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Zwischen Liebe und Pflichtgefühl
Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu
Hélène (Elza van den Heever, Mitte) will Rache für ihren ermordeten Bruder Frédéric (im Hintergrund rechts: Ninetta (Nina Tarandek)). Die Oper Frankfurt hat sich für ihre Erstaufführung dieses Werkes in Frankfurt der französischen Originalfassung angenommen, die sich von der häufiger gespielten italienischen Fassung vor allem durch die für die Grand Opéra obligatorischen Balletteinlagen unterscheidet, auf die in der Frankfurter Inszenierung allerdings komplett verzichtet wird. Im Zentrum der Handlung stehen drei Personen, deren Schicksal auf tragische Weise miteinander verbunden ist. Die Herzogin Hélène, deren Bruder Frédéric von dem neuen französischen Gouverneur Guy de Montfort hingerichtet worden ist, ist von dem Wunsch besessen, Rache für den Mord an ihrem Bruder zu nehmen und die Sizilianer von der französischen Fremdherrschaft zu befreien. Dabei verliebt sie sich in Henri, einen jungen Sizilianer, der zwar den Widerstand unterstützt, allerdings erfahren muss, dass er der uneheliche Sohn Montforts ist und nun zwischen Liebe zu Hélène und Pflichtgefühl seinem Vater gegenüber hin- und hergerissen ist. Auch Montfort befindet sich im Konflikt zwischen der aus Selbstschutz brutalen Unterdrückung der Rebellen und einer bedingungslosen Liebe zu seinem Sohn. Nur der aus dem Exil zurückgekehrte Arzt Jean Procida verfolgt unbeirrt seinen Plan der Vernichtung der Franzosen und ist dabei nicht bereit, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Das Läuten der Kirchenglocken zur Hochzeit von Henri und Hélène soll als Signal dazu dienen, mit den bewaffneten Sizilianern die Franzosen und das Brautpaar auf dem Weg zur Kirche zu ermorden. Hélène versucht, Henri zu retten, indem sie sich weigert ihn zu heiraten, ohne dabei allerdings in der Lage zu sein, den wahren Grund zu nennen, da sie die Rebellen nicht verraten will. So kann sie nicht verhindern, dass die Kirchenglocken geläutet werden und dass alle von den aufgebrachten Sizilianern getötet werden. Guy de Montfort (Quinn Kelsey, Mitte) sehnt sich nach der Anerkennung durch seinen unehelichen Sohn Henri (Alfred Kim, links). Jens-Daniel Herzog hat die Handlung aus dem 13. Jahrhundert in die 60er bzw. 70er Jahre des letzten Jahrhunderts verlegt, was sich in den Kostümen und dem Bühnenbild von Mathis Neidhardt ausdrückt, der eigentlichen Handlung aber nicht im Wege steht. So wirkt Hélène in ihrer schwarzen Hose und dem schwarzen Mantel nicht wie eine aristokratische Herzogin sondern wie eine Widerstandskämpferin aus dem Untergrund. Erst im fünften Akt wird sie mit einem ausladenden weißen Hochzeitskleid ihrer kämpferischen Natur beraubt, was sich auch in ihrer musikalischen Linie widerspiegelt, die zum Ende hin wesentlich lyrischer wird. Die anderen Figuren tragen Alltagskleidung, wobei die Kostüme der Sizilianer in eher dunklen Tönen recht einfach gehalten sind und die französischen Besatzer in ihren Anzügen wesentlich mondäner wirken. Das Bühnenbild besteht aus einem mehrstöckigen Haus, das in der unteren Ebene mit schwarz marmorierten Tafeln und einer vergoldeten Doppeltür an ein sozialistisches Politbüro erinnert, während die oberen Etagen mit den grauen Wänden und großen Fenstern eher schlicht gehalten sind. Der Einsatz der Drehbühne ermöglicht einen Blick in das Innere dieses Hauses, das im Mobiliar und in der