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Agrippina

Oper in drei Akten
Libretto von Vincenzo Grimani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 23. März 2013
(rezensierte Aufführung: 30.03.2013)



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Kindergeburtstag mit Spinatschlacht

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Händels frühe Oper Agrippina verschaffte dem sächsischen Komponisten bei der Uraufführung am 26. Dezember 1709 in Venedig nicht nur einen triumphalen Erfolg mit zahlreichen Folgeaufführungen in der Karnevalsspielzeit 2010, sondern markierte auch seinen Durchbruch als Opernkomponist. Auch in Neapel und Hamburg begeisterte das Werk mit einer musikalischen Harmonie und Melodik, die man - so Händels Biograph John Mainwaring - "nimmer vorher [...] in ihrer Anordnung so nahe und so gewaltig miteinander verbunden gehört" hatte. Das Stadttheater Gießen präsentiert nun mit den beiden Countertenören Valer Sabadus und Terry Wey, der Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli, dem Bariton Hans Christoph Begemann als Gästen neben eigenen Ensemble-Mitgliedern und dem Spezialisten für authentische Aufführungspraxis des 18. und 19. Jahrhunderts, Generalmusikdirektor Michael Hofstetter, für die Neuproduktion eine hochkarätigen Besetzung, die musikalisch hält, was sie verspricht. Über die Inszenierung von Balász Kovalik kann man allerdings geteilter Meinung sein.

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Ottone (Terry Wey, vorne) berichtet, wie er den Kaiser aus dem Sturm gerettet hat (von links: Poppea (Naroa Intxausti), Agrippina (Francesca Lombardi Mazzulli), Nerone (Valer Sabadus), Narciso (Sora Korkmaz) und Pallante (Tomi Wendt)).

Die Handlung der Oper verquickt mehrere zeitlich nicht zusammengehörende historische Ereignisse, die in den Annalen des Tacitus und den Kaiser-Viten Suetons überliefert sind. Kaiserin Agrippina glaubt, dass ihr Ehemann Claudio (Claudius) in einem Sturm auf hoher See den Tod gefunden habe, und setzt nun alles daran, ihren Sohn Nerone (Nero) mit Hilfe der beiden Höflinge Pallante (Pallas) und Narciso (Narcissus) zum neuen Kaiser wählen zu lassen. Doch Claudio ist von seinem Feldherrn Ottone (Otho) aus den Wogen des Meeres gerettet worden und verspricht diesem nun aus Dankbarkeit, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Agrippina plant eine Intrige, indem sie Poppea, die Ottone liebt, allerdings auch von Claudio und Nerone begehrt wird, einredet, dass Ottone sie zugunsten des Throns Claudio überlassen wolle. Poppea bewirkt daraufhin beim Kaiser, dass dieser Ottone fallen lässt und stattdessen Nerone zu seinem Nachfolger auswählt. Doch Poppea durchschaut den Schwindel und kann Ottone rehabilitieren. Agrippinas Ränkespiele fliegen auf. Allerdings kann sie sich mit der Entschuldigung retten, dass sie nur in Claudios Interesse gehandelt habe. Da Ottone für Poppea auf den Thron verzichten will, lenkt Claudio ein und ernennt Nerone erneut zu seinem Nachfolger. Juno steigt mit ihrem Gefolge vom Himmel herab, um den kaiserlichen Entscheidungen ihren Segen zu geben.

