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Vanessa

Oper in drei Akten
Text von Gian Carlo Menotti
Musik von Samuel Barber


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Übernahme einer Produktion der Malmö Opera

Premiere an der Oper Frankfurt am 2. September 2012
(rezensierte Aufführung: 09.09.2012)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Verloren im ewigen Eis

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller


Samuel Barbers kompositorisches Schaffen wird gewiss nicht in erster Linie mit Opern assoziiert. Schließlich war er schon Mitte 40 und hatte sich bereits einen gewissen Ruf als amerikanischer Komponist des 20. Jahrhunderts erworben, als er sich zum ersten Mal dem Genre der Oper widmete, was allerdings nicht an mangelndem Interesse lag, da seine früheren Kompositionen durchaus eine Begeisterung für den Gesang und die menschliche Stimme offenbarten. Es dauerte nur bis Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts bis er in seinem langjährigen Weggefährten Gian Carlo Menotti einen Librettisten fand, der Barbers Erwartungen in jeder Hinsicht entsprach. Die Uraufführung seiner ersten Oper Vanessa wurde 1958 an der Metropolitan Opera ein so großer Erfolg, dass Barber im gleichen Jahr noch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Nach einer recht kühlen Aufnahme des Werkes bei den Salzburger Festspielen gewann man jedoch auch in den USA den Eindruck, dass die musikalische Struktur eher an romantischen Traditionen festhielt und nicht den Weg der zeitgenössischen Musik verfolgte. So geriet die Oper in Europa sehr schnell in Vergessenheit und verschwand auch in den USA nach Barbers Tod von den Spielplänen. Die Oper Frankfurt beginnt nun die Spielzeit mit einer Übernahme der 1965 uraufgeführten zweiten Fassung der Oper, die die ursprünglichen vier Akte auf drei verdichtete, und die Katharina Thoma 2009 für die Malmö Opera inszenierte.

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Vanessa (Charlotta Larsson, vorne rechts) und der junge Anatol (Kurt Streit) (auf der Treppe oben: die alte Baronin (Helena Döse))

Barbers Oper erzählt die Geschichte von drei Frauen, die abgeschottet in einem Haus in einer nicht näher definierten Landschaft im Norden ein trostloses Dasein fristen. Die Titelfigur Vanessa wartet dort seit mehr als 20 Jahren auf ihren Geliebten Anatol, der sie einst aus Gründen, die im Libretto nicht näher erläutert werden, verlassen hat. Unklar bleibt auch, warum ihre Mutter, die alte Baronin, nicht mehr mit ihr spricht. Als sich eines Tages Anatol ankündigt und Vanessa voller Euphorie daran glaubt, dass ihr langjähriges Warten ein Ende hat, stellt sich heraus, dass es sich nicht um den ehemaligen Geliebten, sondern um dessen Sohn handelt, der nach dem Tod des Vaters die Frau kennen lernen will, von der sein Vater angeblich immer geträumt hat und die von seiner Mutter stets verleugnet worden ist. Der junge Anatol verliebt sich zunächst in die etwa gleichaltrige Nichte Vanessas, Erika, und schwängert sie. Doch da Erika sich nicht über Anatols Gefühle sicher ist und Vanessa ihre Liebe für ihren Geliebten auf dessen Sohn projiziert, wendet er sich bald von Erika ab und verlobt sich mit Vanessa. Erika ist darüber so schockiert, dass sie Selbstmord begehen will und im Eis den Tod sucht. Sie wird von Anatol gerettet, verliert jedoch das ungeborene Kind. Vanessa beschließt, mit Anatol nach Paris zu gehen, und lässt Erika mit der alten Baronin, die ihre Ablehnung von Vanessa nun auf ihre Enkelin überträgt, allein im Haus zurück, wobei Erika nun Vanessas Rolle übernimmt und auf die wahre Liebe wartet.

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Vanessa (Charlotta Larsson, vorne) lebt durch Anatols Ankunft regelrecht auf (dahinter: Erika (Jenny Carlstedt)).

Julia Müer hat ein eindrucksvolles Bühnenbild geschaffen, das das Seelenleben der drei Protagonistinnen deutlich hervorhebt. So stehen die riesigen Eisschollen, die auf der rechten Seite der Bühne ins Haus hineinragen, für die Kälte und Gefühllosigkeit, die im Haus herrscht. Der Raum, in dem sich die Handlung abspielt, besteht aus hohen grauen Wänden und bringt in der kargen Einrichtung die Isolation der Figuren gut zum Ausdruck. Auch die hohe weiße Wendeltreppe an der rechten Seite des Raumes macht klar, dass die drei Frauen nur um sich selbst kreisen. Während die alte Baronin häufig an einem schwarzen Tisch auf der linken Seite und Erika an einem schwarzen Flügel auf der rechten Seite sitzen, markiert Vanessas rote Chaiselongue in der Mitte der Bühne, dass die Titelfigur als einzige noch genügend Feuer und Kraft besitzt, dieser trüben Einöde zu entfliehen. Während Erikas Zweifel an Anatols Zuverlässigkeit zu stark sind, als dass sie sich auf ihn einlassen und ihrem inneren Gefängnis entkommen kann, ergreift Vanessa nach 20-jährigem Warten die Möglichkeit zur Flucht, auch wenn der wesentlich jüngere Mann nicht der sehnsüchtig erwartete Geliebte ist und sie sicherlich irgendwann verlassen wird. In den Farben der Kostüme macht Müer ebenfalls die Entwicklung der drei Frauen deutlich. So erscheint Erika bei Anatols Ankunft in einem niedlichen gepunkteten Kleid, wird bei ihrem Selbstmordversuch in einem weißen Kleid jedoch eins mit dem Eis, in das sie geht, und legt am Ende ein ähnlich schwarzes Trauerkleid an, wie die alte Baronin es von Anfang an trägt, während Vanessa am Ende das trübe Haus in einem roten Sakko verlässt.

