: Ensemble)

Das Bühnenbild von Jan Bammes ist zweckmäßig und einfach gehalten. Eine große Treppe in der Mitte der Bühne lässt sich in zwei Teilen nach rechts und links außen schieben, so dass Peachums Bettlergarderobe schnell in den Pferdestall, in dem Mackie mit Polly Hochzeit feiert, verwandelt werden kann. Als Gefängniszelle wird ein großer Kasten hereingeschoben, bei dem die Gitter so weit auseinanderstehen, dass Macheath während eines Liedes die Zelle auch problemlos verlassen kann. Für das Bordell reichen ein paar Kabinen im Hintergrund, die mit einem roten Herz-Luftballon ausgestattet sind und ein roter Schreibtischstuhl im Vordergrund für die Spelunkenjenny. Die Bühne ist von kleinen roten Glühbirnen eingerahmt, die den Show-Charakter der Inszenierung unterstreichen. Die Kostüme, für die ebenfalls Bammes verantwortlich zeichnet, erinnern an die ausgehenden 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Das Hagener Ensemble stellt unter Beweis, dass es nicht nur singen, sondern auch schauspielern kann. Werner Hahn glänzt als Peachum mit einer herrlichen Diktion und wirkt in seiner eiskalten Berechnung erschreckend glaubhaft. Marilyn Bennett steht ihm als Frau Peachum in nichts nach. Mit großartiger Komik spielt sie die dem Alkohol heftige zusprechende Ehefrau hervorragend aus, zeigt sich aber in ihren Verhandlungen mit der Spelunkenjenny als knallharte Geschäftsfrau. Großartig gelingt ihre Interpretation der "Ballade von der sexuellen Hörigkeit", und auch in den beiden ersten Finali setzt Bennett Akzente. Tanja Schun zeichnet Polly als cleveres Mädchen, die sich naiver gibt, als sie wirklich ist. Dies macht sie vor allem im "Barbara-Song" deutlich. Während sie die ersten beiden Strophen, in denen sie selbstbewusst ihre Vorsätze für den Umgang mit Männern propagiert, mit mädchenhaftem Sopran ansetzt, gestaltet sie die letzte Strophe, in der sie Macheaths Charme trotz ihrer Vorsätze unterliegt, mit Sprechgesang. Großartig gelingt auch das Eifersuchts-Duett mit Maria Klier als Lucy, in dem sich die beiden Frauen mit großer Komik anzicken. Evelyne Wehrens lässt als Spelunkenjenny mit dem "Salomon-Song" aufhorchen, in dem sie ihre Trauer über Macheaths bevorstehendes Ende zum Ausdruck bringt. Christian Higer gefällt darstellerisch als Macheath, kann musikalisch aber vor allem in den höheren Passagen nicht durchgehend überzeugen.

Alexander Ruef setzt mit den Teilen des Philharmonischen Orchesters Hagen, die als Dreigroschen-Orchester im Programmheft ausgewiesen sind, Weills Musik hervorragend um, und auch die übrigen Solisten, die größtenteils mit Sängerinnen und Sängern aus dem Chor besetzt sind, überzeugen in den kleineren Partien, so dass es am Ende großen und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Thomas Weber-Schallauers Inszenierung beweist, dass das Stück auch heute noch das Publikum erreicht, ohne dass es durch irgendwelche Regie-Mätzchen aufgepeppt werden müsste.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Ruef

Inszenierung
Thomas Weber-Schallauer

Ausstattung
Jan Bammes

Dramaturgie
Maria Hilchenbach



Statisterie des Theater Hagen

Philharmonisches Orchester
Hagen


Solisten

Jonathan Jeremiah Peachum,
Chef einer Bettlerplatte

Werner Hahn

Frau Peachum
Marilyn Bennett

Polly Peachum, ihre Tochter
Tanja Schun

Macheath, Chef einer Platte von
Straßenbanditen
Christian Higer

Brown, Polizeichef von London
Orlando Mason

Lucy, seine Tochter
Maria Klier

Trauerweidenwalter / Bettler
Dirk Achille

Hakenfingerjakob / Bettler
Richard van Gemert

Münzmatthias / Bettler
Firat Baris Ar

Sägerobert / Bettler
Krzysztof Jakubowsky

Ede / Bettler
Pawel Strotschilin

Jimmy / Bettler
Wolfgang Niggel

Filch, einer von Peachums Bettlern
Robert Schartel

Spelunkenjenny, Hure
Evelyne Wehrens

Smith, erster Konstabler /
Hochwürden Kimball
Robert Schartel

Hure
Britta Strege

Alte Hure
Verena Grammel

Betty
Soraya Almanza

Molly
Anja Frank-Engelhaupt

Vixer
Nina Andreeva

Zweite Hure
Kisun Kim

Moritatensänger
Ks. Horst Fiehl

Konstabler
Tobias Kramm


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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