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Ruß

Eine Geschichte von Aschenputtel
Ballett von Bridget Breiner
Musik von Johann Strauß (Sohn), Camille Saint-Saëns und anderen

Aufführungsdauer: ca. 1 h 45' (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier am 19. Januar 2013

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Musiktheater im Revier
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Aschenputtel einmal anders

Von Thomas Molke / Fotos von Costin Radu


Nachdem die neue Ballettdirektorin Bridget Breiner im Oktober dem Ensemble in Der erste Gang die Möglichkeit gegeben hatte, sich in kleinen teils eigens für sie entworfenen Choreographien dem Publikum vorzustellen (siehe auch unsere Rezension), folgte nun der mit Spannung erwartete erste in sich geschlossene Ballettabend im Kleinen Haus. Breiner hat in ihrem ersten als neue Chefin kreierten Handlungsballett mit dem Thema "Aschenputtel" zwar keine Geschichte gewählt, die für den Tanz ein Novum darstellt, entwickelt aber einen vollkommen neuen Blickwinkel auf das Märchen, indem sie die Stiefmutter und die Stiefschwestern ins Zentrum der Betrachtung rückt und aus psychologischer Sicht die Motivation für ihr Verhalten durchleuchtet. So gibt es keine klaren Abgrenzungen mehr zwischen Gut und Böse. Auch musikalisch greift sie nicht auf Prokofjews bekanntes Handlungsballett Cinderella zurück, sondern kombiniert Auszüge aus dem 1899 fragmentarisch hinterlassenen Ballett Aschenbrödel des "Walzerkönigs" Johann Strauß (Sohn) mit live gespielter Akkordeonmusik und Arbeiterliedern aus dem Amerika der 30er Jahre, um jeweils die Stimmung der einzelnen Szenen einzufangen.

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Die Mutter (Bojana Nenadović, vierte von links) hat ihre Familie (von links: Sophia (Maiko Arai), Vater (Min-Hung Hsieh), Clara (Alina Köppen) und Livia (Kusha Alexi)) fest im Griff (auf der rechten Seite: Ensemble: Xiang Li, Shaina Leibson, Fabio Boccalatte, Hugo Mercier und Aidan Gibson).

Jürgen Kirners Bühnenbild besteht aus verschieb- und drehbaren Bühnenelementen, die auf der einen Seite als Holzwände fungieren, die allerdings auch überdimensionale Kisten darstellen könnten, in denen Kohle gelagert wird. Beim Fest des Industriellensohns J. R. Prince zeigen diese Wände auf der anderen Seite nämlich riesige aufgestapelte Kohlenhaufen. Wenn sich Clara, das "Aschenputtel", aus ihrer Unterdrückung befreit, sind diese Wände mit hellem Blau überzogen und deuten somit die Weite des Himmels an. Über der Bühne schweben zahlreiche Käfige, die an Vogelbauer erinnern und in ihrer Höhe verstellt werden können. Mal hängen sie niedrig über den Tänzern und engen sie regelrecht ein, vor allem im Teil vor der Pause, wenn die Welt der körperlich harten Arbeit in einem Kohleabbaugebiet gezeigt wird und die Käfige an schwer gefüllte Körbe erinnern. Mal sind sie mit leuchtenden Kerzen gefüllt und deuten einen prachtvollen Ballsaal an. Im übertragenen Sinn zeigen sie, dass im Beziehungsgeflecht der Figuren keiner wirklich frei ist.

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Streit auf dem Ball: Der Vater (Min-Hung Hsieh) unterliegt der Mutter (Bojana Nenadović).

Im Mittelpunkt steht hierbei Livia (Kusha Alexi), die ältere Stiefschwester. Zu Beginn ist ihre Welt noch in Ordnung. In einem schicken weißen Kleid posiert sie mit ihrer jüngeren Schwester Sophia (Maiko Arai), der Mutter (Bojana Nenadović) und dem Vater wie für ein Familienfoto, auf dem sie selbst wie eine Großindustriellenfamilie wirkt. Doch dann wird den Mädchen der Vater genommen. Dreckige Arbeiter reißen den Frauen die weißen Kleider vom Leib. Der soziale Abstieg droht, so dass die Mutter die Initiative ergreifen und sich mit ihren beiden Töchtern auf den Weg machen muss, einen neuen Versorger zu suchen. Dieser Weg führt von den hehren Klängen des Walzerkönigs zu den wesentlich bodenständigeren Arbeiterliedern. Mit eindringlicher Mimik und Gestik demonstriert Nenadović, mit welcher Entschlossenheit sie für eine bessere Zukunft ihrer Töchter kämpft, indem sie die beiden Mädchen immer weiter antreibt. Während Alexi mit beeindruckendem Spiel zeigt, dass Livia diesen Druck kaum ertragen kann, fügt sich Arai als Sophia mit scheinbarer naiver Leichtgläubigkeit den Wünschen der Mutter.

