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Anti-Märchen in plakativer Optik
Von Joachim Lange / Fotos von Monika Rittershaus
Bei Claus Guth finden Pelléas und Mélisande erst am Ende zueinander, irgendwo jenseits ihrer gutbürgerlichen Welt, auf nachtschwarzer, völlig leerer Bühne. Aber so richtig dann doch nicht, denn jeder streckt die Hand nach dem anderen aus und kann sie doch nicht berühren. Ein zarter dunkel poetischer Moment des Abschieds ist das. Pelléas und Mélisande sind in der jüngsten Frankfurter Inszenierung zwei Königskinder, die auf Erden nicht zueinander kommen sollen. Eine Premiere zuvor gab es hier schon die Königskinder-Variante von Engelbert Humperdinck: Bei David Bösch in ganz anderen Ästhetik, aber genauso anrührend und unerbittlich traurig, noch so ein Werk im Schatten Richard Wagners, wobei der Franzose Claude Debussy, zehn Jahre nach Wagners Tod bei allem Ehrgeiz, etwas völlig Neues zu wagen, eine Art französischen Gegen-Tristan geschaffen hat. Das 1902 in Paris dann uraufgeführte (und durch nachkomponierte Zwischenmusiken ergänzte) Werk ist nachtverhangen geheimnisvoll, symbolistisch aufgeladen, ein Balanceakt über den Abgründen der Leidenschaft, ein dunkel blühendes Gewächs in Todesnähe, und doch mit einem eher parlandohaften, unendlich scheinenden Fluss der Musik, der zwar das Aufbäumen kennt, aber ohne den ganz großen Sturm der Leidenschaft auskommt. Diese Melange aus polemischer Nähe zu Wagner und selbstbewusster Autonomie suggestiv zu entfalten, ist vor allem eine Sache des Grabens. Und da liefern Friedemann Layer und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester eine Glanzleistung ab. Das Schloss - eine bürgerliche Mehrgenerationenhölle Bei Maurice Maeterlinck und Claude Debussy schwebt über dem Schloss in der dunkel geheimnisvollen Waldeinsamkeit, wo man den sterbenskranken König nie zu Gesicht bekommt und wo von Bettelnden und Verhungernden die Rede ist, und über dem eher simplen Brudermord aus Eifersucht eine Aura des Geheimnisvollen . Wo der eine Bruder, der Witwer Golaud, eine geplante königliche Hochzeit sausen lässt, um jene zart zerbrechliche Mélisande zu heiraten, von der er nichts weiß und die er nie begreifen wird, die er vielleicht liebt, aber auf jeden Fall zerstört. Währenddessen Halbbruder Pelléas vom Großvater Arkel nicht ans Sterbebett eines Freundes in der Ferne gelassen wird und sich in Mélisande verliebt. Mit der berdürckenden Atmosphähre dieses durchgestylten Allemonde kommen der alte Arkel (Alfred Reiter mit der Würde eines noch zum Übergriff auf die Jugend Melissandes fähigen alten Mannes) und Geneviève (Hillary Summers mit ihrer demonstrativen Hausfrauen Güte) noch am besten klar. Bei Claus Guth und seinem Ausstatter Christian Schmidt gibt es zwar keine dichten Bäume und auch keinen Brunnen. Aber die große Dunkelheit der Grotte, die gibt es schon. Es ist ein Raum jenseits der gutbürgerlichen Geborgenheit der nobel eingerichteten zwei Etagen im Mehr-Generationen-Haus von Großvater Arkel, Geneviève und ihrem kranken Mann, Golaud, Mélisande und ihrem kleinen Yniold sowie von Pelléas. Die Geborgenheit der gemusterte Tapeten, schweren Möbel und dichten Gardinen vor den milchglasigen Fenstern sind geradezu lähmend. Kein Wunder, dass hier des Öfteren mal jemand keine Luft mehr kriegt. Mit der berdrückenden Atmosphähre dieses durchgestylten Allemonde kommen der alte Arkel (Alfred Reiter mit der Würde eines noch zum Übergriff auf die Jugend Melissandes fähigen alten Mannes) und Geneviève (Hillary Summers mit ihrer demonstrativen Hausfrauen Güte") noch am besten klar. Golauds Sohn aus erster Ehe, Yniold (blond und glockenklar: David Jakob Schläger vom Mainzer Domchor) scheint seine kindliche Unbefangenheit bislang vor einem Dauerschaden zu bewahren. Durch die morbide Atmosphäre gefährdet ist vor allem Mélisande. Christiane Karg singt und spielt das mit hinreißender Zerbrechlichkeit, zwischen Schüchternheit in der Nähe Golauds bis hin zu einer gewissen fordernden Laszivität gegenüber Pélleas. Der ist verklemmt und in sich gekehrt, reagiert in seiner Verklemmtheit ungestüm und verletzend auf Mélisandes Avancen und das eigene erwachende Begehren. Christian Gerhaher ist dafür nicht nur als bestechender Vokalist mit der Fähigkeit zu genau dosierten Ausbrüchen eine Idealbesetzung, sondern mit seiner melancholisch verhangenen Körpersprache auch der ideale Gegenpart zu seinem Halbbruder Golaud. Den balanciert Paul Gay vom liebevollen Vater und bemühten Ehemann über den überlegt entschlossenen Tatmenschen und zum von der ausbrechenden und immer mächtiger werdenden Eifersucht in die mörderischen Abgrund der Selbstzerstörung. Die Familientafel ist am Ende der Ort einer Geisterversammlung Ohne vordergründige Aufgeregtheiten, manchmal simultan, dann wieder durch kaum wahrnehmbare geisterhafte Gestalten im Hintergrund aufgeladen, immer atmosphärisch dicht und hochpräzise geführt entfaltet sich in imponierendem Gleichklang von Graben und Bühne eine Atem raubende, tief berührende Geschichte von einer großen tragischen Liebe in dieser dunkel geheimnisvollen Welt von Allemonde. In Frankfurt ist sie auf beängstigende Weise wiedererkennbar und lässt doch dem Geheimnis sein Recht. FAZIT Der Oper Frankfurt gebührte 1907 der Ruhm der deutschen Erstaufführung von Debussys Ausnahmewerk Christoph Marthaler gelang am gleichen Haus eine exemplarische Inszenierung. Die Neuinszenierung von Claus Guth reiht sich da als souveräne Glanzleistung würdig ein.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild und Kostüme
Licht Chor
Dramaturgie
Frankfurter Opern- und SolistenArkel, König von Allemonde
Pelléas
Mélisande
Golaud, Arkels Enkel
Geneviève
Yniold, Golauds Sohn aus erster Ehe
Ein Arzt
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