Farbgestaltung ebenfalls an die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert. Wen soll Henri (Alfred Kim, Mitte) auf dem Fest verraten: seinen Vater oder die Mitverschwörer? (im Hintergrund mit Maske: Ensemble und Chor und Extrachor) Herzogs Inszenierung beginnt bereits vor der Ouvertüre, die im Folgenden recht stimmig in Szene gesetzt wird. Dabei nimmt er ein Motiv vorweg, das sich vom ersten Ton in Form eines Doppelschlags aus zwei Zweiunddreißigsteln und einem Viertel dem über dem ganzen Abend schwebenden Todesgedanken widmet. Wenn der Vorhang sich hebt, sieht man zwei französische Soldaten, die mit einem vergleichbaren Doppelschlag einen Mann an einer Straßenecke erschießen und seinen Leichnam anschließend von der Bühne tragen. Hierbei handelt es sich, wie man später erfährt, um Hélènes Bruder Frédéric. Von nun an assoziiert man den ständig wiederkehrenden Doppelschlag in der Musik stets mit den beiden Gewehrschüssen. Während der Ouvertüre kommen nun nach und nach Mitglieder des Chors als Sizilianer an den Ort des Geschehens und legen Kerzen und Blumen als Gedenken an den Toten nieder. Auch Hélène ist mit Ninetta und Danieli im ersten Akt auf dem Weg dorthin, um ihren Bruder mit einer Kerze zu ehren, als sie von den Franzosen genötigt wird, ein Lied anzustimmen. Mit beeindruckendem Sopran setzt Elza van den Heever als Hélène die aufrührerische Cabaletta "Au sein des mers et battu par l'orage" in Szene, die die Sizilianer fast dazu bringt, die Franzosen sofort anzugreifen, würde nicht der Auftritt des Gouverneurs Guy de Monfort eine Eskalation verhindern. Hélène (Elza van den Heever, Mitte) im Konflikt zwischen ihrer Liebe zu Henri (Alfred Kim, links) und ihrer Unterstützung für Jean Procidas (Raymond Aceto, rechts) Befreiungskampf Während der zweite Akt auf der Straße spielt, wo sich die Aufständischen an der Hauswand ihre Revolutionszentrale aufgebaut haben, zeigt das Innere des Hauses im dritten Akt einen großen Saal, in dem Montfort zum prunkvollen Fest einlädt, bei dem die Rebellen das Attentat auf den Gouverneur planen. An dieser Stelle weicht Herzog in seiner Inszenierung leicht vom Libretto ab. Nimmt Henri gemäß Libretto von seiner Absicht, den Gouverneur zu ermorden, Abstand, nachdem Montfort ihm gestanden hat, dass er sein Vater ist, und versucht er einerseits, die Verschwörer von ihrem Plan abzubringen, andererseits Montfort zu bewegen, das Fest zu verlassen, lässt Herzog in seiner Inszenierung alle Gäste als Maske ein Bild des Gouverneurs aufsetzen, um deutlich zu machen, dass Henri nicht mehr weiß, auf welcher Seite er eigentlich steht. Wie das Attentat dabei letztendlich scheitert und was zur Verurteilung der Rebellen führt, geht dabei in einem Wirrwarr gewissermaßen unter. Im vierten Akt befindet sich das Gefängnis dann auf der Straße auf der anderen Seite des Hauses und ist nur durch einen Zaun von dem Inneren des Hauses abgetrennt. Die geplante Hochzeit findet dann wieder auf dem Platz vor dem Haus statt, wo eine lange Tafel aufgebaut wird, an der Henri und Hélène am Ende Platz nehmen und an der sie beim abschließenden Massaker von den Aufständischen genauso wie Montfort, der sich zunächst noch schützend vor sie stellt, erschossen werden. Henri (Alfred Kim, links) und Procida (Raymond Aceto, rechts) wünschen beide, dass die Hochzeit mit Hélène (Elza van den Heever, Mitte) stattfindet, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Musikalisch ist bei dieser wohl politischsten