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Zarte Gefühle zwischen Clara (Alina Köppen) und J. R. Prince (Junior Demitre)

Nachdem die Mutter inmitten der Arbeiter einen besser gekleideten Mann (Min-Hung Hsieh) als potentiellen neuen Versorger ausgemacht hat, geht ihr Plan auch auf, bis zu den unbeschwerten Klängen des Akkordeons Clara (Alina Köppen), seine Tochter aus erster Ehe, auftritt. Mit mädchenhaftem Spiel bringt Köppen die Unbeschwertheit und Natürlichkeit des jungen Mädchens zum Ausdruck, dessen Gesicht zwar so schmutzig ist wie der Ruß im Kohleabbaugebiet, aber dennoch vor innerer Schönheit strahlt. Die Mutter erkennt, dass bei einer solchen Rivalin die Zukunftspläne für ihre Töchter gefährdet sind und muss etwas unternehmen. Schließlich besitzt Livia nicht die Stärke und Willenskraft, jemandem wie Clara auf Augenhöhe zu begegnen. Wenn der örtliche Industriebaron auf dem Ball für Livia entscheiden soll, muss verhindert werden, dass Clara dort auftritt. Folglich zerreißt die Mutter kurzerhand Claras Kleid, mit dem sie zum Ball kommen will. Damit ist der Bruch zwischen Vater und Mutter besiegelt. In einem beeindruckenden Pas de deux tanzen Hsieh und Nenadović ihre Differenzen auf dem Ball aus, wobei deutlich wird, dass Hsieh als Vater sich nicht durchsetzen kann und von seiner Frau regelrecht niedergedrückt wird. Sehr eindringlich gelingt der anschließende Pas de deux zwischen Hsieh und Köppen, in dem er Köppen, die im zerrissenen Kleid doch noch auf dem Ball erschienen ist, um Verzeihung bittet.

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Livia (Kusha Alexi) und der Arbeiter Mitch (Joseph Bunn)

Großartig gelingt Breiner die Choreographie des Balls. Zu walzerseligen Klängen wirbelt das Ensemble in langen blauen Kleidern über die Bühne. Alexi bemüht sich immer wieder zaghaft, die Aufmerksamkeit von J. R. Prince (Junior Demitre) auf sich zu lenken. Doch Demitre spielt wunderbar aus, wie er sie immer wieder übersieht und selbst ihrer jüngeren Schwester Sophia mehr Aufmerksamkeit schenkt als Livia. Ein Höhepunkt des Abends ist sicherlich der Pas de deux zwischen Köppen und Demitre. Zu einer bewegenden Einspielung einer instrumentalen Fassung der berühmten Arie "Mon coeur s'ouvre à ta voix" aus Saint-Saëns' Samson et Dalilah in einer Interpretation von Nina Simone finden Köppen und Demitre als J. R. Prince und Clara trotz etwaiger Standesunterschiede zueinander. Dieser rührende Moment wird dann schon beinahe ironisch gebrochen, wenn Clara plötzlich den Ball verlässt und einen eher rustikalen Schuh zurücklässt. Der weitere Teil folgt nun relativ genau dem Märchen. J. R. Prince ist mit dem Schuh auf der Suche nach der jungen Frau, und die Mutter weist Livia an, mit einem riesigen Messer ihren Fuß für den Schuh zurechtzuschneiden. Doch Livia hält inne.

Nun wechselt die Zuordnung der Musik. Während Clara ihr neu gewonnenes Glück mit J. R. Prince zu seligen Walzerklängen feiert, entdeckt Livia nun zu live gespielten Akkordeonklängen die Freiheit, die Clara schon lange besessen hat. In einem Kampf, der sich auch in der Musik widerspiegelt, scheint sich Alexi von den äußeren Zwängen zu befreien. Hierbei bekommt sie Unterstützung von dem Arbeiter Mitch (Joseph Bunn), der schon im ersten Teil kurz in ihr Leben getreten ist, dem sie damals allerdings keine große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Jetzt unterstützt Bunn Alexi in einem großartigen Duett auf dem Weg in ihre Freiheit. Wenn er sie jedoch am Ende von hinten umklammern will, löst sich Alexi aus dieser Umarmung, was dennoch als Happy End für Livia gedeutet werden kann, da sie endlich die Selbständigkeit erreicht hat, die ihr bis jetzt immer verwehrt wurde. So kann sich Alexi am Ende lachend auf eine große Kiste setzen. Es folgt tosender Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Bridget Breiners erste Choreographie eines kompletten Ballettabends als neue Ballettdirektorin kann rundherum als Erfolg gewertet werden. Man sollte sich frühzeitig um Karten bemühen, da das Kontingent im Kleinen Haus relativ begrenzt ist. (Weitere Termine: 26. Januar 2013, 1., 8., 16. und 24. Februar 2013, 1. und 3. März 2013)


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Produktionsteam

Choreographie
Bridget Breiner

Bühne und Kostüme
Jürgen Kirner

Szenische Mitarbeit
Sebastian Schwab

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Anna Grundmeier

 

Tänzerin und Tänzer

*Besetzung der Premiere

Mutter von Livia und Sophia
*Bojana Nenadovi
ć /
Bridget Breiner

Livia
*Kusha Alexi /
Bojana Nenadovi
ć

Sophia
*Maiko Arai /
Xiang Li

Vater von Clara
Min-Hung Hsieh

Clara
*Alina Köppen /
Aidan Gibson

J. R. Prince
Junior Demitre

Mitch, ein Arbeiter
Joseph Bunn

Arbeiter und Ballgäste
Aidan Gibson
Shaina Leibson
Xiang Li
Fabio Boccalatte
Hugo Mercier

Akkordeon
Marko Kassl


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