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Die alte Baronin (Helena Döse, hinten) tröstet Erika (Jenny Carlstedt, vorne), die sich über ihre Gefühle im Unklaren ist.

Auch Katharina Thomas Personenregie unterstreicht den psychologischen Ansatz des Werkes. So projiziert die alte Baronin ihre Gefühle ihrer Tochter und ihrer Enkeltochter gegenüber auf Schmetterlinge und Blumen, die sie während der einzelnen Akte bearbeitet. Wenn sich ihre Abneigung zu Beginn nur gegen die eigene Tochter richtet, bearbeitet sie Schmetterlinge - Vanessa ist die zoologische Bezeichnung für einen Schmetterling -, die sie mit Nadeln in kleinen Bilderrahmen feststeckt und durchbohrt. Dabei scheinen die Schmetterlinge noch zu leben, da Anatol einen Schmetterling aus dem Rahmen befreit, der sofort in den Schnürboden entschwebt. So wie er den Schmetterling befreit hat, wird er auch Vanessa aus dieser Isolation befreien. Wenn sich die Wut der alten Baronin nach dem missglückten Selbstmordversuch gegen Erika richtet, beschneidet sie einen Blumentopf mit Erikakraut und lässt in ihren Schnitten ihrer ganzen Ablehnung gegenüber ihrer Enkelin freien Lauf. Auch den alten Anatol lässt Thoma als Statisten häufig zwischen den Eisschollen auftreten, zunächst um Vanessas Erinnerung an den einstigen Geliebten wach zu halten, dann jedoch um Erika in Vanessas Rolle schlüpfen zu lassen. Als Erika nämlich aus dem Eis gerettet worden ist und vom alten Doktor behandelt wird, sieht man den alten Anatol ein Double Erikas aus dem Eis retten, womit eine Verbindung zwischen der jungen Frau und dem älteren Mann hergestellt wird. Nicht verständlich wird, wieso Thoma Erika kurz vor Schluss in den Flügel steigen lässt.

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Für Anatol (Kurt Streit) und Erika (Jenny Carlstedt) kann es keine gemeinsame Zukunft geben.

Die Musik, die mit den spätromantischen Klängen stellenweise an Puccini und Richard Strauss erinnert, lotet in zahlreichen Brüchen das Seelenleben der drei Frauen genauso aus wie die Inszenierung. So überwiegen bei Vanessa zu Beginn die dramatischen Momente, während mit Fortschreiten der Geschichte ihre Passagen immer lyrischer werden. Erikas Musik weist die entgegengesetzte Richtung auf, da sie sehr lyrisch beginnt und mit der Abkehr von Anatol immer dramatischer wird. Auch die Omnipräsenz der alten Baronin als Beobachterin wird regelrecht hörbar, wobei die musikalische Dramatik mehr über die Gefühle der alten Baronin aussagen als der gesungene Text. Helena Döse setzt dies als alte Baronin mit großartiger Mimik um und zeichnet das Porträt einer zutiefst verbitterten Frau, die niemanden mehr an sich heranlässt. Wie sie ihrer Tochter zum Abschied kalt und distanziert die Hand reicht, zeugt von großer Schauspielkunst. Jenny Carlstedt verfügt als Erika über einen großen Sopran, der in den lyrischen Passagen die Unbeschwertheit der jungen Frau zu Beginn der Oper hervorragend einfängt und stimmlich und darstellerisch einen großartigen dramatischen Wandel bis zur Resignation vollzieht. Charlotta Larsson, die die Titelfigur bereits in Malmö gesungen hat, begeistert auch in Frankfurt mit dramatischem Sopran und eindringlichem Spiel.

Kurt Streit stattet den leicht undurchsichtigen Anatol mit kräftigem Tenor aus. Dietrich Volle setzt als alter Doktor bisweilen komische Momente, und auch Björn Bürger lässt mit frischem Bariton als Haushofmeister Nicholas aufhorchen. Jonathan Darlington führt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit viel Fingerspitzengefühl durch die vielschichtige Partitur, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Barbers Vanessa verdient musikalisch einen festen Platz im Repertoire. Katharina Thomas Inszenierung leistet ihren Beitrag dazu, die Qualität des Werkes wieder ins Bewusstsein zu rücken.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jonathan Darlington

Inszenierung
Katharina Thoma

Bühnenbild und Kostüme
Julia Müer

Licht
Olaf Winter

Chor
Michael Clark

Dramaturgie
Hannah Stringham




Chor und Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester


Solisten

Vanessa
Charlotta Larsson

Erika
Jenny Carlstedt

Alte Baronin
Helena Döse

Anatol
Kurt Streit

Der alte Doktor
Dietrich Volle

Nicholas, Haushofmeister
Björn Bürger



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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