Oper Verdis schwer nachvollziehbar, warum dieses Werk so selten auf den Spielplänen zu finden ist, bietet sie doch zahlreiche Höhepunkte. Neben der bereits erwähnten Cabaletta im ersten Akt sind hier vor allem Procidas Auftrittsarie "Et toi, Palerme, ô beauté qu'on outrage" zu nennen, in der er einerseits seine Freude bekundet, nach Jahren des Exils wieder in der Heimat zu sein, andererseits allerdings auch deutlich macht, dass er bis aufs Blut gegen die Besatzer kämpfen will. Raymond Aceto gestaltet die Partie der einzigen historisch belegten Figur in dieser Geschichte mit fulminantem Bass und macht die Kompromisslosigkeit dieses Widerstandskämpfers auch darstellerisch glaubhaft. Des Weiteren bewegen vor allem das große Quartett im vierten Akt "Adieu, mon pays, je succomble", wenn Hélène und Procida bereit sind, für ihre Überzeugungen zu sterben und Montfort für die Begnadigung der beiden von Henri lediglich einfordert, von ihm "Vater" genannt zu werden. Quinn Kelsey stattet den Gouverneur Montfort mit großem Bass aus, der die innere Zerrissenheit zwischen Herrschaftsanspruch und Liebe zu seinem Sohn stimmlich und darstellerisch hervorragend transportiert. Alfred Kim verfügt als Henri über einen strahlenden Tenor, der die zahlreichen Höhen an keiner Stelle zu fürchten braucht und das Leid des jungen Mannes in seiner großen Arie "O jour de peine et de souffrance!" im vierten Akt und den Duetten mit Hélène und seinem Vater mit leuchtender Stimme und tenoralem Glanz präsentiert. Ein weiterer Star des Abends ist die Sopranistin Elza van den Heever, die Hélènes Wandel von der beherzten Widerstandskämpferin zur eher schwachen liebenden Frau stimmlich und darstellerisch hervorragend bewältigt. Während sie bis zum fünften Akt in ihrem schwarzen Outfit als entschlossene Widerstandskämpferin optisch nicht sehr feminin wirkt, wechselt dies mit dem Anlegen des ausladenden weißen Brautkleides im fünften Akt. Ihre große Arie im fünften Akt "Merci jeunes amies", in der sie sich auf die bevorstehende Hochzeit freut, bevor sie von Procida darüber aufgeklärt wird, dass das Läuten der Hochzeitsglocken das Signal für das Massaker sein soll, ist ein typisches Beispiel für ihren Wandel zur romantisch liebenden Frau. Auch der von Matthias Köhler einstudierte Chor und Extrachor leisten in der Aufspaltung in Franzosen und Sizilianer, die auch musikalisch völlig unterschiedliche Farben haben, Gewaltiges. Pablo Heras-Casado zaubert mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester aus dem Graben einen virilen und differenzierten Verdi-Sound, der das hohe musikalische Niveau hervorragend abrundet. So gibt es am Ende lang anhaltenden und frenetischen Applaus für alle Beteiligten, in den sich auch das Regie-Team einreiht, das mit seiner Deutung eine im Großen und Ganzen stimmige Umsetzung gefunden hat. FAZIT Diese Verdi-Oper möchte man gerne häufiger hören, vor allem wenn sie musikalisch so gut besetzt ist und die Inszenierung das Stück nicht gegen den Strich bürstet.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie Bühnenbild und Kostüme
Licht Chor
Dramaturgie
Chor und Extrachor (Herren) Statisterie der Oper Frankfurt Frankfurter Opern- und Solisten*rezensierte Aufführung Guy de Montfort
Sire de Béthune
Graf von Vaudemont
Henri, ein junger Sizilianer
Jean Procida, Arzt aus Sizilien
Herzogin Hélène Ninetta,
ihr Kindermädchen Danieli Mainfroid Thibault Robert
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