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Triumphale Rückkehr als Kindergeburtstagsfeier (von links: Ottone (Terry Wey), Poppea (Naroa Intxausti), Agrippina (Francesca Lombardi Mazzulli), Claudio (Hans Christoph Begemann), Narciso (Sora Korkmaz), Pallante (Tomi Wendt) und Nerone (Valer Sabadus))

Regisseur Balász Kovalik verzichtet in seiner Inszenierung nicht nur auf den göttlichen Auftritt am Ende der Oper, sondern scheint auch den nachvollziehbaren Motivationen seiner Figuren zu misstrauen, so dass er sich entschließt, die ganze Handlung in eine Kindertagesstätte zu verlegen, die von Tante Sigrid (Sebastian Songin) geleitet wird. In einem Ambiente mit Rutsche, Kletterturm, Schloss und Papiervögeln unter der Decke, was Kindern sicherlich als Spielfläche große Freude bereiten würde, bewegen sich die Protagonisten als Vorschulkinder in entsprechender Kostümierung über die Bühne (Bühnenbild und Kostüme: Lukas Noll) und spielen (?) oder träumen (?) die Handlung. In diesem Punkt bezieht die Inszenierung keine deutliche Position. Nacheinander werden die Figuren der Oper von Tante Sigrid in den Raum geführt und bleiben dort auch, so dass der erste Teil bis zur Pause suggeriert, dass die ganze Geschichte nur gespielt ist. Claudios triumphale Rückkehr ist dann auch eine große Geburtstagsfeier mit Kerzen und Geburtstagskuchen, der dann im Gesicht des in Ungnade gefallenen Ottone landet. Bei diesen Albernheiten darf natürlich auch die Spinatschlacht beim Mittagessen nicht fehlen.

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Agrippina (Francesca Lombardi Mazzulli) wird von schrecklichen Alpträumen gequält.

Nach der Pause ist erst einmal Schlafenszeit in der Kindergruppe. Nur Agrippina wird von Alpträumen geplagt, sieht die großen Stofftiere plötzlich auf sich zu krabbeln und weckt nacheinander die anderen Kinder, um ihre Intrigen weiterzuspinnen. Dies geschieht natürlich kindgerecht, indem bei einzelnen Arien wie bei einem Abzählreim in kindlichen Bewegungen getanzt wird. Erst als Nerone irgendwann der Kragen platzt und er anfängt die anderen mit roter Farbe zu beschmieren, wird es Tante Sigrid zu bunt und sie wird böse - wie einzelne Zuschauer übrigens auch, die in der folgenden Sequenz lauthals "Aufhören" rufen. Nach einer strengen Ansprache fordert die Kindergartentante die Kinder auf, sich jetzt gegenseitig zu streicheln und wieder lieb zu haben. Diese Szene wirkt zwar in der Tat lächerlich, die eigentliche Handlung der Oper, in der Claudio sich dann den Wünschen seiner Untertanen fügt, aber nicht weniger, so dass man auf diese Weise vielleicht wirklich ein an sich unglaubwürdiges lieto fine motivieren kann. Jedenfalls schließt sich der Jubelchor mit einem "Häschen in der Grube" - Spiel hieran nahezu stimmig an.

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"Nun habt euch doch endlich wieder alle lieb!" (von links: Tante Sigrid (Sebastian Songin), Agrippina (Francesca Lombardi Mazzulli), Poppea (Naroa Intxausti), Claudio (Hans Christoph Begemann), Pallante (Tomi Wendt), Narciso (Sora Korkmaz), Ottone (Terry Wey) und Nerone (Valer Sabadus))

Doch Kovalik lässt die Oper nicht mit diesem Chor enden, sondern greift erneut Agrippinas Arie aus dem zweiten Akt "Pensieri, voi mi tormentate" wieder auf, in der die Kaiserin den Erfolg ihrer Intrigen gefährdet sah und voller Unruhe neue Pläne schmieden musste. Auch am Ende scheint Agrippina noch nicht am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Zwar hat Claudio Nerone erneut zu seinem Nachfolger ernannt, doch bis zu Claudios Ableben kann noch viel passieren, was vielleicht eine Anspielung darauf sein mag, dass Agrippina ihren Gatten vergiftet haben soll, um den Weg für ihren Sohn endlich frei zu machen. Vielleicht sind das die Gedanken, die Agrippina bewegen, wenn sie aus der Szene vor die herabgelassenen Fädenvorhänge tritt, bevor sie sich anschließend zwischen die anderen Kindern hinter dem Vorhang einreiht.

Während die Inszenierung vom Publikum durchaus kontrovers betrachtet wird, ist man sich über die musikalische Gestaltung einig. Michael Hofstetter wird seinem Ruf als Barockexperte mehr als gerecht und verwandelt das Philharmonische Orchester Gießen in einen barocken Klangkörper, der Händels Musik bis ins kleinste Detail zelebriert. Hans Christoph Begemann überzeugt in der Rolle des Claudio mit kräftigem, dabei aber stets beweglichem Bariton. Tomi Wendt und Sora Korkmaz gefallen als intrigante Höflinge Pallante und Narciso, wobei nicht ganz klar wird, wieso Kovalik Narciso als Mädchen darstellt, da die erotische Anziehung zu Agrippina dadurch verloren geht. Naroa Intxausti glänzt als niedliche Poppea im rosa Kleidchen mit leuchtendem Sopran und perlenden Koloraturen, wobei sie auch in ihrer kindlichen Darstellung entzückend wirkt. Großartig ist ihr Duett mit Terry Wey, das in der Uraufführung in Venedig gestrichen werden musste, da die beiden Sänger damals stattdessen zwei Arien verlangten. Zwar wirkt es in der Inszenierung etwas deplatziert, da Wey und Intxausti im Parkett sitzen, wenn sie dieses Duett beginnen und erst im Verlauf des Stückes auf die Bühne gehen, außerdem auch noch nicht die Kinderkostüme tragen, in denen sie später in Tante Sigrids Gruppe auftreten, was allerdings dem musikalischen Genuss keinen Abbruch tut.

Terry Wey begeistert als Ottone mit einem wunderbar warmen Countertenor. Ein Glanzpunkt stellt sicherlich seine große Arie "Voi que udite il mio lamento" im zweiten Akt kurz vor der Pause dar, in der Ottone den Verlust Poppeas beklagt. Wey gelingt in dieser Szene auch darstellerisch eine Innigkeit, die unter die Haut geht, wenn er sich völlig frustriert in den Waschraum zurückzieht und befürchtet, dass er sich in die Hosen gemacht habe. Valer Sabadus verfügt als Nerone über eine Stimmlage, die es fast mit jedem Sopran aufnehmen kann, wobei sein Gesang schon beinahe ätherisch klingt. Darstellerisch macht Sabadus deutlich, welche Gefahr trotz dieser friedvoll klingenden Stimme von dem künftigen Kaiser ausgehen wird. Francesca Lombardi Mazzulli stattet die Titelpartie mit einem kraftvollen Sopran aus und verleiht der Figur bei allen kindlichen Bewegungen durchaus eine gewisse Bedrohlichkeit, die auf die historische Agrippina anspielen mag. Höhepunkt ihrer Darstellung dürfte die bereits oben erwähnte Arie "Pensieri, voi mi tormentate" sein, mit der der Abend endet und die das Publikum in frenetischen Applaus für die Sänger und Musiker ausbrechen lässt.

FAZIT

Ob man die Intrigen der römischen Antike stimmig in eine Kindertagesgruppe übertragen kann, ist fraglich. Musikalisch bietet das Theater Gießen aber einen großartigen Barockabend, der Festspielcharakter hat.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Hofstetter

Inszenierung
Balázs Kovalik

Bühne und Kostüme
Lukas Noll

Licht
Manfred Wende

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Philharmonisches Orchester
Gießen

 

Solisten

Claudio
Hans Christoph Begemann

Agrippina
Francesca Lombardi Mazzulli

Nerone
Valer Sabadus

Poppea
Naroa Intxausti

Ottone
Terry Wey

Pallante
Tomi Wendt

Narciso
Sora Korkmaz

Tante Sigrid
Sebastian Songin


Weitere
Informationen

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Stadttheater Gießen
(Homepage)



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